Lebensbedingungen im Bergbau

P.S.: Wenn irgend möglich würde ich versuchen, den Vortrag durch Bilder, Dias o.ä. zu unterstreichen. Gerade die doch recht extremen Arbeitsbedigungen im Bergbau (egal zu welcher Zeit jetzt konkret) lassen sich so mE besser vermitteln, und sei es nur eine begrenzte Deckenhöhe bzw allgemeine Enge.

Ja, eine Visualisierung hilft dem straffen Zeitplan sehr. Ich sehe, wie andere auch, das Problen der thematischen Eingrenzung. Für das Referat in der Kl. 9 würde ich den nicht so bekannten Mansfelder Kupferschieferabbau wählen.
Die Datenlage ist sehr gut und reicht für fünf Referate:

__| Historischer Bergbau im Mansfelder Land|___________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Kupferschi

Die Bilder sind schon sehr beeindruckend

Ausschnittsweise kann man auch Filsequenzen zeigen:

http://www.iwf.de/iwf/do/mkat/creat...79765AA3100C8B8531D030103002CF44C86AA02000000

Die Wahl hat auch einen aktuellen Gegenwartsbezug:
Aufgrund der hohen Kupferpreise am Weltmarkt soll die Kupfergewinnung, nebst Begleitelementen, im Raum Spremberg neu begonnen werden.

______________

Für die Jahrgangsstufe 11 würde ich den aufgelassenen Uranabbau der Wismut wählen. Hier sind die gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Folgen für die Beroffenen in der Region besonders dramatisch.

Die bestbezahlte Berufsgruppe waren die Hauer, die 1989 2.111 Mark brutto im Monat verdienten. (Anm.: Ein Generaldirekor hatte 1.650 Mark brutto). Hinzu kamen anfänglich Sach- und später Geldprämien für Normübererfüllung, langjährige Betriebszugehörigkeit und ähnliches.[5] In Fragen der Versorgung hatten die Angestellten der Wismut eine privilegierte Stellung inne. So gab es teilweise Geschäfte nur für sie, genannt HO-Wismut oder Wismut-HO (HO für Handelsorganisation), in denen Produkte zu kaufen waren, die im normalen Handel kaum oder gar nicht erhältlich waren. Wismut-Kumpel bekamen bis in die 1970er Jahre besondere Marken, die zum billigeren Einkauf berechtigten. Besonders begehrt und legendär war der akzisefreie Trinkbranntwein, der sogenannte „Kumpeltod“ oder „Wismut-Fusel“, mit 32 % Alkohol in der 0,7-Liter-Flasche und nur auf Bezugsschein für 1,12 M bis 1990 erhältlich. Obwohl alle Bergarbeiter in der DDR Anspruch auf den „Kumpeltod“ hatten, wird dieses Getränk besonders stark mit der Wismut assoziiert. Die Grundzuteilung für Bergleute der Wismut betrug 2 l im Monat, mit Zusatzzuteilung konnten es bis zu 4 l pro Monat sein. Die Bezugsscheine waren bei der Bevölkerung sehr begehrt und wurden gehandelt, obwohl dies verboten war. (wiki)

Zu den Spätfolgen siehe hier:

Wismut (Unternehmen) ? Wikipedia

Für die Kumpel gab es spezielle Bergarbeiterkrankenhäuser in mehreren Städten und Sanatorien, wie in Bad Elster, Warmbad, Bad Liebenstein, Schlema und auch Bad Sulza.
 
Lili: schrieb:
Nur ansatzweise. Es stimmt zwar, dass Eisenbahn und Binnenschifffahrt grundsätzlich komplementär sind, weil insbesondere die Verschiffung von Schütt- und Massengütern wesentlich billíger ist, als es ein Transport mit der Eisenbahn wäre. Es gibt aber auch unrentable Wasserstraßen, wie bspw. die Ruhr, deren Ende mit dem Bau der Ruhrtalbahn gekommen war. Die Steinkohle-Tonnage auf der Ruhr:

Ist OT, aber danke für die interessanten Hinweise zur Relation Eisenbahn/Binnenschifffahrt.

Bzgl. Kohlentransporte ist aber neben den grundsätzlich gegebenen Wettbewerbssituationen auch auf die supplementäre Bedeutung bei den Verschiffungen aus Oberschlesien hinzuweisen. Die für die Ostsee bestimmten Transportmengen liefen hier auch über den Wasserweg Oder, der wiederum auf die Zuführung durch die Eisenbahn bis zu den Verschiffungshäfen angewiesen war und "ansonsten" keine Bedeutung hätte entfalten können. Das ist also der seltene Ausnahmefall der Ergänzung beider Transportstrecken mit dem Mix der Transportpreise.

@Apvar: guter Hinweis, die Berufskrankheiten sind in der Statistik nicht erfaßt, nur die Unfälle mit direkten Folgen. Die Frage wäre, wie das zeitgenössisch zugeordnet wurde (vermutlich fand das kaum Beachtung, aber gibt es dazu Literatur?). Bei Beachtung der Folgeschäden könnte man vermutlich ganz andere Verhältnisse betrachten, wenn ich zB an die Chemieindustrie etc. mit der Verwendung von Gefahrenstoffen denke. Mir ist da auch eine Begebenheit aus einer Arsenhütte erinnerlich ("Auskratzen" der Kamine infolge des Ausfällens des Arsens - Arbeitnehmer wurden zwischenzeitlich zur "Erholung" in die Bleihütte nebenan abgeordnet).
 
@Apvar: guter Hinweis, die Berufskrankheiten sind in der Statistik nicht erfaßt, nur die Unfälle mit direkten Folgen. Die Frage wäre, wie das zeitgenössisch zugeordnet wurde (vermutlich fand das kaum Beachtung, aber gibt es dazu Literatur?). Bei Beachtung der Folgeschäden könnte man vermutlich ganz andere Verhältnisse betrachten, wenn ich zB an die Chemieindustrie etc. mit der Verwendung von Gefahrenstoffen denke. Mir ist da auch eine Begebenheit aus einer Arsenhütte erinnerlich ("Auskratzen" der Kamine infolge des Ausfällens des Arsens - Arbeitnehmer wurden zwischenzeitlich zur "Erholung" in die Bleihütte nebenan abgeordnet).

Ritter/Tenfelde zitieren ein Schreiben der Berufsgenossenschaft an einen "Blei" Geschädigten (nicht aus dem Bergbau) in dem es im Prinzip heißt, "er soll sich nicht so haben, das wäre in der Sparte eben so, und er hätte es vorher gewusst".

Als die Kohlebergwerke "beregnet" wurden, machte man das Anfangs mit Abwasser, Folge hunderte Bergleute erkrankten, mehrere starben.


OT:
Zur Auflockerung eine Anekdote, die sich so bei Tübingen Anfangs des 20. Jahrhunderts zugetragen haben soll:
2 Waldarbeiter fällen einen Baum, der in die falsche Richtung fällt. Einer springt auf die Seite, der andere ist tot.
Nach ein paar Wochen besucht die Frau des Überlebenden die Witwe.
Och meint die Witwe, so schlimm wäre es jetzt gar nicht, die "Versicherung" hätte ihr 2.000 Mark ausbezahlt.
Was schreit die andere, "2.000 Mark, und mein Dackel springt auf die Seite"
 
1904 sind 0,75 Promille der Beschäftigten bei der Arbeit zu Tode gekommen.
3,2 Promille waren Binnenschiffer
1,84 Bergleute
1,50 Seeleute
1,40 Steinbruch
1,31 Speditionsgewerbe
1,17 Eisenbahner
0,99 Müller
0,98 Bauarbeiter

Berufsgenossenschaft West der Hütten- und Walzwerke
In den Jahren 1886-1909 meldeten durchschnittlich 164 Promille der Arbeiter einen Betriebsunfall. Davon wurden lediglich 15-20% anerkannt.


Nachtrag zu meiner og Anekdote, bevor jetzt wieder einer von wegen OT schreit....
Die Anekdote macht ja schließlich nur Sinn, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es die Berufsgenossenschaft erst ca. 15 Jahre gab, zuvor wäre die Witwe tatsächlich in aller größte Not gekommen. Die Anekdote passt also sehr gut in den historischen Kontext.
 
Zuletzt bearbeitet:
Diesen Hinweis habe ich als Beschreibung einer auch weiteren Abfolge verstanden, also konsekutiv in Folge einer unterschiedlichen Attraktivität der Branchen.
Ich habe einiges gefunden, was deutlich gegen den konsekutiven Ablauf der Arbeitsmigration der Ruhrpolen und deutlich für stringente Pull-Faktoren des Ruhrgebiets als Primärziel spricht (@Repo: wo im Ritter/Tennfelde steht denn das? Ich hab ihn zwar auch noch nicht gefunden, aber falls ich ihn finden sollte, wüsste ich gerne direkt wo ich nachschauen muss):

Wieder Kleßmann, diesesmal "Integration und Subkultur nationaler Minderheiten: das Beispiel der 'Ruhrpolen' 1870-1939":
Mit der ungehemmten Entfaltung und der räumlichen Ausdehnung des Ruhr-Bergbaus nach Norden (in Gebiete mit ergiebigen, aber tiefliegenden Kohlevorkommen) stieg vor allem für die kapitalintensiven Großzechen der Bedarf an Arbeitskräften rapide an. Nachdem die Reserven aus den umliegenden Regionen erschöpft waren, wurden die Ostgebiete zum Hauptrekrutierungsfeld.
Mit "Rekrutierung" ist damit wörtlich "Rekrutierung" gemeint, nämlich zunächst ein gezieltes Abwerben von Fachkräften aus Oberschlesien durch Agenten. Geworben haben diese Agenten insbesondere mit höheren Löhnen und dadurch gesteigertem sozialen Prestige, besseren Wohnverhältnissen (die extra dafür hochgezogenen Bergarbeitersiedlungen), kürzerer Arbeitszeit und geringere körperliche Anstrengung aufgrund besserer technischer Ausstattung als in Oberschlesien (nach Wehler "Moderne deutsche Sozialgeschichte"). Eine wirkliche eigenmotivierte Massenwanderung (ohne Umwege) setzte allerdings erst nach der Gründerkrise ein.

Zum Arbeitsrisiko, den Arbeitsunfällen, den Berufskrankheiten und der knappschaftlichen Versorgung i.A.: war jemand von euch schon in der Ausstellung zum 750jährigen der Knappschaft im deutschen Bergbaumuseum in Bochum oder kennt ggf. den Ausstellungskatalog dazu? Lohnt sich das in der Beziehung? Erstaunlich finde ich gerade im Zusammenhang mit den Berufskrankheiten, dass entsprechende Zusammenhänge durchaus bereits bekannt und auch publiziert waren (bspw. Ramazzini mit "De morbis artificum diatriba" von 1705), trotzdem aber verhältnismäßig wenig Prävention betrieben wurde. (Das wird jetzt aber wirklich OT, ich überlege mal einen eigenen Thread dazu.)
 
Ritter/Tenfelde zitieren ein Schreiben der Berufsgenossenschaft an einen "Blei" Geschädigten (nicht aus dem Bergbau) in dem es im Prinzip heißt, "er soll sich nicht so haben, das wäre in der Sparte eben so, und er hätte es vorher gewusst".

Könntest du mal nachsehen, von wann dieses Schreiben der BG datiert?. Im Gegensatz zu den Arbeitsunfällen waren die Berufskrankheiten nämlich nicht von Anbeginn an Besatndteil des Versicherungsumfangs der gesetzlichen Unfallversicherung.

Erst 1925 wurden die Berufskrankheiten den Arbeitsunfällen rechtlich wirklich gleichgestellt (es gab aber im ersten Weltkrieg bereits einige tödliche Erkrankungsfälle von Rüstungsarbeiterinnen, die von den Berufsgenossenschaften entschädigt wurden, obwohl dafür die gesetzliche Grundlage eigentlich fehlte, aber das ist eine andere Baustelle...).

Auch muss man wissen, dass nicht jede beruflich verursachte Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wurde und wird, sondern nur solche Krankheiten, die in der "Berufskrankheitenliste" aufgeführt sind. Erkrankungen durch Blei sind hier enthalten, aber ich müsste erst nachforschen, seit wann dies der Fall ist. Die Berufskrankheitenliste wird seit 1925 ja ständig in unregelmäßigen Abständen erweitert.

Es würde mich hier interessieren, ob die BG einen potenziell berechtigten Anspruch abgebügelt hat, oder eine rechtlich korrekte Ablehnung nur etwas "bürgerunfreundlich" formuliert hat.


Zum Arbeitsrisiko, den Arbeitsunfällen, den Berufskrankheiten und der knappschaftlichen Versorgung [...] Erstaunlich finde ich gerade im Zusammenhang mit den Berufskrankheiten, dass entsprechende Zusammenhänge durchaus bereits bekannt und auch publiziert waren (bspw. Ramazzini mit "De morbis artificum diatriba" von 1705), trotzdem aber verhältnismäßig wenig Prävention betrieben wurde. (Das wird jetzt aber wirklich OT, ich überlege mal einen eigenen Thread dazu.)

Dazu wäre ein eigener Thread sicher lohnenswert. Nur so viel:

Die Berufsgenossenschaften hatten zwar von Beginn an, also seit 1885 (die erste BG war die Buchdrucker-BG, die damals ihre Arbeit aufnahm, wenn ich das richtig im Kopf habe) auch die Aufgabe der Unfallverhütung übertragen bekommen, allerdings nur als Befugnis (Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 und Bauunfallversicherungsgesetz vom 11. Juli 1887), nicht als Verpflichtung. Verpflichtet wurden sie dazu erst 1900 (Änderungsgesetz vom 30. Juni 1900).

Berufskrankheiten waren damals noch nicht im Fokus der gesetzlichen Unfallversicherungsträger, somit war auch die Verhütung von Berufskrankheiten (noch) kein Thema.

Außerdem dürften viele Zusammenhänge zwischen Berufstätigkeit und Erkrankungen noch nicht bekannt oder gar nachgewiesen gewesen sein, obwohl sicherlich entsprechende Hinweise existierten. Das müsste man aber für einzelne Erkrankungen getrennt beurteilen.

Letztendlich ist das aber auch alles eine Frage des Profits. Anderes Beispiel: Die Gefährlichkeit von Asbest bzw. deutliche Hinweise darauf sind seit den 1920er Jahren bekannt. Bis in die 1970er Jahre wurde das Zeug bei uns noch verarbeitet...

Die Berufsgenossenschaften waren von Beginn an (im Gegensatz zu heute) allein von den Arbeitgebern verwaltet und mit diesen viel enger verbunden als heutzutage. Die Übertragung von Aufgaben in Eigenverantwortung an besoldete Angestellte wurde von einigen Arbeitgebern sehr kritisch gesehen, sie wollten das Geschäft der Berufsgenossenschaften lieber selbst erledigen. Wenn aber der eigene Geldbeutel betroffen ist, dann prüft man aber eben leicht mal etwas strenger, welche Ausgaben notwendig sind und welche nicht...

So lange Arbeiter nicht wirklich knapp waren, musste man sich auch nicht allzu intensiv um präventive Maßnahmen kümmern, vor allem, wenn man die Folgen nicht entschädigen musste. Vor 1925 hätte ein Arbeiter bei einer beruflich bedingten Erkrankung gegen den Arbeitgeber zivilrechtlich vorgehen und diesem dabei ein Verschulden nachweisen müssen. - Aussichtslos! Somit ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass die Prävention von berufsbedingten Erkrankungen nicht eben Priorität hatte.

Viele Grüße

Bernd
 
Könntest du mal nachsehen, von wann dieses Schreiben der BG datiert?. Im Gegensatz zu den Arbeitsunfällen waren die Berufskrankheiten nämlich nicht von Anbeginn an Besatndteil des Versicherungsumfangs der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der untersuchte Zeitraum ist das Kaiserreich 1871-1914.
Also wird das Schreiben auch aus der Zeit stammen. Aber ich schau mal.

Noch ergänzend:
Die Sozialversicherung, wie sie beginnend in den 1880er Jahren schrittweise eingeführt wurde, hatten die Bergleute seit langem. Teilweise seit Jahrhunderten.
 
Ich habe einiges gefunden, was deutlich gegen den konsekutiven Ablauf der Arbeitsmigration der Ruhrpolen und deutlich für stringente Pull-Faktoren des Ruhrgebiets als Primärziel spricht (@Repo: wo im Ritter/Tennfelde steht denn das? Ich hab ihn zwar auch noch nicht gefunden, aber falls ich ihn finden sollte, wüsste ich gerne direkt wo ich nachschauen muss):

Zieht sich durch das ganze Buch.
Seite 23, Seite 193, Seite 355 usw.

Wer, wie ich, seine Hochschulreife vor 40 und mehr Jahren erworben hat:

stringent steht für schlüssig oder stichhaltig.
konsekutiv für nachfolgend, fortfolgend
 
Der untersuchte Zeitraum ist das Kaiserreich 1871-1914.
Also wird das Schreiben auch aus der Zeit stammen. Aber ich schau mal.

Danke erst mal. Damit dürfte das Ablehnungsschreiben der Berufsgenossenschaft wohl zumindest rechtlich korrekt sein, auch wenn die Formulierung heutzutage doch etwas "unfreundlich" klingt. Allerdings war man zu Kaisers Zeiten auch deutlich obrigkeitshöriger als heute und ein "Amt" konnte sich deutlich striktere Formulierungen erlauben...

Noch ergänzend:
Die Sozialversicherung, wie sie beginnend in den 1880er Jahren schrittweise eingeführt wurde, hatten die Bergleute seit langem. Teilweise seit Jahrhunderten.

Ja, diese sog. "Büchsenkassen" (nachweisbar mindestens seit den "Constitutiones juris metall.", der sog. "Kuttenberger Bergordnung" von 1300) sind mir auch ein Begriff. Ich würde sie aber nicht unbedingt so mit der Sozialversicherung gleichsetzen wollen, auch wenn sie zweifellos dafür Vorbildcharakter hatten, wenn nicht gar "das Muster schlechthin" dafür waren.

Als erste "echte" Vorläufer der Sozialversicherung würde ich die Unterstützungskassen aufgrund der preußischen Gewerbeordnungen von 1845 und 1849 ansehen, die eine gesetzliche Beitragspflicht und Mitgliedschaft der Unternehmer vorsahen. Aber das ist eher eine Frage der Definition und andere Ansichten sind auch gut vertretbar. :winke:.

Aber ich glaube, wir weichen vom Ursprungsthema etwas ab...

Viele Grüße

Bernd
 
Mit "Rekrutierung" ist damit wörtlich "Rekrutierung" gemeint, nämlich zunächst ein gezieltes Abwerben von Fachkräften aus Oberschlesien durch Agenten.

Nebenbei und sicher OT: schaut man auf zahlenmäßige Aufarbeitungen der Wanderungsbewegungen, zB Ostpreußen (schlesische Wanderungsbewegungen habe ich gerade nicht griffbereit :D ), dann sind neben dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet Hauptziele der Auswanderung Großraum Berlin sowie das Ausland.

Man sollte daher den Fokus nicht nur auf die Attraktivität bestimmter Arbeitsplätze legen, sondern - da es sich bei der Generalrichtung Ruhrgebiet nur um einen Aspekt der Vorgänge handelt - auf die Lebensbedingungen im Osten als Auslöser. Und hier kann man weiterhin einen gewissen Austausch feststellen: innerhalb des Ostens gab es ebenso die regional orientierte Landflucht in die Städte des Ostens, weiter einen Austausch mit weiter östlichen und südlichen Gebieten, zB den Zuzug nach Ostpreußen aus Wolhynien, dem Baltikum und den preußisch-polnischen Gebieten.

Bei der Gesamtlage kann man nicht vom Ruhrgebiet und dem Bergbau als dem Magneten ausgehen, aber das ist ja schon oben bei Lili und ihrem Hinweis auf die erforderlichen "Anwerber" deutlich geworden.
 
Nebenbei und sicher OT:
Ja, aber ich glaub du kannst da was machen, oder? :D

schaut man auf zahlenmäßige Aufarbeitungen der Wanderungsbewegungen, zB Ostpreußen (schlesische Wanderungsbewegungen habe ich gerade nicht griffbereit :D ), dann sind neben dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet Hauptziele der Auswanderung Großraum Berlin sowie das Ausland.
Bis 1893 spricht Kleßmann noch von einer in Summe gleich großen Binnen- wie Auswanderung, wobei er gleichzeitig anmerkt, dass die Daten entsprechend schwierig zu erheben sind, weil die polnischsprachigen Deutschen eben preußische Staatsbürger waren und eine eindeutige Trennung daher schwierig ist. Er setzt in Summe bis 1893 jeweils insgesamt 100.000 polnischsprachige Deutsche/Preußen die ins Ruhrgebiet abgewandert bzw. ausgewandert sind an.

Und hier kann man weiterhin einen gewissen Austausch feststellen: innerhalb des Ostens gab es ebenso die regional orientierte Landflucht in die Städte des Ostens, weiter einen Austausch mit weiter östlichen und südlichen Gebieten, zB den Zuzug nach Ostpreußen aus Wolhynien, dem Baltikum und den preußisch-polnischen Gebieten.
Das würde ich davon abhängig machen, wie die Zuwanderung zu welcher Zeit gerade reglementiert war. Eine Migrationsbewegung aus den preußisch-polnischen Gebieten nach Ostpreußen stelle ich mir weniger problembehaftet vor, als eine Migrationsbewegung aus Wolhynien nach Preußen i.A. Preußen und später das deutsche Reich hatten strenge Zuwanderungsbedingungen, mit dem sog. Legitimationszwang und der zwingenden Ausweisung während der Karrenzzeit insbesondere bei osteuropäischen Ausländern.
 
JBis 1893 spricht Kleßmann noch von einer in Summe gleich großen Binnen- wie Auswanderung, wobei er gleichzeitig anmerkt, dass die Daten entsprechend schwierig zu erheben sind, weil die polnischsprachigen Deutschen eben preußische Staatsbürger waren und eine eindeutige Trennung daher schwierig ist. Er setzt in Summe bis 1893 jeweils insgesamt 100.000 polnischsprachige Deutsche/Preußen die ins Ruhrgebiet abgewandert bzw. ausgewandert sind an.
Mit Hinweis auf Rogmann: etwa 300.000 Auswanderungen ins Ausland von 1871 bis 1914, damit läßt sich das etwas gewichten. Ruhrgebiet/Bergbau ist eben nur ein Teilaspekt einer größeren Wanderungsbewegung.

Eine Migrationsbewegung aus den preußisch-polnischen Gebieten nach Ostpreußen stelle ich mir weniger problembehaftet vor, als eine Migrationsbewegung aus Wolhynien nach Preußen i.A. Preußen und später das deutsche Reich hatten strenge Zuwanderungsbedingungen, mit dem sog. Legitimationszwang und der zwingenden Ausweisung während der Karrenzzeit insbesondere bei osteuropäischen Ausländern.
Sehe ich auch so.
Die Zuwanderungen aus Wolhynien nach Ostpreußen betrugen etwa 30.000, sind also durchaus überschaubar im Vergleich zur Abwanderung und sollten nur die Austauschbewegungen aus offenbar noch schlechteren sozialen Verhältnissen aufhellen.
Die Demographie Ostpreußens weist jedenfalls aufgrund der Geburtenüberschüsse 1871/1914 trotz der Abwanderungen noch Zuwächse aus (das verdeutlicht nur das Problem).
 
Das würde ich davon abhängig machen, wie die Zuwanderung zu welcher Zeit gerade reglementiert war. Eine Migrationsbewegung aus den preußisch-polnischen Gebieten nach Ostpreußen stelle ich mir weniger problembehaftet vor, als eine Migrationsbewegung aus Wolhynien nach Preußen i.A. Preußen und später das deutsche Reich hatten strenge Zuwanderungsbedingungen, mit dem sog. Legitimationszwang und der zwingenden Ausweisung während der Karrenzzeit insbesondere bei osteuropäischen Ausländern.

Sehe ich auch so.
Die Zuwanderungen aus Wolhynien nach Ostpreußen betrugen etwa 30.000, sind also durchaus überschaubar im Vergleich zur Abwanderung und sollten nur die Austauschbewegungen aus offenbar noch schlechteren sozialen Verhältnissen aufhellen.
Die Demographie Ostpreußens weist jedenfalls aufgrund der Geburtenüberschüsse 1871/1914 trotz der Abwanderungen noch Zuwächse aus (das verdeutlicht nur das Problem).
Die Zuwanderung wurde sehr stark begrenzt, was zu Kontroversen mit dem ostelbischen Großgrundbesitz führte, der "Leutemangel" beklagte.

Mit Hinweis auf Rogmann: etwa 300.000 Auswanderungen ins Ausland von 1871 bis 1914, damit läßt sich das etwas gewichten. Ruhrgebiet/Bergbau ist eben nur ein Teilaspekt einer größeren Wanderungsbewegung.

Die Auswanderung war aber ca. 1893 vorbei. Deutschland wurde zumindest zum "Saison-"Arbeiter Einwanderungsland.

.
Bei der Gesamtlage kann man nicht vom Ruhrgebiet und dem Bergbau als dem Magneten ausgehen, aber das ist ja schon oben bei Lili und ihrem Hinweis auf die erforderlichen "Anwerber" deutlich geworden.[/QUOTE]

Ritter/Tenfelde schreiben hingegen, dass es diese "Anwerber" durchaus gab, es auch die Fälle gab, dass einer direkt vom ostelbischen Gut zur Phoenix nach Bottrop kam. In der Summe dies aber eher die Ausnahmen gewesen wären.
Spuren dieser Anwerbungen müssten ja auch festzustellen ein, zB die Zeitungen des 19. Jahrhunderts sind voll mit Werbeanzeigen "Auswanderung nach Nordamerika" es fehlen in kaum einer Ausgabe diese Inserate. Wenn der Umfang ebenso groß war, müssten in den entsprechenden Zeitungen ebenfalls solche Anzeigen zu finden sein.

Also von "erforderlichen" Werbern keine Rede.

Man sollte daher den Fokus nicht nur auf die Attraktivität bestimmter Arbeitsplätze legen, sondern - da es sich bei der Generalrichtung Ruhrgebiet nur um einen Aspekt der Vorgänge handelt - auf die Lebensbedingungen im Osten als Auslöser. Und hier kann man weiterhin einen gewissen Austausch feststellen: innerhalb des Ostens gab es ebenso die regional orientierte Landflucht in die Städte des Ostens, weiter einen Austausch mit weiter östlichen und südlichen Gebieten, zB den Zuzug nach Ostpreußen aus Wolhynien, dem Baltikum und den preußisch-polnischen Gebieten
Es waren zweifellos die schlimmen Arbeits- und Lebensbedingungen der Landarbeiter die die Binnenwanderung auslöste.

Hauptziel war auch Berlin, als größter "Gewinner" an Migranten. Überhaupt sind 1900 nur noch max. 40% der Bevölkerung an ihrem Geburtsort ansässig.


Bis 1893 spricht Kleßmann noch von einer in Summe gleich großen Binnen- wie Auswanderung, wobei er gleichzeitig anmerkt, dass die Daten entsprechend schwierig zu erheben sind, weil die polnischsprachigen Deutschen eben preußische Staatsbürger waren und eine eindeutige Trennung daher schwierig ist. Er setzt in Summe bis 1893 jeweils insgesamt 100.000 polnischsprachige Deutsche/Preußen die ins Ruhrgebiet abgewandert bzw. ausgewandert sind an.
hier ergibt sich ein Zuordnungsproblem, die Masuren wurden weder als Ethnie gezählt, noch zu den Polen, sondern schlicht zu den Deutschen geschlagen.
 
Sehe ich auch so.
Die Zuwanderungen aus Wolhynien nach Ostpreußen betrugen etwa 30.000, sind also durchaus überschaubar im Vergleich zur Abwanderung und sollten nur die Austauschbewegungen aus offenbar noch schlechteren sozialen Verhältnissen aufhellen.
Zum einen das, zum anderen waren die Grenzarbeiter aber auch billiger. Es gab quasi einen Durchschub an Billiglohnarbeitern. In Oberschlesien waren die russischen Polen billiger, im Ruhrgebiet die preußischen Polen, ihr "schlechter" Ruf als Streikbrecher oder Lohndrücker unter den deutschen Kollegen kam ja auch nicht von ungefähr.

Die Zuwanderung wurde sehr stark begrenzt, was zu Kontroversen mit dem ostelbischen Großgrundbesitz führte, der "Leutemangel" beklagte.
Nichts desto trotz war der "Leutemangel" aber noch nicht groß genug, um anständige Löhne zu bezahlen, dann wären Leute gerade genug dagewesen, wenn man einen Blick auf die Bevölkerungszahlen der Zeit wirft.

Die Auswanderung war aber ca. 1893 vorbei. Deutschland wurde zumindest zum "Saison-"Arbeiter Einwanderungsland.
Das kann rechnerisch doch gar nicht sein. Kleßmann spricht von 100.000 polnischsprachigen Auswanderern von 1814 bis 1893. Rogmann, den Silesia zitiert, spricht von 300.000 zwischen 1871 und 1914. Zwischen 1871 und 1914 muss also nochmal ein riesiger Schwung ausgewandert sein.

Ritter/Tenfelde schreiben hingegen, dass es diese "Anwerber" durchaus gab, es auch die Fälle gab, dass einer direkt vom ostelbischen Gut zur Phoenix nach Bottrop kam. In der Summe dies aber eher die Ausnahmen gewesen wären.
Spuren dieser Anwerbungen müssten ja auch festzustellen ein, zB die Zeitungen des 19. Jahrhunderts sind voll mit Werbeanzeigen "Auswanderung nach Nordamerika" es fehlen in kaum einer Ausgabe diese Inserate. Wenn der Umfang ebenso groß war, müssten in den entsprechenden Zeitungen ebenfalls solche Anzeigen zu finden sein.
Die Anwerber warben nicht per Inserat, sondern fuhren in die schlesischen Bergbaugebiete um die Leute direkt anzuheuern. Du vergisst das Klientel, das beworben wurde: einfache polnischsprachige Lohnarbeiter, meist ohne jegliche Deutschkenntnisse, wie sollten die ein deutsches Zeitungsinserat lesen und verstehen? Die Anwerber waren in aller Regel selbst Polen, die ihre Landsleute anheuerten.

Überhaupt sind 1900 nur noch max. 40% der Bevölkerung an ihrem Geburtsort ansässig.
In Preußen? Woher hast du denn diese Zahl?

hier ergibt sich ein Zuordnungsproblem, die Masuren wurden weder als Ethnie gezählt, noch zu den Polen, sondern schlicht zu den Deutschen geschlagen.
Das Zuordnungsproblem waren nicht die Masuren, das Zuordnungsproblem war, dass die Auswanderer schlicht als Preußen erfasst wurden, schließlich waren sie das auch. Polen gab es zu dieser Zeit nicht. Die Zuordnung kann daher nur nachträglich anhand der Namen erfolgen, aber auch das ist eben nicht zu 100% zuverlässig, da es in den Regionen eben auch deutsche Minderheiten gab, die aber trotzdem wieder polnisch klingende Nachnamen hatten, genauso wie es polnischsprachige Preußen gab, die deutsch klingende Namen hatten. Nichts desto trotz ist Kleßmann einer der sehr vorsichtig zählt, schließlich gibt es auch Zählweisen, bei denen schlicht der Geburtsort gezählt wird, dabei sind die Zahlen dann um einiges höher.
 
Das kann rechnerisch doch gar nicht sein. Kleßmann spricht von 100.000 polnischsprachigen Auswanderern von 1814 bis 1893. Rogmann, den Silesia zitiert, spricht von 300.000 zwischen 1871 und 1914. Zwischen 1871 und 1914 muss also nochmal ein riesiger Schwung ausgewandert sein.

.


Die letzte große Auswanderungswelle war 1893 zu Ende. Es war noch nach der Reichsgründung eine riesige Zahl, aber 1893 ausgelaufen. Definitiv. Kannst Du überall nachlesen.

Die Anwerber warben nicht per Inserat, sondern fuhren in die schlesischen Bergbaugebiete um die Leute direkt anzuheuern. Du vergisst das Klientel, das beworben wurde: einfache polnischsprachige Lohnarbeiter, meist ohne jegliche Deutschkenntnisse, wie sollten die ein deutsches Zeitungsinserat lesen und verstehen? Die Anwerber waren in aller Regel selbst Polen, die ihre Landsleute anheuerten.

So sind diese Zahlen nicht zu generieren. Den von Tenfelde/Ritter genannten Ablauf halte ich für schlüssig.


In Preußen? Woher hast du denn diese Zahl?

In Deutschland. Tenfelde/Ritter aaO


Das Zuordnungsproblem waren nicht die Masuren, das Zuordnungsproblem war, dass die Auswanderer schlicht als Preußen erfasst wurden, schließlich waren sie das auch. Polen gab es zu dieser Zeit nicht. Die Zuordnung kann daher nur nachträglich anhand der Namen erfolgen, aber auch das ist eben nicht zu 100% zuverlässig, da es in den Regionen eben auch deutsche Minderheiten gab, die aber trotzdem wieder polnisch klingende Nachnamen hatten, genauso wie es polnischsprachige Preußen gab, die deutsch klingende Namen hatten. Nichts desto trotz ist Kleßmann einer der sehr vorsichtig zählt, schließlich gibt es auch Zählweisen, bei denen schlicht der Geburtsort gezählt wird, dabei sind die Zahlen dann um einiges höher

Tenfelde/Ritter nennt dies als das Problem die Anzahl der "Ruhrpolen" zuverlässig zu schätzen. Wobei sie sich auf Kleßmann beziehen.
 
Das kann rechnerisch doch gar nicht sein. Kleßmann spricht von 100.000 polnischsprachigen Auswanderern von 1814 bis 1893. Rogmann, den Silesia zitiert, spricht von 300.000 zwischen 1871 und 1914. Zwischen 1871 und 1914 muss also nochmal ein riesiger Schwung ausgewandert sein.

Die Masse der 300.000 dürfte auf den Zeitraum bis 1893 entfallen (Jahreszahlen der Auswanderung über 100.000/Deutsches Reich); Posen und Ostpreußen hatten schwankende Anteile an der gesamten "überseeischen Auswanderung" von 15-25%.

1893 ging das auf rd. 80.000/Deutsches Reich zurück, in den Folgejahren waren das jeweils rd. 20. - 30.000/Deutsches Reich, somit nur ein paar Tausend pro Jahr aus dem fraglichen Gebiet.


Da die Diskussion hier etwas von meiner Erläuterung wegführt: Mir ging es in der Konsequenz darum, dass das Wanderungsziel "Ruhrgebiet" nur eines von drei Schwerpunkten war, die beiden anderen: überseeisches Ausland sowie Berlin/Brandenburg. Zur Gewichtung sollte die genannte Auswanderungszahl dienen.

Auswanderung, ca.-Zahlen (1) Ostpreußen (2) Posen

1871/75 45.000 - 36.200
1876/80 10.600 - 18.600
1881/85 ..9.500 - 73.300
1886/90 ..9.700 - 49.900
1891/95 ..8.200 - 46.000
1896/00 ..2.600 - 10.600
1900/05 ..2.500 - 17.400

Summen 88.100 - 252.000




P.S. Gesamt-Zahlen nach Statistischem Reichsamt/überseeische Auswanderung Deutsches Reich
 

Anhänge

  • Auswanderung.jpg
    Auswanderung.jpg
    153,8 KB · Aufrufe: 719
Zuletzt bearbeitet:
Die Anwerber warben nicht per Inserat, sondern fuhren in die schlesischen Bergbaugebiete um die Leute direkt anzuheuern. Du vergisst das Klientel, das beworben wurde: einfache polnischsprachige Lohnarbeiter, meist ohne jegliche Deutschkenntnisse, wie sollten die ein deutsches Zeitungsinserat lesen und verstehen? Die Anwerber waren in aller Regel selbst Polen, die ihre Landsleute anheuerten.


Hatte ich oben vergessen.
Es gab ja sicher polnischsprachige Zeitungen. Die Anzeigen, so es sie gab, müssten in denen zu finden sein.
Nochmals meine Meinung, die Zahlen die hier vorliegen, sind nicht über Agenten und persönliche Ansprache (evt. auch noch als Kaltaquise) zu generieren.
 
mal ein Versuch:
Ritter /Tenfelde ISBN 3-8012-0168-6
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zieht sich durch das ganze Buch.
Seite 23, Seite 193, Seite 355 usw.
Danke, mittlerweile habe ich meinen Ritter/Tenfelde gefunden (er war noch in einer Umzugskiste im Keller) und habe kurz die angegebenen Seiten nachgelesen. Leider wird die Theorie nur aufgestellt, nicht aber näher erläutert oder belegt, zumindest auf den Seiten 23 und 193. Auf 355 finde ich dazu gar nichts. Weißt du denn auswendig, ob im Ritter/Tenfelde darauf nochmal genauer eingegangen wird, oder bleibt es bei einer kurzen Theorie in ein bis zwei Sätzen?

Die letzte große Auswanderungswelle war 1893 zu Ende. Es war noch nach der Reichsgründung eine riesige Zahl, aber 1893 ausgelaufen. Definitiv. Kannst Du überall nachlesen.
Für das Deutsche Reich gesamt ja. Wir sollten aber doch aufpassen, dass wir die Zahlen jetzt nicht zu wüst durcheinander werfen und im Endeffekt Äpfel mit Birnen vergleichen. Nur weil die gesamtdeutsche Auswanderung zurückging, muss das nicht heißen, dass sie in gleichen Anteilen in den ostpreußischen Gebieten zurückging. Die Erhebung von Kleßmann finde ich - insbesondere aufgrund seiner sehr vorsichtigen Schätzungen durchaus aussagekräftig. Dass sich die Auswanderungen aus den polnischsprachigen Gebieten nicht proportional zur Gesamtauswanderung verhalten zeigen ja auch schon die von Silesia genannten Zahlen, zumindest für die Gebiete Ostpreußen und Posen. Zum Vergleich die gesamtdeutsche Auswanderung in den entpsrechenden Jahren:
Ostpreußen (% am Gesamtanteil) - Posen (idem) - dt. Reich gesamt
1871/75 45.000 (11,4%) - 36.200 (..9,2%) - 394.000
1876/80 10.600 (..4,6%) - 18.600 (..8,0%) - 232.000
1881/85 ..9.500 (..1,1%) - 73.300 (..8,5%) - 858.000
1886/90 ..9.700 (..2,0%) - 49.900 (10,3%) - 485.000
1891/95 ..8.200 (..2,0%) - 46.000 (11,4%) - 402.000
1896/00 ..2.600 (..2,0%) - 10.600 (..8,3%) - 127.000
1900/05 ..2.500 (..1,7%) - 17.400 (11,9%) - 146.000

Summen 88.100 (..3,3%) - 252.000 (9,5%) - 2.644.000

So sind diese Zahlen nicht zu generieren. Den von Tenfelde/Ritter genannten Ablauf halte ich für schlüssig.
Ritter/Tenfelde gehen insbesondere bei den Ruhrpolen auf die Anwerber ein.

Hatte ich oben vergessen.
Es gab ja sicher polnischsprachige Zeitungen. Die Anzeigen, so es sie gab, müssten in denen zu finden sein.
Nochmals meine Meinung, die Zahlen die hier vorliegen, sind nicht über Agenten und persönliche Ansprache (evt. auch noch als Kaltaquise) zu generieren.
Die Regierung des deutschen Reichs war im Zusammenhang mit der polnischen Sprache mehr als nur rigide, man beachte nur die Bismarcksche Germanisierungspolitik. Und natürlich behautet hier niemand, dass insgesamt 500.000 Ruhrpolen mittels Agenten angeworben wurden. Ich schreibe doch sogar, dass zunächst mit Agenten Facharbeiter geworben wurden. Angehörige zogen nach, die Nachrichten sprachen sich herum, das Ruhrgebiet wurde für die unentschlossenen attraktiver je größer die polnische Gemeinde dort bereits war (schließlich ist eine derartige Wanderungsbewegung immer ein Stück weit Entwurzelung), blablabla, das habe ich alles bereits genannt und entsprechend erläutert.

In Deutschland. Tenfelde/Ritter aaO
Das ist wieder das Apfel-Birnen-Thema, aber sei es drum. Gerade die Binnenwanderung wurde in aller Regel nicht erfasst und ist nachträglich enorm schwer zu erfassen. Hast du eine entsprechende Seitenangabe dazu? Ich lese jetzt nämlich keine knapp 900 Seiten um die Datenquelle ausfindig zu machen. Ich frage deshalb so dezidiert nach weil Köllmann zu 1907 eine zeitgenössische Erhebung zitiert, in der die Rede von 48% Binnenwanderer ist, nachdem zwischen 52% und 40% doch ein deutlicher Unterschied ist, würde mich die verwendete Datenbasis interessieren. Bei HistStat habe ich schon nachgesehen, die haben auf jeden Fall schon mal nichts dazu.

Da die Diskussion hier etwas von meiner Erläuterung wegführt: Mir ging es in der Konsequenz darum, dass das Wanderungsziel "Ruhrgebiet" nur eines von drei Schwerpunkten war, die beiden anderen: überseeisches Ausland sowie Berlin/Brandenburg. Zur Gewichtung sollte die genannte Auswanderungszahl dienen.
Ja, aber das bestreitet doch gar keiner, oder? Wieder die oben bereits genannte Köllmann-Tabelle zum Jahr 1907 zur Wanderungsbilanz (in Tausend):
Ostdeutschland (Ostpreußen, Westpreußen, Posen, Schlesien, Pommern): -1968,8
Berlin, Brandenburg: +1203,7
Nordwestdeutschland (Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Lübeck, Bremen, Hamburg, Oldenburg, Lippe, Hannover): +279,4
Mitteldeutschland (Provinz Sachsen, Braunschweig, Anhalt, Königreich Sachsen, Thüringen): -173,6
Hessen (Hessen-Nassau, Waldeck, Großhessen): +68,1
Westdeutschland (Westfalen, Rheinprovinz): +641,1
Süddeutschland (Südbayern, Nordbayern, Pfalz, Baden, Württemberg, Hohenzollern, Elsaß-Lothringen): -50,9
 
Ja, aber das bestreitet doch gar keiner, oder? Wieder die oben bereits genannte Köllmann-Tabelle zum Jahr 1907 zur Wanderungsbilanz (

War auch nicht so gemeint. Ich habe die übrigen Schwerpunkte nur als zusätzliches Argument gegen die Attraktivität des Bergbaus setzen wollen, bzw. gegen eine etwaige branchen- oder regionenbezogene "Etappen"bewegung ins Ruhrgebiet.

Wenn man übrigens davon ausgeht, dass der Auswanderungsdruck ohnehin+hausgemacht vor Ort bestand (Landflucht), ist die Werber-Aktivität möglicherweise auch in Konkurrenz zu übrigen Wanderungszielen zu sehen, weniger zur Mobilisierung der Bevölkerung an sich.

Als ein Grund in wirtschaftshistorischen Darstellungen für den deutschen Osten werden übrigens die Entwicklung der Weltmarktpreise für die landwirtschaftlichen Produkte genannt, die wiederum von den USA entscheidend mit beeinflusst waren (die auch das Auswanderungsziel war). Im Osten ging dann aufgrund der Abwanderungs- und Zuzugbewegung das Schlagwort der "Polonisierung" von Posen und Ostpreußen.

[und OT: die polnischen Delegierten im Reichstag stimmten übrigens national und stetig im Sinne der "German Weltgeltung" für die Marinerüstungen seit 1883 ;) ]
 
Zurück
Oben