Damit will ich keine Überlegungen zur Diplomatie, zu Bündnisproblematiken usw beiseite schieben, sondern einfach nur auf einen seinerzeit wohl doch sehr relevanten militärischen Aspekt hinweisen (Schlieffen selbst äußerte sich doch 1905 explizit zur Stärke der franz. Festungen: Verdun bis Belfort "nahezu uneinnehmbar"!) und zur Notwendigkeit es immensen Ausbaus von Metz.
1905 nicht 1894.
Im Hinblick auf die Schlieffensche Denkschrift von 1905 ist noch darauf hinzuweisen, dass in dieser, wie beim Lesen vielleicht aufgeallen, Russland eigentlich keine nähere Beachtung geschenkt wird.
Das mag daran liegen, dass Russland sich seit 1904 in einem Krieg gegen Japan befand, der nicht gut lief und durchaus große Kräfte beanspruchte, so dass Russland für den Moment und möglicherweise in Zukunft nur bedingt handlungsfähig war.
Mit dem (weitgehenden) Ausfall der Ost-Bedrohung, bzw. deren Redukion dahin, dass die für den österreichischen Verbündeten handhabbar gewesen wäre, entfiel dann allerdings auch der Zeitdruck, so dass durchaus als fraglich betrachtet werden kann, ob die Lösung, die Schlieffen da vorschwebte in dieser Form für einen Krieg an mehr als einer Front gedacht war.
Mir persönlich erscheint es sinnvoll, die Vorkriegsplanungen von deutscher Seite in mehr oder weniger 3 Phasen mit unterschiedlichen Aufgaben und Schwirigkeiten eizuteilen:
1894-1904/1905: Es war mit einem Zweifrontenkrieg zu rechnen, seit dem französisch-russischen Bündnis.
Es war mit dem italienischen Verbündeten (noch) einigermaßen sicher zu rechnen, es war (jedenfalls bis zur britischen Entente mit Frankreich 1904) damit zu Rechnen, dass Großbritannien sich wahrscheinlich heraushalten würde, wenn man nicht selbst als Aggressor auftrat.
Es war möglicherweise noch gangbar (jedenfalls am Anfang der Periode im direkten deutsch-franzsöischen Grenzgebiet Durchbrüche zu erzielen.
Konsequenz: Man musste mit einen Zweifrontenkrieg rechenen, der Grundsätzlich zumal wegen des leistungsschwachen russischen Bahnsystems aber noch gangbar gewsen wäre.
Offensive gegen Frankreich konnte sich anbieten, weil Frankreich selbst möglicheweise eine größere Offensivfähigkeit zugetraut werden konnte, als Russland mit seinem schwachen Bahnsystem.
Mit Rücksicht auf die Neutralität von Großbritannien hätte sich empfohlen das an der direkten Grenze zu versuchen und nicht über Belgien.
Allerdings wenn man mit verhältnismäßig schwachen Russen im Osten, verbündeten Italienern und offenen Seewegen rechnen konnte, bestand kein besonderer Zeitdruck und Erschöpfungskrieg, wäre unter disen Umständen möglich gewsen.
( = ergo kein Grund auf Planungen für einen Ostschwerpunkt als Alternative gänzlich zu verzichten).
2. Phase 1904/1905 bis etwa 1910.
Veränderungen gegenüber der Ersten Phase:
1. Der Ausbau der Festungen ging vorran, was die mögliche Operationszone gegen Frankreich tendenziell von Lothringen weg in Richtung Belgien verschieben musste.
2. Italiens Haltung wurde zunehmend fraglicher, das Verhältnis zwischen Rom und Wien immer vergifteter, damit drohte ein Verbündeter auszufallen.
3. Großbritanniens Haltung hatte sich geändert und seit der Entente mit Frankreich und Marokko 1 war darauf zu Rechnen, dass Großbritannie Frankreich beistehen würde, wenn es zum Krieg käme um eine Schwächung Frankreichs zu verhindern.
4. Der Umstand Großbritannien mehr und mehr ohnehin dem Lager des Gegners zurechnen zu können, musste die Präferenz erhöhen über Belgien statt Lothringen Frankreich anzugreifen, wenn es zum Krieg käme, weil dann auf die Befindlichkeiten Londons keine Rücksicht mehr genommen werden musste, sollte sich dieses ohnehin feindlich verhalten.
5. Dafür war Russland für den Augenblick handlungsunfähig und würde auf absehbare Zeit in einen größeren europäischen Krieg nicht mit Macht eingreifen können.
Bedeutet: Zunächst hatte sich die Grundkostellation geändert, weil in dieser Zeit nicht mit einem Zweifrontenkrieg zu rechnen war (es sei denn man selbst hätte Russland angegriffen) und die Planung voll auf den Westen ausgerichtet werden konnte.
Da nicht zu erwarten war, dass in einem Krieg in Westeuropa Russland mit von der Partie wäre und es auch für Italien und das Osmanische Reich und die Balkanstaaten in so einem Fall wenig Grund gegeben hätte, sich gegen Deutschland zu stellen, wäre eine potentielle britische Blockade zu dieser Zeit weitgehend unschädlich gewesen.
Großbritannien war nicht in der Lage im Alleingang ganz Europa zu blockieren (abgesehen von dem politischen Schaden, den es verursacht hätte), so dass Deutschland über Drittländer die Einfuhr von Salpeter wahrscheinlich hätte bewältigen können.
Das wäre teurer gewesen, aber sicherlich machbar.
Damit wäre kein immenser Zeitdruck gegeben gewesen und man konnte für den Westen die große Umassungsschlacht relativ bedenkenlos zu planen beginnen, es hätte nämlich nicht viel geschadet, wäre sie in dieser Konstellation fehlgeschlagen, aber es wäre damit ein sich sonst möglicherweise lange hinzieheender Krieg unter Umständen rasch und mit relativ geringen eigenen Verlusten siegreich zu beenden gewesen.
(Für das Thema Fortführung der Ostplanungen bedeutete dass, dass dise erstmal größtenteils obsolet wurden (vor allem im ersten Abschnitt dieser Phase), sofern man nicht mit dem Gedanken spielte einen Präventivkrieg gegen Russland loszutreten um das Zarenreich nachhaltig und dauerhaft zu schwächen. Allerdings hätte dem der polnische Teilungskonsens entgegengestanden.
Da es aber den Britisch-Russischen Ausgleich und die Tripple-Entente, jeedenfalls am Beginn dieser Periode noch nicht gab und es auch bis zum Ende dieser Periode keine konkreten Militärvereinbarungen zwischen London und St.Petersburg gab, wäre ein Schwerpunkt Ost in einem Krieg gegen Frankreich und Russland möglicherweise noch gangbar gewesen und es machte sicher Sinn, dass mindestens theoretisch vorzuhalten, da wenigestens, wenn Frankreich oder Russland einen Krieg begonnen hätten (was am Ende dieser Periode, mit Rücksicht auf den Zustand Russlands wahrscheinlicher gewesen wäre, als am Anfang), nicht sicher gewesen wäre, dass London da mitgehen würde und offene Seewege möglicherweise noch angenommen werden konnten.
Phase 3: ca. 1910-1914
Die entscheidende Veränderung hier, wäre die Erhohlung Russlands und dessen Aufrüstung im größeren Stil, bei sonst weitgehend unveränderten politichen Bedingungen. Italien maximal unsicher, Großbritannien im Lager der Entente.
ZumPunkt das Zeitproblem, als Triebfeder dafür den Schlieffenplan als notwendig anzusehen, kommt es eigentlich erst jetzt.
War es in der vorherigen Phase unwahrscheinlich, dass es zu einem Zweifrontenkrieg kommen würde, war das jetzt wieder gegeben und im Gegensatz zur ersten Phase, in der das schonmal gegeben war, konnte man auf Italien unter Umständen nicht mehr rechnen und musste darüber hinaus von der Möglichkeit einer britischen Lockade ausgehen.
Eine mögliche Beteiligung Russlands und Österreich-Ungarns musste natürlich Auswirkungen auf Südost-Europa haben, weil ein solcher Krieg Machtumverteilung am Balkan wahrscheinlich machte, was die Balkanstaaten zwingen musste Stellung dazu zu beziehen, was in der vorherigen Phase in der mit russischer Beteiligung nicht zu rechnen war, nicht notwendig gewesen wäre.
Das musste für den gesamten Raum eine Tendenz bedeuten, eigene neutrale Positionen aufzugeben und dass wiederrum konnte für Deutschland nicht gut sein, weil das absehbar die Wirkung einer britischen Blockade im Zeitablauf verstärken musste.
Auf Länder, die sich für die Zentralmächte erklärten, würde London in Sachen Blockade keine Rücksicht mehr nehmen müssen und der Handel mit Staaten, die bereit waren es mit der Entente zu halten, würde aus Deutscher sicht mit Kriegsbeginn ohnehin entfallen.
Hinzu kommt, der Druck wegen der russischen Heeresvermehrungen und des Bahnbaus.
Erst hier kommt der Zeitdruck rein und die Vorstellung einen Erschöpfungskrieg an mehreren Fronten wahrscheinlich nicht durchhalten zu können und die Präferenz für das Westszenario, weil mit dem Ostaufmarsch nur ein Erschöpfungskrieg zu machen war.
Wäre die Fridensperiode ein paar Jahre weiter gegangen und hätte sich die synthetische Ammoniakherstellung industriell durchgesetzt, so dass sowohl Düngemittelherstellung, als auch Munitionsfabrikation absehbar relativ autark zu leisten gewesen wäre und die Wirkung einer Blockade immens geschwächt hätte, hätte sich daraus möglicherweise eine Veränderung der Präferenzen dahingehend ergeben könnn, wieder mit einem Ost-Szenario zu planen (unbeschadet dessen, was poltisch so passiert wäre).
Worauf ich eigentlich nur hinaus möchte:
Die Vorstellung bei
@muck (oder jedenfalls habe ich das so verstanden), dass man seit irgendwann am Beginn des 20. Jahrhunderts erkannt habe, dass man zu schwach für einen Zweifrontenkrieg wäre und dass der Schlieffenplan und der Verzicht auf Planungen mit Schwerpunkt Ost das lineare Ergebnis gewesen wäre, auf dass es seit dem zulief, die dürfte so nicht hinkommen.
Schlieffen entwarf die Basis für dass, was dann 1914 kam, aber aus einem anderen Bewegrund heraus, der sich vor allem auch aus den Friktionen ergeben haben dürfte, die der Krieg zwischen Russland und Japan für das europäische Mächtesystem ergab und dessen Triebfeder nicht Zeitdruck und Angst vor einer Übermacht waren.