Wagner- und Verdijahr 2013

@ElQ und ursi: diese Dokumentation war/ist geschickt zusammengestellt, bringt allerdings inhaltlich keine Neuigkeiten; speziell interessant allerdings ist daran, dass von angeblich antisemitischen Subtextebenen im Ringtext und der Musik gar nicht die Rede war (bestenfalls filmisch collagierte Andeutungen, z.B. dass die Nibelungenmusik aus dem Rheingold akustisch neben gezeichnete Judenkarikaturen gestellt wurde - das allerdings nicht in der Art, dass da eine inhaltliche Verbindung offenbart werden sollte) des weiteren interessant war an dieser Dokumentation, dass sie hauptsächlich englische und amerikanische Musikologen sowie ein paar Dirigenten (z.B. Mehta) zu Wort kommen ließ, d.h. die deutschsprachige Flut an Wagnerliteratur wurde nicht verwendet. Ebenfalls interessant waren die ausführlich (so weit das in einer einstündigen Doku geht) dargestellten Biografien von Hermann Levi (der sich nur einmal für kurze Zeit mit Wagner verstritt), Carl Tausig und Josef Rubinstein.

interessant übrigens auch:
Als Alfred Pringsheim, Schwiegervater Thomas Manns und Vorbild für die Figur des Samuel Spoelman in „Königliche Hoheit“, am 25. Juni 1941 in Zürich verstarb, wohin die Pringsheims sich und einen winzigen Teil ihres Vermögens 1939 hatten retten können, verbrannte Ehefrau Hedwig Pringsheim alle schriftlichen Hinterlassenschaften. Zeugen gibt es dafür nicht. Es gingen aber, so viel weiß man zuverlässig, etliche Briefe dabei verloren, die Richard Wagner an Pringsheim, den Förderer und Freund, geschrieben hatte.
Jetzt ist ein unbekanntes Pringsheim-Wagner-Dokument aufgetaucht. Keiner der verlorenen Briefe, vielmehr die Abschrift von Tagebuchnotizen, die sich der junge Pringsheim, sechsundzwanzigjährig, im Sommer 1876 in Bayreuth machte, als er die Generalproben zur Uraufführung des „Rings des Nibelungen“ besuchte. Richard Wagners Urenkelin Dagny Beidler (Enkelin von Isolde von Bülow, die wiederum die erstgeborene Tochter von Richard und Cosima Wagner war) fand die umfangreiche Schrift im Winterthurer Nachlass ihres Vaters Franz Wilhelm Beidler. Sie transkribierte sie mit Hilfe der Musikwissenschaftlerin Eva Rieger.
Dieser Pringsheimsche Festspielprobenbericht wird im Mai in Gänze erstmalig veröffentlicht (Thomas-Mann-Schriftenreihe, Band 9, Verlag Königshausen-Neumann). Wir bringen hier einige Auszüge vorab. Sie zeigen, dass dieses Fundstück nicht nur für Pringsheim-Biographen oder für die Wagner-Rezeption von Interesse ist. Auch über Wagner selbst ist viel zu erfahren.
Einmal mehr muss man staunen, wie liebenswüridg, ja freundschaftlich er im persönlichen Umgang mit seinen jüdischen Bewunderern ist - jedenfalls, solange sie ihm nützlich sein konnten: Alfred Pringsheim gehörte zu den spendabelsten Geldgebern der ersten Bayreuther Festspiele. Dass Wagner nur mäßig Klavier spielte, ist bekannt, ebenso, dass er gern sang. Aus den eignen Werken gab er, im geselligen Kreis, halbe Akte singend zum Besten, sich von anderen begleiten lassend.
Pringsheim schildert eine solche Szene, nur, dass Wagner hier nicht eigene Werke, vielmehr Balladen von Carl Loewe vorträgt, die er offenbar auswendig wusste, was ein Licht wirft auf seinen musikalischen Horizont. Mag die Verurteilung Giacomo Meyerbeers auch keine Überraschung sein, so ist es andererseits die Wertschätzung Halévys, den Wagner gegen Ersteren ausspielt. Und: Die weltberühmte Akustik des neuen Festspielhauses war offenbar stark gewöhnungsbedürftig. Wie die Tagebuchabschrift in den Nachlass von Franz Wilhelm Beidler gelangte, ist unklar. Vermutlich handelt es sich um eine Schenkung. Beidler war mit der Familie Mann gut befreundet, er war es auch, der bei der Beerdigung Alfred Pringsheims in Zürich die Grabrede hielt.
aus http://www.faz.net/aktuell/feuillet...-und-cosima-grinst-freundlichst-12089604.html
 
Nein, sondern nach der literarischen, musikalischen, künstlerischen Qualität. Und da fällt Wagner mit Bomben und Granaten durch.

Deine persönliche Meinung ist kein Maßstab.

Die moralische Integrität kommt dann ins Spiel, wenn die charakterlichen Defekte von interessierter Seite durch Geschichtsfälschung übertüncht werden, und das lässt sich im Fall Wagner mühelos nachweisen.

Menschliche Defizite in Wagners Vita bestreitet kein Mensch. Da rennst du offene Türen ein und ich frage mich, warum du dich hier seitenlang ereiferst. Mit Wagners Musik hat das allerdings nichts zu tun.
 
Zuletzt bearbeitet:
(PS: und meine neugierige Frage, warum sich jemand mit derlei Intensität an einem Musiker abarbeitet, dessen musikalische, literarische und künstlerische Qualität mit Bomben und Granaten durchfällt, wurde auch noch nicht geklärt...es sei denn, es handelt sich um einen gewissen Jemand, der über Kurt Weill promovierte)
Ich bitte um Vergebung, wenn ich die genannte Frage als rein rhetorisch interpretiert habe. Was mich an dem Thema fesselt, ist die Frage, weshalb auch heute noch viele Menschen mit Halbwahrheiten und Verdrehungen abgespeist werden können, obwohl wir eigentlich so viel wissen und überprüfen können wie nie zuvor.
Sie können es ja selbst nachlesen: Da kann man glasklar argumentieren und Originalzitate anführen (s. etwa Texte 224, 243, 244) - es wird einfach vom Tisch gewischt. Das funktioniert ein bisschen nach dem "Parrot Sketch" von Monthy Python (auf youtube zu sehen).
 
Sie hören Wagner wirklich nicht....
Doch – manchmal bis zum Erbrechen!
Das ist kein Zufall, das ist bewusst gesetzt! Und auch jeder Pathos-Schwulst im Text hat seinen ihm zugewiesenen Platz.
Da liegt ein Missverständnis vor: Nicht die kompletten Opern sind Wagner "unterlaufen", wie ich das genannt habe, sondern die zahlreichen Brüche, Lücken und dilettantischen Fehler, die in dem Werk zu beobachten sind. Der Begriff "unterlaufen" bezog sich ja nachlesbar auf die Tatsache, dass Figuren manchen Foristen hier lächerlich erscheinen, die Wagner nachweislich - und der Nachweis wurde geführt - als verehrungswürdig gedacht hatte (Beispiele Wotan und Siegfried). Dass Wagner eine bestimmte Darstellungsabsicht hegte, ist ganz unstreitig - macht aber das Problem nur noch größer: Er konnte es einfach nicht. In puncto Pathos-Schwulst sind wir uns erfreulich einig.
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Text und Musik gehören so eng zusammen wie bei sonst niemanden.
Schön, dass Sie das auch so sehen. Die Ansicht, dass bei Wagner Text und Musik nicht zu trennen sind, habe ich ein paar Seiten vorher (Text #156) ausdrücklich vertreten. Ich gehe allerdings noch etwas weiter: Da in den Opern Wagners Text und Musik sehr stark aufeinander bezogen sind, steht und fällt das Qualitätsurteil über das Ganze mit dem Urteil über die Texte.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
I
Sie können es ja selbst nachlesen: Da kann man glasklar argumentieren und Originalzitate anführen (s. etwa Texte 224, 243, 244) - es wird einfach vom Tisch gewischt. Das funktioniert ein bisschen nach dem "Parrot Sketch" von Monthy Python (auf youtube zu sehen).
Allerdings bewegt sich das argumentative Moment der angeführten Texte auf der Ebene "Beweis durch Behauptung" und erklärt nicht, wie ein Nichtskönner wie Wagner einen derart immensen Einfluß auf die Musik-, Literatur- und Geistesgeschichte weltweit seit dem 19. Jahrhundert ausüben konnte...
 
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Wagner selber über den angeblich verehrungswürdigen Siegfried anläßlich der Frage, warum dieser nicht einfach bei seiner Tante auf dem Walkürenfelsen bleibt:
Wagner grinsend schrieb:
er muss sich ein paar Könige tributpflichtig machen

ganz so dämlich war Wagner nicht, dass er plakativ an seine Bühnenfiguren Schilder geheftet hätte wie "sehet den neuen Übermenschen" (Siegfried) oder "sehet die Summe der Intelligenz des Jahrhunderts" (Wotan) oder gar "ein arger Itzig mit germanischem Namen" (Alberich) - - die Götter tauchen in einer stilisierten Comedia del´arte (Rheingold) auf, beckleckern sich ganz und gar nicht mit Ruhm, was teilweise mit der pathetisch-feierlichen bis pompös-sakralen Musik kontrastiert: man nennt so etwas einen Kunstgriff, die symbolischen Bedeutungen und der Handlungsvordergrund stehen in einem gewollten Missverhältnis, der dargestellte Mythos ist brüchig. Entsprechend verwandeln sich auch die so genannten Leitmotive: das Angstmotiv im gebrochen komödiantischen, versteckt sarkastischen und gesellschaftskritischen Rheingold wird verblüffenderweise zum Liebesmotiv in der Walküre. --- so weit nur ein Ansatz dazu, dass die vermeintlichen Brüche und Missverhältnisse nicht eo ipso die Schlamperei eines Dillettanten sind; wollten wir überall in Opern oder Romanen nebensächliche Unstimmigkeiten aufzählen und inquisitorisch verdammen, dann wären Effie Briest, Ulysses, Berlin Alexanderplatz, Buddenbrooks schlechte verpfuschte Romane, Trovatore, Euryanthe, Turandot wären schlechte Opern (die natürlich allsogleich auch nur ungekonnte Musik enthalten) und die Schöpfer dieser Machwerke müssten allesamt Pfuscher und Esel sein...

was sagt das Kabarett zu solchen Verwirrnissen?
Georg Kreisler schrieb:
aber ich hab´ eine Oper geschrieben
da ist alles logisch drin
:D:D

...es gab mal die "hier-irrte-Goethe-Attitüde", oberlehrerhaft wurden irgendwelche nebensächlichen "Fehler" aufgezählt - sie vermochten den Faust nicht aus der Literatur in den Abfalleimer zu befördern; egal wie oft Goethe irrte

Dass Wagner eine bestimmte Darstellungsabsicht hegte, ist ganz unstreitig - macht aber das Problem nur noch größer: Er konnte es einfach nicht.
dieses argumentationslose Fehlurteil, ja eher Vorurteil, wurde bislang anhand der Musik nicht nachgewiesen --- behaupten kann man alles, auch dass der Mond eine galaktische Salatgurke seie, und man kann das natürlich auch endlos repetieren: es wird dadurch nicht wahr.

Schön, dass Sie das auch so sehen. Die Ansicht, dass bei Wagner Text und Musik nicht zu trennen sind, habe ich ein paar Seiten vorher (Text #156) ausdrücklich vertreten. Ich gehe allerdings noch etwas weiter: Da in den Opern Wagners Text und Musik sehr stark aufeinander bezogen sind, steht und fällt das Qualitätsurteil über das Ganze mit dem Urteil über die Texte.
in welcher Oper sind Text (Libretto) und Musik eigentlich nicht sehr stark aufeinander bezogen???...
sollte etwa in Mozarts Zauberflöte egal sein, was die Leute auf der Bühne singen und spielen???...
oh Weh, ganz besonders dämlich ist das Libretto von Verdis Trovatore: ist nun Verdi kompositorisch eine Niete???
Robert Schumann wie auch Hugo Wolff haben teilweise drittrangige Gedichtlein vertont: sind die entsprechenden Kunstlieder nun musikalisch verpfuscht???
ganz offensichtlich: wieder einmal waren keine plausiblen Argumente vorhanden...

und zuletzt: Libretti sind eine andere Textgattung als (Theater)Dramen, Komödien, Tragödien - es ist unlauter, die Kriterien an Libretti anzulegen, welche man bei Goethe, Schiller & Co. gewohnt ist. Zur Textgattung Libretto und dessen Besonderheiten gibt es übrigens lesenswerte Fachliteratur.

Nichts, absolut gar nichts in Sachen Argumentation war bislang zur angeblich ungekonnten Musik von Wagner hier zu lesen - so langsam wird es Zeit, diese Behauptung mal zu stützen, und wenn das nicht funktioniert (wovon man ausgehen kann), dann wäre eine Revision dieses nun oft genug wiedergekäuten privaten Geschmacksurteils fällig (oder wenigstens die Einsicht, dass nichts anderes als persönliches Missfallen dahinter steckt)
 
ganz so dämlich war Wagner nicht, dass er plakativ an seine Bühnenfiguren Schilder geheftet hätte wie "sehet den neuen Übermenschen" (Siegfried) oder "sehet die Summe der Intelligenz des Jahrhunderts" (Wotan)
Genau das hat er aber getan. Außerdem hat er die Welt des Geldes und der Juden ausdrücklich mit Alberich in Verbindung gebracht. Freilich kam es ihm nicht immer auf eine antisemitische Stoßrichtung an - Hauptsache war ihm, dass die Arier auf der obersten Leitersprosse des Menschseins gesehen wurden. So haben Cosima und er einmal den ganzen Ring nach Rassengesichtspunkten durchexerziert - da wurden dann die Zwerge der gelben Rasse zugeordnet.

oder gar "ein arger Itzig mit germanischem Namen" (Alberich) - - die Götter tauchen in einer stilisierten Comedia del´arte (Rheingold) auf, beckleckern sich ganz und gar nicht mit Ruhm, was teilweise mit der pathetisch-feierlichen bis pompös-sakralen Musik kontrastiert: man nennt so etwas einen Kunstgriff, die symbolischen Bedeutungen und der Handlungsvordergrund stehen in einem gewollten Missverhältnis, der dargestellte Mythos ist brüchig.
Darüber lässt sich reden. Ich würde da aber schon ganze Sache machen: Der ganze Ring ist eine ziemliche Komödie, bis hin zur letzten Szene, wo Vater Rhein blitzschnell über die Ufer tritt, damit die Rheinjungfern nicht wie die Schlammspringer zu Siegfrieds und Brünnhildes Scheiterhaufen robben müssen, und bis hin zum urkomischen Zitat des so genannten "Erlösungsmotivs", das eigentlich besser "Schwangerschaftsmotiv" heißen sollte. Das ist natürlich ein Hinweis darauf, dass für Brünnhilde die lustige Zeit mit Siegfried nicht ohne Folgen geblieben ist. Prokofiew hat diese Technik später aufgegriffen mit der Ente, die man noch in gefressenem Zustand aus dem Bauch des Wolfs quäken hört. Und von hier aus wird auch mit einem Schlag klar, weshalb am Ende des "Rheingolds" dreizehnmal die rheinische Karnevalsquart ertönt, mit der die Jecken akustisch vermelden, dass gelacht werden darf. Dass das bisher noch niemand entdeckt hat!
In Kürze werde ich nachweisen, dass nicht nur der Ring eine krachende Komödie, sondern auch der Holländer ein echtes Schmunzelstück ist.
 
Er schließt von sich auf andere...

Wagner ist nicht nur unfreiwilliger Meister in der Gestaltung seltsam begriffsstutziger Figuren – er scheint auch sein Publikum so einzuschätzen.
Berüchtigt ist ja aus dem „Ring“ die Marotte, das Geschehen durch Erzählungen darüber zu multiplizieren. In diesem Vierteiler machen solche nahezu identischen Erzählungen einen nicht unerheblichen Teil des sechzehnstündigen Sitzmarathons aus. Wagnerverehrer schwurbeln sich das schön, indem sie erklären, dass so gezeigt werde, wie eben die Vergangenheit in der Gegenwart immer präsent sei.

Weniger bekannt ist vielleicht, dass diese Eigenheit sich auch schon im überaus kurzen „Holländer“ ausprägt.
So erzählt uns der Holländer in I,2 sein bedauernswertes Schicksal („Die Frist ist um“). Gut, das ist ganz nützlich. Doch dann, in II,1 erfahren wir die Geschichte erneut, und zwar von Senta („Johohoe! Johohoe! Hojohe!“ Das klingt nach Brünnhilde – was uns wohl der Meister damit sagen will?), wobei wir auch gleich mitkriegen, dass sie von den blutroten Segeln des Holländerschiffs weiß und dass der Begriff „Fliegender Holländer“ allen geläufig ist. Mögliche Spannungsmomente ohne Ende werden hier mit einem Maximum an Ungeschick verschenkt.

Nicht genug damit: Gleich in II,2 hören wir die Holländer-Erlösungsgeschichte als Traumerzählung Eriks („Auf hohem Felsen“), und in III,2 schließlich müssen wir die Saga zum vierten Mal über uns ergehen lassen – diesmal darf wieder der Holländer ran („Erfahre das Geschick“), bevor die vier Erzählungen dann noch einmal Bühnenrealität werden.

Was nun folgt, gehört ins Kapitel "Wagners unfreiwilliger Humor": Senta hält den aufbrechenden Holländer auf, macht ihm eindringlich klar, dass sie ihn schon längst kennt: „Wohl kenn’ ich dich...“, und belegt das auch glaubhaft. Nachdem Sentas exzellenter Informationsstand also hinreichend dokumentiert ist, raunt der Holländer (vielleicht hat er doch ein bisschen viel Rum geschluckt in seinem langen Leben als Fahrensmann) bedeutungsschwer: „Du kennst mich nicht.“

Offenbar ist es jedoch der Dichter, der sein Werk nicht hinreichend kennt. Denn obwohl er uns die Geschichte schon viermal erzählt hat, obwohl wir den Anblick der blutroten Segel schon längst (I,1) erschauernd genossen haben und Senta selbstverständlich von diesen Tüchern ein Lied zu singen weiß sowie das Eponym „Fliegender Holländer“ bestens kennt, baut Wagner (den seine Anhänger schon mal mit Shakespeare auf dasselbe Podest stellen) die Schlussszene so, als ob er Senta und uns eine ungeheure Überraschung servierte: „Er deutet auf sein Schiff, dessen blutrote Segel aufgespannt werden“, heißt es in der Szenenanweisung, und mit allem Stimmgewicht verkündet unser Mann aus den Niederlanden: „Den Fliegenden Holländer nennt man mich.“ Ein mutiger Regisseur müsste hier Senta eigentlich gähnen lassen; denn das ist nur mehr für diejenigen von Bedeutung, die in den ersten fünf Minuten schon eingenickt und seitdem nicht mehr hochgeschreckt sind. Schön, dass Wagner auch an dieses Publikum denkt...
 
@ Gerd Franke

Mal ne Frage zwischendurch, warum tust Du Dir all die Opern Wagners an, wenn Du ihn nicht so prall findest?
Also wenn mir ein Komponist nicht behagt, habe ich das nach der 2. Oper verstanden und höre mir nicht noch ausgiebig ein halbes Dutzend weiterer an.
Oder gefällt Dir doch irgendwas an seinen Werken, was sie Dir so unsagbar anziehend macht, dass Du Dich so, zugegebenermaßen, intensiv damit beschäftigst?
 
@ Gerd Franke

Mal ne Frage zwischendurch, warum tust Du Dir all die Opern Wagners an, wenn Du ihn nicht so prall findest?

Und ich möchte hinzufügen.<?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:eek:ffice:eek:ffice" /><o:p></o:p>
Bei dieser auf gründlicher Recherche basierenden Erkenntnis und daraus resultierenden Meinung, würde ich z.B. ins „Wagner – Forum“ gehen.<o:p></o:p>
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Da liegt ein Missverständnis vor: Nicht die kompletten Opern sind Wagner "unterlaufen", wie ich das genannt habe, sondern die zahlreichen Brüche, Lücken und dilettantischen Fehler, die in dem Werk zu beobachten sind. Der Begriff "unterlaufen" bezog sich ja nachlesbar auf die Tatsache, dass Figuren manchen Foristen hier lächerlich erscheinen, die Wagner nachweislich - und der Nachweis wurde geführt - als verehrungswürdig gedacht hatte (Beispiele Wotan und Siegfried).

Es gibt zahlreiche gute Inszenierungen, die weder Wotan noch Siegfried als "Lachnummern" verunstalten, sondern die Figuren interessant entwickeln und faszinierende Psychogramme hinterlegen. Natürlich lässt niemand heute mehr die Götter mit Flügelhelmen und Wadenbändern auftreten und die Brünhild ist keine schwergewichtige Matrone mehr.

Mit einer primitiven, populistischen Rhetorik, wie du sie verwendest, zerlege ich dir jede Oper in lächerliche Bestandteile. Das ist überhaupt keine Kunst.

Dass Wagner eine bestimmte Darstellungsabsicht hegte, ist ganz unstreitig - macht aber das Problem nur noch größer: Er konnte es einfach nicht. In puncto Pathos-Schwulst sind wir uns erfreulich einig.[FONT=&quot]
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Da sind wir uns überhaupt nicht einig. Aus jeder Oper lässt sich bei schlechter Regie und Personenführung eine schwülstige, ungenießbare Angelegeneheit machen. Moderne Regisseure locken aus Wagneropern Hintergründe hervor, die schon immer in den Libretti angelegt waren, aber in wilhelminischer Zeit keine Resonanz oder überhaupt Beachtung fanden.

Es ist ein großer Vorteil wagnerscher Opernvorlagen, dass jede Epoche aktuelle Bezüge finden und thematisieren kann. Und das tut sie auch, wenn mann z.B. aktuelle Ringinszenierungen anschaut. Da wabert weder Historismus noch altdeutsche Nostalgie, mit denen Wagneropern zur Kaiserzeit überfrachtet wurden.
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Der Holländer im Eilzug

Wer immer Wagner psychologische Personen- und Handlungsgestaltung nachgesagt hat –und das sind nicht wenige - der "Fliegende Holländer" konnte mit Sicherheit nicht gemeint sein. Wie hier Lebens- und Todesentscheidungen im Eilzugsverfahren getroffen werden, das ist im Opernleben einmalig. So wirkt der "Fliegende Holländer" eher als eine kurzgefasste Inhaltsangabe seiner selbst denn als Bühnenwerk.

Dass Senta von einem Bild und der darum sich rankenden Sage angezogen ist – wer mag es einer fünfzehnjährigen Göre (oder ist sie gar älter?) verübeln; das mag noch angehen. Aber die geradezu mechanistische Abfolge: Herzeigen des Vermögens – Zusage des Vaters – Einwilligung der Tochter - ist von einer chemisch psychologiefreien Rasanz, die einem den Atem nimmt (oder sind es eher die Ausdünstungen des Publikums im sommerlichen Bayreuth? - Egal). Dabei unterläuft Wagner eine nette ungewollte Doppeldeutigkeit, als Daland Senta fragt: Sprich, Senta, würd' es dich verdrießen, wenn dieser Fremde bei uns wohnt?" Darauf schreibt die Regieanweisung vor: "Senta nickt beifällig mit dem Kopfe", sie bejaht also die Frage, meint aber selbstverständlich Nein. Wahrscheinlich wieder commedia dell’arte vom Feinsten.

Eine Meisterleistung an Überstürzung ist der letzte Akt, als Erik Senta beschwört, doch bitte bei ihm zu bleiben, wie das geplant war. Der Holländer belauscht das Gespräch, und obwohl daraus eindeutig Sentas Absicht hervorgeht, dem traurigen Seemann zu folgen, sieht der das Versprechen der ewigen Treue ebenso eindeutig gebrochen und fährt wieder auf die See hinaus – vermeintlich für weitere sieben Jahre.

Und nun verliert Wagner in dem Hopplahopp der in allen Fugen ächzenden Dramenkonstruktion völlig den Überblick: Es war ja die Treue bis zum Tode gefordert, nicht die durch Tod beglaubigte Treue. Und selbst die kann ja eigentlich nur in einer Situation bewiesen werden, bei der die Alternative "Untreue oder Tod" heißt. In dieser Situation beweist der Klippensturz Sentas überhaupt nichts, er ist nur ein hübscher bühnentechnischer Schluss, und wenn Regie und Bühnentechnik entsprechend zusammenarbeiten, haben die Leut’ auch was zu lachen. Was Wagner so durcheinandergebracht hat, davon ein andermal. Grundsätzlich ist für den Meisterdichter halt Erlösung nichts wert, wenn nicht eine Frau stirbt.

Was hätte der Stoff an raffiniert zu gestaltenden Konflikten geboten! Der Vater und der Holländer, Senta und der Vater, Senta und Erik, Senta und der Holländer, Erik und der Holländer - aber Wagner verplempert die dafür vorhandene Zeit in der Spinnstube und bei den Schiffen der Norweger und der Holländer.
 
Wer immer Wagner psychologische Personen- und Handlungsgestaltung nachgesagt hat –und das sind nicht wenige - der "Fliegende Holländer" konnte mit Sicherheit nicht gemeint sein. Wie hier Lebens- und Todesentscheidungen im Eilzugsverfahren getroffen werden, das ist im Opernleben einmalig. So wirkt der "Fliegende Holländer" eher als eine kurzgefasste Inhaltsangabe seiner selbst denn als Bühnenwerk.

Doch, natürlich ist auch der "Holländer" gemeint. Da gibt es fasziniernede Interpretationen mit gelungener Personenführung. Dass es in nahezu allen Operndramen der Musikwelt ein rasches Ende von Protagonisten gibt, ist Tatsache. Bei Wagner dürfen sie meist etwas länger leben.

Ich würde dir allerdings empfehlen, weniger Wagner zu hören, denn sonst erleidest du vor lauter Grimm noch einen Infarkt.
 
Rhetorik hier und dort

Mit einer primitiven, populistischen Rhetorik, wie du sie verwendest, zerlege ich dir jede Oper in lächerliche Bestandteile. Das ist überhaupt keine Kunst.
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Ich nehme es keinem Foristen hier übel, dass er den Experten und Programmheft-Autoren zunächst einmal mehr vertraut als einem völlig unbekannten Schreiber im Thread. Aber wenn man das weiß, was ich hier etwa über Curt von Westernhagen mitgeteilt habe, sollte man schon etwas hellhörig werden.
 
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