Lebensbedingungen im Bergbau

Gerüchte, Hoffnungen oder weil die Lebensbedingungen anderweitig schlechter waren, mangels Grundlage, Bevölkerungsanstieg oder nach Hungernöten?


elevatormuseum - Paternoster 2


Habe ich mal nachgeschaut.
Die Mobilität der Bevölkerung im Kaiserreich war ja immens.
Die Wege, die den Zygmund Kowalski von Posen nach Gelsenkirchen führten, waren in der Regel überaus verschlungen. Es gab wohl auch direkte Anwerbung, das war aber die absolute Ausnahme. Es hat sich ziemlich sicher in etlichen Berufen betätigt, und kannte das deutsche Reich geografisch vermutlich besser als seine heutigen Nachkommen.

Auch wenn er dann in Gelsenkirchen war, Stichwort Zechenspringen, Arbeitsplatzwechsel war alltäglich. Was den Zechenbesitzern gar nicht passte, die mit allen möglichen Vergünstigungen dies verhindern wollten.

Insgesamt müssen die Lebensbedingungen der Bergarbeiter weit besser gewesen sein, wie beim "Rest" der Bevölkerung, 26% der Bergarbeiter zwischen 20-30 Jahren waren verheiratet, von den anderen weniger als die Hälfte.

zu den 30 Jahren oben:
Mit Ende der Berufsfähigkeit unter Tage (zB Ende 30) wurden die Leute häufig über Tage am Ort oder im Betrieb weiter beschäftigt, soweit das möglich war. Damit kam man für diese Gruben im Harzer Bereich auf 20 Jahre Beschäftigung, die man durchschnittlich "durchhalten" konnte. Noch etwas zum Arbeitstag aus der Erinnerung: vor Erfindung der "Fahrkunst", also vor 1840, dauerte übrigens der Einstieg ins Bergwerk 1 Stunde, der Arbeitstag 8 Stunden, der Aufstieg der erschöpften Bergmänner 2 Stunden. Ein- und Ausfahrt waren nicht Bestandteil der bezahlten Arbeitszeiten.

Das war aber später nicht mehr der Fall, denn in der Gründerkrise versuchten die Zechen dies wieder einzuführen, was letztendlich im großen Streik 1889 endgültig aufgegeben wurde.
 
Das war aber später nicht mehr der Fall, denn in der Gründerkrise versuchten die Zechen dies wieder einzuführen, was letztendlich im großen Streik 1889 endgültig aufgegeben wurde.

Die Arbeitszeit im Bergbau war traditionell auch geringer als in anderen Branchen im selben Zeitraum.

Wöchentlich kam man 1885 gerade wegen der erschwerten Bedingungen im Steinkohlenbergbau auf ca. 52 Stunden, dagegen in Metall, Bau und Chemie auf 60 - 65 Stunden (nach der Studie von Meinert, Angaben bei Hoffmann).

Hast Du zum "Zechenspringen" weiter gehende Erläuterungen, insbesondere zur Häufigkeit bzw. regionalen Verbreitung?
 
Zu diesem Thema gibt es eine sehr intetesante Bergarbeiter-Saga die "Rote Erde" heist.
Die Saga verbindet auf einmalige Weise die politischen Entwicklungen der Jahre 1887-1955 mit Geschichten aus dem harten Alltag der Bergleute, die nicht nur mit privaten Problemen und schlechten Arbeitsbedingungen, sondern auch mit der ständigen Gefahr für Leib und Leben kämpfen mussten.
Aus der Sicht der "kleinen" Leute erlebt mann die Anfangszeit der Gewerkschaften und der SPD, Jahrhundertwende, 1.Weltkieg, Besetzung der Zeche durch die Franzosen, Aufstieg der Nationalsozialisten, 2.Weltkrieg, und Schließung der Zeche.
 
Die Arbeitszeit im Bergbau war traditionell auch geringer als in anderen Branchen im selben Zeitraum.


Seit 1860 war in Preußen (außer O-Schlesien) die 8 Stundenschicht im Bergbau von Staats wegen vorgeschrieben.

Wöchentlich kam man 1885 gerade wegen der erschwerten Bedingungen im Steinkohlenbergbau auf ca. 52 Stunden, dagegen in Metall, Bau und Chemie auf 60 - 65 Stunden (nach der Studie von Meinert, Angaben bei Hoffmann).

trifft zu.

Hast Du zum "Zechenspringen" weiter gehende Erläuterungen, insbesondere zur Häufigkeit bzw. regionalen Verbreitung?

Ich schau nach.

Meine Quelle: Ritter/Tenfelde "Der Arbeiter im dt. Kaiserreich"
 
Zu diesem Thema gibt es eine sehr intetesante Bergarbeiter-Saga die "Rote Erde" heist.
Die Serie kenne ich und für mich war wirklich mal die erste realistische Sicht in das Leben einer Bergarbeiterfamilie.Hab beim WDR mal angefragt ob die Serie mal wiederholt wird doch als Antwort bekam ich das dies in nächster Zeit nicht geplant sei.
Aber mittlerweile sollen alle Folgen auf DVD zu haben sein und ich überlege mir sie zu kaufen.
 
Ich schau nach.

Meine Quelle: Ritter/Tenfelde "Der Arbeiter im dt. Kaiserreich"


Das Zechenlaufen war unter den überaus mobilen Neuankömmlingen in den Bergbaugebieten eine übliche Verhaltensweise. Konsequent wurde der Arbeitsplatz nach den höchsten Löhnen und besten Arbeitsbedingungen ausgesucht. Und sofort gewechselt, wenn sich etwas besseres ergab.
Leider habe ich in diesem überaus "tabellengesättigten" Werk noch keine zu diesem Thema gefunden.
Im Text ist erwähnt, dass bis zu 100% einer Belegschaft im Jahr wechselte.

Vermutlich gibt es kein belastbares Zahlenmaterial, so dass das "Phänomen" mehr im Umkehrschluss festgemacht wird. Abkommen der Zechen untereinander keine Leute abzuwerben, keine einzustellen, die anderswo einen Arbeitskontrakt gebrochen hatten usw.. Abkommen, die Anfang des 20. Jahrhunderts untersagt wurden, aber anscheinend im "stillen Einvernehmen" noch eine ganze Zeit weiter beachtet wurden.

Noch in den 1950ern hätten beispielsweise in Essen 20% der Bevölkerung jährlich Wohnung und Arbeitsplatz gewechselt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank für die Zusammenfassung!


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P.S. bei suchen in meiner Tabelle ist mir noch folgender Titel aufgefallen:
Tenfelde, Klaus: Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert, 1977, Schriftenreihe Friedrich-Ebert-Stiftung 125. Vielleicht finde ich das Buch noch (vermutlich die Dissertation)
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank für die Zusammenfassung!


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P.S. bei suchen in meiner Tabelle ist mir noch folgender Titel aufgefallen:
Tenfelde, Klaus: Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert, 1977, Schriftenreihe Friedrich-Ebert-Stiftung 125. Vielleicht finde ich das Buch noch (vermutlich die Dissertation)

Darauf wird, unter vielen anderen, des öfteren Bezug genommen.

In gut einem Drittel des Buches nehmen die Fussnoten, bei deutlich geringerer Druckgrösse, mehr Platz ein, wie der reguläre Text. Der Stichwort-Index wiederum, ist eher rudimentär.
Beides zusammen macht dem fehlsichtigen (Brillenwechsel!) interessierten Laien den Umgang mit diesem Buch nicht leicht.
 
Vielen Dank für die Zusammenfassung!


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P.S. bei suchen in meiner Tabelle ist mir noch folgender Titel aufgefallen:
Tenfelde, Klaus: Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19. Jahrhundert, 1977, Schriftenreihe Friedrich-Ebert-Stiftung 125. Vielleicht finde ich das Buch noch (vermutlich die Dissertation)

Da haben wir mal einen Begriff gefunden, den google nicht so wirklich kennt und stattdessen "zecken springen" vorschlägt.:devil:


Das kommt aber daher, weil der "liebe Repo" schriftdeutsch schreibt, aber natürlich schwäbisch denkt.

Und schwäbisch springen = schriftdeutsch laufen
schwäbisch laufen = schriftdeutsch gehen.
Womit das Wort für den Schwaben eine ganz andere Bedeutung hat.

Ich habe "zechenlaufen" für mich ins schwäbische übersetzt, also "zechenspringen" und vergessen es zurück ins schriftdeutsche zu übersetzen.

:cry:
 
Wie würdet ihr das Referat nun gliedern ? Welche Texte und Infos soll ich auf jeden Fall hineinbringen, wo finde ich die nützlichen Informationen zum Thema und welche wichtigen Bilder und Statistiken soll ich zeigen ?

dreikopf

Für eine Gliederung hast du mehrere Möglichkeiten:

historisch:
Das Schwarze Gold im deutschen Bergbau und seine Auswirkungen

- Frühphase der vorindustriellen Gewinnung
- Hochphase während der Industrialisierung
- Auslaufphase in unserer Dienstleistungsgesellschaft

dabei:

- räumliche Verteilung der Bergbaus
- die Bedeutung als primärer Wirtschaftssektor
- Entwicklung besonderer Bergbausiedlungen
- Zuwanderung der Polen ins Ruhrgebiet (Veränderung der Sozialstruktur)
- Entstehung einer Bergarbeitertradition
- Wandel der Bergbauregionen in eine Dienstleistungslandschaft

aktuell:
Der Bergbau in der Bundesrepublik und in der DDR

Das Schwarze Gold im Untertagebau
Das Braune Gold im Übertagebau

räumliche Verteilung der Bergbaus
- die Bedeutung als primärer Wirtschaftssektor
- wirtschaftliche und soziale Unterschiede/Gemeinsamkeiten
- Entwicklung besonderer Bergbausiedlungen
- Privilegien der Bergarbeiter in Ost und West
- ökologische und soziale Folgen des Rückbaus und der Auflassung (Arbeitslosigkeit,Umschulung, Landschaftsumgestaltung, Abriß von Wohnsiedlungen)
 
In Deutschland gab es auch Eisenerzbergbau - zum Beispiel im Siegerland. Dort wurde das letzte Eisenerzbergwerk 1937 geschlossen.
Reinhold Forster Erbstollen ? Wikipedia


Um mal wieder penetrant regional zu werden:


auf der Schwäbischen Alb war bis Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Eisenbahn das Erz aus Lothringen billiger transportierte, das Bohnerz ein vielerorts abgebauter Bodenschatz. Auch im Untertagebau!
 
Soweit ich das in Erinnerung habe, ist eine Weile her: Die Studie betrifft den Bergbau in St. Andreasberg, der Vergleich die übrige Bevölkerung (soweit nicht als Bergleute tätig, also Müller, Metzger, Wirte, Bauern, Pfarrer, Hausfrauen, etc.).


Gerüchte, Hoffnungen oder weil die Lebensbedingungen anderweitig schlechter waren, mangels Grundlage, Bevölkerungsanstieg oder nach Hungernöten?

zu den 30 Jahren oben:
Mit Ende der Berufsfähigkeit unter Tage (zB Ende 30) wurden die Leute häufig über Tage am Ort oder im Betrieb weiter beschäftigt, soweit das möglich war. Damit kam man für diese Gruben im Harzer Bereich auf 20 Jahre Beschäftigung, die man durchschnittlich "durchhalten" konnte. Noch etwas zum Arbeitstag aus der Erinnerung: vor Erfindung der "Fahrkunst", also vor 1840, dauerte übrigens der Einstieg ins Bergwerk 1 Stunde, der Arbeitstag 8 Stunden, der Aufstieg der erschöpften Bergmänner 2 Stunden. Ein- und Ausfahrt waren nicht Bestandteil der bezahlten Arbeitszeiten.
elevatormuseum - Paternoster 2



Ich habe den Ritter/Tenfelde jetzt auf diesen Gesichtspunkt hin durchgesehen. Die um 15 Jahre kürzere Lebenserwartung im Vergleich zu den Arbeitern anderer Branchen bestätigt sich (für die Zeit 1871-1914) daraus nicht.
Es ist die Rede von körperlich sehr schwerer, gering bezahlter Landarbeit, daraus folgend "abstoßende Faktoren" der Landarbeit, ähnliches in deutlich geringerem Ausmaß galt für Hoch- und Tiefbau,
und andererseits ganz erhebliche "anziehende Faktoren" der Bergarbeit.
(Die Zechen haben generell höchstens 40jährige eingestellt.)

Für 1871-1914 ist die Bergarbeit demnach deutlich attraktiver als alles andere für den Arbeiter! gewesen.
 
Anbei eine unvollständige Liste von Besucherbergwerken:
Schaubergwerk ? Wikipedia

Sowie ein weiteres Besucherbergwerk in der Eifel, die Grube Wohlfahrt: Besucherbergwerk Grube Wohlfahrt

Er werden wohl noch einige aus dem Deutschsprachigen Raum fehlen.
Es gibt auch ein Besucherbergwerk in Luxemburg, mit einem Grubenbahnmuseum. Da gab es mal eine Dokumentation beim SWR drüber.

Apvar


Danke für die Liste.

Und nochmal penetrant regional:

denn die fehlen alle.
In der Bibel steht, man soll sein Licht nicht unter den Scheffel stellen:friends:
 
Stimmt. Deswegen der link zu einem weiteren:

Besucherbergwerk Finstergrund


Aber es gibt natürlich auch noch Bergwerke die in vollem Betrieb sind


und auch hier das Bibel-Zitat.


Aber zurück zum Thema.
Als ich die Liste der Besucherbergwerke sah, ist es mir klar geworden.

Meine These:
Die "schlimmen Lebens- und Arbeitsbedingungen" der Bergleute sind ein Mythos.
Gepflegt und weitergegeben in der Museumskultur der vielen Schaubergwerke.
Wenn ein gewisser Schauder bei der Führung erzielt wird, ist das anschließende Trinkgeld opulenter.
 
Das Problem der ungenügenden Beleuchtung, der hohen Drücke auf den Stempeln, welche zum Abstützen benötigt werden, und der Schlagwetter hast du heute noch, auch bei uns in den Bergwerken. Wenn ein Arbeitsunfall passiert dauert es für den/die Betroffenen ewig bis Hilfe vor Ort ist. Schlagwetter sind natürlich vor allem bei Kohle bekannt. Stäube gibt es bei jedem Bergbau. Unter tage konnte früher nur mit Holz abgestützt werden, wie das Holz sich entwickelte konnte man bei der "Beleuchtung" schlecht beurteilen. Zum anderen gab es keine Funktionierenden Warneinrichtungen, welche die Methankonzentration messen konnte. Methan kann man nicht riechen, sehen oder schmecken. Damit ist die Gefahr von Schlagwettern permanent.

Apvar
 
Das Problem der ungenügenden Beleuchtung, der hohen Drücke auf den Stempeln, welche zum Abstützen benötigt werden, und der Schlagwetter hast du heute noch, auch bei uns in den Bergwerken. Wenn ein Arbeitsunfall passiert dauert es für den/die Betroffenen ewig bis Hilfe vor Ort ist. Schlagwetter sind natürlich vor allem bei Kohle bekannt. Stäube gibt es bei jedem Bergbau. Unter tage konnte früher nur mit Holz abgestützt werden, wie das Holz sich entwickelte konnte man bei der "Beleuchtung" schlecht beurteilen. Zum anderen gab es keine Funktionierenden Warneinrichtungen, welche die Methankonzentration messen konnte. Methan kann man nicht riechen, sehen oder schmecken. Damit ist die Gefahr von Schlagwettern permanent.

Apvar


Das will ich alles natürlich nicht in Abrede stellen. Keineswegs.
Allerdings scheint mir, dass im Vergleich, bleiben wir doch jetzt mal in den Zeiten des Kaiserreiches 1871-1914, in anderen Berufssparten dies keineswegs besser war, im Gegenteil

Tenfelde/Ritter nennen als Wanderweg des polnischen Bergmanns an der Ruhr, vom Landarbeiter in der Provinz Posen, über den Bauarbeiter in Berlin, dann vielleicht noch als Erdarbeiter im Kanalbau, bis er schließlich in der Zeche landete.
Mit anderen Worten, Bauarbeiter war insgesamt deutlich attraktiver als Landarbeiter, und am attraktivsten war in der Summe der Faktoren die Bergarbeit.
 
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