Das würde sich aus einem Marsch der Römer inkl. Tross nördlich des Wiehengebirges plausibel erklären lassen. Die bewaldeten Pässe sind nach meiner Kenntnis der Region- zumal in der Regenzeit im Herbst - leicht sperrbar und sogar unpassierbar, mindestens für den Tross.
Meine Kenntnis der Region ist sehr begrenzt. Deshalb will ich Dir da nicht grundsätzlich widersprechen. Ich merke nur an, dass ein zentraler Grund für die militärischen Erfolge römischer Legionen in den Leistungen liegt, zu denen ihre Pioniere fähig waren. Sie - die Römer - waren in der Lage, selbst die Alpenpässe zu überwinden. Mit Tross. Das Wiehengebirge wäre jedenfalls kein größeres Hindernis gewesen. Wenn man Sperren hätte beseitigen können. Hier liegt die entscheidende Frage: Was hätten die Germanen aufbieten müssen, um die Römer daran zu hindern, von ihrem Weg abzuweichen? Konnten sie das, was nötig war, aufbieten? Hintergründiger gefragt: Wäre den Römern nicht aufgefallen, dass sie daran gehindert werden sollten, von ihrer Route abzuweichen?
Es ließe sich sogar eine "überholende Verfolgung" denken, wenn sich eine kleinere Gruppe der Germanen südlich vom Zug auf den Kammlagen bewegt.
Das habe ich nicht bestritten. Ich habe nur gefragt, wann eine "überholende Verfolgung" begonnen werden muss, damit die Überholenden zwei oder drei Tage Vorsprung herausarbeiten können. Ich habe hier von fünf Tagen vor Schlachtbeginn gesprochen, was meiner Ansicht nach ziemlich "ambitioniert" ist. Abgesehen davon, dass die überholende "kleine Gruppe" groß genug gewesen sein muss, um binnen zwei oder drei Tagen einen 400 Meter langen, zwei Meter hohen und fünf Meter breiten Wall aufzuwerfen. Welche kurzen Wege mögen die Germanen gekannt haben, um die Strecke so abkürzen zu können? @El Quijote hat unter Verweis auf den Bericht von Cassius Dio mehrfach scherzhaft geschrieben, dass die Römer es wohl mit wasserfesten Super-Germanen zu tun hatten. Nun muss man diskutieren, ob die Supergermanen nicht nur wasserfest waren, sondern vielleicht auch noch fliegen konnten.
Zur Verfolgung ist kein "Vor-sich-hin-Treiben" erforderlich, wenn das Ziel des römischen Zuges bereits bekannt ist.
Stimmt. Jedoch: Wenn das Ziel bereits bekannt ist, ist die Verfolgung gar nicht nötig. Dann kann man einfach abwarten, bis der Gegner eintrifft. Genau das wollte ich ja andeuten: Wenn die Wall-Erbauer wussten, dass die Römer an diesem Punkt vorbeiziehen würden, dann konnten sie ihren Wall bauen, sich dahinter hocken und einfach abwarten. Dann wäre es auch überflüssig gewesen, Pässe zu sperren, verfolgend zu überholen oder den Zug (lange) vor Erreichen des Walls anzugreifen. Im Gegenteil: Es wäre klug gewesen, ganz still und unsichtbar zu bleiben. Jede "Störung" des römischen Marsches hätte die Römer ja vielleicht zweifeln lassen, ob es eine gute Idee ist, auf dem einmal gewählten Weg, der mit Sicherheit den Feinden bekannt war (da man den Feind ja selbst informiert hatte!), weiterzuziehen. Bei "Störungen" hätten die Römer auf die Idee kommen können, dass es vielleicht besser ist, einen anderen Weg zu nehmen. Auch wenn man diesen Weg vielleicht erstmal freikämpfen muss. Dass sie fähig waren, Wege "freizukämpfen", haben sie hinreichend bewiesen. Und nicht erst am Harzhorn.
Wieso das?
Die kleineren Kämpfe zur Schwächung und "Beschäftigung" können sich mit Beginn des Zuges ergeben haben. Die Nadelstiche der Angreifer werden durch die Marschlänge des Zuges von mehreren Kilometern begünstigt. Nehmen wir mal verieinfachend drei Säulen an, würde die Spitze bei Angriffen auf die Nachhut allein 1-2 Stunden bis zum Eintreffen benötigen, wodurch übrigens auch das Marschtempo abgebremst wird. Das hintere "Drittel" wird einen unruhigen Verlauf gehabt haben, ohne das man den Gegner stellen kann.
Ich habe gerade nach einem Smiley für den "springenden Punkt" gesucht. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Als die Römer losmarschiert sind, hatten sie einen Plan. Der sah "gemütliches Heimgehen" mit einer Pause zum "Germanenklatschen" vor. In dem Moment, da der Zug angegriffen wurde, war klar, dass dieser Plan gescheitert war. In genau diesem Moment mussten die Römer nachdenken, ob sie den Plan einhalten oder ändern wollen.
Okay, es hätte mindestens eine, eher zwei Stunden gedauert, die Nachricht vom Angriff im ganzen Zug zu verbreiten. Aber danach hätten Gegenreaktionen einsetzen oder zumindest erwogen werden müssen. Das Szenario der überholenden Verfolgung setzt aber voraus, dass die Angriffe MINDESTENS FÜNF TAGE vor dem blutigen Finale am Abschnittswall begannen. Und es setzt voraus, dass die Römer unterwegs keine Chance hatten, einen anderen Weg zu wählen. Es fällt mir schwer, das zu glauben. Was Militärtaktik angeht, standen die Römer in ihrer Zeit unangefochten an der "Spitze der Nahrungskette". Gleiches gilt hinsichtlich der persönlichen Ausrüstung der einzelnen Soldaten.
Egal wie man es dreht und wendet: Hätten die Angriffe fünf Tage vor Kalkriese begonnen, dann würde ich sofort zum Anhänger unseres doppelt vergeistigten Mitdiskutanten Marcus Caelius konvertieren. Dann wären die Legionen nämlich in einer Formation in den Engpass einmarschiert, die ihnen nicht bloß die Wahl gelassen hätte, ob sie sich vor dem Wall abschlachten lassen oder möglichst schnell durchziehen wollen. Dann hätte die Vorhut beim Anblich des Abschnittswalls sofort das Signal "Das Ganzen HALT!" gegeben und Minuten später wäre eine formierte Legion gegen den Wall vorgegangen. In diesem Fall würde es keine Kampfspuren westlich des Walls geben, denn entweder die Legionen hätten gesiegt und die Truppen wären anschließend unbehelligt durchgezogen, oder sie hätten verloren, und der Rest der Mannschaft wäre östlich des Walls erledigt und geplündert worden.
Der Wall war eine Überraschung, der die Römer nicht mehr ausweichen konnten. Nur so ist die Fundlage zu erklären.
Das Szenario hängt wesentlich davon ab, wie lange die römische Truppe am Tross festgehalten hat, und welche Größe und Bedeutung dieser hatte. Möglicherweise bis kurz vor Kalkriese?
Welche Größe der Tross hatte, ist in der Tat eine entscheidende Frage. Welche Bedeutung er hatte, hingegen nicht. Der Tross entschied über Leben und Tod. Mittelbar kann man das aus den Folgen der Schlacht ablesen: Tiberius hat angeordnet, dass im Tross künftig nur noch das Allernötigste mitgeführt werden durfte. Er hat außerdem angeordnet, dass wichtige Befehle nur noch in Schriftform übermittelt werden dürfen, woraus man schließen kann, dass der "Verrat" nach dem ersten Angriff noch weiterging. Dass der Tross lebenswichtig war, wussten jedenfalls auch die römischen Truppen, die bei Kalkriese am Abschnittswall vorbeigezogen sind. Hätten sie FRÜH GENUG gewusst, dass am Abschnittswall die Existenz ihres Trosses in Frage steht, hätten sie Vorkehrungen treffen können. Und fünf Tage sind genug Zeit, um solche Vorkehrungen zu treffen. Hätten sie fünf Tage Zeit gehabt, wären am Abschnittswall keine Trossteile gefunden worden.
Ich würde nicht sagen, um die eigenen Schwächen auszugleichen, sondern um sich einen (weiteren) Vorteil zu verschaffen. Selbst wenn man stärker ist, bietet Kampf doch immer die Gefahr, dass etliche der eigenen Leute verletzt oder getötet werden.
Selbstverständlich. Wenn man genug Zeit hat, nutzt man jede Chance, die man bekommt. Aber wenn man stärker ist, dann verschwendet man nicht die Kampfkraft von hunderten von Soldaten, um sich eine Chance zu sichern, die man VIELLEICHT in fünf Tagen bekommt. Wer immer den Wall gebaut hat um gegen wen immer besser Chancen zu haben, wusste mit großer Sicherheit mehrere Tage im Voraus, dass es sich "lohnt", ganz genau dort hunderte von Soldaten einzusetzen, um einen Wall zu bauen.
Wenn man die Römer einmal am Wiehengebirge hatte, musste man ihnen ja nur suggieren, dass es schwieriger sei, das Wiehengebirge zu queren, als eben parallel immer weiter daran entlang zu marschieren. Sprich: Sobald sie nach Süden oder zurück nach Osten wollten, musste man den Widerstand intensivieren, der Querungsversuch musste als zu teuer erkauft erscheinen.
Stimmt. Nur: Es wären beträchtliche Truppenaufgebote nötig gewesen, um den Römern zu suggerieren, dass es besser ist, weiterzuziehen anstatt zu kämpfen. Und zwar viele dieser Truppenaufgebote, denn es gab nicht nur eine einzige Möglichkeit, das Wiehengebirge zu überqueren oder umzukehren oder nach Norden abzuschwenken. Es muss im Laufe von fünf Marschtagen viele Möglichkeiten dazu gegeben haben. Es gab auch immer die Möglichkeit, einfach anzuhalten, ein Lager aufzuschlagen und auf Angriffe zu warten (das deutet Tacitus ja an) oder von diesem Lager aus gesperrte Wege zu "öffnen". Ich denke einfach, dass ein Heerführer, dem man mindestens fünf Tage Zeit lässt, mitbekommt, wenn der Feind ihn auf einem bestimmten Weg halten will.
Das hat zwar jetzt nicht direkt etwas mit Militär zu tun, aber wenn ich im täglichen Leben merke, dass mich jemand in eine bestimmte Richtung drängen will, dann bleibe ich stehen und frage mich: Was könnte es ihm nutzen, wenn ich in diese Richtung gehe? Schon aus angeborener Boshaftigkeit heraus überlege ich dann gleichzeitig, welche alternativen Wege ich denn wählen könnte.
Wie angedeutet: Ich bin kein Soldat. Ich bin Betriebsrat. Aber das ist auch manchmal Krieg :devil:.
MfG