Warum bekam Belgien Eupen und Malmedy zugesprochen?

Hierzu der Versailler Vertrag III. Abschnitt I, Art.34:
Es ist von keiner Volksabstimmung die Rede. Dann wäre nämlich der vollständige Verzicht Deutschlands um Eupen-Malmedy im Artikel des Vertrages politischer Unfug.
Ich würde das so verstehen, dass sich der Völkerbund die Auswertung des Ergebnisses der schriftlichen Befragung vorbehält.
Das Deutsche Reich hat somit dabei eigenständige Position in diesem Ablauf aufgrund des Verzichtes. Als Volksabstimmung kann man das - wegen des Vorbehalts des Völkerbundes - wohl selbst bei weiter Auslegung nur schwerlich deuten, es ist eher eine unverbindliche Befragung. Andererseits hatte Belgien die "Auswertung" der "schriftlichen Befragung" seitens des Völkerbundes zu akzeptieren.
 
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Trotzdem hat die belgische Übergangsverwaltung eine "Volksbefragung" durchgeführt.
Was m. E. zeigt, daß sich die belgische Regierung nicht sehr wohl fühlte mit der Neigung der Alliierten, das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" bei einigen Stellen sehr hoch zu halten und bei anderen ganz wegzulassen.

Die Pseudo-Befragung sollte halt den Eindruck vermitteln, Eupen-Malmedy wäre nicht schlichte Kriegsbeute, sondern man hätte den Willen der dortigen Bevölkerung berücksichtigt.
 
Ich würde das so verstehen, dass sich der Völkerbund die Auswertung des Ergebnisses der schriftlichen Befragung vorbehält.
Das Deutsche Reich hat somit dabei eigenständige Position in diesem Ablauf aufgrund des Verzichtes. Als Volksabstimmung kann man das - wegen des Vorbehalts des Völkerbundes - wohl selbst bei weiter Auslegung nur schwerlich deuten, es ist eher eine unverbindliche Befragung. Andererseits hatte Belgien die "Auswertung" der "schriftlichen Befragung" seitens des Völkerbundes zu akzeptieren.

Sind wir uns einig, dass kein Volksentscheid stattfand.
Deutschland musste übrigens dem Versailler Vertrag zustimmen, da sonst militärische Besatzung drohte.
Kampf um die Republik 1919 - 1923 - Der Untergang der Weimarer Republik
Ministerpräsident Scheidemann und sein Kabinett trat wegen dem Versailler Vertrag zurück.
 
Im Versailler Vertrag war ein Volksentscheid nicht vorgesehen sondern eine 5-jährige Übergangsfrist unter belgischer Verwaltung und danach Überführung ins belgische Staatsgebiet. Trotzdem hat die belgische Übergangsverwaltung eine "Volksbefragung" durchgeführt.

Im Versailler Vertrag war folgendes geregelt: „Während sechs Monaten nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrags werden von der belgischen Behörde in Eupen und Malmedy Listen ausgelegt; die Einwohner dieser Gebiete sind berechtigt, darin schriftlich den Wunsch auszudrücken, daß diese Gebiete ganz oder teilweise unter deutscher Souveränität verbleiben“ (Art. 34 Abs. 3 VV). Du hast das in Deinem Beitrag # 12 selbst zitiert...
:pfeif: :still:

Zu dem "Ding" mit der Liste waren die Belgier also kraft Versailler Vertrag verpflichtet. Mir erscheint diese Klarstellung wichtig zu sein, weil R.A. (# 18) aufgrund der fehlerhaften Info von der Freiwilligkeit schon begonnen hat, aus dieser falsche Schlüsse zu ziehen.
 
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Zu dem "Ding" mit der Liste waren die Belgier also kraft Versailler Vertrag verpflichtet. Mir erscheint diese Klarstellung wichtig zu sein, weil R.A. (# 18) aufgrund der fehlerhaften Info von der Freiwilligkeit schon begonnen hat, aus dieser falsche Schlüsse zu ziehen.

Ja, mein belgischer Einwand rührte daher, dass ich zuerst auch mit unterschiedlichen Quellen operiert (und es nicht genau wusste), die behaupten dass diese Listen erst 1925 ausgelegt worden seien.
Was ich derweil aber ausschliesse und mich der Version anschliesse, dass diese Listen 1920 ausgelegt wurden.
Trotzdem hat dieser Teil des Versailler Vertrages eine faden Beigeschmack, auf dessen die Schlüsse von @R.A. und auch von mir keineswegs falsch sein müssen.
Wer schreibt sich in Listen ein, um den Versailler Vertrag in diesem Punkt abzulehnen? Zudem mit vollem Namen und Anschrift? Und das nicht in einem Volksentscheid sondern in einer "Wunsch-Liste über Ganz- oder TeilweiseVerbleib unter deutscher Souveränität", die der Völkerbund (das sind die Versailler-Vertragsunterzeichner außer Deutschland) nach Beendigung der "Wunschzettel-Auslegung" prüfen würde, ob oder ob nicht zu Belgien angeschlossen wird.
Was ja widerrum dem Versailler Vertrag widerspricht:
"Ferner verzichtet Deutschland zugunsten Belgiens auf alle Rechte und Ansprüche auf das gesamte Gebiet der Kreise Eupen und Malmedy."
Quelle: Versailler Vertrag Teil III, Abschnitt I, Art.34, 1. Satz
Nach diesem Satz wird dann diese Wunschzettel-Aktion festgeschrieben.
 
Mir erscheint diese Klarstellung wichtig zu sein, weil R.A. (# 18) aufgrund der fehlerhaften Info von der Freiwilligkeit schon begonnen hat, aus dieser falsche Schlüsse zu ziehen.
Du hast völlig recht, daß ich auf der falschen Spur war, Belgien als Adressaten zu sehen.
Es waren die Alliierten, die sich hier mit dieser Farce von "Abstimmung" versuchten, Prinzipientreue zu demonstrieren.

So weit ich weiß, war die deutsch-belgische Grenze vor 1918 eine (der wenigen in Europa), die relativ problemlos war, ziemlich korrekt der Sprachgrenze folgte und es lebten keine relevanten Minderheiten beiderseits der Grenze.
Irgendwie gab es aber wohl die Vorstellung, ein Kriegssieger müsse mit echtem Territorium belohnt werden - ansonsten gibt die Abtretung von Eupen-Malmedy keinen Sinn, auch nicht in Bezug auf die allgemeine Absicht, Deutschland zu schwächen.
 
Irgendwie gab es aber wohl die Vorstellung, ein Kriegssieger müsse mit echtem Territorium belohnt werden - ansonsten gibt die Abtretung von Eupen-Malmedy keinen Sinn, auch nicht in Bezug auf die allgemeine Absicht, Deutschland zu schwächen.

Einen weiteren Sinn könnte man mit etwas Hintergedanken und in die Lage Frankreichs versetzt darin sehen, nachhaltig Lager zu bilden. Die Grenzkorrektur stellte zweifellos eine Belastung für die Zukunft zwischen beiden Ländern dar.

Fragt sich allerdings, ob man das in Bezug auf Belgien (nach der Erfahrung des Ersten Weltkrieges operativ das Vorzimmer Frankreichs) nötig hätte oder zu haben glaubte. Wohl eher unwahrscheinlich.
 
Die Belgier wären dann ja auch durchaus bereit gewesen den Landstrich zurückzugeben, gegen einen entsprechenden finanziellen Ausgleich. Was Frankreich durch massive Intervention verhindert hat.
 
Wer schreibt sich in Listen ein, um den Versailler Vertrag in diesem Punkt abzulehnen? Zudem mit vollem Namen und Anschrift? Und das nicht in einem Volksentscheid sondern in einer "Wunsch-Liste über Ganz- oder TeilweiseVerbleib unter deutscher Souveränität", die der Völkerbund (das sind die Versailler-Vertragsunterzeichner außer Deutschland) nach Beendigung der "Wunschzettel-Auslegung" prüfen würde, ob oder ob nicht zu Belgien angeschlossen wird.

Was ja widerrum dem Versailler Vertrag widerspricht:

Quelle: Versailler Vertrag Teil III, Abschnitt I, Art.34, 1. Satz
Nach diesem Satz wird dann diese Wunschzettel-Aktion festgeschrieben.
Im Versailler Vertrag wurde das "Ding" mit der Liste „(öffentliche) Äußerung der Bevölkerung“ (Art. 34 Abs. 3 VV) und nicht wie hier im Forum diskutiert "Volksabstimmung" oder "Volksbefragung" genannt: „Es ist Sache der belgischen Regierung, das Ergebnis dieser [engl. Text: dieser öffentlichen] Äußerung der Bevölkerung zur Kenntnis des Völkerbundes zu bringen, dessen Entscheidung anzunehmen sich Belgien verpflichtet“.

Gegen die Art und Weise dieser Äußerung spricht aus meiner Sicht am stärksten der Gesichtspunkt, den Du oben genannt hast: sie kam nicht durch einen freien und geheimen Vorgang zustande. Ob der Völkerbund wirklich eine – ich schreibe mal - 90prozentige Ablehnung der Gebietsübertragung durch die Bevölkerung hätte ignorieren können, wage ich zu bezweifeln.

Am Rande: das Letztentscheidungs-Recht des Völkerbundes widersprach nicht dem Versailler Vertrag (VV), sondern Art. 34 Abs. 3 VV sah die Pflicht Belgiens vor, die Entscheidung des Völkerbundes zu akzeptieren: „Es ist Sache der belgischen Regierung, das Ergebnis dieser [engl. Text: dieser öffentlichen] Äußerung der Bevölkerung zur Kenntnis des Völkerbundes zu bringen, dessen Entscheidung anzunehmen sich Belgien verpflichtet“.
Einen weiteren Sinn könnte man mit etwas Hintergedanken und in die Lage Frankreichs versetzt darin sehen, nachhaltig Lager zu bilden. Die Grenzkorrektur stellte zweifellos eine Belastung für die Zukunft zwischen beiden Ländern dar.
Fragt sich allerdings, ob man das in Bezug auf Belgien (nach der Erfahrung des Ersten Weltkrieges operativ das Vorzimmer Frankreichs) nötig hätte oder zu haben glaubte. Wohl eher unwahrscheinlich.
Mein Vorschlag: versetzen wir uns doch mal in die Lage Belgiens.

Belgien wurde 1914 von Deutschland völkerrechtswidrig angegriffen, in der Anfangsphase des Krieges wurden ca. 5.000 Belgier massakriert, Dörfer, Städte und wichtige Kulturgüter wie z.B. die Bibliothek von Löwen wurden zerstört, das Land wurde 4 Jahre lang besetzt, seine Wirtschaft in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft gestellt, 120.000 Belgier wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt, die deutsche Besatzung unterstützte die großflämische Bewegung, um so das Land zu spalten, etc. Nach dieser gründlichen deutschen Vorarbeit bedurfte es 1919 wirklich keiner französischen Vertragstricks mehr um das deutsch-belgische Verhältnis nachhaltig zu zerrütten oder die belgische Außenpolitik profranzösisch einzufärben. Da stimme ich Dir zu.
Du hast völlig recht, daß ich auf der falschen Spur war, Belgien als Adressaten zu sehen.
Es waren die Alliierten, die sich hier mit dieser Farce von "Abstimmung" versuchten, Prinzipientreue zu demonstrieren.

So weit ich weiß, war die deutsch-belgische Grenze vor 1918 eine (der wenigen in Europa), die relativ problemlos war, ziemlich korrekt der Sprachgrenze folgte und es lebten keine relevanten Minderheiten beiderseits der Grenze.
Irgendwie gab es aber wohl die Vorstellung, ein Kriegssieger müsse mit echtem Territorium belohnt werden - ansonsten gibt die Abtretung von Eupen-Malmedy keinen Sinn, auch nicht in Bezug auf die allgemeine Absicht, Deutschland zu schwächen.
Bei der Pariser Friedenskonferenz (1919) war Belgien ganz allgemein als das Land anerkannt, das mit die größten Opfer im Krieg erlitten hat. Den Belgiern war hierfür das allgemeine Mitgefühl gewiss. Auch war unstrittig, dass Belgien für seine Opfer entschädigt werden sollte.

Doch die Entschädigungsfrage zog sich hin. Auch Frankreich und England forderten Entschädigungen. Die wichtigen Entscheidungen wurden unter den „großen Vier“ (USA, F, E und I) gefällt. Belgien blieb außen vor. Die geforderte Wiedergutmachung der Schäden setzte deren genaue Schätzung voraus. Die Vertagung der genauen Bestimmung der deutschen Reparationslast auf eine spätere Konferenz zeichnete sich ab. Belgien, das dringend auf den raschen Erhalt von Entschädigungen angewiesen war, drohte „leer“ auszugehen. Bei den Belgiern entstand der Eindruck, dass ihr Anspruch auf Entschädigung von den eigensüchtig handelnden „Großen Vier“ vergessen würde. Und auf dieser Klaviatur des Jammerns und des Erzeugens eines „schlechten Gewissens“ leierten die Belgier diesen das Zugeständnis in Sachen Eupen-Malmedy heraus neben der Zusage, dass Belgien von der deutschen Vorab-Reparationsahlung von 20 Mrd. Goldmark 2 Mrd. erhalten würde.

Die Äußerung der betroffenen Bevölkerung konnte freilich deshalb keine Volksabstimmung sein, weil ansonsten die Gefahr bestand, dass sich die Bevölkerung gegen den Wechsel zu Belgien entscheiden würde, und dann wäre das Zugeständnis, mit dem Belgien vertröstet werden sollte, auch wieder "futsch" gewesen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Also gut, stellen wir fest, es hat keine wie auch immer geartete "Abstimmung", sondern lediglich eine "öffentliche (Willens-)Äußerung der Bevölkerung" stattgefunden, die zudem kritisch betrachtet werden sollte, was ihre Aussagefähigkeit betrifft.

Mein Vorschlag: versetzen wir uns doch mal in die Lage Belgiens.

Belgien wurde 1914 von Deutschland völkerrechtswidrig angegriffen, in der Anfangsphase des Krieges wurden ca. 5.000 Belgier massakriert, Dörfer, Städte und wichtige Kulturgüter wie z.B. die Bibliothek von Löwen wurden zerstört, das Land wurde 4 Jahre lang besetzt, seine Wirtschaft in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft gestellt, 120.000 Belgier wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt, die deutsche Besatzung unterstützte die großflämische Bewegung, um so das Land zu spalten, etc. Nach dieser gründlichen deutschen Vorarbeit bedurfte es 1919 wirklich keiner französischen Vertragstricks mehr um das deutsch-belgische Verhältnis nachhaltig zu zerrütten oder die belgische Außenpolitik profranzösisch einzufärben.
War die Situation wirklich so? Du zeichnest hier ein sehr einseitiges Bild von vier Jahren Besatzungszeit. Es hört sich geradezu so an, als wären die barbarischen Teutonen die ganze Zeit unentwegt dabei gewesen zu rauben, plündern, brandschatzen und vergewaltigen. Diese einseitige Emotionalisierung deinerseits ist einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema kaum zuträglich, die damalige (Besatzungs-)Situation sollte differenzierter betrachtet werden.
Gegen dein oben gezeichnetes Bild spricht m.E. einmal die prodeutsche Flamenbewegung, und die spätere Eupen-Malmédy betreffende belgisch-deutsche Annäherung paßt so auch nicht dazu.

Bei der Pariser Friedenskonferenz (1919) war Belgien ganz allgemein als das Land anerkannt, das mit die größten Opfer im Krieg erlitten hat. Den Belgiern war hierfür das allgemeine Mitgefühl gewiss.
(...)
Belgien blieb außen vor (...) von den eigensüchtig handelnden „Großen Vier“ vergessen (...)
Da kommen wir der Sache schon näher. Armes Belgien, hier hast du ein paar Brocken, die Kriegsbeute geht (wie immer) an die Großen. Entschuldigung, nun bin ich auch in deinen obigen Stil verfallen. ;)

Eupen-Malmédy war Kriegsbeute, die "Volksbefragung" eine Farce, wie auch schon zutreffend bemerkt wurde.

Wäre es evtl. möglich @Team, die hiesige Belgiendiskussion in den entsprechenden Thread http://www.geschichtsforum.de/f62/eupen-malmedy-warum-15091/#post239494 zu verschieben? Herzlichen Dank! :)
 
War die Situation wirklich so? Du zeichnest hier ein sehr einseitiges Bild von vier Jahren Besatzungszeit. Es hört sich geradezu so an, als wären die barbarischen Teutonen die ganze Zeit unentwegt dabei gewesen zu rauben, plündern, brandschatzen und vergewaltigen. Diese einseitige Emotionalisierung deinerseits ist einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema kaum zuträglich, die damalige (Besatzungs-)Situation sollte differenzierter betrachtet werden.

k! :)


Ich schau mir die Dinge immer gerne auch von einer anderen Warte an.

Tucholsky schreibt in "Militaria" von recht rüdem Umgang mit den Belgiern.
Aber, wohlgemerkt es ging dabei um Beschlagnahmen von Wohnungseinrichtungen usw. Privat-Diebstähle von höheren Chargen usw.

Irgendwo schreibt er mal eine Satire über einen "Geheimen Kriegsschauplatz der zur Erquickung der "alten Soldaten" eröffnet wurde" wo so ein Berufsschlagetod sich auslässt, "irgendwie fehlte ihm etwas, und jetzt weiß er auch was, es gab keine Beljer zum triezen"
 
War die Situation wirklich so?
Ja. Ich saug mir das doch nicht aus den Fingern...

Dass der Angriff auf Belgien völkerrechtswidrig war,
hat RK Bethmann Hollweg selbst vor dem Reichstag eingeräumt.

Zu den Massakern an der belgischen Bevölkerung
kam es zu Beginn des Krieges im Zuge des deutschen "Franktireur"-Wahns. Quellen hierzu: Gerhard Hirschfeld u.a., Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2003, unter Belgien, S. 44ff. "die deutschen Massaker an etwa 5.000 Zivilisten" (S. 46).; Ausführliche Untersuchung: Johne Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914, 2004.

Zur Bibliothek von Löwen: Hirschfeld, aaO, S. 45.

Zur gewaltsamen Deportation belgischer Arbeiter:
"Schließlich begangen die Deutschen von November 1916 an, belgische Arbeiter gewwltsam zu deportieren, um deutsche Arbeitskräfte zu ersetzen. (...) Mehr als 120.000 Belgier erlitten dieses Schicksal; 3.600 von ihnen starben in Deutschland" Hirschfeld, aaO, S. 48.

Zu den Spaltungsversuchen der deutschen Besatzungsmacht:
"Das Dekret über die administrative Teilung Belgiens vom 21. März 1917 vertiefte die Spaltung des Landes. Schließlich erklärte am 22. Januar 1918 der von den Deutschen protegierte Rat von Flandern die einseitige Unabhängigkeit Flanderns" (Hirschfeld, aaO, S. 48). Interessant ist auch Johannes Koll, Nationale Bewegungen in Belgien, 2005. Dort findet man aufschlussreiche Darstellungen zur großflämischen Bewegung und deren Unterstützung durch Deutschland.

Also: die deutsche Besatzung war wirklich hart und es sind in Belgien viele Verbrechen vorgekommen. Die angelsächsische Presse hat diese Verbrechen freilich übertrieben und das Bild von den teutonischen Barbaren gemalt, die Kinderhände abhacken und Soldaten kreuzigen, was natürlich nicht passiert ist. Dennoch hat es die oben genannten Vorkomnisse und Verbrechen gegeben und diese wiederum haben das deutsch-belgische Verhältnis belastet, wobei die deutsche Seite diese Verbrechen lange Zeit abgestritten hat.
tekker schrieb:
Gegen dein oben gezeichnetes Bild spricht m.E. einmal die prodeutsche Flamenbewegung,
Vorsicht: der große Teil der Flamenbewegung blieb loyal zu Belgien und auf Distanz zum Deutschen Reich. Nur ein kleiner Teil der Flamenbewegung ließ sich durch eine aktive "Flamenpolitik" der deutschen Besatzer (Bsp für diese: die Niederlandisierung der Uni Gent 1916) zur Kollaboration verleiten. - Quelle: Bruno de Wever, "Die Flämische Bewegung", in: Koll, aaO, S. 82.

Dieser Teil trat als "großniederländische Bewegung" (großflämische Bewegung) für eine Vereinigung des niederländischsprachigen Teils von Belgien mit den Niederlanden ein, wurde von Deutschland unterstützt und war - wenn verwundert dies - ausgesprochen prodeutsch. Und nach dem Krieg wurden viele Angehörige dieser Bewegung wegen Kollaboration bestraft (Lode Wills, "Die großniederländische Bewegung", in: Koll, aaO, S. 135 ff.). Ausgerechnet in den Anhängern dieser Bewegung Zeugen für ein gemäßigtes deutsches Besatzungsregime sehen zu wollen, ist dann doch etwas fragwürdig; zumal in Belgien auch noch katholische Wallonen lebten.

Auf deutscher Seite gingen die großniederländischen Phantasieen übrigens noch einen Schritt weiter: Lode Wils zufolge soll Ludendorf am Anfang des Krieges dem niederländischen Geschäftsträger in Brüssel über den deutschen Generalgouverneur von der Goltz den Vorschlag unterbreitet haben, Belgien zwischen Frankreich und den Niederlanden aufzuteilen; "anschließend sollten dann die Niederlande dem Deutschen Reich beitreten" (Wils, Koll, aaO, S. 138).
 
Unstreitig ist wohl, daß Belgien wohl den deutlichsten Anspruch auf Entschädigung hatte.
Frankreich, England und Italien wollten diesen Krieg genauso wie die Mittelmächte, das mag dann nach dem "vae victis"-Prinzip einen Anspruch auf Beute geben, wenn man ihn gewinnt - aber "Entschädigung" zu verlangen ist ja eigentlich daneben.

Belgien dagegen wollte neutral bleiben, wurde trotzdem von Deutschland überfallen, und hätte eigentlich den Anspruch gehabt, die Schäden KOMPLETT und vorrangig ersetzt zu bekommen, noch bevor die Großen einen Pfennig bekommen.
Aber die Welt ist nun mal nicht gerecht und sie bekamen statt dessen einen Landstrich, der bei aller landschaftlichen Schönheit damals kein echter Zugewinn war.

Was sich übrigens geändert hat: Seit längerer Zeit spielt die winzige deutsche Volksgruppe das neutrale und ausgleichende Element zwischen Flamen und Wallonen, das ist für Belgien vielleicht mehr wert als eine große Geldzahlung ...

Bei den "Schäden" muß man wohl etwas differenzieren.
Gandolf zählt sehr richtig die Toten, die Zwangsarbeiter, die Zerstörungen auf.
Die "Stärkung der großflämischen Bewegung" dagegen ist nur aus Sicht der damaligen wallonisch dominierten belgischen Regierung eine Schädigung - aus Sicht der unterdrückten Flamen war das eher positiv als Hilfe Deutschlands zu werten.
 
Auf deutscher Seite gingen die großniederländischen Phantasieen übrigens noch einen Schritt weiter: Lode Wils zufolge soll Ludendorf am Anfang des Krieges dem niederländischen Geschäftsträger in Brüssel über den deutschen Generalgouverneur von der Goltz den Vorschlag unterbreitet haben, Belgien zwischen Frankreich und den Niederlanden aufzuteilen; "anschließend sollten dann die Niederlande dem Deutschen Reich beitreten" (Wils, Koll, aaO, S. 138).


Wer war Luddendorf "am Anfang des Krieges"?
Unter den Militärs einer von etlichen, politisch ein Niemand.
Zumindest keiner der politische Vorschläge von derartiger Tragweite zu machen hatte.

Irgendwie unstimmig
 
@Tekker:
Zu >>Belgien im "Grande Guerre"<< gibt es eine interessante Internet-Seite der Bundeszentrale für politischen Bildung.

Frankreich, England und Italien wollten diesen Krieg genauso wie die Mittelmächte, das mag dann nach dem "vae victis"-Prinzip einen Anspruch auf Beute geben, wenn man ihn gewinnt - aber "Entschädigung" zu verlangen ist ja eigentlich daneben.
*räusper*

Den Mittelmächten fiel schon die Hauptverantwortung (nicht alleinige Verantwortung) für den Kriegsausbruch zu, vgl. http://www.geschichtsforum.de/99751-post1.html.

Frankreich war aufgrund der Verwüstungen in Nordfrankreich, dort befand sich ein großer Teil der französischen Industrie, durch den Krieg schwer getroffen und hatte ebenso wie Belgien einen legitimen Anspruch auf Entschädigung. Irgendwie musste das Leben ja auch für den "Sieger" weitergehen können.
Belgien dagegen wollte neutral bleiben, wurde trotzdem von Deutschland überfallen, und hätte eigentlich den Anspruch gehabt, die Schäden KOMPLETT und vorrangig ersetzt zu bekommen, noch bevor die Großen einen Pfennig bekommen.
Aber die Welt ist nun mal nicht gerecht und sie bekamen statt dessen einen Landstrich, der bei aller landschaftlichen Schönheit damals kein echter Zugewinn war.
Vorsicht:

Belgien erhielt auch Reparationen. Eupen-Malmedy bekam es in einer Situation als unklar war, wann und in welcher Höhe Reparationen überhaupt fliessen werden und sich die Vertagung dieses Problems abzeichnete. Eupen-Malmedy sollte die Belgier beruhigen nach dem Motto: wir haben Euer "Martyrium" nicht vergessen.

Ein Teil der Probleme rührte auch gerade daher, dass man um eine "pfenniggerechte" Entschädigung bemüht war, die eine Schätzung der Schäden voraussetzte, wofür man aber Zeit benötigte. Nachträglich betrachtet, wäre es wohl besser gewesen, Deutschlands 100-Mrd.-Goldmark-Angebot anzunehmen. Da wäre man auch dem Streit aus dem Weg gegangen, ob die geforderten Reparationen überhaupt bezahlbar waren.
Die "Stärkung der großflämischen Bewegung" dagegen ist nur aus Sicht der damaligen wallonisch dominierten belgischen Regierung eine Schädigung - aus Sicht der unterdrückten Flamen war das eher positiv als Hilfe Deutschlands zu werten.
Nur war die "großflämische Bewegung" halt eine sehr kleine Bewegung innerhalb der Flamen, die in ihrer breiten Mehrheit Belgien gegenüber loyal blieben trotz aller Probleme mit der kulturellen Identität.
Wer war Luddendorf "am Anfang des Krieges"?
Unter den Militärs einer von etlichen, politisch ein Niemand.
Zumindest keiner der politische Vorschläge von derartiger Tragweite zu machen hatte.

Irgendwie unstimmig
Bei Marc Frey, "Der Erste Weltkrieg und die Niederlande. Ein neutrales Land im politischen und wirtschaftlichen Kalkül der Kriegsgegner", 1998, findet sich in dem Abschnitt "Deutsche Zukunftsvorstellungen und die Niederlande" eine Darstellung der in Deutschland während des Ersten WK grassierenden Vorstellungen über das Schicksal der Niederlande. Darunter Krupps Kriegszielschrift, die vom September 1914 datiert und die "Überlassung" Flanderns an die Niederlande für vorstellbar hielt, falls sich diese zu einer "engen wirtschaftsolitischen Annäherung" unter Einbeziehungen der Kolonien entschließen würden.

Dann erwähnt Frey den Ludendorff-Vorschlag:
"General Erich Ludendorff, der im August 1914 als Oberquartiermeister im Armeeoberkommando 2 an der Eroberung Lüttichs beteiligt war", hierfür bekam er den Orden "Pour le Mérite", "ließ dem niederländischen Geschäftsträger im besetzten Belgien, M.W.R. van Vollenhoven, sogar ein vertrauliches Angebot zukommen, welches die Gedanken Krupps spiegelte. Flandern könne den Niederlande zugeschlagen werden, wenn diese sich zum Beitritt ins Reich entschlössen" (S. 62).
 
Flandern könne den Niederlande zugeschlagen werden, wenn diese sich zum Beitritt ins Reich entschlössen
Dieser Umstand findet auch in Fischers "Griff nach der Weltmacht" Erwähnung. Es sollte, soweit ich mich erinnere, den bay.-pr. "Dualismus" ausgleichen.

Zu deinem Link:
Auch dort wird in der Einleitung ein imho einseitiges "Greuelbild" gezeigt, von dem aus die von dir erwähnten "abgehackten Hände" nicht mehr weit sind.
Wie soetwas zustande kommt, ist leicht erklärt. Explizite Erwähnung findet nicht das "tägliche Besatzungsgeschehen", sondern die "herausragenden Ereignisse". Von daher sollte man mit einer Beurteilung der Gesamtsituation nicht so schnell bei der Hand sein.
Wir können die "Beatzungsproblematik" gern per PN vertiefen, hier im Thread möchte ich das aber nicht.
:)
 
Den Mittelmächten fiel schon die Hauptverantwortung (...) für den Kriegsausbruch zu,
Diese umstrittene Frage will ich hier nicht auswälzen, weil sie m. E. nebensächlich ist.

Grundsätzlich waren alle Mächte bereit, diesen Krieg zu führen, keine kann ehrlich behaupten, gegen ihren Willen in den Konflikt verwickelt worden zu sein.
Das war bei Belgien eben absolut anders.

Frankreich war aufgrund der Verwüstungen in Nordfrankreich, ..., durch den Krieg schwer getroffen und hatte ebenso wie Belgien einen legitimen Anspruch auf Entschädigung.
Eigentlich nicht.
Einen solchen "Entschädigungsanspruch" gab es ja bis dahin im Völkerrecht nicht. Die von Napoleon oder vielen anderen Herrschern mit Krieg überzogenen Völker haben auch nie einen Pfennig Entschädigung bekommen.
Wer gewinnt, kriegt Beute, das war die Regel - noch die "Kriegsentschädigung" 1870/1871 folgte trotz dieser Bezeichnung dieser alten Denkweise.

Belgien erhielt auch Reparationen.
Sicher - aber eben doch ziemlich unzureichend. Wir sind uns wohl einig, daß Eupen-Malmedy hier eine Art Ersatzhandlung war.

Nur war die "großflämische Bewegung" halt eine sehr kleine Bewegung innerhalb der Flamen
Wie das bei solchen Bewegungen anfangs immer der Fall zu sein pflegt.
Wäre Flandern selbständig geworden, wären das heute die Vorkämpfer der nationalen Freiheit ...

Daß sich die deutsche Besatzungsmacht auf die innerhalb Belgiens unterdrückten Flamen stützte war normales machtpolitisches Vorgehen. Und das war eben nur möglich, weil die wallonisch dominierte belgische Regierung vorher eben nicht fair mit ihren Landsleuten umgegangen war - sie hatte also wenig moralische Basis in diesem Punkt Klage zu führen.

Was den Luddendorf-Vorschlag betrifft: Gab es denn dafür auch nur andeutungsweise eine realistische Basis in den Niederlanden?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Gewinn Flanderns für die Holländer eine Versuchung hätte sein können, um einen Beitritt zum deutschen Reich zu erwägen.
 
@Tekker:
Dann erwähnt Frey den Ludendorff-Vorschlag:
"General Erich Ludendorff, der im August 1914 als Oberquartiermeister im Armeeoberkommando 2 an der Eroberung Lüttichs beteiligt war", hierfür bekam er den Orden "Pour le Mérite", "ließ dem niederländischen Geschäftsträger im besetzten Belgien, M.W.R. van Vollenhoven, sogar ein vertrauliches Angebot zukommen, welches die Gedanken Krupps spiegelte. Flandern könne den Niederlande zugeschlagen werden, wenn diese sich zum Beitritt ins Reich entschlössen" (S. 62).


Die Rolle Ludendorffs bei der Eroberung Lüttichs ist ja soweit bekannt, allerdings "Oberquartiermeister beim Armeeoberkommando 2" klingt ungewohnt. Ich dachte er sei Brigadekommandeur gewesen.
Aber OK, auf jeden Fall sind politische Vorschläge solcher Tragweite nie und nimmer Sache von Generalen der 2. Reihe. Und ob die Niederländer in den paar Tagen bis Ludendorff definitiv in Ostpreußen ganz andere Probleme zu lösen hatte, schon einen Geschäftsträger für das "besetzte Belgien" ernannt haben, möchte ich auch in Frage stellen.

Für das Jahr 1917 wäre das alles irgendwie nachvollziehbar, aber nicht für 1914.
 
Die Rolle Ludendorffs bei der Eroberung Lüttichs ist ja soweit bekannt, allerdings "Oberquartiermeister beim Armeeoberkommando 2" klingt ungewohnt. Ich dachte er sei Brigadekommandeur gewesen.

Oberquartiermeister war er wohl schon, aber er befand sich zwischen den Truppen der Spitze und übernahm die Führung eines Angriffs auf Lüttich.

"In ungestümem Vorwärtsdrängen war die 14. Inf.Brig. bis Liery , wo an der Spitze ihrer Truppen der Kdr. Inf.Rgt. 27, Oberst Krüger, und der Brig.Kdr., General von Wussow, vom feindlichen Blei getroffen ihr Herzblut für Deutschland vergossen. Es entstand unter den erschütternden Eindrücken des nächtlichen Häuserkampfes eine Krise. Da nahte mit zwei Generalstabsoffizieren General Ludendorff, um sich persönlich vom Lauf der Dinge zu überzeugen. Sofort übernahm er die Führung der Brigade. Sein Beispiel, seine Ruhe und Kühnheit riß alle vorwärts. Die ersten beiden feindlichen Geschütze fielen in deutsche Hand; Queue du Bois, das Feuer und Verderben spie, wurde erreicht. Jetzt meldete sich Major de Greiff, Kdr. II./Felda. Regt 4, bei Ludendorff."
10.08.1914 - Der erste Weltkrieg Fußartillerie Regiment Armee Kommandeur Aufstellungsort
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu >>Belgien im "Grande Guerre"<< gibt es eine interessante Internet-Seite der Bundeszentrale für politischen Bildung.

Gelegentlich habe ich auch Links zu dieser BpB-Internetseite gesetzt.
Doch so langsam halte ich von denen recht wenig.
Dass im Link Belgien ein "noch junger Staat" im 1.Weltkrieg genannt wird (seit 1830) halte ich für völlig bekloppt, wenn man bedenkt, wie alt das geeinte Deutschland (seit 1871) im 1.Weltkrieg war.
Eine nationale Identität sei damals bei Belgien noch nicht so ausgeprägt - so der Link weiter. Ich frage mich, seit wann hat denn überhaupt Belgien eine nationale Identität entwickeln können, wenn sie damals noch keine hatte?
Auch die Texte zum 2.Weltkrieg sind manchmal haarsträubend bei denen.
 
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