Geschlechterrollen in der Steinzeit

Es wurden (Schädel-)Verletzungen und gezielte Schädelöffnungen ausgezählt. Dass viele Frauen und Kinder darunter sind, zeigt, dass es viel Gewalt im Neolithikum gab und dabei Frauen und Kinder nicht verschont wurden. Die Autorin erwähnt mehrfach Massaker, bei denen offensichtlich ganze Dörfer abgeschlachtet wurden. Sie führt den hohen Anteil von Frauen mit tödlichen Schädelverletzungen explizit darauf zurück (S. 222).
Die Autorin betont weiterhin, dass Männer in fast allen Kulturen überrepräsentiert sind, was die Verletzungen angeht.

Aus den Daten kann man schließen, dass im Neolithikum Gewalt ein probates Mittel war. Man kann erkennen, dass Männer deutlich häufiger in Gewalthandlungen involviert waren. Man kann erkennen, dass zuweilen auch Frauen und Kinder nicht verschont wurden.
Aus all diesen Daten kann man keine Rückschlüsse darauf ziehen, wer genau die Verletzungen zugeführt hat. Noch weniger kann man daraus Rückschlüsse auf die alltägliche Arbeitsteilung der Männer und Frauen ziehen.
 
Die Autorin erwähnt mehrfach Massaker, bei denen offensichtlich ganze Dörfer abgeschlachtet wurden. Sie führt den hohen Anteil von Frauen mit tödlichen Schädelverletzungen explizit darauf zurück (S. 222).
Es geht bei meiner Frage jedoch gerade auch um verheilte/unverheilte Verletzungen, die nicht todesursächlich waren. Wenn sie sich (wie beschrieben) auch bei Frauen und Kindern finden, dann waren sie in ihrem alltäglichen Leben damit umgeben. Und wenn gerade in unserem Raum das Gewaltpotential höher war, weshalb auch mehr Kinder betroffen sind, heisst das doch, dass sie eben nicht "geschützt daheim" waren, während die Männer auf Jagd gingen, sondern dass die Gemeinschaft insgesamt davon betroffen war, woraus man schliessen könnte, dass der gemeinschaftliche Aspekt im Alltag höher war, als allgemein angenommen. :grübel:
 
Wenn es Krieg gab, waren selbstverständlich auch Frauen und Kinder davon umgeben, gerade wenn es zu Massakern kam. Das ist heute auch nicht anders. Neben Soldaten werden stets auch Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen. Das geschützte Heim hat seine Grenzen. Die ungleiche Verteilung der Verletzungen zeigt aber, dass es zumindest den Versuch gab, Frauen und Kinder zu schützen.

Was meinst du mit dem gemeinschaftlichen Aspekt im Alltag?
 
Und wenn gerade in unserem Raum das Gewaltpotential höher war, weshalb auch mehr Kinder betroffen sind, heisst das doch, dass sie eben nicht "geschützt daheim" waren, während die Männer auf Jagd gingen ...

Beim Kampf verschiedener Sippen um günstige Siedlungs- oder Jagdplätze wurde mit Sicherheit kein Pardon gewährt. Es gab in einer lebensfeindlichen Umwelt einen permanenten Existenzkampf und die Verdrängung konkurrierender Horden war ein brutaler Vorgang, der allerdings 20 000 v. Chr. als normales Ereignis empfunden wurde. Denkbar ist, dass fruchtbare Frauen der vernichteten gegnerischen Sippe in die neue Großfamilie aufgenommen wurden, um die zahlenmäßige Dominanz zu erhöhen.
 
"Es gab in einer lebensfeindlichen Umwelt einen permanenten Existenzkampf und die Verdrängung konkurrierender Horden war ein brutaler Vorgang, der allerdings 20 000 v. Chr. als normales Ereignis empfunden wurde. "

Ich wüßte jetzt nicht eine einzige belastbare Quelle für diese Aussage.
Dei frühesten direkten Hinweise für Gewalt (für Europa) sind das bislang mesolithisch datierte Schädelnest aus der Offnethöhle.
Die Datierung ist etwas schwammig, unklar ist dort ob die Schädelverletzungen, die offensichtlich mit (geschliffenen) Steinbeilen beigebracht wurden, nun tatsächlich mesolithisch oder schon neolithisch sind. Beide Fälle sind nicht zwingend auszuschließen, da in anderen Zusammenhängen mesolithische Steinbeile vorliegen.

Aber Gravettien/Magdalinien ??

Was Herxheim, Talheim etc. angeht. Ich denke, die Funde sind trotz der momentanen Diskussionen Einzelfälle. Vor allem erschließt sich der Grund, die Motivation nicht zwingend.
Es wird der LBK mittlerweile schon ein etwas martialischer Hintergrund zugesprochen, allerdings sind diese Fälle trotzdem im Vergleich zur Anzahl der Siedlungen oder Bestattungsplätzen selten.
Und sie können nicht für Aussagen zum weiteren Fortgang im Mittelneolithikum dienen.
Und m.E. erst gar nicht für valide Aussagen in einer Gender-Diskussion.

Nur meine zwei Trepanationslöcher...

Thomas
 
Es wird der LBK mittlerweile schon ein etwas martialischer Hintergrund zugesprochen, allerdings sind diese Fälle trotzdem im Vergleich zur Anzahl der Siedlungen oder Bestattungsplätzen selten.

Ich spreche hier weniger von der Linearbandkeramik, als vielmehr vom Mittel- und Jungpaläolithikum. Und da ist es unzweifelhaft, dass die Menschen angesichts extremer eiszeitlicher klimatischer und naturräumlicher Bedingungen vor gewaltigen Herausforderungen standen und existentiell gefordert waren. Nichts gestattet die Annahme, dass die Sippen bei der Beanspruchung günstiger Jagd- und Siedlungsplätze friedlich und sanft miteinander umgingen, sondern es lässt sich vielmehr vermuten, dass solche Ressourcen, die das Überleben inmitten einer feindlichen Umwelt sicherten, sowohl gewaltsam angegriffen als auch verbissen verteidugt wurden.

Ob das Aggressionspotential im europäischen Neolithikum geringer war, sei dahingestellt. Allerdings ist es eine gern bemühte Legende, sich die jungsteinzeitlichen Bauern nur als friedliebende Landwirte vorzustellen, denn ein solcher Wandel der menschlichen Psyche wäre kaum glaubhaft. Da spielt wohl eher das mittelalterliche Bild idyllischer Dörfer und geruhsam pflügender Bauern hinein, das ebenso falsch ist.
 
Nichts gestattet die Annahme, dass die Sippen bei der Beanspruchung günstiger Jagd- und Siedlungsplätze friedlich und sanft miteinander umgingen, sondern es lässt sich vielmehr vermuten, dass solche Ressourcen, die das Überleben inmitten einer feindlichen Umwelt sicherten, sowohl gewaltsam angegriffen als auch verbissen verteidugt wurden.
Dazu muss man nichts vermuten, es gibt überlieferte Belege (z.B. Eskimos) dafür, dass Menschen auch unter eiszeitlichen, äußert harten und wechselhaften Bedingungen ohne Kriege miteinander auskommen.

Die Ethnologie hat außerdem recht gut untersucht, wie sich verschiedene Gesellschaftsformen hinsichtlich kriegerischer Aktivitäten unterscheiden. Wildbeuter sind die einzigen, die mit Kriegen nichts am Hut haben. Bei Konflikten weichen sie einander aus.
Wenn wir schon vermuten müssen, dann müssen wir vermuten, dass die Zeit vor dem Neolithikum frei von systematischer Gewalt war. Streitigkeiten, Fehden, vereinzelte Morde - klar. Aber das macht noch keinen Krieg.

Oder wir finden Belege dafür, dass es schon weit vor dem Neolithikum Seßhaftigkeit gab. Für die entsprechenden Regionen/Epochen muss dann auch das Gewaltpotential angenommen werden, das für seßhafte Gesellschaftsformen typisch ist.
 
Wenn wir schon vermuten müssen, dann müssen wir vermuten, dass die Zeit vor dem Neolithikum frei von systematischer Gewalt war.

Solch ein friedliebendes altsteinzeitliches Paradies ist in das Reich der Fabel zu verweisen. Dass es keine großräumigen Kriege gab, versteht sich angesichts der altsteinzeitlichen Logistik und Waffentechnik von selbst. :D
 
Der Grund für bewaffnete Auseinandersetzungen dürfte aber im Neolithikum eher gegeben sein. Im Paläolithikum und im Mesolithikum, als die Menschen noch von der Jagd lebten, da lohnte sich die Zusammenarbeit zur Großwildjagd oder man ging sich aus dem Weg. Im Neolithikum, als man begann Getreide anzubauen und Vorräte anzulegen, da schuf man Konkurrenz. Die Thesaurierung schaffte Begehrlichkeiten. Insbesondere dann, wenn vielleicht die eigenen Nahrungsmittel knapp wurden.
 
Solch ein friedliebendes altsteinzeitliches Paradies ist in das Reich der Fabel zu verweisen. Dass es keine großräumigen Kriege gab, versteht sich angesichts der altsteinzeitlichen Logistik und Waffentechnik von selbst. :D

Hallo Dieter

du suggerierst, dass Menschen mit einen allgemeinen Aggressionspotential herumlaufen. Wir müssen erst mal verstehen, warum und wann wird der Mensch aggressiv, welche Bedingungen herrschen im Allgemeinen dafür vor, und nicht welche Möglichkeiten vorhanden sind um andere zu schaden.

Auch bei Schimpansen hat man festgestellt, dass ihr Aggressionspotential erst nach künstlichen Eingriffen in ihrem Lebensraum erheblich gestiegen ist. Und daraus resultierende Gewaltakte nicht auf wilde und unberührte Populationen so ohne weiteres zu übertragen sind.

Es bedarf also Gründe.
Gab es ausschließlich Mangel, oder manchmal gar Überfluss?
Welche Gründe sind bei Jägern und Sammlern gegeben, wenn man sich nicht gerade häufig über dem Weg läuft? Ist man Fremden gegenüber ständig feindlich gesinnt?
Hat nicht Kommunikation und Kooperation im Gegensatz zu gewaltigen Auseinandersetzungen das Leben eher erhalten oder die Lebensqualität gar verbessert?

Versteh mich nicht falsch, sobald Menschen miteinander im Beziehung stehen gibt es auch Auseinandersetzungen. Und das Hemd ist einem näher als die Hose. Aber wir brauchen den Menschen nicht ständig schlechter machen als er ist. Nicht umsonst besitzt der Mensch verschiedene natürliche Hemmschwellen. Gewaltbereitschaft bedeutet ständige Anspannung permanente Anstrengung.
Und was wir auch nicht vergessen sollten, auch bei Tieren sieht man das Revierkämpfe selten tödlich enden.

Gruß
Cassandra
 
Hallo Dieter

du suggerierst, dass Menschen mit einen allgemeinen Aggressionspotential herumlaufen. Wir müssen erst mal verstehen, warum und wann wird der Mensch aggressiv, welche Bedingungen herrschen im Allgemeinen dafür vor, und nicht welche Möglichkeiten vorhanden sind um andere zu schaden.

Viele Persönlichkeitspsychologen gehen sowohl von einer angeborenen Aggression als auch einem Altruismus aus. Die Ursachen für beides sieht man im Schutz und der Überlebensfähigkeit der Gruppe.
 
Ja, Freud und Lorenz sprachen beide in ihren jeweiligen Fachbereichen von angeborener Aggression. Nur ist das eine Verallgemeinerung, die nicht die einzelnen Lebewesen, Arten und ihre Charaktere betrachtet. Ja, es gibt Lebewesen, die bereits mit einem hohen Frustpotential und entsprechender Aggression auf die Welt kommen, wie jede Babykrankenschwester zu erzählen weiß, genauso wie' s die glücklichen gibt und solche, die sich kaum bewegen und scheinbar nur schlafen.
Dann muß man eindeutig zwischen den Geschlechtern unterscheiden, wobei jedes Geschlecht seine eigenen Aggressionsmodelle hat.
Doch auch im Tierreich ist zu beobachten, dass Neuankömmlinge in der Gruppe erst mit Neugier betrachtet werden. Mal werden sie in die Gruppe aufgenommen, mal nicht. Die Entscheidung trifft wohl stets der Anführer der Gruppe. Fühlt er sich bedrängt, befürchtet er seine Führungsposition zu verlieren, wird er aggressiv reagieren, wobei hier natürlich die räuberischen Arten ein höheres Gewaltpotential zeigen.
Futterneid kann wohl weniger zur Betrachtung herangezogen werden, denn er richtet sich in einigen Fällen gegen die eigene Gruppe. Auch hier kommt es, zumindest im Tierreich, zu kämpfen innerhalb der Gruppe. Stellt sich die Frage, ob der Mensch bereits so sehr sozialisiert war, sich im Notfall nicht mit den Mitgliedern der eigenen Gruppe auseinanderzusetzen? Ich kann es kaum glauben. In großen Hungerszeiten kam es auch nicht vielleicht zu Kannibalismus? :grübel:
 
Viele Persönlichkeitspsychologen gehen sowohl von einer angeborenen Aggression als auch einem Altruismus aus. Die Ursachen für beides sieht man im Schutz und der Überlebensfähigkeit der Gruppe.

Das heißt aber nicht, dass Aggression bei den Menschen ein vorherrschendes Gemüt ist. Normalerweise ist es so, dass du einem fremden Menschen nicht unbedingt den Schädel anschlagen willst.
Die meisten Menschen prüfen erst, ob man nicht doch noch etwas vom Gegenüber profitieren könnte, bevor sie zuschlagen. :pfeif:
 
Auch bei Schimpansen hat man festgestellt, dass ihr Aggressionspotential erst nach künstlichen Eingriffen in ihrem Lebensraum erheblich gestiegen ist. Und daraus resultierende Gewaltakte nicht auf wilde und unberührte Populationen so ohne weiteres zu übertragen sind.

Welche Beobachtungen liegen dem zu Grunde? Wenn ich auf Berichte über Gewalt unter Schimpansenhorden rezipiert habe wurde nie auf solche Faktoren hingewiesen.
 
Es ist halt so eine Sache mit den „Grundannahmen“, die, scheinbar eindeutig klar, immer wieder dienen Lücken in der Nachrichtenlage aus der Vorgeschichte zu füllen. Vor allem dann, wenn diese Lücken aufgrund der schlechten Überlieferungsbedingungen zustande kommen.
Religion, Umgang der Geschlechter, Sozialstrukturen.....

Aber zumindest ein paar harte Fakten, sprich Funde oder Befunde sollten schon Grundlage für Spekulationen mit „Grundannahmen“ sein. Manchmal helfen solche schon, um zumindest verschiedene Erklärungsmodelle für diese oder jene Fakten zu generieren.

Aber kriegerische Auseinandersetzungen von Mittelpaläolithischen Neanderthalern oder gar Endpaläolithische Jetztmenschen ? Gar Krieg der Jetztmenschen gegen Neanderthaler ?
Einfach nur aufgrund der Annahme, weil wir schon immer ...?

Ich weiß nicht. Irgendein Skelett mit entsprechenden Verletzungen, irgendeine Darstellung, irgend etwas sollte m.E. schon vorliegen.
Wenn die Höhlenmalerei als Abbild der Tätigkeit der Jagd, der „Aggression“, des Schutzes interpretiert wird, sollte man/frau erwarten, dass zumindest irgendwann in der wohl mindestens 15.000 jährigen Geschichte der Höhlenmalerei auch mal eine aggressive Mensch/Mensch Situation dargestellt werden würde und nicht nur Mensch/Mensch Situationen bei denen es offensichtlich um den erotisch/sexuellen/Fortpflanzungsbereich geht...
Wenn nicht in Europa, dann vielleicht auf dem Weg hierher. Immerhin waren wir ja schon 100.000 Jahre alt, bis wir Europa erreichten....
Erhaltungsbedingungen ? Hmmm, die ersten „Mord“opfer sind, wohl mesolithisch, aus einer Höhle. Irgendein eingeschlagener Kopf hätte wohl auch länger in einer (kalkigen) Höhlensphäre überdauert.

Es geht m.E. ja nicht unbedingt darum, aus den Jungpaläolithikern grün angehauchte Friedensengel zu machen. Waren sie sicher nicht.
Aber die These der organisierten Gewalt erfordert m.E. zumindest ein paar konkrete Hinweise...
Haben wir aber alles nicht.
Keine Leiche, keine Spuren, keine Berichte. Nur den Gärtner....J

Thomas

PS. Zitat Dieter:
Solch ein friedliebendes altsteinzeitliches Paradies ist in das Reich der Fabel zu verweisen. Dass es keine großräumigen Kriege gab, versteht sich angesichts der altsteinzeitlichen Logistik und Waffentechnik von selbst.

Ich denke, man/frau sollte die damalige "Logistik und Waffentechnik" nicht unterschätzen. Immerhin wurde die gesamte Welt erobert, unter klimatischen Bedingungen, die uns heute vor echte Probleme stellen würde. Außerdem ist eine Rentier/Pferde/Mammutjagd taktisch und Waffentechnisch kein Firlefanz...
 
Zuletzt bearbeitet:
Viele Persönlichkeitspsychologen gehen sowohl von einer angeborenen Aggression als auch einem Altruismus aus. Die Ursachen für beides sieht man im Schutz und der Überlebensfähigkeit der Gruppe.
Genau, die genetische Komponente variiert dabei, wobei das Geschlecht dabei erstmal keine Rolle spielt, die wirklich entscheidende Komponente, wie sich das angeborene Aggressionspotential dann aber äußert, ist die Sozialisation. Das wird auch als einer der Hauptgründe gesehen, warum Frauen (noch) weniger durch aggressives Verhalten auffällig werden als Männer, weil Frauen in Bezug auf die Sozialisation der Geschlechterrollen zu einem weniger aggressiven verhalten erzogen werden. Allerdings zeigen die Kriminalstatistiken der vergangenen Jahre auch eine Negativseite, der Emanzipation der Frau - aggressives Verhalten bei Frauen nimmt stetig zu.

Ja, Freud und Lorenz sprachen beide in ihren jeweiligen Fachbereichen von angeborener Aggression.
Etwas Grundsätzliches vorneweg: sowohl Freud als auch Lorenz sind in wissenschaftlicher Hinsicht heute kaum noch zitierbar, da sich der Großteil ihrer Theorien und Konstrukte bereits mehrfach überholt hat. Im Zusammenhang mit der Aggressionsforschung postulierte Freud die Theorie des "angeborenen Todestriebs", mit dem er Aggression begründet. Vom heutigen Stand der Forschung und v. a. in Anbetracht der Erkenntnisse der Genetik ist das absoltuer Quatsch. Zunächst ist Aggression kein trieb (so wie bspw. Sexualität), sondern Verhalten (eigentlich klar) und zudem äußert sich Aggression bei geistig gesunden Menschen ausschließlich zur Sicherung des Überlebens und nicht aufgrund eines Todeswunsches. Lorenz bezeichnet Aggression hingegen als Instinkt (was mittlerweile auch widerlegt ist). Zudem kam Lorenz durch die Beobachtung von in Gefangenschaft lebenden Wildtieren, deren verhalten er auf den Menschen übertrug zu seinen Erkenntnissen. Zur Ehrenrettung von Lorenz muss man allerdings auch sagen, dass es sich bei der Veröffentlichung seiner Beobachtung um keine wissenschaftliche Arbeit handelt und er dies in zugehöriger Veröffentlichung auch mehrfach betont. Dementsprechend wenig ernst wurde diese Theorie auch in der wissenschaftlichen Diskussion genommen (und gilt heute ohnehin als widerlegt). Allerdings fand Lorenz Veröffentlichung populärliterarisch einigen Anklang, so dass diese "Theorien" auch heute noch bei Nichtpsychologen als Strategien zum Umgang mit Aggressionen kursieren und in diesem Zusammenhang auch durch einschlägige Illustrierte geistern. (Anm.: knapp die Lorenzsche Theorie: der Aggressionsinstinkt kann in der heutigen Gesellschaft nicht mehr ausgelebt werden, weswegen sich Aggressionen immer mehr aufstauen bis schließlich die ultimative Bombe platzt. Zur Kompensation der aufgestauten Aggressionen empfiehlt Lorenz bspw. Sport oder andere körperliche Verausgabung, um so zu vermeiden, dass Max Mustermann irgendwann zum Amokläufer wird)


Nur ist das eine Verallgemeinerung, die nicht die einzelnen Lebewesen, Arten und ihre Charaktere betrachtet. Ja, es gibt Lebewesen, die bereits mit einem hohen Frustpotential und entsprechender Aggression auf die Welt kommen, wie jede Babykrankenschwester zu erzählen weiß, genauso wie' s die glücklichen gibt und solche, die sich kaum bewegen und scheinbar nur schlafen.
Frustration und Aggression sind zwei unterschiedliche Verhaltensweisen, die nicht zwingend zusammenhängen müssen. Und ob ein (neugeborener) Säugling eher lebhaft oder eher ruhig ist hat tausende medizinische und psychologische Gründe, eine gewisse angeborene Aggressionsbereitschaft spielt da eher eine untergeordnete Rolle. Aggression ist eine Verhaltensweise die bei geistig gesunden Menschen immer die soziale Interaktion bedarf. Nachdem Säuglinge aber die Eigenschaft haben, dass sie nur in sehr eingeschränktem Maße sozial interagieren können, ist Aggressionsverhalten hier nicht der Schlüssel zur Erklärung des Verhaltens.

Dann muß man eindeutig zwischen den Geschlechtern unterscheiden, wobei jedes Geschlecht seine eigenen Aggressionsmodelle hat.
Nein, das geschlechterspezifische Aggressionsverhalten ist sozialisiert, die Basics sind bei Männlein und Weiblein erstmal gleich.

Doch auch im Tierreich ist zu beobachten, dass Neuankömmlinge in der Gruppe erst mit Neugier betrachtet werden. Mal werden sie in die Gruppe aufgenommen, mal nicht. Die Entscheidung trifft wohl stets der Anführer der Gruppe. Fühlt er sich bedrängt, befürchtet er seine Führungsposition zu verlieren, wird er aggressiv reagieren, wobei hier natürlich die räuberischen Arten ein höheres Gewaltpotential zeigen.
Futterneid kann wohl weniger zur Betrachtung herangezogen werden, denn er richtet sich in einigen Fällen gegen die eigene Gruppe. Auch hier kommt es, zumindest im Tierreich, zu kämpfen innerhalb der Gruppe. Stellt sich die Frage, ob der Mensch bereits so sehr sozialisiert war, sich im Notfall nicht mit den Mitgliedern der eigenen Gruppe auseinanderzusetzen? Ich kann es kaum glauben. In großen Hungerszeiten kam es auch nicht vielleicht zu Kannibalismus? :grübel:
Bei der Beobachtung von Tieren und dem Schlüsse ziehen auf Menschen ist äußerste Vorsicht geboten! Es gab zwar in der Geschichte der Psychologie Versuchsreihen, bei denen Tiere mit einbezogen waren, man kann diese Versuchreihen aber niemals nur auf Tiere beschränken, das wäre zu einfach gedacht.

Soviel mal als kleiner Ausflug in die Grundlagen der Persönlichkeitspsychologie, weiter im Thema :D
 
Zuletzt bearbeitet:
dass die Zeit vor dem Neolithikum frei von systematischer Gewalt war.
Nun ja,daß keine größeren Kriege stattfanden mag schlicht an der geringen Bevölkerungsdichte gelegen haben
Für ebenso gewagt halte ich die These,Wildbeuter seien die einzigen, die mit Kriegen nichts am Hut gehabt hätten und bei Konflikten einander ausgewichen seien.
Auch hier spielt wohl eher die geringe Größe der Gruppen und die Nichtsesshaftigkeit eine Rolle, die dazu führte,daß es kaum Spuren größerer kriegerischer Aktivitäten gibt.

Beispiele kriegerischer Aktivitäten von Wildbeutergesellschaften sind aber m.W. sehr wohl z.B. von den Plainsindianern oder von Naturvölkern überliefert.
 
Nun ja,daß keine größeren Kriege stattfanden mag schlicht an der geringen Bevölkerungsdichte gelegen haben
Für ebenso gewagt halte ich die These,Wildbeuter seien die einzigen, die mit Kriegen nichts am Hut gehabt hätten und bei Konflikten einander ausgewichen seien.
Auch hier spielt wohl eher die geringe Größe der Gruppen und die Nichtsesshaftigkeit eine Rolle, die dazu führte, daß es kaum Spuren größerer kriegerischer Aktivitäten gibt.

Beispiele kriegerischer Aktivitäten von Wildbeutergesellschaften sind aber m.W. sehr wohl z.B. von den Plainsindianern oder von Naturvölkern überliefert.

Im Gegenteil, es gibt sogar Spuren davon, dass kleinere Wildbeutergruppen sich zusammenschlossen. Ob das religiöse Gründe hatte, oder zur Großwildjagd, als Heiratsmarkt oder was auch immer. An der mangelnden Bevölkerungsdichte allein lag es jedenfalls nicht. Wie oben schon gesagt: Erst Thesaurierung - und die gibt es eben erst seit dem Neolithikum - weckt Begehrlichkeiten. Erst hier ist Mord ein Mittel zu überleben. Vorher musste man eher auf Kooperation setzen oder zumindest darauf, Energien nicht für solchen Unsinn wie Kriege zu verschwenden.
 
Im Neolithikum, als man begann Getreide anzubauen und Vorräte anzulegen, da schuf man Konkurrenz.
Nahrungsmittelressourcen sind immer begrenzt. Es kann höchstens sein, dass eine Jägerpopulation so klein ist, dass sie das nicht merkt, aber in aller Regel würde sie dann so lange wachsen, bis sie es irgendwann einmal merkt. Die Annahme, dass eine Population durch zufällige natürliche Prozesse langfristig eine Reproduktionsrate von genau 2,00000000000000 Kinder pro Frau hinkriegt, ist illusorisch.

Es geht also immer um die Konkurrenz um den Zugriff auf die Nahrungsressourcen. Wenn man Vorräte hat, könnte man sogar eher den Konflikt entschärfen, denn dann muss man nicht "von der Hand im Mund" leben, kann/Könnte sich also eher ein Entgegenkommen leisten, ohne direkt zu verhungern.

Die Vorstellung, dass Steinzeitmenschen oder heutige "Naturvölker" konfliktfrei lebten, ist neuromantische Verklärung. Gerade diese leben im ständigen Konflikt miteinander. Er kann nur abgemildert werden, indem die Stämme untereinander sehr aufwändige Verhaltenweisen aufbauen, die dem entgegenwirken.

Der Krieg ist der "Naturzustand" und der Frieden eine Kulturleistung.
 
Nahrungsmittelressourcen sind immer begrenzt. Es kann höchstens sein, dass eine Jägerpopulation so klein ist, dass sie das nicht merkt, aber in aller Regel würde sie dann so lange wachsen, bis sie es irgendwann einmal merkt. Die Annahme, dass eine Population durch zufällige natürliche Prozesse langfristig eine Reproduktionsrate von genau 2,00000000000000 Kinder pro Frau hinkriegt, ist illusorisch.

Es geht also immer um die Konkurrenz um den Zugriff auf die Nahrungsressourcen. Wenn man Vorräte hat, könnte man sogar eher den Konflikt entschärfen, denn dann muss man nicht "von der Hand im Mund" leben, kann/Könnte sich also eher ein Entgegenkommen leisten, ohne direkt zu verhungern.

Die Vorstellung, dass Steinzeitmenschen oder heutige "Naturvölker" konfliktfrei lebten, ist neuromantische Verklärung. Gerade diese leben im ständigen Konflikt miteinander. Er kann nur abgemildert werden, indem die Stämme untereinander sehr aufwändige Verhaltensweisen aufbauen, die dem entgegenwirken.

Der Krieg ist der "Naturzustand" und der Frieden eine Kulturleistung.

Ich kenne ja inzwischen dein pessimistisches Menschenbild. Archäologisch sind aber Beweise für ernsthafte kriegerische Auseinandersetzungen erst im Neolithikum fassbar. Im Mesolithikum haben wir dafür archäologische Beweise für temporäre Großgruppenbildung, z.B. Jagdlager für mehrere hundert Individuen. Den Begriff Naturvölker lehne ich im Übrigen ab, da der Mensch immer gewissermaßen Terrafroming betrieben hat und nie "im Einklang mit der Natur" gelebt hat, wie der Begriff impliziert.

Als Biologe weißt du natürlich, dass bis ins 19. Jahrhundert die Kindersterblichkeit recht hoch war. Im Mesolithikum wohl eher wegen Hunger und schweren Verletzungen, in späteren Zeiten eher wegen Krankheiten. Es ist auch nicht "romantisch" festzustellen, dass in Jäger- und Sammlergesellschaften Mord kontraproduktiv war, wohingegen in landbauenden Gesellschaften, gerade in schlechten Jahren, z.B. bei Missernten, wenn die Nahrungsmittelvorräte ausgingen, Mord das Mittel war, das eigene Dorf über die kritische Phase zu bringen.
 
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