Kolonien: Nutzen oder Belastung für das Reich?

Entschuldigung, ich weiß, dass dieser Beitrag schon etwas angejahrt ist, aber ich will trotzdem noch einmal meinen Senf dazugeben.
Das deutsche Kaiserreich gründete sich mit 1871 erst sehr spät, weswegen die wirklich profitablen Kolonien bereits hauptsächlich unter England, Frankreich und Spanien aufgeteilt waren. Reichskanzler Bismarck hatte das früh erkannt und sich deswegen immer geweigert, die deutschen Zusammenschlüsse von reichen Unternehmern, die Kolonien auf eigene Faust betreiben wollten, militärisch zu unterstützen.
Als jedoch mit dem "Drei - Kaiser - Jahr" 1888 Wilhelm II. auf den Thron kam und Bismarck in Ehren gefeuert wurde, bekam die Frage nach deutschen Kolonien eine neue Bedeutung. Sie wurden ein Prestige - Projekt, bei dem wirtschaftliche Aspekte im Hintergrund standen. "Ein starkes Deutschland braucht Kolonien!" - so lautete sinngemäß die Devise. Soldaten wurden auf Staatskosten entsendet, und neben der deutschen Flotte und dem Kaiser selbst wurden schwarze Stammesmitglieder und Carl Peters beliebte Postkartenmotive.

Die deutschen Kolonien waren für Deutschland ein großes Verlustgeschäft und sind ein weiterer Beweis für den hirnlosen Nationalismus im 19. Jahrhundert.
 
Du hast ja in einigem Recht, aber nicht darin, daß der Erwerb der Kolonien eine Idee Kaiser Wilhelms II. waren - die Masse entstand bereits 1884/5, unter Kaiser Wilhelm I.

"Willi dem Letzten" wird viel angelastet, das war aber nicht in seiner Amtszeit. ;)
 
Du hast ja in einigem Recht, aber nicht darin, daß der Erwerb der Kolonien eine Idee Kaiser Wilhelms II. waren - die Masse entstand bereits 1884/5, unter Kaiser Wilhelm I.

"Willi dem Letzten" wird viel angelastet, das war aber nicht in seiner Amtszeit. ;)

Vermutlich meinte 1InGeschichte! nicht den Erwerb, sondern mit Bedeutung und Prestige die Förderung der Kolonien.

Das wäre dann in einem politisch-ökonomisch-militärischen Sinne zu verstehen.
 
Eine Liste der der profitablen franz. Kolonien würde mich auch interessieren.

Turgot,1776

Le revenu que le gouvernement tire des colonies est une ressource nulle, même en temps de paix.

Der Profit denn der Staat von den Kolonien hat, tendiert gegen Null, sogar in Friedenszeiten.


 
Wie soll denn der Nutzen einer Kolonie ermittelt werden? Geldflüsse mit dem Heimatland, Auswirkungen auf den Staatshaushalt, allgemeine Wirtschaftsentwicklung, Selbstwertgefühl der Bevölkerung, ...?
 
Wie soll denn der Nutzen einer Kolonie ermittelt werden?

Es gibt auch keine einheitliche Vorgehensweise, diesen Wert zu ermitteln.

Es gibt zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die Gewinnung von Imperien. Die eine ist durch Mahan im Rahmen des "Navalismus" formuliert worden.

Die andere ist im wesentlichen durch Napoleon (Kontinentalblockade) und in der Folge durch die unterschiedlichen politischen Akteure des deutschen Reichs formuliert worden. Sie bezog sich auf den "blockadefesten Lebensraum" in Kontinentaleuropa.

Mit KW2 bis 1916 als einen "hybriden" Vertreter als (unsinnige) Variante, der Mahan nicht wirklich verstanden hat. Und dem Zusammenbruch des zaristischen Russlands als kontinentale Vision.

In beiden Konzeption spielen Kolonien eine völlig unterschiedliche Rolle als Beschaffungs- und Absatzmarkt, aber natürlich auch als geographische Einheiten für die Machtprojektion (Häfen, Depots, Docks etc.).

Für die Seemächte, GB und USA, spielten Kolonien und Gebiete, die zum "informellen Imperium" grechnet werden konnen, eine große Rolle.

Für die Landmächte, D, FR oder Russland spielten sie dagegen objektiv eine untergeordnete Rolle, da sie für die nachhaltige "Machtprojektion" sekundär und verletzlich waren.
 
Es gibt zwei unterschiedliche Sichtweisen auf die Gewinnung von Imperien. Die eine ist durch Mahan im Rahmen des "Navalismus" formuliert worden. ...

Für die Landmächte, D, FR oder Russland spielten sie dagegen objektiv eine untergeordnete Rolle, da sie für die nachhaltige "Machtprojektion" sekundär und verletzlich waren.

Das ist ein interessanter Gedanke, der sozusagen reziprok durch Großbritannien beim "containment" deutscher Ansprüche verfolgt worden ist.

Koloniale Gebiete wären demnach nicht Selbstzweck, sondern müssen zur Aufnahme und zum "backing" von Seemacht (die sich immer nur temporär in bestimmten Gebieten "halten" kann) dienen.

Dafür müssen logistische Voraussetzungen gegeben sein. Für Großbritannien war stets wichtig, dass das Deutsche Reich an der Afrikanischen Westküste bis runter nach Kapstadt keinen kolonialen Stützpunkt errichten konnte, der rückgrat von Seemacht darstellt. Gleiches gilt auf der Afrikanischen Ostküüste, selbst Daressalam war ja nur höchst bedingt geeignet. Zugespitzt: Seemacht stützte sich dann auf Großhäfen und Docks nebst Anlagen. Der Hintergrund war für Großbritannien die Verwundbarkeit gegen Handelskrieg und die Route GB-Kapstadt-Aden-Indien (die selbst mit dem Suezkanal unverändert überragende strategische Bedeutung genoß).

In dem Sinne ergab sich für Mahan eine Antwort der ambitionierten Seemacht USA als Newcomer für Hawaii und die Philippinen (und dazu auch eine entsprechende Schrift).
 
Profitabel ist ja im engeren Sinn monetär zu messen. Aber das ist schwierig, denn oftmals kamen Investitionen aus dem Staatshaushalt oder aus den Kirchenkassen, die Profite erwirtschafteten dann oft Privatgesellschaften (wobei nicht ausgeklammert werden darf, daß auch Privatgesellschaften investierten, die sich aber in deren Gewinn und Verlust-Rechnung darstellten).
Mir ist nicht bekannt, daß sich wirklich jemand jemals die Mühe gemacht hat, eine lange Bilanz sämtlicher Investionen und anderer Kosten (z.B. auch Militärkosten bei Aufständen!) aus allen Quellen in einer beliebigen Währung den Einnahmen gegenüberzustellen. Ich bezweifele ob das überhaupt möglich ist..

Im weiteren Sinn ist "profitabel" allerdings auch nicht in Geld zu bemessen: Vorteile in strategischer ( Militär, Marine) oder machtpolitischer Sicht ( Einfluß auf ganz andere weltpolitische Entscheidungen ). Hier hört die Messbarkeit völlig auf, da dies abhängig vom Zeitpunkt und der subjektiven Einschätzung der Völker/Personen/Unternehmen etc. war.

Ein ganz anderer Punkt ist dabei, daß diese "Berechnungen" aus eurozentristischer Sicht der Kolonialmächte gemacht wären. Ob und wieweit die Kolonisation der Europäer für die kolonisierten Völker einen "Gewinn" darstellten, ist die andere Seite der Medaille.
 
Ja okay Spanien wurde schon recht früh rasiert, zugegeben. Aber Frankreich war zu Zeiten des Deutschen Kaiserreiches territorial gemessen sozusagen auf Platz zwei der Kolonialmächte und wirtschaftlich um ein Vielfaches profitabler als die deutschen Kolonien, die wirklich reines Prestige waren.
 
Ah, und mir ist tatsächlich eine kulturell seeehr profitable Kolonie Frankreichs eingefallen, auch wenn die nur drei Jahre in französischem Besitz war: Ägypten. :)
 
Was meinst du mit rasiert?

Ägypten wurde 1798 von Napoleon erobert und lediglich bis 1801 gehalten. Die Franzosen mussten sich permanent der Osmanen erwehren, die schließlich 1801 erfolgreich waren. Kann man da schon von Kolonie sprechen?
 
Was meinst du mit rasiert?
Beim Rasieren verliert man ja Haare, also ist Rasieren ein, zugegeben ungeläufiges Synonym für verlieren, abgezogen werden... :)

Ägypten wurde 1798 von Napoleon erobert und lediglich bis 1801 gehalten. Die Franzosen mussten sich permanent der Osmanen erwehren, die schließlich 1801 erfolgreich waren. Kann man da schon von Kolonie sprechen?

Nein, eine Kolonie in dem Sinne war das natürlich noch nicht, aber zum Beispiel der Stein von Rosette, der ja die Grundlagen zum Lesen von antiken Hieroglyphen lieferte, wurde in diesen drei Jahren ja von Franzosen entdeckt, auch wenn sie den Stein relativ schnell an die Engländer abgeben mussten. In dieser Hinsicht war Ägypten wohl eine der bedeutendsten Kolonien aus kulturell - wissenschaftlicher Sicht.
Es gab ja im 19.Jahrhundert, im Zuge des allgemeinen "Geschichts-Hype" sozusagen einen "Ägypten-Hype". :)
 
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