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Zu dieser Zeit existierende Kanonen mit gezogenem Lauf hatten einen kleineren Lauf. Das bedeutet, dass bei ihnen kleinere Projektile zum Einsatz kamen.
Ein deutliches Jein: Die ersten gezogenen Geschütze hatten die selben Kaliber wie die glatten Kanonen bzw. sogar geringfügig etwas größer, da man Anfangs die bestehenden glatten Rohre mit Zügen versah. Dieses war im 19. Jahrhundert aus wirtschaftlichen Gründen eine recht weit verbreitete Technik, die jedoch zur Folge hatte, dass die Rohre geschwächt wurden und man mit verringerten Ladungen schiessen musste bzw. die Lebensdauer der Läufe sich stark verringerte. In den USA wurden ab 1860 einige Kanonen nach dem System "James" so umgebaut die trotz ihrer Nachteile zum Teil den ganzen Krieg in Gebrauch blieben.
Das Projektil ist bei einem geringeren Kaliber auch nicht unbedingt kleiner. Glatte Geschütze konnten damals nur Rundkugeln verfeuern. Bei Gezogenen waren es dagegen Langgeschosse die bei dem selben Kaliber ein größeres Gewicht hatten.
Zwar hatten die gezogenen Kanonen eine höhere und präzisere Reichweite, aber unebenes und bewaldetes Gelände machte diesen Vorteil zunichte. Zudem war die Projektilgeschwindigkeit höher, womit sich die Kugel mit höherer Wahrscheinlichkeit wirkungslos in den Boden versenkte.
Die Kanonen mit glattem Lauf verfügten über grössere Rohre, waren zwar ungenauer und vermochten nicht so weit zu schiessen, aber das Gelände machte diesen Nachteil wieder wett.
Das mit der Reichweite stimmt zum Teil, eine deutlich größere praktische Reichweite wurde erst später mit modernen optischen und fernmeldetechnischen Geräten zum indirekten Schiessen erzielt, das ist aber schon fast erster Weltkrieg (bzw. Burenkrieg und Russisch-Japanischer Krieg).
Auch die glatten Rohre hatten eine deutlich größere Reichweite als das was bei Kanonen tatsächlich genutzt wurde (3 Km reale Schussweite gegen ca. 300 Meter effektive Reichweite). Bei Haubitzen und Mörsern versuchte man dagegen die Reichweite auszuschöpfen, die Ziele waren aber meistens größer.
Trotzdem wurde der Vorteil vor allem der höheren Genauigkeit schon damals erkannt und gefordert. Preussen hat z.B. ausgiebige Tests mit Belagerungsgeschützen an der veralteten Festung Jülich betrieben, bei der die Kurtinenflächen regelrecht herausgestanzt wurden. Dieses hat sich später bei der Belagerung von Strassburg ausgezahlt, die für damalige Verhältnisse erstaunlich schnell Sturmreif geschossen wurde.
Zu Beginn des Bürgerkrieges waren die meisten Geschütze glatte Vorderlader (bis auf die relativ geringe Anzahl von nachgezogenen Kanonen im System James und einige Parrots die aber überwiegend als Festungs und Küstengeschütze dienten) Im Laufe des Krieges erhöhte sich der Anteil an gezogenen Waffen deutlich, nach einem Inventar aus der Armee von Rosencrans (zitiert bei Ian V. Hogg "Weapons of the Civil War") waren 1863 bereits fast die Hälfte der Feldgeschütze gezogene Waffen.
Das mit der Größe ist auch nicht unbedingt richtig. Bei gleichen Geschossgewicht ist das gezogene Geschütz eindeutig kleiner. Es gab aber auch gezogene Kanonen in jeder erdenklichen größe bis hin zu dem 300-Pfündigen Swamp-Angel mit dem Charleston aus großer Entfernung beschossen wurde.
Vor dem Krieg gab es eine Tendenz zum Bau leichterer Geschützen, die sich hauptsächlich im "Napoleon" zeigte, der französischen 12-Pfundigen Bombenkanone die von den USA ab 1854 in Dienst genommen wurde und auf beiden Seiten das üblichste Modell war. Diese Kanone war deutlich kürzer und leichter als die amerikanische 1841er 12-Pfündige Kanone und hatte dadurch eine geringere Reichweite. Das war aber eine Entwurfsentscheidung zugunsten der Mobilität und der Vielseitigkeit und keine technische Bedingung, beide waren glattläufig.
Das mit dem "wirkungslos im Boden versenken" konnte unter Umständen geschehen, bei der Verwendung von Brenn- und Aufschlagzündern, war dieses aber ein geringeres Problem. Als Nachteilig wurde erachtet, keine Roll- und Prallschüsse mehr ausführen zu können, die damals zum Grundrepertoire erfahrener Artilleristen gehörte. Die Überlegenheit der gezogenen Geschütze war jedoch zu eindeutig, dass man allzulange die Entwicklung aufhalten konnte. Dieses konnte man ebenfalls am besten im Deutsch- Französischen Krieg sehen, bei dem die gezogenen preussischen und sächsischen Geschütze, die französischen Batterien von ausserhalb dessen Reichweite zusammenschossen.
Das Grant die Anzahl seiner Geschütze verringerte, habe ich nirgends gefunden. Zu Beginn des Krieges wurde auf jedem Fall die Anzahl der Geschütze in Bezug auf die Infanterie deutlich erhöht. Der Norden zog dafür auf Vorschlag des Generals Barry, Chef der Artillerie der Potomacarmee, die ausgebildeten und geübten Artilleristen aus den Küstenforts an Atlantik, Golf und sogar Pazifik ab. Wenn das mit der Artillerie Grants zutrifft, wird es vermutlich eher auf den von Silesia erwähnten Mangel an Pferden zurück gehen und es wird im Vergleich zum Höchststand eine Verringerung gewesen sein, nicht aber im Verhältnis zu dem Beginn des Krieges.
Hinzu kommt noch der psychologische Faktor, vor einer grossen Kanone hat man mehr Angst als vor einer kleinen. Die technischen Details, wieso die mit gezogenem Lauf kürzer waren, weiss ich nicht. Aber der Technik waren wohl damals auch Grenzen gesetzt.
Das mit der Größe und der Angst halte ich, mit Verlaub, für Humbug. Kanonen waren in erster Linie da, um den Gegner möglichst effektiv auszuschalten und nicht um ihn Angst einzuflössen. Dieses mag ein willkommener Nebeneffekt sein, man nimmt dafür aber keine technischen Nachteile in Kauf.
Ich hatte um eine Erläuterung gebeten (hast Du eigentlich Quellen zu diesen Aussagen?) da diese Argumente mich stark an die Einwände aus der damaligen Zeit erinnern, vorgetragen von konservativen Militärs die an ihren Traditionen hingen. Ein preussischer General (ich glaube es war Wrangel) verfügte sogar testamentarisch, dass bei seinem Begräbnis der Salut mit glatten Kanonen geschossen werden sollte und nicht mit Gezogenen, da der Knall von diesen als schärfer und von ihm als unangenehmer und nicht förmlich genug erachtet wurde.
Die tatsächliche Entwicklung sah jedoch anders aus und nur wirtschaftliche Faktoren bremsten effektiv die Verbreitung der gezogenen Artillerie.