Ich bin so frei, eine Serie von Inanna-Specials (3 oder 4 Folgen) zwischenzuschalten, zu der ergänzende oder kritische Beiträge erwünscht sind. Hier ist die erste Folge:
Inanna zählt zu den zentralen Gottheiten Mesopotamiens und wurde bereits zur Uruk-Periode (etwa von 4000-3100 v. Chr.) mit der Stadt Uruk verbunden. Sie wird also nicht erst in dieser Zeit ihren Ursprung haben. Als Symbol der Fruchtbarkeit gab es die Große Göttin sicher schon seit den Anfängen des Neolithikums, also zu jener Zeit, als die Menschen begannen Felder zu bestellen und ihre Existenz vom Wachsen und Gedeihen der Feldfrüchte abhing.
Ob die Göttin schon damals den Namen "Inanna" trug und wann sie diesen erwarb, ist nicht mehr zu entscheiden.
Gegen diese Darstellung ist aus meiner Sicht nichts einzuwenden, abgesehen vom letzten Satz (das "damals" beziehe ich auf die "Anfänge des Neolithikums"), denn die Frage, ob die prähistorische ´Große Göttin´ schon um 10.000 vuZ "Inanna" hieß, kann nur verneint werden. Zudem repräsentiert Inanna diese ´Universalgöttin´ nicht im vollen Umfang, nämlich nicht unter dem Mutteraspekt. Dieser war vielmehr ein Charakteristikum von Göttinnen wie Ningal und Ninhursag.
Was Uruk betrifft, gilt es als fast sicher, dass die Stadt das Zentrum der beginnenden sumerischen Kultur war. Dort fanden sich auch die frühesten bekannten Keilschrifttafeln. Inanna dominierte den lokalen und regionalen Götterkult bei weitem; ihr Name ist in erhaltenen Texten reichlich dokumentiert, andere Götternamen dagegen nur sehr spärlich. Ob der Gott An schon um 3000 im Weißen Tempel in Uruk verehrt wurde, ist fraglich, er taucht in schriftlicher Darstellung erst um 2500 auf, also viel später. Entsprechende Angaben in der Sumerliteratur sind mit Vorsicht zu genießen. Völlig falsch sind natürlich Angaben, die Inanna mit Ischtar schon für die Zeit um 3000 gleichsetzen. Ischtar ist eine akkadische Kriegsgöttin und wurde mit Inanna erst um 2300 verschmolzen, z.B. in den literarisch höchst bedeutenden Texten der Sargon-Tochter und Nanna-Hohepriesterin Enheduanna, wobei die Verschmelzung einer lebenstiftenden Göttin mit einer (ursprünglich männlichen!!) Kriegsgöttin allerdings eine Pervertierung bedeutet, die der imperialen Ideologie des sargonischen Reiches Rechnung trug (dazu mehr im nächsten "Inanna Special").
Was den Namen "Inanna" (In-ana) betrifft, kann man davon ausgehen, dass er aufgrund des sumerischen Wortes "ana" erst nach der Übernahme Uruks durch die Sumerer entstanden sein kann, also, je nach Datierung dieses Ereignisses, frühestens ab Mitte des 4. Jt., vermutlich aber später, je nachdem, wann die Astralisierung Inannas, also ihre Identifizierung mit der Venus, einsetzte. Laut Sumerologie gingen "In-ana" andere Formen wie "Innin", "In-nin", "In-ni-na" (alle mit vorgestelltem Götterdeterminativ) in einer Phase voraus, als die Göttin noch nicht mit dem Venusgestirn assoziiert wurde, sondern ausschließlich mit Fruchtbarkeit. Die astrale Assoziation liegt späteren Namensgestaltungen zugrunde, wie z.B. "Nin-an-na", "Nin-na-an-na", "Gaschan-an-na" (alle = Herrin des Himmels bzw. der Himmel) oder "Nin-si-an-na" (strahlende Herrin des Himmels). Darüber hinaus gab es auch eine "Inana-kur" (in sumerologischer Übersetzung: ´Inanna der Unterwelt´, wobei ´kur´ eigentlich ´Berg´ bedeutet), welche die einzige Erscheinungsform der Göttin war, der keine Opfer dargebracht wurden.
Die ersten bildlichen Repräsentationen Inannas gegen Ende des 4. Jt. fallen in zwei Kategorien: a) anthropomorphe Darstellungen auf Siegeln und Keramiken ohne astrale Attribute (z.B. die bekannte Uruk-Vase um 3200, siehe
Bild 1), also ausschließlich im Kontext der Verehrung als Fruchtbarkeitsgöttin, und b) piktographische Texte mit Sternzeichen und Zeichen für Sonnenauf- und -untergang neben dem Symbol der Inanna. Das piktographische Inanna-Symbol ist ein ´Schilfringbündel´ (siehe
Bild 2) und repräsentierte als Figur die Göttin bei Prozessionen, z.B. auf Schiffen. Das aus diesem Symbol hervorgegangene Keilschriftzeichen (ab Uruk IV) wird (ungefähr) "musch" ausgesprochen und wurde ausschließlich verwendet, um Inanna zu bezeichnen. Ab Uruk III wird das Zeichen mit einem Stern ergänzt. Unentscheidbar ist, ob der Stern als Götterdeterminativ zu werten ist oder als Hinweis auf Inannas astrale Natur, d.h. ihre Identität mit der Venus. Da das Sternzeichen auch als Götterdeterminativ (unabhängig von einer Astralisierung) aufgefasst werden kann, ist für diese Zeit (Ende des 4. Jt.) eine Assoziation Inannas mit der Venus und somit ihre Verehrung als Himmelsgöttin zwar möglich, aber nicht gesichert. Die führende Expertin für die Schrift des archaischen Uruk, Krystyna Szarzynska, bevorzugt die astrale Bedeutung des Sterns (d.h. die Identifikation von Inanna und Venus), wenn die Zeichen für Sonnenauf- und -untergang beigefügt sind, die im Inanna-Kontext auf den Auf- und Untergang der Venus hindeuten. Demzufolge wurde Inanna schon Ende des 4. Jt. als Himmelsgöttin verehrt. G.E. Kurtik dagegen hält es für möglich, dass (zu dieser Zeit) der Stern ein Götterdeterminativ ist und die Sonnenauf- und -untergangssymbolik ledigllich ein Hinweis auf die Tageszeiten der Inanna-Feste ist (die entweder am Morgen oder am Abend stattfanden).
Mit dem Ende der Frühdynastischen Zeit (um 2300, als Sargon sein akkadisches Reich errichtet) endet auch die Darstellung Inannas durch das ´Schilfringbündel´-Zeichen (musch). Von da an wird sie entweder anthropomorph dargestellt und/oder mit einem zumeist achtstrahligen Stern, dem a) eine Mondsichel und b) eine Sonnenscheibe beigeordnet sind.
Beispiele:
Bild 3 (akkadisches Siegel): Hier steht (vermutlich) Inanna mit Flügeln, die auf den himmlischen Kontext ihres Trägers hinweisen, auf einem Berg. Schräg unter ihr erscheint mit einer Säge in der Hand der Sonnengott Utu.
Bild 4 (akkadisches Siegel): Hier sitzt Inanna auf einem Löwen; neben ihr erscheinen - von oben nach unten - die Sonnenscheibe, die Mondsichel und der Stern (im unteren Teil acht-, im oberen Teil siebenstrahlig).
Fazit:
Auch wenn es Hinweise auf Inannas Status als Himmelsgöttin schon um die Wende des 4. zum 3. Jt. gibt, liegen unbezweifelbare astrale Darstellungen doch erst ab Mitte des 3. Jt. vor. Man kann davon ausgehen, dass zunächst die größten Himmelskörper mit Göttern assoziiert wurden, also die Sonne mit Utu (akkadisch: Schamasch), der Mond mit Nanna (akkadisch: Sin) und die Venus mit Inanna (akkadisch: Ischtar). Daraus folgt, dass die Identifizierung von Götten mit Himmelskörpern (Astralisierung) in Sumer wahrscheinlich erst ab dieser Zeit erfolgte.
Kosmologischer Kontext:
Die sumerische Kosmologie kann nur mosaikhaft aus diversen mythologischen Darstellungen zu einem Ganzen zusammengesetzt werden. Demzufolge bildet das Wasser (Urmeer) den absoluten, nicht weiter hinterfragten Anfang. Innerhalb dieses Meeres entsteht Himmelerde (anki), das eigentliche Universum. Die Erde ist eine flache Scheibe, über der sich die Himmelskuppel spannt, vermutlich in metallischer Materialität, evt. Zinn (= sumerisch: "himmlisches Metall"). Der Raum zwischen Erde und Himmel (unsere Atmosphäre) wird von ´Wind´ (sumerisch: lil = auch Atem, Luft) ausgefüllt. Die Himmelskörper (Sonne, Mond, Planeten, Sterne) bestehen aus dem gleichen Stoff wie die Atmosphäre, haben aber die Eigenschaft der Leuchtkraft. In Bewegung und Funktion gesetzt und gehalten wird das komplexe Gebilde durch die unsichtbaren und unsterblichen menschengestaltigen Götter (sumerisch: ´dingir´), im einzelnen zuständig für Himmel, Erde, Sterne, Naturgewalten, Flüsse, Berge, Steppen, Staaten, Städte, Felder, Farmen, Pflüge, Äxte usw. usf.