Die Trennlinie, die ich ziehe, ist die zwischen komponierter Musik (ob das nun Tänze oder Lieder sind oder sonstwas) einerseits und tradierter Musik (die eventuelle improvisierend variiert wird) andererseits. Die Trennlinie ist nicht dieselbe wie zwischen "Kunstmusik" und "Volksmusik", doch im großen und ganzen gehört Komposition zur "Kunst-" und Tradition zur "Volksmusik". Das dumme ist, daß wir über komponierte Musik sehr gut informiert sind, über schriftlos tradierte Musik so gut wie gar nicht. Wir können zwar mit gutem Grund annehmen, daß in der tradierten Musik die Kontrapunkt- und Generalbaßregeln nicht dieselbe Geltung hatten wie in der komponierten Musik, und es daß dafür andere Konventionen gab, die wichtiger waren. Wie sich dieser Unterschied dann konkret auswirkte, würde ich selber gerne wissen. Leider ist die Zeitmaschine noch nicht erfunden...
Gute Frage, eigentlich muß ich meine obige Formulierung "professionell" zurücknehmen. Gemeint habe ich damit den Musiker, der in den Disziplinen Notenschrift, Generalbaß, Kontrapunkt etc. geschult ist. Natürlich muß man auch den fahrenden Musiker, der zwar vielleicht keine Notenschrift beherrscht, aber das ganze Repertoire auswendig draufhat und darüber improvisieren kann und damit seinen Lebensunterhalt verdient, ganz klar als "professionell" bezeichnen.
Die Übergänge sind sicher fließend. Die Schwierigkeit ist die, daß jeder aufgeschriebene Tanz davon zeugt, daß der Schreiber eine eben nicht nur volkstümliche musikalische Ausbildung genossen hat - den Umgang mit Fünfliniensystem, den verschiedenen Schlüsseln und der Generalbaßbezifferung lernt man nicht autodidaktisch. Wer jedoch Kontakt mit der "hohen Kunst" gehabt hat, versucht natürlich, sich daran zu orientieren. Was es an Noten aus wirklich einfachsten Verhältnissen noch gibt, würde ich als mehr oder weniger stümperhafte Versuche bezeichnen, die Musik der großen Meister zu imitieren.
Es mag gut sein, daß es beim fahrenden Musikervolk ein großes Repertoire an ausschließlich tradierter (und nie notierter) Musik gab, die auf ihre Art klar professionell, eventuell sehr virtuos war, nur die lernen wir in den bescheidenen Kompositionsversuchen dörflicher Amateure leider auch nicht kennen.
Gleichwohl dürfte die stilistische Kluft zwischen Volks- und Kunstmusik tatsächlich nicht sehr groß gewesen sein. Schlichte Lieder großer Meister hatten das Zeug zu Gassenhauern, Heinrich Isaacs "Innsbruck, ich muß dich lassen" hat sich offensichtlich nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich über einen weiten Raum ausgebreitet. Vielleicht haben auch die Bierfiedler in den Kneipen Tanzsätze honorabler Komponisten gespielt.