Wo war der Angrivarierwall? (Vortrag)

Hallo liebe Gemeinde,


Die vergangenen eineinhalb Stunden habe ich mich nun durch diesen sehr spannenden Beitrag gewühlt, der vielerorts – für mich persönlich – ebenso viele interessante Thesen wie auch Informationen zutage gefördert hat. Schade finde ich allerdings den abrupten Abriss dieser Diskussion in 2008, weshalb ich das Thema gern mit meinen persönlichen Anmerkungen „aus der Versenkung“ holen möchte. Wie schon andernorts in diesem Forum angemerkt, bin ich kein Historiker, beschäftige mich jedoch aus dem eigenen Interesse heraus seit einiger Zeit mit den Germanen, vorwiegend mit den Cheruskern im Bereich des Weserberglands. Deshalb seht es mir bitte nach, wenn mein wissenschaftlich nicht fundiertes Einbringen von Gedankengängen sicherlich einige Fragen oder auch Korrekturen zur Folge hat.

Im Übrigen werde ich ihm Rahmen einer Geschäftsreise in der kommenden Woche in der Nähe Leese/Stolzenau sein und mir dort einmal den Düsseldorfer Wall anschauen. Dass dieser mit seinen 1,2 Kilometer Länge nicht unbedingt riesig ist, verdeutlicht auch die hier schon angemerkten Zweifel.
Über die Lokalisation des Angrivarierwalls wird man sich wahrscheinlich noch Ewigkeiten, spätestens aber bis zum Fund beschäftigen können, weshalb für mich vielmehr die folgende Frage wichtig erscheint:

Statt zu lokalisieren wäre es doch zunächst einmal wichtig, die Größe und den etwaigen Umfang des Walls zu verdeutlichen. Leider habe ich hier persönlich kaum etwas zum Nachlesen gefunden, weshalb sich hier aller Wahrscheinlichkeit nach viel Spielraum für Spekulationen entwickeln dürfte.

Wie also kann oder sollte man sich diesen Wall vorstellen in seiner Höhe, Länge und Breite? Und wie ist dieser Wall zu verstehen?

a) ein "natürlicher" Wall als Abgrenzung (z.B. eine Geländeerhebung)
b) ein "natürlicher" Wall mit menschlicher Modifikation
c) ein komplett durch Menschenhand geschaffener Wall

Mich persönlich würde einfach interessieren, wie man sich diesen bildlich vorstellen muss.

Darüber hinaus wird die Lage des Walls ja in der unmittelbaren Umgebung (Radius?) des Schlachtfeldes Idistaviso vermutet. Hier gab es von meinen Vorrednern ja schon einige Eckdaten in Bezug auf Tagesmarschlängen der römischen Truppen in Verbindung mit der Schwierigkeit des (nicht auszuschließenden) unwegsamen Geländes im Weserbergland. Ist also davon auszugehen, dass - angenommen man könnte Idistaviso lokalisieren - hier im Umkehrschluss dann auch der Angrivarierwall in unmittelbarer Nähe (einem bestimmten Radius) zu suchen sei?

Es wäre zudem schön, wenn diese Diskussion an dieser Stelle wieder aufleben würde.
 
Deine Versuche stoßen vor ein Problem: Zum Angrivarierwall gibt es nur eine einzige Quelle: Tacitus' Annalen, Buch 2, Kapitel 19 (Tac. ann. II, 19)
Nur aufgrund dieser Quelle können wir den Angrivarierwall lokalisieren:

postremo deligunt locum flumine et silvis clausum, arta intus planitie et umida: silvas quoque profunda palus ambibat nisi quod latus unum Angrivarii lato aggere extulerant quo a Cheruscis dirimerentur.

Demnach handelte es sich um einen Grenzwall zwischen Cheruskern und Angrivariern, der offenbar vertikal zu einem größeren Fluss lag, womit eigentlich nur die Weser gemeint sein kann, da man diese vorher überquert hatte und nun auf dem Rückmarsch war.
Beschrieben wird ein sumpfiger Ort zwischen einem größeren Fluss (flumine, normalerweise übersetzt mit Strom) und tiefen Wäldern (silvas quoque profunda), der eben (planitie) und sumpfig (et umida [...] palus) war.

Es ist hier im Forum häufiger schon mal diskutiert worden, ob es sich wirklich um einen Grenzwall handelte, oder nicht eher um ein kleines schnell aufgeworfenes, gegen die Römer gerichtetes Bauwerk. Gegen diese Hypothese sprechen zwei wichtige Dinge, nämlich a) dass der Wall eine angrivarischen und eine cheruskischen Seite hatte, die trennte (dirimerentur) und b) dass Tacitus für den Bau eine Vokabel im Plusquamperfekt verwendet, also in der Vorvergangenheit: extulerant.
Aus militärlogischen wie grammatischen Gründen ist diese Hypothese also abzulehnen.

Insgesamt bleibt für die Lokalisierung recht wenig. Der Wall muss sich an der Weser befunden haben, einiges spricht für das Ostufer, in der Nähe der Höhen im Mittellauf der Weser (Idistaviso), aber doch selbst eher in einem flacheren Gebiet.
 
Ich nehme an, dass man den "heutigen" Verlauf der vielerorts durch Menschenhand begradigten Weser damit nicht unbedingt 1zu1 mit dem damaligen Lauf vergleichen kann oder? Gibt es hier ggf. etwaige Berechnungen oder Verlaufsprognosen der Weser vor 2.000 Jahren?
 
Die Weser ist eigentlich kaum begradigt. Es gibt ein paar kanalartige Durchstiche für den Schiffsverkehr, aber die dadurch abgekürzten Mäander sind keine toten Altarme. Am Verlauf der Weser und der Lage der Städte zu ihr kann man eigentlich sehen, dass sie ihren Verlauf zumindest seit dem Mittelalter nicht wesentlich verändert hat, im Mittelgebirgsraum dürfte dies sowieso weitgehend ausgeschlossen sein. Du kannst davon ausgehen, dass im fraglichen Raum, den ich mal mit grob dem Weserverlauf von Hameln bis etwa zum Steinhuder Meer eingrenzen würde, der Verlauf der Weser im wesentlichen, von kleineren Änderungen abgesehen derselbe ist, wie vor 2000 Jahren.
 
... Du kannst davon ausgehen, dass im fraglichen Raum, den ich mal mit grob dem Weserverlauf von Hameln bis etwa zum Steinhuder Meer eingrenzen würde, der Verlauf der Weser im wesentlichen, von kleineren Änderungen abgesehen derselbe ist, wie vor 2000 Jahren.

Moin El Quijote

Wenn du die Weser zwischen Hameln und dem Steinhuder Meer betrachtest, so wirst du an vielen Stellen alte Flußarme erkennen. Auch wenn ich nicht im Einzelnen sagen kan wie alt diese sind, so kannst du doch davon ausgehen, dass der Flußverlauf vor 2000 Jahren (vielerorts) ein anderer war!

Am Beispiel der Feste Zons am Rhein kann man gut sehen, wie der Rhein sein Flußbett seit dem MA ca. 100m - 200m weiter nach Osten verlagert hat. Ursprünglich verlief er etwa entlang der Stadtmauer.

Gruß
Andreas
 
Die geographischen Begebenheiten lassen dort auch die Sperrung des Tals zu. Eine Umgehung dieses Hindernisses hätte Tage in Anspruch genommen. Die alten Heerwege führen zwar auf dem Deister entlang (Fußpfade, die oft steil und unbequem über den Deister gingen) , aber 8Legionen werden mit Sicherheit die Wege durch das Tal genutzt haben (siehe Karl der Große, der auch durch die Deisterpforte gezogen sein soll).
Auf dem Deister gibt es auch einige "heidnische" Hinterlassenschaften (siehe Alte Taufe). Es kann daher sein, daß der Deister eine natürliche Grenze zwischen den Angrivariern und den Cheruskern darstellte.....und dort wo sie sich in die Quere kommen konnten, kann ein Wall das Tal abgesperrt haben. Man hat so eine natürliche Grenze von ca. 40km Länge, die von Nord nach Süd führt. Es gibt zwar Wege, z.B. der Helweg vor dem Samtforde, der im Norden um den Deister führt, aber dann hätten die Römer am Osterberg vorbei durch die Rodenberger Aue (im Deister-Süntel-Tal gab es damals ausgedehnte Sümpfe, die nur schwer zu passieren waren) ziehen müssen. Gleichzeitig hätten sie die an der Deisterpforte versammelten Germanen im Rücken gehabt. Dasselbe wäre passiert, wenn sie gen Süden nach Elze gezogen wären. Also wäre der Schlachtort schon ideal. Schließlich hat Arminius die Schlachtorte bestimmt.

Deswegen ist die Theorie des Hanau wesentlich glaubhafter als diese Marienburg-Theorie von Friebe und Marko (auch wenn Friebe jetzt einen wieder als "Halbwüchsigen" beschimpft :winke: ).

Und jetzt noch ein Klopfer :) : Der ehemalige Buchhändler Nolte aus Barsinghausen soll eine alte Karte besessen haben, auf der der Nienstedter Kirchweg als "Römerweg" bezeichnet worden sein soll. Dieser Weg soll den Cheruskern dazu gedient haben, um gefangene Römer zu den heiligen Stätten auf dem Deister und Süntel zu bringen und sie dann zu opfern. =) :yes: :winke: :S

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P.S.
Bei Coppenbrügge gibt es heute noch eine Fläche, die das "Heerlager" (direkt unter dem Berg der "Teufelskammer" genannt wird =) ) genannt wird. Welches Heer dort gelagert hat, das weiß keiner? :still: :grübel:

Selbst im unmittelbaren Umfeld (nördlicher Ith) gibt es heute noch Spekulationen um etwaige heidnische Opferplätze.
Das "Heerlager" ist mir persönlich - obwohl ich in direkter Umgebung wohne - nicht bekannt. Könnte hier vielleicht die "Heerburg" gemeint sein?

Könnte hier im Bereich des Osterwaldes vielleicht die bisher noch nicht ausgiebig erforschte Barenburg eine eventuelle Rolle gespielt haben? :grübel:
 
Selbst im unmittelbaren Umfeld (nördlicher Ith) gibt es heute noch Spekulationen um etwaige heidnische Opferplätze.
Das "Heerlager" ist mir persönlich - obwohl ich in direkter Umgebung wohne - nicht bekannt. Könnte hier vielleicht die "Heerburg" gemeint sein?

Der Link geheimnist mir etwas zu viel in die Felsformationen des Ith hinein. Die Fotos zeigen zwar u.a. einige mit Sicherheit anthropogene (also menschengemachte) Charakteristika, ob diese aber mit kultischen Handlungen oder nicht doch eher mit wirtschaftlichen Handlungen (Steinbruch) im Zusammenhang stehen, ist zumindestens mal zu überlegen.
Was die "Gesichter" angeht, so muss man dem Autoren Phantasie zugestehen, was deren "auffällige Häufung" dagegen angeht, so sind hier dann gerade naturwissenschaftliche (geologische) Erklärungen zu bevorzugen: Derselbe Stein wird auf dieselben Witterungsbedingungen immer ähnlich "reagieren".
Interessant finde ich dagegen die Herleitung des Fahnensteins von Fanum. Hier allerdings wäre zu fragen, wieso sich in einer volkssprachlichen Überlieferung einer den Römern wohl eher unbekannt gebliebenen oder zumindest kaum berührten Geländeformation ein lateinischer Begriff tradiert haben sollte. Die Herleitung ist also durchaus pfiffig, aber wohl - an der Wahrscheinlichkeit gemessen - eher abzulehnen.

Was die Mulden angeht, so fehlen etwaige Abflüsse und die Stellen der Mulden sind teilweise, um ein Opfertier zu schlachten, an eher ungünstigen Stellen, auch hier ist also wohl eher davon auszugehen, dass es sich um das Resultat von Erosionsprozessen (Regenwasser, Tropfwasser ("steter Tropfen...")) handelt (aber ich bin kein Geologe), als darum, dass hier Menschen gezielt am Werk waren. Zuletzt werden deutlich als geologische Verwerfungen erkennbare Gesteinsformationen anthropogen gedeutet, das ist also völlig abzulehnen. Bleibt einzig - und wie gesagt selbst dort eher mit einem Frage- als einem Ausrufezeichen versehen - die Toponymie Fahenstein, die von fanum abgeleitet werden könnte.


Könnte hier im Bereich des Osterwaldes vielleicht die bisher noch nicht ausgiebig erforschte Barenburg eine eventuelle Rolle gespielt haben? :grübel:

Am Rechner lässt es sich leicht spekulieren. Eine seriöse Aussage lässt sich dazu jedoch nicht abgeben.

Am Beispiel der Feste Zons am Rhein kann man gut sehen, wie der Rhein sein Flußbett seit dem MA ca. 100m - 200m weiter nach Osten verlagert hat. Ursprünglich verlief er etwa entlang der Stadtmauer.

Mit oder ohne menschliche Eingriffe?
 
Am Rechner lässt es sich leicht spekulieren. Eine seriöse Aussage lässt sich dazu jedoch nicht abgeben.

Ist schlüssig ;-) Mich würde an dieser Stelle nur interessieren, wie das Verhältnis auf sogenannten Fliehburgen von Fläche zu Mensch war; ergo wie viele Menschen sich auf 5,5 Ha zurück gezogen haben könnten (samt ihren Habseligkeiten).
Erstaunlich ist, dass diese Wallanlage zu einer Zeit enstanden sein muss, die schon damals darauf ausgelegt war, einer großen Masse von Menschen als Rückzugspunkt zu dienen. Ergo musste dieses Gebiet doch gut besiedelt gewesen sein.
 
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