Na ja, auch die Habsburger hatten Historiographen, die an ihrem Ruhm strickten, und im 19. Jahrhundert griff auch die Donaumonarchie gerne auf Geschichtsmythen und Herrscherideologie zurück.
Friedrichs Herrschaft war für seine Untertanen sicher ebenso schwer zu ertragen, wie die von Peter I. oder Katherina II. Viele von Friedrichs Edikten wurden einzig und allein durch Zwang durchgedrückt. Er schrieb selbst, dass die Bauern in Oberschlesien nicht besser als Sklaven lebten, und die Junkerherrschaft hat er zweifellos zementiert.
Letztes Jahr war ich mal wieder in Sanssoucci. Da hatte jemand an seinem Grab ein paar Kartoffeln hingelegt. Günther Grass sagte mal, die Einführung der Kartoffel sei bedeutsamer, als der ganze siebenjährige Krieg. Angeblich soll der Preußenkönig Kartoffelfelder bewachen lassen, um die Bevölkerung zu animieren.
Tatsächlich wurde die Kartoffel wie manch anderes seinen Untertanen durch Zwang verordnet, und was sie auf den Geschmack brachte, war nicht der gütige Preußenkönig, sondern die große Hungerkatastrophe von 1770/71. Besonders übel waren die dreisten Aktionen seiner Werber. Die preussischen Werber hatten den schlechtesten Ruf Europas, da sie nicht nur mit List und Tücke, sondern mit offener Gewalt und Kidnapping vorgingen und das auch im "Ausland" praktizierten. In Hannover, in Ansbach- Bayreuth, Hessen- Kassel und anderen Territorien verboten ihnen die Fürsten das Land, und ein bekannter Bandit, Hoyum Moyses tarnte sich und seine Galgenvögel als preußische werber, so dass sie nicht weiter auffielen. Das brutale Spießrutenlaufen der Soldaten hat Friedrich II. nie abgeschafft und nirgendwo war die lange Gasse besser aufgestellt, als in der preußischen Armee. Auch die Folter hat er nicht völlig beseitigt, und Räuber konnten in Preußen durchaus noch legal gefoltert werden.
Sein Anti- Machiavell ist eigentlich ein ziemlich unreifes Werk, zumal er von Machiavelli damals nur Il Principe" kannte. Als Virtuose brachte er es zu einem recht hohen Niveau, und als Philosoph war er mit Sicherheit seiner Tafelrunde ebenbürtig. Er war völlig auf der Höhe der französischen Aufklärung, doch seine Kritik der zeitgenössischen deutschen Literatur war ebenso inkompetent, wie ungerecht. Goethes Götz von Berlichingen fand er einfach nur furchtbar, Lessings Minna von Barnhelm wurde in Berlin abgesetzt, und Schiller, ebenso wie seinen Untertanen Immanuel Kant kannte er kaum dem Namen nach.
Wie du schon sagst, setzte im 19. Jahrhundert eine starke Glorifizierung des Preußenkönigs ein, und er wurde als Gallionsfigur der Deutschnationalen und später der Nazis funktionalisiert. Von den Gebieten, um die er mit Maria Theresia gekämpft hat, ist heute keines mehr deutsch, ebenso wie sein Königreich untergegangen ist.
Im Guten wie im Schlechten hat Preußen die deutsche wie die europäische Geschichte mitgestaltet, und die Preußen haben sich als sehr prägend erwiesen. Selbst die Nordhessen haben sie für fast 80 Jahre zu passablen Beutepreußen gemacht. Jetzt, da Preußen nicht mehr ist und Deutschland demokratisch geworden ist, wird man bei seiner Betrachtung das Augenmerk auf andere "preußische Tugenden", als Schlachtenglanz und Militarisierung richten. Natürlich hatte die religiöse Toleranz in Preußen nicht nur humanitäre Hintergründe, denn Preußen war bei seiner Peuplierungspolitik geradezu auf religiöse Toleranz angewiesen. Administrativ wurde Preußen recht gut regiert, und der Preußenkönig war wegen seiner Detailkenntnisse bekannt und gefürchtet. Friedrich war ein Machiavellist und Hasardeur. Die Eroberung Schlesiens war ein frecher Raub, und Friedrich ging dabei mit der Bedenkenlosigkeit eines Parvenüs vor. In der ihm zuweilen eigenen offenen art, hat er freimütig bekannt, dass er nur um der "Gloire" willen losgeschlagen hat. Dennoch war das im 18. Jahrhundert nicht ganz unüblich, und Preußens Aufstieg zur Großmacht konnte nur gegen und auf Kosten Österreichs geschehen.
Als Friedrichs größte Leistung sehe ich die Abschaffung der Folter und die Etablierung eines preußischen Rechtsstaates. Auf diesem Gebiet spielte Preussen tatsächlich eine Vorreiterrolle und war anderen Territorien um Jahrzehnte voraus, selbst seine Feinde ließen sich davon inspirieren.
Es hat in der deutschen Geschichte Konjunkturen der Preußenverherrlichung, aber auch der Preußenverdammung gegeben, der Titel der Große ist Friedrich dennoch erhalten geblieben, wenn auch niemals unwidersprochen.