Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Hallo flavius-sterius ! :winke:

Danke für den link!

Die Analyse lässt noch einen anderen Schluss zu: Bisher ist der 9 nach Christus endende so genannte Haltern-Horizont in der Wissenschaft die Eichmark für alle römischen Funde der augusteischen Zeit in Deutschland. Wir können jetzt davon ausgehen, dass die Römer das Lager viel später als direkt nach der Varusschlacht aufgegeben haben. Vermutlich erst 16 nach Christus unter Kaiser Tiberius.


Das wird man in Kalkriese gar nicht gerne hören.
Die Auflassung des Lagers Haltern wurde bisher im Jahre 9 n. Chr. angenommen. Da numismatisch betrachtet eine strukturelle Kohärenz zu Kalkriese vorliegt (Berger 1996), konnte man auch das Ereignis von Kalkriese in dieses Jahr datieren. Glaubte man zumindest.

Wenn nun aber Haltern 16 n.Chr. endet, dann auch der dortige Münzspiegel und somit auch der Fundort Kalkriese. :winke:
 
Einige Forscher, die Kalkriese als Schlachtfeld der Germanicus-Feldzüge interpretieren, verlegen das Ende Halterns in die Zeit um 16. n Chr. und führen dafür hauptsächlich historische und numismatische Argumente an."
Kühlborn lehnt diese Variante allerdings verdeckt ab mit dem Hinweis, dass es in Haltern keinen durchgehenden Zerstörungshorizont und keine Anzeichen für einen Wiederaufbau gebe, was die antiken Quellen (er nennt Velleius Paterculus und Zonaras (eine mittelalterliche Abschrift von Cassius Dio)) aber für Aliso nahe legten.

Moment mal. Nichts durcheinander bringen.
Ob Haltern 16 n.Chr. aufgelassen wurde oder mit Aliso identisch ist, sind zweierlei Dinge.
Das würde nämlich die unbewiesene Annahme voraussetzen, dass NUR das Lager Aliso durch Germanicus wiederbesetzt wurde.
 
Mag ja sein. Nur teilt Kühlborn eben nicht die Annahme, dass Haltern bis 16 bestand. Er erwähnt lediglich, dass es diese Forschungsmeinung gäbe, und dass diese Forschungsmeinung ausgerechnet von dem Zweig der Forschung vertreten wird, der in Kalkriese eine Germanicusschlacht sieht. Daraus zieht Kühlborn eine hypothetische Schlussfolgerung, was das für Haltern bedeuten würde. Er lehnt diese Umdatierung der Auflassung Halterns auf 16 aber ab: "Ein solches Szenario stünde nicht im Einklang mit der antiken Überlieferung."
 
Mag ja sein. Nur teilt Kühlborn eben nicht die Annahme, dass Haltern bis 16 bestand. Er erwähnt lediglich, dass es diese Forschungsmeinung gäbe, und dass diese Forschungsmeinung ausgerechnet von dem Zweig der Forschung vertreten wird, der in Kalkriese eine Germanicusschlacht sieht.
So wie ich den westline-Artikel verstanden habe, stammt diese Forschungsmeinung von LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch, Museumsdirektor Dr. Rudolf Aßkamp und Archäologe Andreas Weisgerber.
Demnach sind das Vertreter einer Germanicus-Schlacht bei Kalkriese.


Daraus zieht Kühlborn eine hypothetische Schlussfolgerung, was das für Haltern bedeuten würde. Er lehnt diese Umdatierung der Auflassung Halterns auf 16 aber ab: "Ein solches Szenario stünde nicht im Einklang mit der antiken Überlieferung."
Damit lehnt Kühlborn also Haltern als Aliso-Kandidat ab. Denn wenn ich mich nicht täusche, berichtet Tacitus, dass Aliso von Germanicus 15 n.Chr. wiederbesetzt und 16 n.Chr. aus der Belagerung befreit wurde.
 
So wie ich den westline-Artikel verstanden habe, stammt diese Forschungsmeinung von LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch, Museumsdirektor Dr. Rudolf Aßkamp und Archäologe Andreas Weisgerber.
Demnach sind das Vertreter einer Germanicus-Schlacht bei Kalkriese.

Ich weiß nicht, was da Kirsch/Weisgerber/Aßkamp ist, und was Eigenteil des Zeitungsartikelverfassers. Und dass die mitunter Schrott schreiben, darüber sind wir uns ja einig.
Der eigentliche Inhalt des Vortrags waren, wenn ich den Artikel richtig verstehe, die gefundenen Germanenskelette, die auf den Winter 9/10 datiert werden.

Der Zusammenhang zwischen
Die Leichen wurden nach dem misslungenen Überfall auf das Halterner Römerlager im Winter 9/10 nach Christus ohne erkennbare Sorgfalt hastig in einen der zehn Töpferöfen geworfen und verscharrt, erklärte Dr. Rudolf Aßkamp. Die zeitliche Einordnung des Fundes sei zwar nicht ganz sicher, aber die Indizien deuteten darauf hin, dass die Römer nach dem erfolglosen Überraschungsangriff die Leichen respektlos ohne Grabbeigaben entsorgt hätten.
und
Die Analyse lässt noch einen anderen Schluss zu: Bisher ist der 9 nach Christus endende so genannte Haltern-Horizont in der Wissenschaft die Eichmark für alle römischen Funde der augusteischen Zeit in Deutschland. Wir können jetzt davon ausgehen, dass die Römer das Lager viel später als direkt nach der Varusschlacht aufgegeben haben. Vermutlich erst 16 nach Christus unter Kaiser Tiberius.
ist nämlich textimmanent nicht gegeben.
Wenn die Varusschlacht im Spätsommer/Herbst stattfand (Datierung von Kalkriese nach Maultierzähnen und den Pflanzenresten in der Maultierglocke), dann ist es durchaus denkbar, dass die Belagerung von Aliso bis zum Winter andauerte, was einer Belagerungsdauer von 2 - 4 Monaten entspräche.




Damit lehnt Kühlborn also Haltern als Aliso-Kandidat ab. Denn wenn ich mich nicht täusche, berichtet Tacitus, dass Aliso von Germanicus 15 n.Chr. wiederbesetzt und 16 n.Chr. aus der Belagerung befreit wurde.
Nein, zumindest nicht explizit. Eher das Ggt.:

"Das Ende des römischen Haltern wird allgemein mit der clades Variana des Jahres 9. n. Chr. in Zusammenhang gebracht. Einige Versteckfunde im Hauptlager und die Skelette im Töpfereiquartier sprechen für ein abruptes, erzwungenes Ende. Die eigentliche Begründung des Schlussdatums basiert auf der Feststellung, dass speziell Münzen aus der Zeit nach 9 n. Chr. [...] fehlen. Neuerdings ist eine heftige Diskussion um Halterns Enddatum ausgebrochen. Ausgelöst wurde diese Kontroverse letzten Endes durch die Identifizierung des Schlachtfeldes von Kalkriese als Ort der Varusschlacht. Einige Forscher, die Kalkriese als Schlachtfeld der Germanicus-Feldzüge interpretieren, verlegen das Ende Halterns in die Zeit um 16. n Chr. und führen dafür hauptsächlich historische und numismatische Argumente an. Nach der archäologischen Befundlage würde diese Umdatierung bedeuten, das zumindest das Hauptlager Haltern die Folgen der Varusschlacht unbeschadet überstanden und für einige Jahre fortbestanden hätte. Es gibt nämlich keinen durchgehende Zerstörungshorizont, auch keine Hinweise auf einen Wiederaufbau, auch keinen an anderer Stelle im Raume Haltern. Ein solches Szenario stünde nicht im Einklang mit der antiken Überlieferung. Nach Zonaras 10, 37 waren von den Germanen alle Kastelle erstürmt worden, bis auf eines. Dieses konnte sich für einige Zeit halten, doch... [...]. Auch andere literarische Quellen berichten von diesem Ereignis. Velleius Paterculus 2, 120 nennt in diesem Zusammenhang Aliso als Name des Lagers."
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber laut Tacitus hat Germanicus alle Wege und Dämme zwischen Aliso und dem Rhein wieder anlegen lassen und auch das Lager Aliso wieder besetzt.
Wenn von einem solchen Wiederaufbau in Haltern keine Spuren zu finden sind, kann es sich nicht um Aliso handeln.



Im Lande der Chauken gab es auch nach 9 n.Chr. noch ein römisches Lager. Stämme, die sich nicht am Aufstand gegen Varus beteiligt haben, hatten keinen Anlass, die römischen Lager zu zerstören.
Insofern ist die Meinung, alle Lager östlich des Rheins wurden erstürmt, mit Vorsicht zu genießen.
 
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Das ist richtig und doch würde Aliso wunderschön zu Haltern passen:
Aliso muss ein wichtiges Lager gewesen sein, denn es ist das einzig namentlich erwähnte. Haltern war ziemlich wichtig.
Aliso muss in relativer Rheinnähe gewesen sein, Haltern liegt einen Tagesmarsch vom Rhein entfernt.
Aliso lag an einem Lippezufluss. Haltern liegt an dem Ort, wo die Stever in die Lippe fließt (naja, das ist kein wirklich gutes Argument, geb ich ja zu).
Aliso wurde nach der Varusschlacht belagert - in Haltern befinden sich innerhalb des Lagers die Gräber von im Winter 9/10 verscharrten Germanen, seien es Angreifer gewesen oder Auxiliarier, die dasselbe Schicksal erlitten, wie einige Sikh in Kalifornien am 11. September 2001.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nö. Aber immerhin haben wir die Erzählung, dass die Soldaten von Aliso die Zivilisten im Stich ließen, es aber Asprenas gelang diese noch zu retten, weil die Germanen sich mit Plündereien (und durch ein trickreiches Trompetensignal*) aufgehalten hätten. Das schnelle Auftauchen von Asprenas impliziert Rheinnähe von Aliso. Aber das sagt nichts über die Verortung der Varusschlacht aus, außer dass die Varusschlacht rheinabseitig von Aliso stattgefunden haben muss, wenn wir davon ausgehen, dass hier wirklich Überlebende der Varusschlacht eingeschlossen waren, was ja nur Frontinus zu entnehmen ist, nicht aber unserem Kronzeugen Velleius.


*Naja, das mit dem Trompetensignal ist sicherlich eine der phantastischen Zudichtungen von Cassius Dio.
 
Seit der Entdeckung von Waldgirmes wissen wir, dass sich auch weitere römische Zivilisten im rechtsrheinischen Germanien aufhielten und nicht nur jene, die im Schutze des Varusheeres zogen.

Durchaus möglich, dass sich Zivilisten (woher auch immer) nach Aliso retten konnten, als der Aufstand ausbrach. Mit bellum varianum bzw. clades variana könnte auch allgemein der gesamte Krieg des Jahres 9 n.Chr. gemeint sein, in dessen Verlauf die römischen Militär-und Zivilstützpunkte sowie das Dreilegionenheer des Varus untergingen.

Wenn es allerdings tatsächlich (zivile) Überlebende aus der Varusschlacht waren, die sich in Aliso befanden, so dürfte die Distanz von Aliso zum Schlachtort nicht allzu groß gewesen sein.
Auch der Hinweis des Tacitus, dass jene Germanen, die von der Belagerung von Aliso (16 n.Chr.) abließen, zuvor den Tumulus der Varuslegionen zerstört hatten, könnte auf eine relative Nähe hinweisen.
 
Seit der Entdeckung von Waldgirmes wissen wir, dass sich auch weitere römische Zivilisten im rechtsrheinischen Germanien aufhielten und nicht nur jene, die im Schutze des Varusheeres zogen.

Ich meine, das wussten wir schon vorher. Nur dass wir nicht an zivile Siedlungen abseitig von Militärlagern glaubten.

Mit bellum varianum bzw. clades variana könnte auch allgemein der gesamte Krieg des Jahres 9 n. Chr. gemeint sein, in dessen Verlauf die römischen Militär-und Zivilstützpunkte sowie das Dreilegionenheer des Varus untergingen.
Guter Hinweis.

Wenn es allerdings tatsächlich (zivile) Überlebende aus der Varusschlacht waren, die sich in Aliso befanden, so dürfte die Distanz von Aliso zum Schlachtort nicht allzu groß gewesen sein.
Auch der Hinweis des Tacitus, dass jene Germanen, die von der Belagerung von Aliso (16 n.Chr.) abließen, zuvor den Tumulus der Varuslegionen zerstört hatten, könnte auf eine relative Nähe hinweisen.
Ich finde nicht, dass einige Tagesmärsche zu weit entfernt sind. Für einen halbwegs unversehrten Legionär dürfte die Strecke Kalkriese - Haltern (wenn wir Kalkriese einfach mal hypothetisch als Varusschlachtfeld annehmen und Haltern ebenso hypothetisch für Aliso) in drei Tagen über den Hilinciweg (Trier - Köln - Hattingen - Haltern - Münster - Osnabrück - Bremen) zu bewältigen gewesen sein.

Cassius Dio/Zonaras spricht von der Besatzung des Kastells, dass nur wenige Soldaten waren. Er gibt aber keine Auskunft, ob hier Überlebende der Varuschlacht dabei waren. Velleius spricht von Caecidius als praefecti castrorum und den Seinen (eorumque), was m.E. darauf hindeutet, dass hier die reguläre Besatzung des Lagers gemeint ist. Der vermeintliche Widerspruch dazu steht natürlich bei den frontinischen Reliqui ex Variana clade, aber wir Du ja richtigerweise schreibst, muss sich der Begriff clade nicht notwendigerweise auf das Einzelereignis beziehen, sondern kann sich auf die Serie von Ereignissen beziehen, zu dem dann Aliso, als letztes verbliebenes Lager gehört, was den vermeintlichen Widerspruch aufheben würde.
 
Ich möchte hier noch einmal auf das Mundblech der Schwertscheide zurückkommen, die man in Kalkriese gefunden hat.

In diesem Zusammenhang drängt sich mir nämlich eine Frage auf.
Die Einritzungen deuten auf die erste Legion hin, die bekanntlich nicht bei der Varusschlacht, wohl aber bei den Feldzügen des Germanicus dabei war. Für die Kritiker der Kalkriese-These ist dies wohl ein wichtiges Indiz.

Aber wie sieht es mit der Geschichte dieser Legion aus?
Sie war wohl lange im heutigen Spanien eingesetzt. Dann verliert sich ihre Spur ein wenig - so hörte ich jedenfalls. Insbesondere die Jahre 16 v.Chr. bis zur Zeitenwende liegen glaube ich ein wenig im Dunkeln.

In einem Vortrag wurde kürzlich die Vermutung geäußert, daß diese Legion sogar (vieleicht) aufgelöst wurde und die Legionäre auf andere Legionen verteilt wurden. Das würde auch den Fund erklären.

Wie gesagt: Ich weiß sehr wenig darüber. Könnte das so gewesen sein?
 
Im Jahre 14 n. Chr. ist sie jedenfalls belegt: Tacitus erwähnt sie zweimal im Zusammenhang mit der Rebellion um Augustus Tod. Tac. ann. I, 31: "inferioris exercitus miles in rabiem prolapsus est, orto ab unetvicesimanis quintanisque initio, et tractis prima quoque ac vicesima legionibus: nam isdem aestivis in finibus Vbiorum habebantur per otium aut levia munia."
Demnach war sie in Köln stationiert; Tac. ann. I, 37: "primam ac vicesimam legiones Caecina legatus in civitatem Vbiorum reduxit."
Allerdings scheint sie während des Kantabrerkrieges gegen 19 v. Chr. ihren Namen Augusta verloren zu haben. Man liest allerorten, sie sei um die Zeitenwende nach Germanien verlegt worden, aber Quellenangben finde cih dazu nicht.
 
Man liest allerorten, sie sei um die Zeitenwende nach Germanien verlegt worden, aber Quellenangben finde cih dazu nicht.

Dies ist auch mein Kenntnisstand. Gibt es tatsächlich über diverse Jahre keine Spur dieser Legion?

Vieleicht ist die These von einer (vorübergehenden) Auflösung und der Verteilung der Legionäre auf andere Legionen garnicht so abwegig?
 
Zuletzt bearbeitet:
Die überregionale Bedeutung von Haltern (z.B. für den Weserraum und darüber hinaus) schätzt man heute allerdings nicht mehr so hoch ein, wie noch vor einiger Zeit.




Habe die Quelle gefunden:

Mit „man“ ist Siegmar von Schnurbein, von 1990-2006 Direktor der Römisch-Germanischen Kommission des DAI, gemeint, der von Michael Zelle in Terra incognita?, Mainz 2008, S.160 folgendermaßen wiedergegeben wird:

„Die Rolle des Stützpunktes Haltern, welcher offenbar schrittweise zu einem Verwaltungszentrum umgebaut wurde, kann vor diesem Hintergrund allein eine regionale Bedeutung und nicht eine Rolle etwa als Provinzzentrum zugedacht worden sein.“

Zelle schreibt weiter:
„Im Weser- und Leineraum muss mit weiteren Einrichtungen dieser Art gerechnet werden. Auch die Ereignisse des Jahres 9 n.Chr. und die Verortung der Varusschlacht müssen in Zukunft vor dem Hintergrund des sich herausbildenden prägnanteren Fundbildes im nordwestdeutschen Raum beurteilt werden.“
 
Ich möchte hier noch einmal auf das Mundblech der Schwertscheide zurückkommen, die man in Kalkriese gefunden hat...


Ave Salvus,

Neben dem Versuch, Haltern hoch zu datieren, um die unabweisbare Statistik von Kalkriese ins Wanken zu bringen, spielt das Mundblech eine weitere hoch strapazierte Rolle.

Wie schon reichlich diskutiert, gab es mehrere Legionen I, wobei die legio prima augusta vermutlich im Jahre 19 vor Chr. in Spanien aufgelöst wurde. Zur Zeit der Varus- und Germanicuskriege hieß sie denn wohl legio prima germanica, die Abkürzung also bestenfalls LPG, meist aber LEG I GER geschrieben. Die epigraphische Folgerung ist, und das bezeugt vor allem die auf der Scheide angebrachte Verzierung mit einer in Spanien geprägten Münze aus dem Jahre 19 v.Chr., dass diese Scheide zum Zeitpunkt der Verbringung in Kalkreise rund drei Jahrzehnte alt war. Sie war damit ein uraltes Erbstück und längst nicht mehr an eine Legion gebunden.

Dazu anhängendes Bild des Mundblechs, das vielleicht auch deutlich macht, wie fragwürdig solche wilden Kratzungen sind: Rot ist der Text, Grün die sogenannte Haste, das Zeichen eines Centurio. Blau, das versteckt und aus der Reihe stehende, Paz-L und Violett die in Reihe stehende, aber von Paz ignorierte, II. Die Spanierin Paz war vor allem zur Deutung des LPA herangezogen worden. Und die interpretierte eine undeutliche Kratzung oberhalb des XIIX als weiteres L und somit unter Vernachlässigung des II als X L X, was sie mit X(denarii) LX (60) als ein etwas ungelenkes Preisschild von 60 Denaren interpretierten möchte. Mit dem eigentlich besser lesbaren XIIX konnte oder wollte sie nicht soviel anfangen. Die zur Zeit gehandelte Lesung ist daher: "T.Vibius, aus der Centurie des Tadius, Erste Legion des Augustus, 60 Denare".

Nun gut, die Scheide war mit einiger Sicherheit schon lange in Gebrauch. Man kann drüber philosophieren, wie sie denn nun nach Kalkriese kam. So konnte etwa der neue Besitzer, vielleicht der Sohn des Erwerbers, das alte Graffiti auf dem guten Stück ja nicht radieren, aber er trug am Ende noch ein weiteres Graffiti ein: XIIX, die achtzehnte Legion, wie am Ende der längeren Aufschrift dort recht gut zu lesen ist.

Der Status des Varus war ja nun legatus pro praetore Augusti (wenn auch meist mit legatus Augusti pro praetore zitiert), also der Statthalter des Augustus in Germanien. Somit könnte der neue Besitzer mit der einfachen Verlängerung der veralteten Aufschrift zu LPAXIIX die Kuh vom Blech gebracht haben: Er drückte damit eventuell den besonderen Status der 18.ten Legion aus. Eine mögliche Lesung könnte daher durchaus sein: "(Sohn des) T.Vibius, aus der Centurie des Tadius, 18. Legion des Statthalters des Augustus".

beste Grüße, Trajan.
 

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Die epigraphische Folgerung ist, und das bezeugt vor allem die auf der Scheide angebrachte Verzierung mit einer in Spanien geprägten Münze aus dem Jahre 19 v.Chr., dass diese Scheide zum Zeitpunkt der Verbringung in Kalkreise rund drei Jahrzehnte alt war. Sie war damit ein uraltes Erbstück und längst nicht mehr an eine Legion gebunden.

Wieso? Die Münze kann doch 19 v.Chr. in Spanien geprägt worden sein und wurde 20 Jahre später, als die Schwertscheide hergestellt wurde, in eben diese eingearbeitet.
Ich kann mir heute doch auch in eine Kette eine römische Münze von 19 v.Chr. einarbeiten lassen, oder nicht? Das heißt doch nicht, dass diese Kette ein uraltes Erbstück sein muss.

Und dass "Prima" in augusteischer Zeit auch mit P abgekürzt werden konnte, zeigt ein Senkblei (ebenfalls aus Kalkriese) mit der Inschrift CO P (Cohors Prima). Ich denke Frau Paz hat schon Grund, in "LPA" Legio Prima Augusta zu lesen, auch wenn diese Deutung in Kalkriese nicht zur Unterstützung der dortigen These beiträgt.
 
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