Adel aus reichen Warlords?

Lieber Thanepower, welche "offensichtlich problematische" These habe ich denn hier aufgestellt? Unser Disput dreht sich doch wohl darum, dass Du das Phänomen "Adel" als Effekt der Ausdifferenzierung einer Gesellschaft ansiehst, während ich die gegenteilige Auffassung vertrete, dass der Adel seine Wurzeln im Zerfall einer Gesellschaft (nämlich der Stammesgesellschaft!) hat.

Dass der Adel das Produkt einer zerfallenden Gesellschaft ist, ist eine merkwürdige Vorstellung. Vielleicht hast du das auch nur etwas unglücklich formuliert. Für das Neolithikum postulieren die meisten Wissenschaftler eine noch weitgehend ungegliederte dörfliche Gesellschaft, an deren Spitze ein Dorfvorsteher (oder eine Dorfvorsteherin?) stand.

Das änderte sich in Europa seit der Bronzezeit mit dem Aufkommen einer Waffenindustrie, die zur Eroberung größerer Gebiete führte, vor allem auch zu einer sozialen Differenzierung der Gesellschaft. Von einem gesellschaftlichen "Zerfall" kann man daher nicht sprechen, denn die Gesellschaft gliederte sich lediglich. Insgesamt war das menschliche Leben nun stärker gefährdet als in der Jungsteinzeit, denn es entwickelte sich erstmals eine feudale Kriegeraristokratie. Ebenfalls stoßen wir jetzt auf umfangreiche Burg- und Verteidigungsanlagen sowie auf Fürstengräber (!) mit reichen Beigaben.

Das war die Geburt einer adligen Gesellschaftsschicht, die den Bauernstand beherrschte, und es war eine Gesellschaft, die Sklaven aus eroberten Gebieten integrierte.

Gleichzeitig damit verbunden war eine Arbeitsteilung, also die Aufgliederung unterschiedlicher Arbeitsprozesse und ihre Verteilung auf verschiedene Berufe. So gab es nun in der bronzezeitlichen Gesellschaft Bergleute, Köhler, Schmiede, Schmelzer und Bronzegießer, Händler und natürlich die Bauern, die Überschüsse produzieren mussten, um Angehörige der neuen Berufe ernähren zu können. Diese Arbeitsteilung setzt am Ende der Jungsteinzeit ein und ist die Voraussetzung zur Entstehung von Hochkulturen.
 
Dass der Adel das Produkt einer zerfallenden Gesellschaft ist, ist eine merkwürdige Vorstellung. Vielleicht hast du das auch nur etwas unglücklich formuliert.

Zustimmung. Und dieser Prozess wird beispielsweise auch bei Fukuyama so beschrieben.

The Origins of Political Order: From Prehuman Times to the French Revolution - Francis Fukuyama - Google Books

Es ist sicherlich richtig, dass Stammesgesellschaften die zeitlichen und auch organisatorischen Vorläufer einer Staatenbildung sind. Und an diesem Punkt kann das Mißverständnis entstanden sein.

Aber es wird auch bei der Erklärung, warum Staaten entstanden sind, stark auf den Ursprung der Bildung aufgrund von Konflikten zwischen den Stämmen abgestellt. Neben der "Kriegstheorie" zur Erklärung von Staaten wird beispielsweise noch die religiöse oder die charismatische Theorie als Erklärung benutzt.

Und das diejenigen erfolgreich sind, die im Rahmen einer besseren Organisation und Nutzung von Ressourcen, letzlich militärisch überlegen sind. Die Stämme werden als unterlegene Assimiliert, ausgelöscht oder wandern in ein anderes Gebiet.

Somit sind die Stämme nicht einfach "veschwunden", sondern in komplexere Organisationen integriert worden, die deutlich höhere Anforderungen an die Steuerung und die Verwaltung der entstandenen staatlichen Gebilde gestellt haben, wie für die Stammesorganisation ursprünglich notwendig war.

In dem Moment, in dem der militärische Erfolg sicher gestellt ist und die kollektive Zuordnung von Macht an die Krieger-Eliten zurückgenommen wird, stellt sich die Frage nach der zukünftigen Herrschaftssicherung. Und an diesem Punkt kommt die redistributive Macht der "Herrschers" ins Spiel, der seine Krieger-Eliten mit entsprechenden - erblichen - Titeln auf das eroberte Gebiet ausstattet.

Und diese Phase kennzeichnet sicherlich den Aufschwung einer zunehmenden Arbeitsteilung, Handel etc..

Und an diesem Punkt ergibt sich der Übergang von vielleicht auch informellen Krieger-Eliten der Stämme zu formellen Adelstiteln.

Und dieses Muster unterscheidet Mitteleuropa, den Nahen Osten, Indien und China beispielsweise von Stämmen in Neu-Guinea oder auch Stämme in Nord-Amerika.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mmh, die Annahme, dass sich Adel aus einer erfolgreichen Warlordtruppe bildete, bedeutet ja nicht, dass dieses System im weiteren Verlauf nur negativ für die Gesellschaft war.
Gibt es denn keine Beispiele von differenzierten Gesellschaften ohne Adel?
 
Mmh, die Annahme, dass sich Adel aus einer erfolgreichen Warlordtruppe bildete, bedeutet ja nicht, dass dieses System im weiteren Verlauf nur negativ für die Gesellschaft war.

Da besteht sicher keine Zwangsläufigkeit. Allerdings entsteht durch die Entwicklung einer Kriegeraristokratie eine Zweiklassengesellschaft von Herrschern und Beherrschten. Inwieweit eine vormals ungegliederte Gesellschaft vom Einzelnen positiver empfunden wurde, ist schwer zu beurteilen. Anführer oder Anführerinnen wird es immer gegeben haben, da ein Clan, eine Sippe oder Gruppe besonders in gefahrvollen Situatiopnen so effektiver handeln kann.

Gibt es denn keine Beispiele von differenzierten Gesellschaften ohne Adel?

Alle entwickelten Gesellschaften mit Arbeitsteilung, übergeordneter Verwaltung, Siedlungen, Rechtsprechung und bestimmten Formen des Zusammenlebens bringen Menschen hervor, die aufgrund wirtschaftlicher und/oder kriegerischer Tüchtigkeit eine Vorrangstellung in der Gemeinschaft genießen. Daraus entsteht allmählich eine elitäre Schicht, die wiederum Basis für einen Adel ist.
 
Status & Soziale Schichtung - nicht universell

Bei weitgehender Zustimmung zu Thane und Dieter, die sehr wichtige Differenzierungen und Definitionen eingebracht haben, hier noch ein paar gesellschaftliche Anmerkungen - Vor allem mit Blick auf die Argumentation von Maellon:
In der Ausdifferenzierung von Gesellschaften kam/kommt es zwangsläufig zu Elitenbildung. Das ist ein sehr wichtiger Punkt in der Entwicklung der Menschheit, wo Ungleichheit eher die Regel, denn die Ausnahme war/ist. Sobald genügend Überschüsse in der Ernährung zur Verfügung standen, bilden sich Spezialisten: Handwerker, Händler, Krieger, Administratoren, Künstler... In einem gewissen Rahmen bringen alle diese Spezialisten ihrer Gesellschaft gewisse Vorteile, ohne welche diese sich nicht etablieren können - die ich allerdings nicht gewichten möchte. Die Frage wurde jeweils unterschiedlich beantwortet, welche dieser Spezialisten zu einer Elite aufsteigen konnten. Das kommt auf Zeit, Weltgegend und natürlich die Gesellschaft an, in welcher diese Entwicklung stattfand! In manchen Gesellschaften standen etwa Schmiede am unteren Ende der Gesellschaft, in anderen galten sie gar als heilig mit sehr hohem Status.
Jede Elite, vor allem vor- & frühgeschichtliche Eliten, hatten das Bestreben sich gegen andere soziale Schichten abzugrenzen, wozu ein ganzes System von Kennzeichen genutzt wurde. Ob das nun bestimmte Kleidungen (Toga, Senatorenstreifen), Artefakte (Jadebeil), eine Amtskette, Krone, oder wasimmer waren.
Jade ? Wikipedia
Geheimnisvolle Kult-Beile: Statussymbole der Steinzeit - SPIEGEL ONLINE
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Der Besitz bestimmter Dinge/Materialien war in ein soziales Beziehungsgeflecht eingebunden, womit sozialer Status betont- und abgegrenzt werden konnte. Dieses Wechselspiel von Macht und Stand wurde auch im alten Thread immer weiter ignoriert. Warum wird jede machtpolitische Schichtung (ungeachtet des kulturellen Kontextes) immer nur auf Waffen und Gewalt heruntergebrochen, ohne eine gesellschaftliche Ausdifferenzierung überhaupt in Betracht zu ziehen?
Aber nicht nur Materielles (wie Waffen), sondern auch immaterielle, ideologische Differenzierungen wurden bemüht und ausgebaut um soziale Abgrenzung zu erreichen. Man denke nur an das indische Kastensystem, oder die noch anhaltende soziale Benachteiligung in Japan: Ainu (ethnisch & kulturell anders), aber auch die weitgehend unbekannten Burakumin (ethnisch, sprachlich und kulturell nicht von den übrigen Japanern zu unterscheiden!). Dabei gibt es doch längst keine "harten" Gründe mehr dafür, dass diese Menschen so weit unten im Gesellschaftssystem rangieren. Dennoch hat sich die dortige Gesellschaft so verfestigt (Statusschichtung), dass diese, sogar gesetzlich obsolete Trennung noch immer soziale Auswirkungen hat - in einer postindustriellen Wohlstandsgesellschaft!
Buraku ? Wikipedia
Japan ist auch in anderer Hinsicht ein gutes Beispiel für lebendige, sozial verwurzelte Differenzierung und Elitestabilität. Sprache und Umgangsformen betonen diese Differenzen weiterhin!
Harold Kerbo schrieb:
[Sprache erlaubt] verschiedene Ebenen von Rang, Formalität/Informalität und Respekt in einer komplexeren Art und Weise zu zeigen, als irgendeine der westlichen Sprachen [...]. Ein Teil der japansichen Sprache, Sonkeigo, wird benutzt, um Ehrungen oder Formalität im Gespräch mit Höhergestellten auszudrücken, während ein anderer Teil der Sprache, kenjogo, benutzt wird, um sich vor Höhergestellten selbst zu erniedrigen. Aber es gibt nicht nur verschiedene Worte um Rang [...etc.] anzuzeigen, es gibt auch verschiedene Artikel und Verbformen, um eine von vielen Statusebenen auszudrücken
Hier zeigt sich, dass sozialer Status und Hierarchiebildung sich auf verschiedenen Ebenen ausbildet - je nach regionalem Kontext - und nicht allein auf Gewalt und Macht basiert. Innerhalb eines Standes pflegte sich ein gemeinsames Standesbewusstsein und Ethos herauszubilden, der zwar dehnbar sein mochte, aber nicht ohne Folgen vernachlässigt werden konnte, ohne die Stellung und den Status zu gefährden. Das unterscheidet Adel prinzipiell von einem Warlord! Es greift zu kurz, geschichtliche Phänomene nur an "harten" Verhältnissen, wie Gewaltmöglichkeit und Besitz festmachen zu wollen. Es gehört immer eine gesellschaftliche Ausdifferenzierung dazu, eine Art "Ausgleich" zwischen den Schichten um Unterschiede auf Dauer aufrecht erhalten zu können. Ein komplizierter Kodex materieller & immaterieller Art, zu dem auch Standesbewusstsein/ethos/kodifizierungen gehörten, war unabdingbar und mit einer gewissen Selbstbeschränkung der Eliten verbunden. - Selbstbeschränkungen, die gerade beim europäischen Adel den Keim des "Untergangs" in sich trug.
Universalgeschichtlich, für einen ganz anderen Zeitraum - aber auch für Elitenbildung und Gewichtungsverschiebungen - interessant finde ich diese Büchlein, wo nicht immer das Schwert für Elitenbildung und Veränderungen herhalten muss.
http://www.geschichtsforum.de/696462-post234.html
 
Zuletzt bearbeitet:
In der Ausdifferenzierung von Gesellschaften kam/kommt es zwangsläufig zu Elitenbildung. Das ist ein sehr wichtiger Punkt in der Entwicklung der Menschheit, wo Ungleichheit eher die Regel, denn die Ausnahme war/ist.
Vollkommen richtig. Deshalb habe ich weiter oben auch bewusst von Stammeseliten gesprochen und nicht etwa von Adel. Der Begriff Adel ist recht eindeutig definiert. Er passt einfach nicht auf beliebige Eliten. Was natürlich nicht bedeuten soll, dass es in Gesellschaften ohne Adel keine Eliten geben würde! Selbstverständlich gibt es die. Sie unterscheiden sich aber von dem, was wir Adel nennen, zum Beispiel dadurch, dass sie zumeist ihre elitäre Stellung nicht aufgrund von geschriebenen Gesetzen "vererben" können. Man kann also Teil der Elite werden, ohne hineingeboren zu werden. Das ist ein entscheidendes Merkmal der soziologischen Definition von Ungleichheit: Es geht dabei nicht um die Frage, ob alle Menschen in gleichen Verhältnissen leben. Vielmehr geht es um die Frage, ob alle Menschen gleiche Zugangschancen zu Positionen von unterschiedlichem gesellschaftlichem Vorteil haben. Beispiel: Mein Nachbar ist Rentner, ich bin es nicht. Wir sind nicht gleich, aber ich empfinde die Situation nicht als "Ungleichheit".

Dass der Adel das Produkt einer zerfallenden Gesellschaft ist, ist eine merkwürdige Vorstellung. Vielleicht hast du das auch nur etwas unglücklich formuliert.
Nein, ich hatte das schon so gemeint. Und es gilt zumindest für Europa, wobei der Historiker Heiko Steuer, dessen Arbeiten ich in dem anderen Thread (http://www.geschichtsforum.de/f28/w...-arminius-gesellschaftlich-organisiert-45093/) mehrfach verlinkt hatte, die Auffassung vertritt, dass die europäische Entwicklung ziemlich "typisch" sei.

Was ich mit Zerfall der Gesellschaft meine, gerafft zusammengefasst:

Als Rom und die Barbaren insbesondere im Norden aufeinandertrafen, lebten jene Barbaren noch in Stammesgesellschaften. Diese Stammesgesellschaften waren im Grundsatz egalitär strukturiert. Selbstverständlich hatten sie schon ihre Eliten. Von "Adel" kann man in einer grundsätzlich elitären Gesellschaft aber nicht reden. Daher kann der Adel also nicht kommen. Er kann auch nicht durch eine spätere Ausdifferenzierung der Stammesgesellschaften entstanden sein, denn die Stammesgesellschaften haben sich nicht ausdifferenziert. Sie sind zerbrochen, oft sogar zerschlagen worden. Dieser Prozess begann schon in der frühen Kaiserzeit und war spätestens mit dem Ende der Völkerwanderung weitgehend abgeschlossen. In dieser Phase war aber kein "neues" Gesellschaftsmodell an die Stelle der alten Stammesgesellschaft gesetzt worden. Es herrschte Anomie. Das begünstigte die Entscheidung von Individuen, sich eigene Gesetze zu geben - wenn sie stark genug waren, diesen Gesetzen auch Geltung zu verschaffen.

Wie ging das vor sich? Motor der Entwicklung war das Gefolgschaftswesen. Da schlossen sich zwölf Freunde oder gute Bekannte zu einer Gruppe zusammen, um gemeinsam in den Krieg zu ziehen - aus welchen Gründen auch immer. Sie hatten Glück, waren auf der Siegerseite, acht von ihnen überlebten und kehrten unter der Last ihrer Kriegsbeute wankend nach Hause zurück. Dort stachen sie ein erbeutetes Fässchen Wein an und feierten ihren Sieg. Voll des guten Weines bemerkte dann einer von ihnen, dass sie in einem halben Jahr Krieg mehr Reichtum angehäuft hatten, als die ganze Dorfgemeinschaft in einer ganzen Generation. Kein schlechtes Geschäft, stimmten die anderen zu - und gemeinsam entschieden die acht, mit Hilfe ihrer Beute noch 20 weitere gerade arbeitslose Stammeskrieger auszurüsten und in den nächsten Krieg zu ziehen, um noch mehr Beute zu machen.... Die Gefolgschaft war geboren.

Der nächste Schritt sah so aus, dass man sich nicht nur im eigenen Stamm nach kräftigen Mitkämpfern umschaute, sondern auch in Nachbarstämmen. Damit war die stammesübergreifende Gefolgschaft geboren. Und gleichzeitig die Gruppe, die letztlich den Stämmen den Garaus machte. Diese Gefolgschaften agierten nämlich nicht mehr im Auftrag und im Interesse der Stämme. Sie verfolgten eigene Interessen und gaben sich eigene Regeln. Die Gefolgschaften lösten sich von den Stämmen und den Stammesgesellschaften ab. Die "Warlords" waren geboren.

Nachdem einmal klar war, dass hier ein überaus einträgliches Geschäftsmodell erfunden worden war - Söldnertum und Raub - wurde das Modell großflächig nachgeäfft. Und nicht lange danach waren die immer größer und immer zahlreicher werdenden Gefolgschaften militärisch betrachtet ein wesentlich bedeutsamerer Faktor als die alten Stämme. Die Stämme waren an ihr Gebiet gebunden, die Gefolgschaften waren mobil.

Hatten sie sich anfangs noch überwiegend mit Söldnerdiensten zufrieden gegeben, gingen sie mit wachsender eigener Stärke und mit sinkender Zahl äußerer Kriege zu Raub über. Antike Form des Einkaufsbummels durch Gallien zum Beispiel...

Dann gingen sie zu Eroberung über. Sie nahmen für sich selbst eigene Gebiete in Besitz. Und hier zeigt sich jetzt der zentrale Unterschied zwischen Stämmen und Gefolgschaften: Die Stämme bewirtschafteten ihren Besitz als gemeinsames Eigentum. Die Gefolgschaften verteilten ihre Beute nach einem willkürlich festgelegten Schlüssel. Das galt sowohl für die bewegliche Habe, die einem besiegten Feind entrissen wurde, als auch für die "Immobilien", die nach der Eroberung von Landstrichen zur Verteilung zur Verfügung standen. Der Stammeskrieger konnte den "Häuptling" noch als Ersten unter Gleichen ansehen. Der Gefolgschaftskrieger war darauf angewiesen, dass der "Boss" ihm gewogen war. Die Freunde vom "Boss" bekamen nämlich die schönste Beute. Und damit war der erste Adelsrang geboren. Vielleicht war es der "Herzog". Von dem Zeitpunkt an war Land (Grundlage für Reichtum) nicht mehr gemeinsamer Besitz, sondern es gehörte einem einzelnen Mächtigen. Völlig neue Verhältnisse!

Erst als dieses Gefolgschaftswesen so angewachsen war, dass es die Stammesgesellschaften dominieren konnte, begann sich eine neue Gesellschaftsstruktur zu entwickeln, die an die Stelle der längst hohl gewordenen Stammesgesellschaften gesetzt wurde.

Das war es, was ich mit "Zerfall der Gesellschaft" meinte. Der Adel ist nicht aus der Stammesgesellschaft hervorgegangen. Konnte er nicht, weil sich die Stammesgesellschaft in einem schleichenden Prozess in Nichts aufgelöst hat. Naja, in fast Nichts. Reste haben sich noch lange gehalten.

Das alles ist auch kein Produkt meiner Phantasie. Der Prozess ist archäologisch nachweisbar. Etwa ab dem Jahr 100 n.Chr. tauchen "Fürstengräber" auf, die auffällig von den Stammesverhältnissen abweichen. Später finden sich weit weg von den römischen Grenzen Siedlungszentren, die als Machtzentren von "Warlords" begriffen werden können. Noch etwas später werden offenbar sehr mobile Großgefolgschaften archäologisch erkennbar. Stichwort: Heerkönigtum.

Ein Beleg dafür, dass die Entwicklung in dieser Form abgelaufen sein dürfte, ist die Völkerwanderung selbst. Die Völker, die da wanderten, waren nicht mehr identisch mit den alten Stämmen. Sie brandeten auch offenbar nicht wie kompakte "Armeen" gegen die römischen Grenzen. Sonst hätte das Römische Reich kaum seine Legionen, die bis dahin Großverbände waren, immer weiter verkleinert und immer mobiler gemacht.

Gibt es denn keine Beispiele von differenzierten Gesellschaften ohne Adel?
Doch. Deutschland zum Beispiel. Dumme Antwort, stimmt´s? Ja, ich weiß natürlich, dass Deutschland seine Adelsphase hinter sich hat. Ansonsten fallen mir nur Gesellschaften ein, die eher isoliert existiert haben. Der oben erwähnte Heiko Steuer sieht die Triebfeder für die skizzierte Gesellschaftsentwicklung im Kultur- und Reichtumsgefälle zwischen Rom und den Barbaren. Wären die römische Kultur und der römische Reichtum den Barbaren nicht so "attraktiv" erschienen, wären nie Warlords auf den Gedanken gekommen, sich das alles mit Gewalt zu nehmen. Dann hätte sich eine andere Gesellschaft entwickelt. Dann müsste man natürlich über Definitionsfragen diskutieren. Kann man diese Gesellschaften als "differenziert" bezeichnen? Sind die Eliten dieser Gesellschaften nicht doch sowas wie "Adel"?

MfG
 
Was ich mit Zerfall der Gesellschaft meine, gerafft zusammengefasst

Diese Hypothese überzeugt mich nicht.

Hier wird Ursache und Wirkung verwechselt. Der Stammesadel entstand nicht aus der Notwendigkeit heraus, dass man ihn brauchte. Vielmehr entwickelte sich ein solcher Adel, weil er Besitztümer anhäufte und Unfreie sammelte, und somit ein bedeutender ökonomischer Faktor wurde. Wer große Gefolgschaften ins Feld führen konnte, zeichnete sich - vielleicht auch durch persönliche Tapferkeit - im Krieg gegen benachbarte Stämme aus. So entstand automatisch eine führende Schicht, die die Geschicke des Stammes lenkte und bestinnte. Solche Eliten werden als Adel bezeichnet, tragen bei anderen Völkern andere Namen, doch ist der Inhalt des Begriffs identisch.

Die politische Führung eines Stammes hatte der Gentiladel (nobiles, principes, reges, duces, proceres, praepositi) inne, aus dem der Stammesführer als Repräsentant der Gemeinschaft und der Kriegsführer (dux) gewählt wurden. Aus dem Gentiladel kamen sicher auch die Priester (sacerdotes); z.B. war der Sohn des Segestes, Segimund, römischer Priester (Tacitus, Ann. 1, 57). Damit versuchten die Römer, den germanischen Adel über den Kult an sich zu binden. In der Struktur des Gentiladels und seiner Macht bestanden sicher Unterschiede zwischen den Stämmen. Tacitus betont jedoch nachdrücklich, dass die "reges" keine unbegrenzte willkürliche Macht besaßen und dass die "duces" nur duirch ihr Vorbild wirken mussten.

Die adlige Schicht erweiterte in den letzten Jahrzehnten vor der Zeitenwende ihre Macht zunächst bei kriegerischen Ereignissen. Raub und Tributerhebung führten über eine ungleichmäßige Verteilung zu ihrer Bereicherung. Auf den Bestattungsplätzen im Elbe-Oder-Gebiet sind diese Krieger (Waffen, Tracht) in gesonderter Lage beigesetzt worden.

Die wirtschaftliche Kraft des Gentiladels und ähnlicher Schichten gründete sich u.a. auf Abgaben der eigenen und fremden Stammesbevölkerung (Tribute, Ehrengeschenke), auf Ausbeutung Unfreier in Verbindung mit einer ungleichen Bodenverteilung und auf die mögliche Bindung eines Teils der handwerklichen Produktion an seinen Hof. Dass bedingte, dass diese sich immer mehr von ihrer manuellen Tätigkeit lösen konnten und in Raub, Krieg und Verwaltung ihre Aufgaben sahen (dazu auch Tacitus, Germ. 14-15).

Vermutlich besaß der Stammesadel eigene abgesonderte Höfe, die durch Palisaden und Gräben befestigt sein konnten. Ahnliches lässt sich aus dem Bericht des Tacitus schließen, wonach der Cherusker Segestes eine Zeitlang von den Kriegern des Arminius belagert und erst durch die Römer befreit wurde (Ann. 1, 57). Da er Verwandte und Gefolgsleute aufgenommen hatte, muss sein Gehöft auch entsprechend groß gewesen sein.

Rom sah in dieser Schicht bereits eine herrschende Elite und versuchte, direkt oder indirekt seine eigenen Interessen durchzusetzen und die Stammesführung zu schwächen. Die Verleihung römischer Bürger- und Ritterwürden unterstützte den Prozess der Absonderung des Stammesadels von der Masse der Stammesbevölkerung.

Unter anderem wird auch im Elbe-Oder-Gebiet für den Beginn unserer Zeitrechnung ein Stammesadel nachgewiesen. Erwähnt sind bei den Hermunduren zwischen 21 (Tacitus, Ann. 2, 63) und 49 n. Chr. Vibilius (Hermundurorum rex: Ann. 12, 29) und bei den Semnonen Masyos (rex). Für die Rugier, Goten und Lemovier erwähnt Tacitus sogar einen stärkeren Einfluss des Adels.

Eine solche Stammesaristokratie ist vor allem in den so genannten Fürstengräbern vom Lübsow-Typ zu erkennen. Ihre Grabplätze sind durch eine isolierte Lage von den übrigen Friedhöfen gekennzeichnet. Aufwendige Grabkammern aus Steinen und ein Erdhügel bedeckten den Toten. Auffallend ist die reiche Ausstattung der Gräber mit römioschem Geschirr, Gerät und Edelmetallschgmuck. Verschiedentlich bestatteten die adligen Familien ihre Toten seit Generationen immer an derselben Stelle (z.B. Lubieszewo und Hagenow). Prunkgräber von Lübsow ? Wikipedia
 
Vollkommen richtig. Deshalb habe ich weiter oben auch bewusst von Stammeseliten gesprochen und nicht etwa von Adel. Der Begriff Adel ist recht eindeutig definiert. Er passt einfach nicht auf beliebige Eliten.

Nein, ich hatte das schon so gemeint. Und es gilt zumindest für Europa, wobei der Historiker Heiko Steuer, dessen Arbeiten ich in dem anderen Thread (http://www.geschichtsforum.de/f28/w...-arminius-gesellschaftlich-organisiert-45093/) mehrfach verlinkt hatte, die Auffassung vertritt, dass die europäische Entwicklung ziemlich "typisch" sei.

Das alles ist auch kein Produkt meiner Phantasie. Der Prozess ist archäologisch nachweisbar. Etwa ab dem Jahr 100 n.Chr. tauchen "Fürstengräber" auf, die auffällig von den Stammesverhältnissen abweichen. Später finden sich ...

Mich überzeugt das ebenso wenig.

Zum Begrifflichen iVm den zitierten Gräbern:

Heiko Steuer vermag ich da nicht als Nachweis zu sehen. Steuer selbst konstatiert, dass die Verbindung der Gräber mit dem Adelsbegriff überholt ist, und - das entspricht inhaltlich dem von Thanepower Gesagten - soziologisch und anthropologisch durch die Begrifflichkeit "Eliten" abgelöst wurde.

So ist die Bezeichnung "Fürstengräber/Adelsgräber" zB iVm den Kelten seit den 1970ern überholt, wird höchstens apostrophiert und im Übrigen deckungsgleich mit dem einschlägigen Begriff Elitengräber oder sachlich neutral (Punkgräber) verwendet (Steuer 2006, S. 11ff.).

Derartige Prunkgräber findet man auch nicht erst seit 0/100nChr., sondern mindestens seit der Frühen Bronzezeit, die Eingrenzung auf "Fürstengräber" oder "Adelsgräber" auf spätere Zeit sehe ich nicht.

Die anthropologische Forschung weist außerdem darauf hin, den Begriff "Prunk" weit zu fassen (so können darunter auch Rituale wie Verbrennen, Pfahlbestattungen etc. zu verstehen sein) - es kommt halt auf das Zeitalter an. Das "Fürstengrab" um 100 fällt damit anthropologisch in die gleiche Elitenkategorie wie das Prunkgrab 2000 Jahre zuvor.

Der soziologischen Erfassung von Eliten (aus denen Adel in späterer Begrifflichkeit - zur Etikettierung bei vergleichbarer "Sachlage" oder Funktionen siehe thanepower, tejason und Dieter) oder zB der im angelsächsischen verkommenden warrior aristocracy* entspricht, dass für die frühen Stammesgesellschaften jedenfalls ein häufiger Typus dieser Elite - nachvollziehbar - aus dem Kriegerwesen hervorgegangen ist. Ob daneben in vergleichbarem Rang wie die warrior aristocracy auch sonstige Funktionseliten bestanden haben, ist schwer nachweisbar, vielleicht nicht auszuschließen. Mit der Kausalkette Auflösung der Gesellschaft->"Adel/Fürsten" wird das aber nicht in Verbindung gebracht.

* so bzgl. der Kelten als Ursprung Encyclopedia of Anthropology, Artikel Celtic Europe, S. 459.
 
oder sachlich neutral (Punkgräber) verwendet

leicht off-topic, aber interessant:
Die Geschichte der Kultur der germanischen Völker muß in weiten Teilen neu geschrieben werden, teilte Dr. Hassuma Marka-Odayen (Gastdozent der Shibuya Universität und Fachmann der Krildologie) auf Nachfrage mit: “Friesische Irokesenfrisuren und Suebenknoten sind nur der Gipfel des Eisbergs!” Bei den Germanen handele es sich um eine reine Punkkultur. So scheint jetzt sicher das Fibeln nicht als Gewandnadeln dienten, sondern als Piercings Verwendung fanden.
Bei den jetzt vorgestellten Punkgräbern wurden unter anderem auch Dosenmet und Sumpfgraszigaretten gefunden.
27 | August | 2009 | Tribur.de
 
Hier wird Ursache und Wirkung verwechselt. Der Stammesadel entstand nicht aus der Notwendigkeit heraus, dass man ihn brauchte. Vielmehr entwickelte sich ein solcher Adel, weil er Besitztümer anhäufte und Unfreie sammelte, und somit ein bedeutender ökonomischer Faktor wurde.
Damit geht diese Diskussion in die gleiche Bahn, in der die andere Debatte verlief. Wenn hier zehn Leute das Wort "Adel" schreiben, dann meinen sie zehn verschiedene Dinge. Ich stütze mich auf die gängige Definition für den Begriff. Dann ist Adel definiert als "sozial exklusive Gruppe mit gesellschaftlichem Vorrang, die Herrschaft ausübt und diese in der Regel innerfamiliär tradiert" (Wiki unter Berufung auf Monika Wienfort). Und wenn man diese Definition zugrunde legt, widerspricht das Deinen Aussagen:

Die Stämme waren egalitär strukturiert. Da gab es keine "exklusiven Gruppen". Es gab Eliten im Sinne von herausragenden Individuen. Diese Eliten konnten ihren Angehörigen bessere Ausgangsbedingungen verschaffen, um ebenfalls so herausgehobene Positionen einzunehmen. Sie konnten das aber nicht "familiär tradieren", weil es diese "Eliten" nicht als institutionalisiert abgegrenzte Gruppe innerhalb der Gesellschaft gab. Sie hatten vielleicht Herrschaftsansprüche gegenüber Unfreien. Der Begriff Adel umfasst aber vor allem den Herrschaftsanspruch gegenüber Freien! Und sie konnten zwar persönlichen Reichtum anhäufen, sie gewannen aber keine Kontrolle über "Produktionsgüter" wie Grund und Boden. Es stand diesen Eliten nicht frei, anderen Freien ihr Land zuzuteilen oder wegzunehmen. In Stammesgesellschaften gehört Land üblicherweise nicht einzelnen Personen sondern eben dem Stamm.

Besonders problematisch erscheint mir übrigens Deine Aussage, dass Adel sich entwickelt habe, obwohl man ihn nicht brauchte. In menschlichen Gesellschaften bilden sich keine Strukturen, die nicht irgendeine bedeutsame Funktion haben.

Wer große Gefolgschaften ins Feld führen konnte, zeichnete sich - vielleicht auch durch persönliche Tapferkeit - im Krieg gegen benachbarte Stämme aus. So entstand automatisch eine führende Schicht, die die Geschicke des Stammes lenkte und bestinnte. Solche Eliten werden als Adel bezeichnet, tragen bei anderen Völkern andere Namen, doch ist der Inhalt des Begriffs identisch.
Nur wenn man zwar "Adel" sagt, aber tatsächlich bloß "Elite" meint.

Die politische Führung eines Stammes hatte der Gentiladel (nobiles, principes, reges, duces, proceres, praepositi) inne, aus dem der Stammesführer als Repräsentant der Gemeinschaft und der Kriegsführer (dux) gewählt wurden.
Erstens "wissen" wir das alles nur aus Beschreibungen der Römer. Und die haben weder den Anspruch noch die Hintergrundkenntnisse gehabt, um die germanischen Stämme wissenschaftlich annähernd zuverlässig zu beschreiben. Zweitens lässt schon diese Beschreibung erkennen, dass die Anführer nicht durch Geburtsrecht sondern durch "Wahl" zu Anführern wurden. Wenn sie durch Wahl ernannt werden konnten, konnten sie vermutlich auf die gleiche Weise auch wieder abgesetzt werden. Sie waren nicht wegen ihres "Adels" im Amt, sondern nur durch die Zustimmung der Gemeinschaft.

Tacitus betont jedoch nachdrücklich, dass die "reges" keine unbegrenzte willkürliche Macht besaßen und dass die "duces" nur duirch ihr Vorbild wirken mussten.
Genau. Nur: Warum hat er das so nachdrücklich betont? Weil er es ungewöhnlich fand. Er vertrat die Meinung, dass ein Anführer, der in römischen Augen wie ein König wirkte, auch ein König gewesen sein muss. Auf die Idee, dass die Germanen gar keine Könige hatten, ist er nicht gekommen, weil es in seiner Weltsicht keine Alternativen gab.

Die adlige Schicht erweiterte in den letzten Jahrzehnten vor der Zeitenwende ihre Macht zunächst bei kriegerischen Ereignissen. Raub und Tributerhebung führten über eine ungleichmäßige Verteilung zu ihrer Bereicherung.
Da liegt Dein Denkfehler. Persönlicher Reichtum ist irrelevant. Es gibt Leute, die haben ein fettes Bankkonto, eine juwelenbehangene Frau, ein Luxusauto in der Garage und eine Yacht in Monaco. Die haben aber kein bisschen mehr Macht als ich. Reichtum wird erst dann zum Machtfaktor, wenn es sich bei den angehäuften Besitztümern um PRODUKTIVE Güter handelt. Wenn jemand Kontrolle über die Güter einer Gesellschaft gewinnt, mit denen sich neue Güter erzeugen lassen, dann gewinnt er Macht und Einfluss. Das war in egalitär strukturierten Stammesgesellschaften aber nur höchst selten der Fall. Einzelpersonen waren gar nicht fähig, solche Machquellen ohne die Hilfe des Stammes zu behalten. Das Recht, über die Verteilung von Grund und Boden bestimmen zu dürfen, wäre eine Machtquelle gewesen (und wurde irgendwann dazu). Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass es damals überhaupt individuellen Grundbesitz gab.

Eine solche Stammesaristokratie ist vor allem in den so genannten Fürstengräbern vom Lübsow-Typ zu erkennen. Ihre Grabplätze sind durch eine isolierte Lage von den übrigen Friedhöfen gekennzeichnet.
Genau diese Bestattungen widersprechen Deiner Deutung. Diese Bestattungen gehören nämlich genau NICHT zur alten "Stammesaristokratie". Sie heben sich auffällig von den übrigen (zeitgleichen) Bestattungen aus der gleichen Region ab. Sie liegen isoliert in eigenen Bereichen und sie brechen auch mit den üblichen Bestattungssitten. Keine Brandbestattungen, sondern Körperbestattungen. Reiche Beigaben, die zumeist aus Importware bestehen. Parallel dazu gab es auch weiterhin die Gräber von offenkundig herausragenden Persönlichkeiten, die "nach alter Väter Sitte" beigesetzt wurden. Die Lübsow-Gräber könnten die Gräber der ersten "Warlords" gewesen sein, nach denen Rena gefragt hat. Ich spreche von den ersten Warlords, nicht von den ersten Adeligen. Bis aus Warlords Adel wurde, vergingen noch ein paar Jahrhunderte.

MfG
 
Mich überzeugt das ebenso wenig.

Zum Begrifflichen iVm den zitierten Gräbern:

Heiko Steuer vermag ich da nicht als Nachweis zu sehen. Steuer selbst konstatiert, dass die Verbindung der Gräber mit dem Adelsbegriff überholt ist, und - das entspricht inhaltlich dem von Thanepower Gesagten - soziologisch und anthropologisch durch die Begrifflichkeit "Eliten" abgelöst wurde.
Dann verstehe ich nicht so ganz, warum mir zur Last gelegt wurde, dass ich den schön griffigen Begriff "Adel" vermieden und von "Eliten" geschrieben habe.

Übrigens habe ich auch nicht behauptet, dass die "möglichen ersten Warlords", die in den Lübsow-Gräbern liegen, bereits Adelige waren. Ich habe die Ansicht vertreten, dass sie und ihre "Berufskollegen" die Keimzelle des Adels waren, der sich in den folgenden Jahrhunderten ausdifferenzierte. Diese Sicht der Dinge ist jedenfalls wahrscheinlicher, als die Wurzeln des Adels in den Stammesstrukturen zu suchen, die sich zunehmend auflösten und auch vor ihrer Auflösung nie Mechanismen erkennen lassen haben, die zur Ausdiffernzierung eines Adels hätten führen können.

Hier wird immer argumentiert, dass es in den Stämmen einen Adel gegeben haben muss, weil ja nur aus diesem Stammesadel der Hochadel entstanden sein kann, dessen letzte Reste die Bunten Blätter heute noch feiern. Warum eigentlich? Weil es heute noch die Reste gibt und weil die ja nur aus dem Stammesadel hervorgegangen sein können, den es folglich mal gegeben haben muss? Nennt man das nicht Zirkelschluss????

Hier hat noch niemand schlüssig erklärt, welche Gesetzmäßigkeiten die Stammesgesellschaft haben soll, die zur Herausbildung von Adelsstrukturen führen. Hier hat auch noch niemand schlüssig erklärt, warum heute noch in aller Welt Stammesgesellschaften existieren, die KEINEN Adel haben. Gibt es überhaupt Stammesgesellschaften mit Adelsstrukturen?

So ist die Bezeichnung "Fürstengräber/Adelsgräber" zB iVm den Kelten seit den 1970ern überholt, wird höchstens apostrophiert und im Übrigen deckungsgleich mit dem einschlägigen Begriff Elitengräber oder sachlich neutral (Punkgräber) verwendet (Steuer 2006, S. 11ff.).
Ich bin sicher, Dir ist nicht entgangen, dass ich den Begriff apostrophiert verwendet habe. Das ist mir nicht passiert, das war Absicht.

Derartige Prunkgräber findet man auch nicht erst seit 0/100nChr., sondern mindestens seit der Frühen Bronzezeit, die Eingrenzung auf "Fürstengräber" oder "Adelsgräber" auf spätere Zeit sehe ich nicht.
Bronzezeitliche Prunkgräber von Körperbestattungen in unserer Region? Das wäre mir neu. Dann verlinke ich doch nochmal den dazu passenden Steuer-Text, der die Sachlage etwas anders darstellt: http://www.freidok.uni-freiburg.de/...Fuerstengraeber_der_roemischen_Kaiserzeit.pdf

Der Text stützt übrigens auch Renas Vermutung hinsichtlich der Warlords...

MfG
 
Als Rom und die Barbaren insbesondere im Norden aufeinandertrafen, lebten jene Barbaren noch in Stammesgesellschaften. Diese Stammesgesellschaften waren im Grundsatz egalitär strukturiert. Selbstverständlich hatten sie schon ihre Eliten. Von "Adel" kann man in einer grundsätzlich elitären Gesellschaft aber nicht reden. Daher kann der Adel also nicht kommen. Er kann auch nicht durch eine spätere Ausdifferenzierung der Stammesgesellschaften entstanden sein, denn die Stammesgesellschaften haben sich nicht ausdifferenziert. Sie sind zerbrochen, oft sogar zerschlagen worden. Dieser Prozess begann schon in der frühen Kaiserzeit und war spätestens mit dem Ende der Völkerwanderung weitgehend abgeschlossen.
der Historiker Walter Pohl stellt das in seim Buch über die Völkerwanderung (Kohlhammer 2001) anders dar:
1. die barbarischen germanischen Gesellschaften waren zur frühen Kaiserzeit eher kleinräumig (man denke an die zahlreichen "Völkernamen" bei Tacitus)
über diese Zeit haben wir nur Quellen aus römischer Perspektive
2. nach langjährigem, mal friedlichem mal kriegerischem Kontakt mit dem Imperium veränderten sich die Anrainer: es kam zu großräumigeren, wenn auch gelegentlich nur kurzlebigen, Zusammenschlüssen (man denke an die neuen Namen der so genannten "Großstämme" wie Franken, Alemannen usw.)
auch hier gibt es nur Quellen aus römischer Perspektive, aber deutlich mehr (wir sind schon in der Vökerwanderungszeit)
==> die Anführer der kriegerischen Elite dieser großräumigeren Verbände bezeichnet Pohl wörtlich als ´warlords´ (!)
3. einige dieser Warlords hatten große kriegerische Erfolge, teils auch Erfolge als röm. Generäle - diese sind aufgrund ihres Erfolgs zu den "Begründern" mächtiger Kriegerdsynastien geworden (man denke an Chlodwig, Theoderich, Geiserich, auch Attila)
4. in gewissem Sinn, denn sie wollten sich in die Eliten des Imperums integrieren, können diese Warlords und ihre Kontingente als "römische Erfindung" pointiert bezeichnet werden.

Inwiefern die frühen germanischen Gesellschaften "egalitär" gewesen seien, ist mir nicht klar: welche Quelle spricht dafür? Welche Quelle nennt bzgl. politischer Angelegenheiten keine Elitesippen/familien (man denke an die Segestes-Sippe usw.)?
 
Nachdem ich mich durch die 11 Seiten von http://www.geschichtsforum.de/f28/w...-arminius-gesellschaftlich-organisiert-45093/ gewühlt habe, möchte ich mich entschuldigen. Obwohl nicht lange her, hatte ich das Thema seinerzeit nicht wahrgenommen, wegen Arminius im Titel.

Meine Ursprungsfrage bezog sich zwar allgemein auf Zwischenzeiten, die späte Phase des römischen Reiches gehört jedoch dazu. Da die Arminius- und Völkerwanderungszeit viele interessiert, ist es verständlich, dass in diesem Thread vieles aus dem anderen wiederholt wird. Gerade weil der Aufhänger meiner Eingangsfrage auf diese Zeit hinwies.
Für mich ist die Zwischenzeit zum Ende der Bronzezeit noch immer der erste, spannendere Ansatzpunkt, die späteren Phasen wurden nur als Analogien gebraucht.

In diesem Thread gab es mehrere kontrovers diskutierte Punkte:
1. Definitionen
1.1. Eliten, nach meinem Verständnis der neutralere Oberbegriff. Das kann alles sein, vom Schamanen/Oberpriester über den Dorf/Clanältesten, Künstler bis zum Heerführer/Kriegsherren und reichen Handelsherren.
1.2 Adel, ist für mich ein Unterpunkt von Elite, nämlich vererbbare Machteliten aufgrund von militärischer und wirtschaftlicher Überlegenheit.

2. Soziologische Theorien
Dass Gesellschaften sich differenzieren, ist für mich nicht strittig, das ergibt sich automatisch aus Arbeitsteilung und Austausch. Können dabei Personen von der Arbeit zur Befriedigung der Grundbedürfnisse freigestellt werden, stellt sich mir die Frage, womit und mit welchem Nutzen für die Gemeinschaft, diese ihren Tag gestalten. Andersrum gefragt, welche Anforderungen veranlaßte eine Gesellschaft, bestimmte Mitglieder davon freizustellen, was ja bedeutet, dass die übrigen Mitglieder länger auf dem Acker werkten z.B.. Bestimmt haben Max Weber und andere von Thanepower genannte Namen, diese Frage beantwortet.

Nach Klärung obiger Punkte könnte man die Frage stellen, ob der Adel aus 1.2 sich überwiegend aus Warlords entwickelte. Die daraus hervorgehenden Gesellschaftssysteme können durchaus lange stabil sein, das europäische Modell hat sich ca 1 1/2 Jahrtausende gehalten, denn dass die Franken/Merowinger aus Völkerwanderungswarlords hervorgingen, scheint im Thread nicht strittig zu sein.
Vielleicht ist Europa aber ein Sonderfall, deshalb würden mich Beispiele aus anderen Weltgegenden interessieren, wie das von Tejason genannte Japan.

Wenn ich Aschantireich ? Wikipedia
lese, kommt mir das allerdings bekannt vor, so dass als wichtiger Punkt, das Reichtumsgefälle hinzukommt. Dieses Gefälle hat es schon in der Bronzezeit gegeben, es war Motor für Handel aber auch für Raub und Bereicherung. Das sind doch die Zutaten, aus denen Warlords hervorgehen oder nicht?
 
Zuletzt bearbeitet:
Inwiefern die frühen germanischen Gesellschaften "egalitär" gewesen seien, ist mir nicht klar: welche Quelle spricht dafür? Welche Quelle nennt bzgl. politischer Angelegenheiten keine Elitesippen/familien (man denke an die Segestes-Sippe usw.)?

Den Begriff "egalitär" muss man streng wertfrei betrachten. Der besagt nicht, dass die Gesellschaft damals eine Kuschel-Idylle war, in der alle sich gegenseitig ganz doll lieb hatten oder in der alle Menschen sich in freier Selbstverwirklung ungestört hätten entfalten können. Das Gegenteil war der Fall. "Egalitär" bedeutet nur, dass es keine sozialen Schichtungen gab, mit deren Hilfe jemand hätte Herrschaft ausüben können. Es gab massive soziale Kontrolle. Aber die spielte sich innerhalb der Sippen ab und wirkte nicht von Schicht zu Schicht oder von Sippe zu Sippe.

Es gibt drei "Quellen", die für solche egalitären Verhältnisse sprechen:

1. Tacitus berichtet, dass die Stämme über alle wichtigen, die Gemeinschaft betreffenden Fragen, in Volksversammlungen entschieden haben. Die "Könige" und "Fürsten", deren Existenz Tacitus postuliert, konnten in diesen Versammlungen nichts befehlen. Sie brauchten die Zustimmung aller "freien Männer" (oder jedenfalls einer Mehrheit). Der Adel (besser: die Eliten) - wenn es ihn gab - übte also keine Herrschaft aus, sondern konnte allenfalls wegen seines größeren Ansehens eher mit Zustimmung rechnen als irgendein hergelaufener Bauer.

2. Alle uns bekannten Stammesgesellschaften auf allen Kontinenten weisen diese herrschaftslose, "sippenbasierte" Sozialstruktur auf. In allen gibt es Individuen, die mehr oder weniger großen Einfluss haben, aber trotzdem keinen "Anspruch auf Gehorsam" erheben können. Hier scheinen Gesetzmäßigkeiten des Phänomens Stammesgesellschaft zu wirken. Es spricht nichts dafür, dass diese Gesetzmäßigkeiten in den barbarischen Stämmen (also nicht nur in den germanischen!) nicht galten. Als Indiz kann auch der Umstand gelten, dass archäologisch zwar zahlreiche Siedlungsplätze nachgewiesen worden sind, in keinem davon aber Gebäudereste gefunden wurden, die auf eine herausragende Stellung der Bewohner hindeuten. In Gesellschaften, die von der keltischen Oppida-Kultur beeinflusst waren, sieht das anders aus.

3. Bei allen Wissensmängeln haben wir über die damaligen Verhältnisse ein paar Erkenntnisse, die als gesichtert gelten können. Die wichtigste davon lautet: Die barbarischen Stämme kannten keine Verwaltung. Demnach konnte ein möglicher "König" gar nicht wissen, welche Menschen seine "Untertanen" waren und welche Menschen ihm Gehorsam schuldeten. Er hätte auch nur sehr begrenzte Möglichkeiten gehabt, zu überprüfen, ob seine "Befehle" ausgeführt werden oder nicht.

Verstreut in allen uns bekannten römischen Quellen finden sich Textstellen, die man als Belege für den dritten genannten Punkt lesen kann. Zum Beispiel heißt es dort, dass die Stämme wenig Probleme hatten, in ein neues Siedlungsgebiet umzuziehen. Das spricht dagegen, dass es individuellen Grundbesitz gab; und es spricht dafür, dass jede Sippe nach eigenem Gutdünken freies Land für ihre Nutzung in Besitz nehmen konnte. Das bedeutet, dass auch jede Sippe die Möglichkeit hatte, aus dem Gebiet eines Stammes in das Gebiet eines anderen Stammes abzuwandern - wenn dort freies Land war und die Nachbarn freundlich blieben. Solche Wanderungsbewegungen sind archäologisch nachweisbar.

Nebenbei bemerkt, wirft das die Frage auf, ob es "Stämme" als feste Organisationseinheiten überhaupt gab. Möglicherweise waren das nur Zweckbündnisse der Sippen, die gemeinsam in einer Region lebten. Dafür spricht die Tatsache, dass die römischen Quellen so viele Stammesnamen nennen, dass man sich fragen muss, wo all diese Völkerschaften eigentlich gelebt haben sollen. Es würde auch erklären, warum immer neue Stammesnamen auftauchen und wieder verschwinden. Und wenn es keine "Stämme" mit fester Stammesloyalität gab, dann kann es auch keinen Stammesadel gegeben haben.

Schließlich findet sich in den römischen Quellen auch immer wieder der Vorwurf, die Germanen würden andauernd Verträge brechen. In einem Jahr würden sie sich unterwerfen, um dann im nächsten Jahr unter Preisgabe ihrer Geiseln den Frieden zu brechen. Vielleicht war dieser Vorwurf berechtigt. Wenn meine Vermutung über das Fehlen von Stammesloyalitäten stimmt, dann handelte es sich allerdings eher um ein römisches Missverständnis: Die Römer haben geglaubt, ihre Verträge würden jeweils den ganzen Stamm binden. Die Stämme bestanden aber aus zahlreichen unabhängigen Gruppen von Sippen. Und viele davon fühlten sich weder an den Stamm noch gar an die von Anderen geschlossenen Verträge gebunden. Auch das spricht dagegen, dass es da einen "Stammesadel" gegeben hat.

Was Du über Pohl schreibst, erscheint mir durchaus zutreffend. Zum Beispiel vermute ich, dass die Stämme erst ab dem Zeitpunkt festere Strukturen annahmen, als die Römer ins Land kamen. Bis zum Auftauchen der Römer genügte es, wenn die Sippen, die gemeinsam einen Landstrich bewohnten und bewirtschafteten, sich untereinander verständigten. Kontakte zu weiter entfernt lebenden Sippen waren nur sporadisch aus besonderem Anlass nötig. Es waren die Römer, die großräumigere Zusammenarbeit "notwendig" machten - sei es, um ausreichend viele Kämpfer für einen Krieg zusammenzubekommen oder um eine ausreichende Menge an Gütern für den Handel mit einem nahegelegenen Legionslager zusammenzutragen.

Gerade diese zum Teil kurzlebigen Zusammenschlüsse zu "Großstämmen" sprechen dagegen, dass es einen Stammesadel gab.

4. in gewissem Sinn, denn sie wollten sich in die Eliten des Imperums integrieren, können diese Warlords und ihre Kontingente als "römische Erfindung" pointiert bezeichnet werden.
Sehr richtig. Aus dem gleichen Grund sieht Seuer das Kulturgefälle zwischen entwickelten Völkern und Barbaren als Auslöser für die Entwicklung von Söldnertum über organisierten Raub zu Landnahme. Einen Punkt muss man dabei aber im Auge behalten: Am Anfang stehen die Stämme, in denen Willensbildungsprozesse horizontal ablaufen. Am Ende stehen dann Organisationen, in denen sie vertikal von oben nach unten ablaufen. Das ist ein grundlegender Wandel in der Gesellschaftsstruktur. Für den muss es irgendwelche Gründe geben.

Meiner Ansicht nach kann sich ein institutionalisierter Adel nur herausbilden, wenn vertikale Strukturen in der Gesellschaft bereits etabliert sind. Es wirkt auf mich, als wären hier die Befehlshierarchien von Kampftruppen auf die Gesellschaft übertragen worden.

MfG
 
3. Bei allen Wissensmängeln haben wir über die damaligen Verhältnisse ein paar Erkenntnisse, die als gesichtert gelten können. Die wichtigste davon lautet: Die barbarischen Stämme kannten keine Verwaltung. Demnach konnte ein möglicher "König" gar nicht wissen, welche Menschen seine "Untertanen" waren und welche Menschen ihm Gehorsam schuldeten. Er hätte auch nur sehr begrenzte Möglichkeiten gehabt, zu überprüfen, ob seine "Befehle" ausgeführt werden oder nicht.
(...)
Gerade diese zum Teil kurzlebigen Zusammenschlüsse zu "Großstämmen" sprechen dagegen, dass es einen Stammesadel gab.
die im Vergleich zum benachbarten römischen Reich reichlich unterentwickelte "Verwaltung" der Anrainer: war denn in diesen Stammesgesellschaften nicht das verzweigte, aber allen bestens bekannte Sippenwesen ein Ersatz für derartige "Verwaltung"? Immerhin befehdete man sich ja innerhalb dieser Stammesgesellschaften nicht wahllos, man wußte, mit wem man und warum Stunk hatte :) Und man wusste auch die soziale Stellung jedes einzelnen (Sklave/Unfreier, Halbfreier, Freier, Krieger in Gefolgschaft, Krieger außerhalb einer Gefolgschaft ("Recke"), welcher Sippe zugehörig, welche Position in der Sippe, welche Position hat diese oder jene Sippe insgesamt) Mit den zu Gebote stehenden Mitteln hatten die german. Kleinstämme ihre Leute wohl ausreichend im Griff.

Und das spricht ja nicht gegen einen da schon etablierten oder sich formierenden Kriegeradel: die Segestes- und Marbodsippe anfangs, später die als reges (Könige) bezeichneten Warlords der Alemannen im 3.-4. Jh. usw usw.

...aber ich will unsere seinerzeit sehr spannende und humorvolle Diskussion, wann sich Adelsstrukturen bzw. denen entsprechendes bei den german. Barbaren entwickelten, nicht wiederholen.

Was die Kurzlebigkeit der völkerwanderungszeitlichen Großverbände betrifft, so waren ja einige eben nicht kurzlebig, sondern wurden zu recht langlebigen Machtfaktoren (woher sollten auch sonst die "deutschen Stämme" wie Sachsen, Franken, Alemannen usw. kommen)
 
Könnte es trotzdem sein, dass das Entstehen von Adel aus Eliten eine mow zwangsläufige Entwicklungsform menschlicher Gesellschaften ist

Ganz kurz, ich will die Debatte nicht stören:

hallo, rena. An den Kiosken liegt gerade das GEO kompakt Geburt der Zivilisation. Da wird in den Kapitel "Wem verdanken wir die Zivilisation" und "Das Prinzip Macht" auf Elitenentwicklung eingegangen.
 
Für mich ist die Zwischenzeit zum Ende der Bronzezeit noch immer der erste, spannendere Ansatzpunkt, die späteren Phasen wurden nur als Analogien gebraucht.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir hier langsam den Ruf eines "Steuer-Befürworters" erwerbe: Wenn der Mann Recht hat, ist die Zeitstellung egal. Dann hängt es nur von äußeren Umständen (Reichtumsgefälle) ab, ob der "Mechanismus" Söldnertum-Raub-Landnahme angestoßen wird. Problem für unsere Debatte: Je weiter wir in der Zeit zurückgehen, desto dünner wird die Faktenlage. Gar keine Schriftquellen mehr und immer wenige archäologische Spuren. Ein Indiz dafür, dass es schon am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit solche Entwicklungen gegeben haben könnte, ist die bereits sehr früh stark ausdifferenzierte Oppida-Kultur. Ein Indiz dafür, dass es schon viel früher "Eliten" gegeben hat, ist der berüchtigte Ötzi mit seinem damals sündhaft "teuren" Kupferbeil, das trotz seines Werts von den Mördern liegengelassen wurde.

MfG
 
...aber ich will unsere seinerzeit sehr spannende und humorvolle Diskussion, wann sich Adelsstrukturen bzw. denen entsprechendes bei den german. Barbaren entwickelten, nicht wiederholen.
Soll das heißen, dass Du die gegenwärtige Diskussion langweilig und humorlos findest? :pfeif:

die im Vergleich zum benachbarten römischen Reich reichlich unterentwickelte "Verwaltung" der Anrainer: war denn in diesen Stammesgesellschaften nicht das verzweigte, aber allen bestens bekannte Sippenwesen ein Ersatz für derartige "Verwaltung"?
Das Sippenwesen hätte ein Ersatz sein KÖNNEN. Die Römer hatten genau diese Hoffnung. Deshalb haben sie ja bestimmte "Fürsten" wie Segestes umworben und begünstigt. Werbung und Begünstigung änderten nur nichts am Grundproblem, dass so ein dämlicher "Fürst" all die Geschenke annehmen und dann unter Missachtung der "erwarteten Gegenleistungen" trotzdem auf die Idee kommen konnte, zur Waffe zu greifen und Römer totzuschlagen. Prominentestes Beispiel: Arminius. Wenn wir heute nach Afghanistan schauen, sehen wir genau das gleiche Problem...

Das war das zentrale Problem der Römer: So eine Sippe konnte jederzeit enscheiden, ob sie mit den Römern Handel treiben oder Römer totschlagen wollte. Selbst heute Handel treiben und morgen totschlagen war möglich. Maßgeblich für diese Entscheidungen waren die Interessen JEDER EINZELNEN SIPPE, nicht die Interessen des Stammes oder irgendwelcher "Adeligen".

Immerhin befehdete man sich ja innerhalb dieser Stammesgesellschaften nicht wahllos, man wußte, mit wem man und warum Stunk hatte :) Und man wusste auch die soziale Stellung jedes einzelnen (Sklave/Unfreier, Halbfreier, Freier, Krieger in Gefolgschaft, Krieger außerhalb einer Gefolgschaft ("Recke"), welcher Sippe zugehörig, welche Position in der Sippe, welche Position hat diese oder jene Sippe insgesamt)
Stimmt. Fehde oder Friede wurden ganz selbstsüchtig gewählt. Was ist gefährlicher, was bringt größere Vorteile? Die von Dir genannten "Klassen" sind übrigens erst für viel spätere Zeiten belegt.

Was die Kurzlebigkeit der völkerwanderungszeitlichen Großverbände betrifft, so waren ja einige eben nicht kurzlebig, sondern wurden zu recht langlebigen Machtfaktoren (woher sollten auch sonst die "deutschen Stämme" wie Sachsen, Franken, Alemannen usw. kommen)
Gerade die Genese der Franken ist ein Beleg für die These von der Auflösung der Stammesgesellschaften und der Entwicklung einer Gesellschaft, die auf dem Prinzip "Befehl und Gehorsam" beruhte. Solange es Beute zu verteilen gab, blieben die "Raubgierigen" beisammen. Bis sie aus dem neu entstehenden Gesellschaftssystem nicht mehr rauskamen, ohne ihre eigene Existenz auf´s Spiel zu setzen. Gut funktionierende Systeme fordern nichts mehr als Anpassung an Systeme.

MfG
 
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