Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Moin

Hast du eine verbindliche Karte mit den Stammesgrenzen der damaligen Zeit?

Im Internet schwirren eine Reihe Karten herum, die mal diese, mal jene Verbreitung der Stämme anzeigen.

Habe nur mal eine herausgegriffen, bei der sich Kalkriese sehr wohl im Bereich der Brukterer befindet. Es gibt natürlich auch Karten die etwas anderes darstellen!

Gruß
Andreas
Hallo,
es gibt in der Literatur entsprechende Hinweise,daß das Gebiet der
Brukterer um die Zeitenwende im Süden von der Lippe begrenzt war und im
Osten von der Senne .Später wurden die Brukterer dann nach Westen
abgedrängt.
 
Es gab das niedergermanische Heer (Germania inferior) und das obergermanische Heer (Germania superior). Deshalb ist von mehreren Heeren die Rede.

Also doch zwei Heere:
Niedergermanisches Heer Caecina: Legion 1,5,20,21 aus Xanten und Köln
(wie bei Tacitus erwähnt)
Obergermanisches Heer Germanicus: Legion 2,8,9,16 aus Strassburg und Mainz

Gruss
jchatt
 
Wenn mit exercitu das gesamte Heer gemeint ist, wäre das unlogisch, weil er nicht alle acht Legionen verschiffen kann. Er verschifft also nur die Legionen seines exercitu.
Und damit das klar wird, wird direkt danach erwähnt, daß Caecina ja eine eigene Abteilung führt. So sehe ich das immernoch.

Klar führte er seine eigenen Leute.

Mal eine militärstrategische Frage. Die Römer befinden sich tief im Feindesland. Man kann ja wohl davon ausgehen, dass das Gebiet östlich der Ems unter Germanicus als solches angesehen wurde. Es wird Herbst, Rückzug an den Rhein ist angesagt.

Ist es da logisch und wahrscheinlich, dass Germanicus schon seine Abteilungen von der Ems aus heim schickt, während Caecina noch einigermaßen weit östlich steht? Dass man, obwohl man mit 8 Legionen operierte, dann 4 Legionen in unsicherem Gebiet zurücklässt, obwohl man weiß, was Varus mit 3 Legionen passiert ist?

Ist es nicht wahrscheinlicher, dass die Trennung des Heeres erst erfolgte, als man meinte in sicheren Gebieten zu sein?
 
Mal eine militärstrategische Frage. Die Römer befinden sich tief im Feindesland. Man kann ja wohl davon ausgehen, dass das Gebiet östlich der Ems unter Germanicus als solches angesehen wurde. Es wird Herbst, Rückzug an den Rhein ist angesagt.

Ist es da logisch und wahrscheinlich, dass Germanicus schon seine Abteilungen von der Ems aus heim schickt, während Caecina noch einigermaßen weit östlich steht? Dass man, obwohl man mit 8 Legionen operierte, dann 4 Legionen in unsicherem Gebiet zurücklässt, obwohl man weiß, was Varus mit 3 Legionen passiert ist?

Ist es nicht wahrscheinlicher, dass die Trennung des Heeres erst erfolgte, als man meinte in sicheren Gebieten zu sein?

Der Hinweg schien ja recht problemlos gewesen zu sein. Das Land der Brukterer war verwüstet. Seine Bewohner vertrieben?

Der obigen Velleius-Stelle folgt eine Beschreibung wie Tiberius dem Heer auf dem Weg in die Winterlager folgt, damit der Feind eben nicht die abziehenden Truppen gefährdet.
Die Methode "Du Caecina, ich bin dann mal weg. Pass mal bei den Ponteslongii auf. Aber du machst das schon" war wahrscheinlich nicht beste Art :D

Gruss
jchatt
 
Hallo,
es gibt in der Literatur entsprechende Hinweise,daß das Gebiet der
Brukterer um die Zeitenwende im Süden von der Lippe begrenzt war und im
Osten von der Senne .Später wurden die Brukterer dann nach Westen
abgedrängt.
Anderen Quellen zufolge wurden sie nach Süden abgedrängt. Tacitus zufolge wurden sie sogar vernichtet. Das Problem beim Versuch, Siedlungsgebiete von Stämmen zu identifizieren, liegt darin, dass die verschiedenen römischen Quellen in dieser Hinsicht immer wieder uneindeutig sind und immer wieder mal neue und andere Stämme nennen. Es ist nichtmal sicher, ob die Stämme, wie sie von den Römern benannt wurden, überhaupt existiert haben. Haben die Leute, die von den Römern "Brukterer" genannt wurden, sich selbst auch so bezeichnet? Haben sie eine einheitliche "Loyalität" empfunden, wie der Name es impliziert? Es gibt die Theorie, dass sich die (Groß-)Stämme, deren Existenz wir aus den römischen Quellen schließen, durch die Anwesenheit der Römer in jener Region überhaupt erst formiert haben. Stammesgesellschaften sind - soziologisch betrachtet - sehr flexibel. Sie lassen sich im Grund nur auf die Sippe als gemeinsames und identitätsstiftendes Merkmal zurückführen. Wie sich Sippen dann zu größeren Gebilden formieren, hängt von äußeren Umständen ab. Solche Zusammenschlüsse müssen auch nicht von Dauer sein.


Klar führte er seine eigenen Leute.

Mal eine militärstrategische Frage. Die Römer befinden sich tief im Feindesland. Man kann ja wohl davon ausgehen, dass das Gebiet östlich der Ems unter Germanicus als solches angesehen wurde. Es wird Herbst, Rückzug an den Rhein ist angesagt.

Ist es da logisch und wahrscheinlich, dass Germanicus schon seine Abteilungen von der Ems aus heim schickt, während Caecina noch einigermaßen weit östlich steht? Dass man, obwohl man mit 8 Legionen operierte, dann 4 Legionen in unsicherem Gebiet zurücklässt, obwohl man weiß, was Varus mit 3 Legionen passiert ist?

Ist es nicht wahrscheinlicher, dass die Trennung des Heeres erst erfolgte, als man meinte in sicheren Gebieten zu sein?
Ich würde nicht grundsätzlich ausschließen, dass eine Trennung schon vor Erreichen des Sammelpunktes an der Ems, eventuell sogar östlich von Kalkriese erfolgt ist. Die acht Legionen haben vermutlich ohnehin nicht alle zusammen an einem Ort operiert. Wahrscheinlicher ist, dass sie mit jeweils eigenen Aufträgen in einem großen Operationsgebiet verteilt waren. Ich glaube auch nicht, dass sich ein römisches Vier-Legionen-Heer irgendwo in Germanien "bedroht" gefühlt hätte. Varus hatte weniger Truppen zur Verfügung und er hat überdies noch taktische Fehler gemacht oder ist Opfer von "feigem Verrat" geworden. Das konnte dem wachsamen und kampfbereiten Caecina nicht passieren. Ich kann mir also durchaus vorstellen, dass er sich schon östlich von Kalkriese vom Hauptheer getrennt hat - und ungeachtet dessen überzeugt war, mit jeder denkbaren Bedrohung fertigwerden zu können.

Militärisch betrachtet ist es trotzdem unwahrscheinlich, dass Caecina ausgerechnet bei Kalkriese in eine so kritische Situation geraten sein soll. Germanicus hat mit acht Legionen - ein Heer, wie es Germanien bis dahin noch nicht gesehen hatte - im Raum westlich der Ems und nördlich der Lippe operiert. Dann hat er sich in Richtung Ems zurückgezogen und dort zur Rückkehr in die Heimatbasen gesammelt. Aus seiner Sicht war das gesichtertes Gebiet. Es erscheint mir undenkbar, dass ein starkes germanisches Aufgebot mitten in dieser Sammelzone aufmarschieren und einen Hinterhalt legen konnte, der zur Bedrohung für vier Legionen wurde. Kalkriese ist schließlich keine zwei Tagesmärsche von dem Ort entfernt, an dem die Ems schiffbar wurde und an dem die Flotte gewartet haben dürfte. Sämtliche acht Germanicus-Legionen müssen in jener Gegend gewesen oder kurz zuvor dort durchgekommen sein. Ein feindliches Heer, das vier Legionen die Stirn bieten konnte, wäre dort sicher aufgefallen.

MfG
 
Ich würde nicht grundsätzlich ausschließen, dass eine Trennung schon vor Erreichen des Sammelpunktes an der Ems, eventuell sogar östlich von Kalkriese erfolgt ist. Die acht Legionen haben vermutlich ohnehin nicht alle zusammen an einem Ort operiert. Wahrscheinlicher ist, dass sie mit jeweils eigenen Aufträgen in einem großen Operationsgebiet verteilt waren. Ich glaube auch nicht, dass sich ein römisches Vier-Legionen-Heer irgendwo in Germanien "bedroht" gefühlt hätte. Varus hatte weniger Truppen zur Verfügung und er hat überdies noch taktische Fehler gemacht oder ist Opfer von "feigem Verrat" geworden. Das konnte dem wachsamen und kampfbereiten Caecina nicht passieren. Ich kann mir also durchaus vorstellen, dass er sich schon östlich von Kalkriese vom Hauptheer getrennt hat - und ungeachtet dessen überzeugt war, mit jeder denkbaren Bedrohung fertigwerden zu können.

Sehe ich genauso.
Ein weiterer Grund wird gewesen sein, daß eine Engstelle ,wie z.B. Kalkriese, für ein Heer aus acht Legionen an einem Tag nicht zu bewältigen war.
Für das Caecina-Szenario ergäbe sich dann aber auch die Frage:
Wenn zuerst Germanicus den Weg über Kalkriese genommen hat, warum musste Caecina dann den Ahenobarbus-Damm reparieren :grübel:

Andere Frage:
Wenn Germanicus und Caecina an der Ems getrennt wurden, hätte die Flotte doch zumindest eine Zeit lang das Überschreiten der Ems durch die überholenden Germanen unterbinden können? Zumindest ab Rheine.

Militärisch betrachtet ist es trotzdem unwahrscheinlich, dass Caecina ausgerechnet bei Kalkriese in eine so kritische Situation geraten sein soll. Germanicus hat mit acht Legionen - ein Heer, wie es Germanien bis dahin noch nicht gesehen hatte - im Raum westlich der Ems und nördlich der Lippe operiert.

und östlich der Ems war er defenitiv aber auch (in beiden Szenarien)

Ein andere interessante Stelle bei Velleius II,121 über die Zeit zwischen 9-14 nChr:
"Mit der gleichen Tatkraft und dem Kriegsglück wie zu Anfang drang der Imperator Tiberius in der folgenden Zeit in Germanien ein. Er brach die Macht des Feindes durch Kriegszüge mit der Flotte und mit dem Landheer..."
Als Zielgebiet für diese Flottenoperationen kämen primär ja eher Lippe und Ems in Frage. Wahrscheinlich hat also auch schon Tiberius hier angefangen aufzuräumen.

Gruss
jchatt
 
Also doch zwei Heere:
Niedergermanisches Heer Caecina: Legion 1,5,20,21 aus Xanten und Köln
(wie bei Tacitus erwähnt)
Obergermanisches Heer Germanicus: Legion 2,8,9,16 aus Strassburg und Mainz

Du hast doch selber die Stelle bei Velleius Paterculus zitiert, wenn zwei Heere zusammengeführt werden, wird daraus ein großes Heer.

Über den Pannonischen Aufstand schreibt Velleius ( Vel. II,113 )aus:
"Iunctis exercitibus, quique sub Caesare fuerant quique ad eum venerant, contractisque in una castra decem legionibus, septuaginta amplius cohortibus, decem alis et pluribus quam decem veteranorum milibus, ad hoc magno voluntariorum numero frequentique equite regio, tanto denique exercitu, quantus nullo umquam loco post bella fuerat civilia, omnes eo ipso laeti erant maximamque fiduciam victoriae in numero reponebant."

Übersetzt mit:
""Nach der Vereinigung der Heere, die bereits unter [Tiberius] Caesar gestanden hatten, mit denen, die noch zu ihm gestoßen waren, befanden sich in einem Lager....- kurz, es es hatte seit den Bürgerkriegen nirgendwo mehr ein so gewaltiges Heer gegeben"

Also obwohl Tiberius natürlich den Oberbefehl über alle Truppen hatte, wird hier trotzdem zuerst von zwei Heeren gesprochen. Später werden alle zusammen auch als ein Heer genannt.

Was haben wir nun für das Jahr 15 vorliegen?
An der Ems treffen sich die drei Heeresteile, von dort aus verwüsten sie das Land der Brukterer zwischen Ems und Lippe, besuchen das Varusschlachtfeld und bestatten die Legionen – in diesem Zusammenhang verwendet Tacitus ganz explizit den Begriff exercitus (Tac. ann. I, 62) und es handelt sich dabei um dasselbe! -, nehmen die Verfolgung des Arminius auf und kehren schließlich um (die diskutierte Stelle in Tac. ann. I, 63).
Wir müssen hier also schon mal, zunächst alle grammatischen und textlogischen Überlegungen übergehend, davon ausgehen, dass es sich um das Gesamtheer handelt.
Wenn wir dann noch textphilologisch auf die Überlieferung schauen, dann sehen wir, dass Tacitus zwischen dem Heer und den Legionen, die Germanicus verschifft, differenziert. Hätte Tacitus schreiben wollen, dass Germanicus das Heer zur Ems führte und es dort verschiffte, dann hätte er das getan, er hätte z.B. einen Finalsatz bilden können (Germanicus führte das Heer zur Ems zurück, um es zu verschiffen), der Finalsatz kommt aber erst, nachdem die Legionen schon verschifft sind. Zumindest aber hätte Tacitus Demonstrativpronomen einsetzen müssen (hic, ipse, ille…), sinngemäß käme dann raus: „Germanicus führte das Heer zur Ems zurück, dieses verschiffte er dort.“ Aber genau das macht er nicht. Stattdessen verwendet Tacitus, der sonst lieber zu wenig als zu viel schreibt, zwei verschiedene Lexeme in einem Satz, wobei das eine Lexem die Unterkategorie des anderen ist. Warum sollte Tacitus zwei verschiedene Lexeme für einen Körper in einem einzigen Satz verwenden? Nein, die verschifften Legionen sind eben nur ein Teil der Heers. Das anders zu interpretieren, als dass er das Heer an die Ems führte (was sich ja schon aus dem historischen Kontext ergibt) und es dort teilte, verbietet sich also auch intratextuell.
Aber zurück zum Verlauf der Ereignisse. Wir haben den Bericht der Bewegungen des Heeres seit dem Treffen an der Ems, die Verwüstung Westfalens, der Besuch des Varusschlachtfeldes, die Verfolgung des Arminius, die Rückkehr.
Nun meinst du: ja, da bekommt Caecina den Befehl und von dort an wird sein Schicksal berichtet. Also muss man die Stelle bei Tacitus, über die wir diskutieren nicht als chronologischen Ablauf lesen (Lesung als chronologischer Ablauf = Rückkehr des Heeres zur Ems, dort Trennung). Dann aber musst du dich fragen, was dieser einzeln stehende Satz von der Rückkehr des Germanicus an die Ems an dieser Stelle soll, denn das Schicksal der Flotte wird ja erst nach dem Caecina-Bericht berichtet. Wenn dies also im Ganzen kein chronologischer Ablauf sein soll, dann verwundert doch die Gesamtkomposition ab mox reducto…. In Tac. ann. I, 63 bis Tac. ann. I, 70 einschließlich. Dieses Problem ergibt sich aber nur, wenn man sich weigert, die Textstelle in Tac. ann. I, 63 chronologisch zu lesen. Wenn man sie chronologisch liest, ergibt sich dieses Rechtfertigungsproblem nicht.
Es wird im Gegenteil an diesem Aufbau überdeutlich – was es im Grunde genommen schon durch die Verwendung der Vokabel exercitus und die Differenzierung der legiones davon ist: Dass hier der Rückmarsch an die Ems gemeinsam begangen wurde und von dort aus die einzelnen Heeresteile getrennte Wege gingen. Wobei der Befehl an die Reiterei unter Pedo wahrscheinlich so zu verstehen ist, dass die Reiterei die Flotte bis zur Küste flankierte und erst von dort aus getrennt zurückkehrte.
 
Warum sollte Tacitus zwei verschiedene Lexeme für einen Körper in einem einzigen Satz verwenden? Nein, die verschifften Legionen sind eben nur ein Teil der Heers. Das anders zu interpretieren, als dass er das Heer an die Ems führte (was sich ja schon aus dem historischen Kontext ergibt) und es dort teilte, verbietet sich also auch intratextuell.

Genau. Nur bestand das Heer des Germanicus eben nicht nur aus vier Legionen,sondern auch aus Reiterei. Er trennte also die Legionen von der Reiterei. Womit auch klar ist, welcher der Heeresteile der "Amboss" und wer den "Hammer" machte. Der Hammer musste der mobilere Teil sein.

Dann aber musst du dich fragen, was dieser einzeln stehende Satz von der Rückkehr des Germanicus an die Ems an dieser Stelle soll, denn das Schicksal der Flotte wird ja erst nach dem Caecina-Bericht berichtet. Wenn dies also im Ganzen kein chronologischer Ablauf sein soll, dann verwundert doch die Gesamtkomposition ab mox reducto…. In Tac. ann. I, 63 bis Tac. ann. I, 70 einschließlich. Dieses Problem ergibt sich aber nur, wenn man sich weigert, die Textstelle in Tac. ann. I, 63 chronologisch zu lesen. Wenn man sie chronologisch liest, ergibt sich dieses Rechtfertigungsproblem nicht.
Es wird im Gegenteil an diesem Aufbau überdeutlich – was es im Grunde genommen schon durch die Verwendung der Vokabel exercitus und die Differenzierung der legiones davon ist: Dass hier der Rückmarsch an die Ems gemeinsam begangen wurde und von dort aus die einzelnen Heeresteile getrennte Wege gingen. Wobei der Befehl an die Reiterei unter Pedo wahrscheinlich so zu verstehen ist, dass die Reiterei die Flotte bis zur Küste flankierte und erst von dort aus getrennt zurückkehrte.

Nix chronologisch. Er schildert nur wie die Heere den Feldzug beenden und sich auf den Rückmarsch begeben. Weil er seinen hübschen Varus-Caecina-Vergleich geplant hat, macht er zunächst mit diesem weiter. Dazu muß er aber zunächst erklären, warum Caecina auf sich allein gestellt war.

Also aus dramaturgischen Gründen.
Chef mit den Legionen weg, Reiterei weg, Flotte weg und im Wald rascheln die Germanen. :)


Gruss
jchatt
 
Zuletzt bearbeitet:
Man kann über diese Tacitus Stelle lange diskutieren und spekulieren. Die Frage bleibt, ob man solche Quellen nicht gerne "überdehnt".

Ich war seinerzeit der Kalkriese=Caecina Theorie nicht abgeneigt, habe mich allerdings nicht zuletzt durch die ausgiebigen Diskussionen in diesem Thread überzeugen lassen. Eigentlich ist es doch so, daß der archäologische Befund in Kalkriese die Caecina Schlacht ausschließt.

Da ist zunächst der Gesamtbefund. Lt. Tacitus haben die Römer am Ende die Oberhand behalten. Sie haben schlicht gesiegt. Der archäologische Befund in Kalkriese geht von einem Heer aus, welches am Oberesch kollabiert und anschließend geplündert wurde. Das spricht schlicht gegen die Caecina These.

Dann der Wall. Selbst mit viel Wohlwollen kann man den wohl nicht als römisch ansprechen.

Und dann die Knochengruben. Wie lassen sich diese mit der Caecina These zusammenbringen?

Nee, nee, Kalkriese sind wohl nicht die pontes longi.:D
 
Sehe ich genauso.
Ein weiterer Grund wird gewesen sein, daß eine Engstelle ,wie z.B. Kalkriese, für ein Heer aus acht Legionen an einem Tag nicht zu bewältigen war.
Für das Caecina-Szenario ergäbe sich dann aber auch die Frage:
Wenn zuerst Germanicus den Weg über Kalkriese genommen hat, warum musste Caecina dann den Ahenobarbus-Damm reparieren :grübel:
Da hast Du mich missverstanden. Ich habe nicht gemeint, dass sie auf dem gleichen Weg marschiert sind. Wie gesagt gehe ich ohnehin davon aus, dass nicht alle acht Legionen in einem Riesenverband operiert haben. Die Tacitus-Schilderung kann man so verstehen, dass es mehrere "Heeresgruppen" gab, die - zwar in Tuchfühlung zu einander - getrennte Aufträge hatten. Je nachdem, wo sie sich befanden, als die Entscheidung zur Beendigung des Feldzugs fiel, können sie durchaus auf unterschiedlichen Wegen zum Sammelpunkt zurückmarschiert sein. Das hätte den Marsch vereinfacht und für zusätzliche Sicherheit gesorgt, weil Feindbewegungen eher bemerkt worden wären.


Andere Frage:
Wenn Germanicus und Caecina an der Ems getrennt wurden, hätte die Flotte doch zumindest eine Zeit lang das Überschreiten der Ems durch die überholenden Germanen unterbinden können? Zumindest ab Rheine.
Wenn sich die Truppen im "Großraum" Rheine gesammelt haben, müssen sie das ganze Gebiet gut unter Kontrolle gehabt haben. Dass Caecina später dann doch noch mit einem Feindheer aneinandergeraten ist, erklärt Tacitus meiner Erinnerung nach damit, dass die Germanen wegekundiger gewesen seien und die Legionen überholt hätten (oder verwechsele ich da jetzt was?). Offenbar konnten sie sich schneller bewegen als die schwere römische Infanterie. Vermutlich waren für sie auch solche Wege noch passierbar, auf denen die Legionen schon Probleme hatten.

und östlich der Ems war er defenitiv aber auch (in beiden Szenarien)
Nein. Die übliche Lesart sieht so aus, dass alle Truppen zum Sammelpunkt an der Ems (Liegeplatz der Flotte) marschiert sind. Erst von dort aus ist Germanicus mit Schiffen nach Norden gefahren, an Land begleitet von der Reiterei. Erst vom Sammelpunkt aus hat Caecina den Weg zu den langen Brücken angetreten, die sich demnach also westlich der Ems befunden haben müssen. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass eine Trennung schon östlich der Ems denkbar wäre und dass Caecina nach menschlichem Ermessen dann trotzdem nicht bei Kalkriese in eine Schlacht verwickelt werden konnte. Wie hätten die Germanen ein Heer dort hinschaffen sollen, wenn die ganze Gegend voller Römer war?

Ein andere interessante Stelle bei Velleius II,121 über die Zeit zwischen 9-14 nChr:
"Mit der gleichen Tatkraft und dem Kriegsglück wie zu Anfang drang der Imperator Tiberius in der folgenden Zeit in Germanien ein. Er brach die Macht des Feindes durch Kriegszüge mit der Flotte und mit dem Landheer..."
Als Zielgebiet für diese Flottenoperationen kämen primär ja eher Lippe und Ems in Frage. Wahrscheinlich hat also auch schon Tiberius hier angefangen aufzuräumen.
Und vor ihm Drusus, der ja sogar einen Kanal hat bauen lassen, um Schiffe leichter in die Nordsee schaffen zu können. Bevorzugte Einfallswege nach Germanien hinein wären dann die Ems und die Weser gewesen. Flottenstützpunkte an den Mündungen - also im Gebiet der Friesen und der Chauken - soll es ja auch gegeben haben.

MfG
 
Dass Caecina später dann doch noch mit einem Feindheer aneinandergeraten ist, erklärt Tacitus meiner Erinnerung nach damit, dass die Germanen wegekundiger gewesen seien und die Legionen überholt hätten (oder verwechsele ich da jetzt was?).

Nein, schon korrekt, Tac. ann. I, 63, 4.

Flottenstützpunkte an den Mündungen - also im Gebiet der Friesen und der Chauken - soll es ja auch gegeben haben.

Und sind wenigstens zum Teil auch archäologisch nachgewiesen, wie z.B. in Bentumersiel. Das Problem dabei ist, allerdings, dass hier bisher nur ein römisch genutzer Stapelplatz und eine germanische Siedlung nachgewiesen wurden, ein Römerlager noch nicht.
 
Und sind wenigstens zum Teil auch archäologisch nachgewiesen, wie z.B. in Bentumersiel. Das Problem dabei ist, allerdings, dass hier bisher nur ein römisch genutzer Stapelplatz und eine germanische Siedlung nachgewiesen wurden, ein Römerlager noch nicht.

Ist das so?
Das ist mir nicht bekannt.

Eigentlich ist es eine germanische Siedlung in der man spätaugustäische, bzw. frühtiberische Funde gemacht hat. Niemand weiß allerdings wie diese dahingekommen sind - Beutestücke?

Ist ein römischer Stapelplatz dort zweifelsfrei nachgewiesen?
Kann man sich sicher sein, daß die Funde den Germanicus Feldzügen zuzuordnen sind?
 
Ich habe auch nur die Informationen des Instituts für historische Küstenforschung: Historische Küstenforschung - Bentumersiel

Vielen Dank. Den Link kannte ich noch nicht.

Es gibt ein relativ frisches Projekt des NLD (Landesamt für Denkmalpflege Niedersachsen) und der Uni Osnabrück bezügl. "Römische Funde in Nordwestdeutschland". In der Ausgabe 12 des "Varuskurier" gibt es auch einen entsprechenden Artikel von Dr. Joachim Harnecker dazu. Er weist hier darauf hin, daß germanische Söldner bei ihrer Heimkehr Souvenirs mitbrachten, die heute als Grabbeigaben oder in Siedlungen zu finden seien. Außerdem weißt er auf germanische Beutezüge hin. Auch könnten natürlich Händler solch römische Waren nach Germanien (Nordwestdeutschland) gebracht haben.

Mal abwarten. Im November gibt es hier einen Vortrag von Dr. Harnecker zu diesem Thema. Vieleicht gibt es da auch Neuigkeiten bezügl. Bentumersiel.
 
Wenn ich mir die Zeichnungen von silesia und jchatt so anschaue, muß ich an einen Holzhäcksler denken, in dem man einen lange Äste reinsteckt, dann werden sie geschreddert und zum Schluß hat man kleine Holzstückchen.

Ich habe von Militärhistorik keine Ahnung, aber ich frage mich, wie ein solches Szenario ausgesehen haben mag, wo ein römischer Großverband durch einen Engpaß ziehen will. Wie in den vorherigen Beiträgen schon geschrieben wurde, muß dann ja die Breite der Marschkolonnen ja verdünnt worden sein, so daß sich also vorher ein "Stau" gebildet haben mag. Dann marschieren die Römer durch und werden an der Stelle des Walls von den Germanen niedergemacht und immer weitere Römer marschieren durch und in den "Häcksler" hinein. Am Ende kommen einige Römer durch.

Gibt es denn eine "offizielle" Lesart zur Interpretation der Ereignisse?

Dann eine Frage, zu der ich leider auch nichts habe finden können: die Römer sind ja aus östlicher Richtung in den Engpaß hinein marschiert. Es war ja schon häufiger hier die Rede vom Hellweg vor dem Sandforte ("A2 der Antike oder ähnliches"). Müßte man nicht entlang der Trasse nicht auch Spuren der Römer finden? Sie haben doch bestimmt ihre Marschlager irgendwo am Wegesrand gebaut?

Leider habe ich zu diesem Hellweg nicht viel gefunden, nicht einmal eine Trassenführung.:weinen:
 
... in dem man einen lange Äste reinsteckt, dann werden sie geschreddert und zum Schluß hat man kleine Holzstückchen.

Eben an die Häckselmaschine Wall (treffendes Bild für dieses Szenario) mag ich nicht recht glauben. Ich habe das eher als Kessel gesehen, der von rückwärts kollabiert und vorwärts der Wallfront zusammengedrückt wird (teilweises Entweichen nur durch das Moor).

V. oder wer auch immer erreicht mit einem 6-8km langen Marschzug, Troß auf dem befestigten Weg, Legionärskolonnen links und rechts auf vielleicht 30+ Meter Breite insgesamt den Wall.

Die Engstelle ist für den Troß, unterstellt man einen weiteren befestigten Wegverlauf, passierbar. Der Marschzug würde damit nur unwesentlich zusammengedrückt.

Unter welchen Aspekte wagt man die Passage?
- war der Wall zunächst nicht besetzt?
- gab es auch auf dem nächsten Kilometer geradeaus/westlich kein Hindernis?
- wenn der Kessel geplant war, warum wurde nicht westlich des Walls, in Nord-Süd-Richtung, noch eilig eine quer verlaufende Befestigung vorgenommen?
- welches Zahlenverhältnis unterstellt man generell für die "abwartenden" Germanen im Verhältnis zu den Römern?
- war der Zug überhaupt noch in der Lage, seitliche Sicherungen aufzuziehen, die Überraschungen verhindern sollten? Oder waren solche Sicherungsschleier/Kundschafter fern des Zuges in dieser Phase des Anmarsches an den Wall schon selbst höchst gefährdet?

Offenbar war die Passage trotz der Gefahren alternativlos, denn dazu scheint es ja wohl gekommen zu sein. Warum wurden nicht mehr Reste des Trosses gefunden (alles geplündert, überlebende Tiere weggeführt?)

Ist hier wahrscheinlich, dass V. in West-Ost-Richtung Sicherungen vor dem Wall aufziehen lässt, diesen dann angreifen lässt, damit im Rücken der Legionäre der Troß passieren kann? Hat er sich dabei soweit erschöpft, dass die Germanen vom Ausgangspunkt Wall zm Gegenangriff übergehen konnten?

Wieso versammelt sich dann in einer bestimmten Phase der gesamte römische Zug/ein großer Teil frontal des Walls? Das funktioniert (wie beim Häcksel :winke: ) nur unter "Druck" von rückwärts. Die Nachhut müsste mit einer überlegenen Zahl von Germanen konfrontiert worden sein, um diesen Druck zu erzeugen. Vorn konnte offenbar wenig entweichen, was ich mir nicht auf durch die Topographie allein vorstellen kann. Dann kommt es zur Ballung, sowie mglw. zum Chaos, wenn die Nachhut unterliegt.

Von daher schließe ich mich Deiner Frage an: gibt es aufgrund der Funde eigentlich Vorstellungen von berufener Seite zum möglichen Geschehensverlauf?

Wenn man über ein Lager spekuliert, könnte dieses 15-20 km östlich des Kalkrieser Berges, im Verlauf und nördlich des Wiehengebirges, zu suchen sein?
 
Nochmals zu den Plünderungen:

Es haben dort schwerste Plünderungen stattgefunden. Dieser Befund ist wohl eindeutig. Das noch vor Ort (am Wall ) Verschrottungen stattgefunden haben ist wohl eindeutig. Das weißt allerdings auch auf eine gewisse Systematik bei den Plünderungen hin. Was nicht zu gebrauchen war (Schilde-die waren sehr groß und aus Holz) wurde vom wertvollen (Randbeschläge, Schildbuckel) getrennt. Es ist wahrscheinlich, daß Trosswagen und Tiere direkt zum Abtransport der geplünderten Gegenstände benutzt wurden. Daher wohl auch keine Funde dieser Art.

Wesentlich erscheint mir natürlich auch der genaue Hergang des Kampfgeschehens. Offensichtlich gab es keine vernünftige Alternative für die Römer. Sie mußten wohl durch den Engpass. Vieleicht ist es auch möglich, daß die Germanen zusätzlich aus östlicher Richtung angegriffen haben um die römischen Verbände in den Engpass zu drücken? Außerdem ist es so, daß (wenn ich mich jetzt richtig erinnere) die Funde nur in der Hangsandzone (am Kalkrieser Berg) gemacht wurden. Ob die Römer auch die Randzone am Moor benutzt haben steht wohl nicht fest.
 
Wesentlich erscheint mir natürlich auch der genaue Hergang des Kampfgeschehens. Offensichtlich gab es keine vernünftige Alternative für die Römer. Sie mußten wohl durch den Engpass. Vielleicht ist es auch möglich, daß die Germanen zusätzlich aus östlicher Richtung angegriffen haben um die römischen Verbände in den Engpass zu drücken?

Ersetze möglich durch wahrscheinlich. :winke:
 
Ersetze möglich durch wahrscheinlich. :winke:

Ja natürlich.

Also grob skizziert etwa so:

Die Römer nähern sich aus östlicher Richtung und werden seitlich aus Waldkanten und Verhauen attackiert. Sie sind also in Kämpfe verwickelt. Die Grundordnung bleibt erhalten, d.h. Tote und Verwundete werden geborgen, Ausrüstung gesichert. Eine mögliche Voraufklärung erkennt evt. den Engpass und den Wall. Aber wie sollen die Römer reagieren? Ausweichen in nördliche Richtung (Moor) oder in südliche Richtung (Hang des Wiehengebirges=felsig/dichter Wald) kommt nicht infrage. Bleibt nur der Rückzug nach Osten. Und den werden die Germanen zu verhindern gewußt haben.
 
Ja natürlich.

Also grob skizziert etwa so:

Die Römer nähern sich aus östlicher Richtung und werden seitlich aus Waldkanten und Verhauen attackiert. Sie sind also in Kämpfe verwickelt. Die Grundordnung bleibt erhalten, d.h. Tote und Verwundete werden geborgen, Ausrüstung gesichert. Eine mögliche Voraufklärung erkennt evt. den Engpass und den Wall. Aber wie sollen die Römer reagieren? Ausweichen in nördliche Richtung (Moor) oder in südliche Richtung (Hang des Wiehengebirges=felsig/dichter Wald) kommt nicht infrage. Bleibt nur der Rückzug nach Osten. Und den werden die Germanen zu verhindern gewußt haben.

Andererseits ist doch ostwärts des Kalkriese Berg doch wieder mehr Platz, so daß die Römer ihre Formationen hätten bilden können. Hätte ein germanischer Angriff aus dem Osten erfolgreich sein können?

So weit ich das Szenario verstehe, ist es doch wesentlich für den Erfolg des Angreifers am Kalkrieser Berg, daß sie dort mit punktueller, zahlenmäßiger Überlegenheit die Römer im Engpaß attackieren konnten.

Was wissen wir überhaupt von den germanischen Kampfweisen? Ich habe da in meiner Vorstellung so eine Mischung aus ein wenig "Germania" von Tacitus und Filmszenen aus "Gladiator".

Oder aber war es die Nachhut selber - germanische Hilfstruppen -, die den Angriff von hinten (Osten) geführt hat? Dann hätten wir wahrscheinlich römisch gedrillte oder sogar römisch ausgerüstete Germanen als Angriffstrupps.

Oder aber war das gar nicht das gesamte Varusheer, welches dort bekämpft wurde? Vielleicht nur eine Teileinheit? In den antiken Quellen wurde doch berichtet, daß Varus Teile seiner Truppen hier und da stationiert hatte.

Spekulationen über Spekulationen....:confused:
 
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