Italien im Ersten Weltkrieg

fuuutz

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Hallo :)

ich bräuchte mal dringend eure Hilfe. Ich muss ein Referat vorbereiten mit dem Titel "Wurde Italien durch den 1. Weltkrieg zur Nation?" Und ich muss jetzt Pro-Argumente finden... -.-
Ein Argument hätte ich schon, und zwar dass es durch den Krieg weniger Analphabeten gab und ein Anderes wäre, dass mehr Menschen wahlberechtigt wurden.

Ich freue mich auf eure Antworten :)
Lg,
Lynn
 
Ich muss ein Referat vorbereiten mit dem Titel "Wurde Italien durch den 1. Weltkrieg zur Nation?" Und ich muss jetzt Pro-Argumente finden... -.-

Normalerweise müsste man sowohl Argumente für als auch wider etwas finden, um am Ende angemessen abwägen zu können.

Ein Argument hätte ich schon, und zwar dass es durch den Krieg weniger Analphabeten gab und ein Anderes wäre, dass mehr Menschen wahlberechtigt wurden.
Wieso gab es durch den Krieg weniger Analphabeten? Waren dass die ersten die an die Front geschickt wurden?

Entschuldige den Zynismus, aber das Argument ist sicher so nicht richtig.
Und dass durch den krieg mehr Menschen wahlberechtigt wurden sicher auch nicht. Beides sind allenfalls Folgen der politischen Umwälzungen nach dem Krieg.
 
Kontra-Argumente habe ich bereits :)


Obwohl Italien 1861 zur Nation wurde, gab es dennoch "keine richtige Nation", da es sprachliche Unterschiede in Italien gab (Dialekte..., im Süden waren die Menschen nicht so gebildet wie im Norden...). Dies legte sich im 1. WK. Daher gab es dann auch weniger Analphabeten, weil die Menschen anfingen eine einheitliche Sprache zu lernen (lesen u. schreiben).

Lg :)
 
interessant, welche Fragestellungen sich Lehrer so einfallen lassen könenn...

Mir persönlich würde als erstes einfallen, dass durch den äußeren Feind und den gemeinsamen Kampf sich in Italien eine Art gesamtitalienisches Wir-Gefühl einstellen könnte.

Italien ist wie Deutschland ein recht junger Nationalstaat. Die italienische Einigung war auch erst im späten 19. Jahrhundert.
 
Dieses "Wir-Gefühl" war, glaube ich, auch erst am Ende des Krieges der Fall. Am Anfang wollte doch keiner (Italien) in den Krieg ziehen.

Aber vielen Dank für den Tipp, daran hatte ich noch nicht gedacht :) :O :bussi:
 
Ich bin mir sicher, dass du bei dem Zusammenhang zwischen Krieg und Alphabetisierung etwas missverstanden hast.
 
Na ja...wenn man davon ausgeht dass die Armen und Ungebildeten überproportional in den Krieg geschickt und verheizt wurden, dann kann man schon annehmen, dass es danach weniger Analphabeten gab. das würde ich aber nicht unbedingt als "pro" verzeichnen.
 
Kontra-Argumente habe ich bereits :)


Obwohl Italien 1861 zur Nation wurde, gab es dennoch "keine richtige Nation", da es sprachliche Unterschiede in Italien gab (Dialekte..., im Süden waren die Menschen nicht so gebildet wie im Norden...). Dies legte sich im 1. WK. Daher gab es dann auch weniger Analphabeten, weil die Menschen anfingen eine einheitliche Sprache zu lernen (lesen u. schreiben).

Lg :)


die sprachliche Vereinheitlichung dürfte eher auf die Einführung der Schulpflicht zurückzuführen sein. Aber dasselbe haben wir auch in Deutschland.
 
Und daß es in Italien erstens unterschiedliche Dialekte gibt und es zweitens ein massives Nord-Süd-Gefälle aufweist hat sich garantiert nicht mit dem Ersten Weltkrieg gelegt, sondern dauert bis in die Gegenwart an... Man betrachte beispielsweise die Rekrutierungspraxis der großen italienischen Automobilunternehmen, die in Scharen in Kalabrien etc. Leute nach Turin anwarben.
 
Hallo :)

ich bräuchte mal dringend eure Hilfe. Ich muss ein Referat vorbereiten mit dem Titel "Wurde Italien durch den 1. Weltkrieg zur Nation?" Und ich muss jetzt Pro-Argumente finden... -.-
Ein Argument hätte ich schon, und zwar dass es durch den Krieg weniger Analphabeten gab und ein Anderes wäre, dass mehr Menschen wahlberechtigt wurden.

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Lynn


Ich würde es mal so sagen, Italien wurde durch den Weltkrieg und die Großmachtambitionen seiner Politiker zu einer Nation von Kriegsinvaliden, Kriegerwitwen und Kriegsanleihen Zeichnender". Italien ließ sich seine Neutralität von den Mittelmächten, seinen Kriegseintritt von den Alliierten sehr viel kosten, und das sogenante Italia Irredenta, italienischsprachige Gebiete, die zur Donaumonarchie gehörten, hätte Italien auch ohne einen Kriegseintritt erhalten können, denn Österreich-Ungarn war zu sehr weit gehenden Kompensationen bereit. Die italienische Armee war kaum auf einen langen Krieg vorbereitet, viele Einheiten waren schlecht ausgerüstet. im Kriegsverlauf konnte Italien nur begrenzte Geländegewinne in 11 Isonzoschlachten von 1915-1917 erzielen und erlitt durch einen Gegenschlag der Österreicher und Deutschen 1917 eine vernichtende Niederlage. Tausende italienischer Soldaten gerieten in Gefangenschaft, und zahlreiche Italiener wurden von eigenen Kriegsgerichten als Meuterer und Deserteure erschossen, nachdem sich die italienischen Armeen bis zur Piave zurückziehen mussten. Intellektuelle wie Gabriele Annunzio propagierten einen glühenden Nationalismus, der Anhänger fand. im Vertrag von Versailles erhielt Italien das ganze Trentino, Südtirol bis zum Brenner und dazu Istrien und den Dodekanes, doch hat Italien dafür teuer an Menschenleben bezahlt. Dabei hätte es nicht einmal eines Krieges bedurft und nicht der blutigen Opfer am Isonzo und in den Dolomiten. Die italienischen Militärs gingen auch mit großer Härte gegen die eigenen Soldaten vor. Die Kriegsbegeisterung hielt sich in Grenzen, auch wenn heute noch heroische Kriegerdenkmäler auf Sardinien Zeugnis geben, von Kriegstoten aus Olpia und Orgosolo, die in einem Krieg ihr Leben ließen, der nicht der ihre war.

Der Weltkrieg und die Verwerfungen die er auch in Italien hinterließ, trugen dazu bei, dass 1922 die Faschisten unter Mussolini die Macht übernehmen konnten und Italien diesmal verbündet mit Deutschland in einen weiteren Weltkrieg verwickelt wurde.
 
..Die italienische Armee war kaum auf einen langen Krieg vorbereitet, viele Einheiten waren schlecht ausgerüstet....
Weder für einen langen noch einen kurzen. Der Krieg 1912 gegen das Osmanische Reich um Lybien, bei dem die Gegenseite zum größten Teil aus lokalen Milizen bestand, war ihnen schon sehr schwer gefallen und Italien mehr Mittel gekostet als es sich eigentlich leisten konnte.
 
Hallo :)

ich bräuchte mal dringend eure Hilfe. Ich muss ein Referat vorbereiten mit dem Titel "Wurde Italien durch den 1. Weltkrieg zur Nation?" Und ich muss jetzt Pro-Argumente finden... -.-
Ein Argument hätte ich schon, und zwar dass es durch den Krieg weniger Analphabeten gab und ein Anderes wäre, dass mehr Menschen wahlberechtigt wurden.

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Lg,
Lynn

Für ein Referat ist das ein äußerst anspruchsvolles Thema und ohne haargenau passende Sekundärliteratur wohl kaum sinnvoll zu bearbeiten. Hast du dazu irgendeine Forschungsarbeit (z. B. eine Dissertation o. ä.) vorliegen oder genannt bekommen?

Überdies enthält die Fragestellung ein Axiom, das man durchaus in Zweifel ziehen kann, nämlich die Annahme, dass Italien überhaupt jemals zu einer Nation geworden ist.

Roberto Saviano hat dazu vor einigen Jahren einen interessanten Beitrag in der ZEIT veröffentlicht:

Italien: Ist Italien überhaupt eine Nation? | ZEIT ONLINE
 
"Wurde Italien durch den 1. Weltkrieg zur Nation?"

Dazu muss man die Situation vor und nach dem Krieg vergleichen. Vor dem Krieg war der wirtschaftliche Unterschied zwischen Nord und Süd strukturell deutlich stärker als in fast allen anderen europäischen Ländern. Unter Giolitti gab es bis 1914 erhebliche Änderungen, z.B. eine Kolonialpolitik mit Erwerbungen (allerdings war der dafür nötige Aufwand beträchtlich und belastete den Staat schwer) und eine Industrialisierungspolitik mit entsprechenden sozialen Auswirkungen wie massiver Binnenwanderung von Süd nach Nord, Sozialpolitik gegen die industrielle Armut (Stichwort "Brotfrage", Sozialversicherung, Einführung des allgemeinen Wahlrechts). Dabei entstanden aber auch die organisierten katholischen und sozialistischen Volksmassen und die zum Faschismus werdenden Arbeiterbünde. In den 40 Jahren vor dem ersten Weltkrieg wanderten 14 Millionen Italiener nach Nord- und Südamerika aus, das sind täglich 1000 Personen!
Eine Minderheit im Parlament unter der Führung von Salandra und Sonnino betrieb sehr aktiv den Kriegseintritt gegen eine Mehrheit im Parlament und in der Bevölkerung durch geschickte Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

Nach dem Krieg hatte Italien viele Tote, eine ruinierte Wirtschaft (nicht zuletzt durch die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft, die nicht einfach zurück zu drehen war), eine nach wie vor nicht geklärte soziale Frage (verstärkt durch die Versorgung der Versehrten und Kriegswitwen und-Waisen) und eine politische Krise, weil Nationalisten eine "Verstümmelung des Sieges" durch Verzichtspolitiker und Alliierte vorwarfen.

Es folgten zwei Jahre der "linken Agitation" mit teils gewalttätigen Streiks, Werks- und Landbesetzungen. Die Unfähigkeit der Regierungen, diese Situation in den Griff zu bekommen und die Angst vor einer bolschewistischen Revolution führte dann zum Aufstieg Mussolinis. Die Auswanderung ging nach dem Krieg unvermindert weiter.

Ich kann also weder vor noch nach dem Krieg eine besondere Vereinheitlichung erkennen, die Situaion in den verschiedenen Landesteilen war und blieb sehr heterogen. Auch vermochte der Staat es nicht, seinen Einwohnern eine überwiegend gemeinsame Identität zu geben.
 
Ich würde es mal so sagen, Italien wurde durch den Weltkrieg und die Großmachtambitionen seiner Politiker zu einer Nation von Kriegsinvaliden, Kriegerwitwen und Kriegsanleihen Zeichnender". Italien ließ sich seine Neutralität von den Mittelmächten, seinen Kriegseintritt von den Alliierten sehr viel kosten, und das sogenante Italia Irredenta, italienischsprachige Gebiete, die zur Donaumonarchie gehörten, hätte Italien auch ohne einen Kriegseintritt erhalten können, denn Österreich-Ungarn war zu sehr weit gehenden Kompensationen bereit.

Unter dem territorialen Aspekt (isb. Trentino, Trieste) kann ich pro-Argumente für die Ausgangsfrage "Wurde Italien durch den 1. Weltkrieg zur Nation?" finden. Man könnte dies in etwa mit dem Norddeutschen Bund und der Bismarckschen Reichsgründung vergleichen. Nach herrschender Meinung endet die Zeit des Risorgimento 1870. Der Auffassung, dass das Risorgimento erst mit der Eingliederung Trentinos und Triestes 1919 endete, kann ich aber durchaus etwas abgewinnen.

Kniffelig ist dabei für mich die Abgrenzung zwischen Risorgimento ("Wiedererstehung Italiens") und Irredentismo (von terre irredente - "unerlöste Gebiete") als nationalistische Pan-Bewegung für ein "Großitalien". Denn als terre irredente wurden nach 1870 sowohl Teile des heutigen Italiens mit italienischer Bevölkerungsmehrheit, die aber damals außerhalb Italiens lagen, bezeichnet (Trentino, usw.), als auch Gebiete mit italienischer Bevölkerungsminderheit (Malta, Dalmatien, Südtirol) oder mit einer italienischsprachigen Bevölkerungsmehrheit, die sich aber überwiegend nicht als Italiener sah (Tessin, teilw. Graubünden).

Das wirft bei mir die Frage nach italienischer Bevölkerung auf dem Dodekanes auf. Gab es die? Oder hat man andere Gründe als irredentistische vorgeschoben, um diese ägäischen Inseln 1923 von der Türkei zu erhalten?

P.S.: In einem Gespräch mit mir zitierte eine Italienerin einmal Italiens ersten Premierminister Cavour sinngemäß: "Jetzt haben wir Italien, nun brauchen wir nur noch Italiener." Ich kann das Zitat nicht belegen.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Wurde Italien durch den 1. Weltkrieg zur Nation?"

Dazu muss man die Situation vor und nach dem Krieg vergleichen. Vor dem Krieg war der wirtschaftliche Unterschied zwischen Nord und Süd strukturell deutlich stärker als in fast allen anderen europäischen Ländern. Unter Giolitti gab es bis 1914 erhebliche Änderungen, z.B. eine Kolonialpolitik mit Erwerbungen (allerdings war der dafür nötige Aufwand beträchtlich und belastete den Staat schwer) und eine Industrialisierungspolitik mit entsprechenden sozialen Auswirkungen wie massiver Binnenwanderung von Süd nach Nord, Sozialpolitik gegen die industrielle Armut (Stichwort "Brotfrage", Sozialversicherung, Einführung des allgemeinen Wahlrechts). Dabei entstanden aber auch die organisierten katholischen und sozialistischen Volksmassen und die zum Faschismus werdenden Arbeiterbünde. In den 40 Jahren vor dem ersten Weltkrieg wanderten 14 Millionen Italiener nach Nord- und Südamerika aus, das sind täglich 1000 Personen!
Eine Minderheit im Parlament unter der Führung von Salandra und Sonnino betrieb sehr aktiv den Kriegseintritt gegen eine Mehrheit im Parlament und in der Bevölkerung durch geschickte Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

Nach dem Krieg hatte Italien viele Tote, eine ruinierte Wirtschaft (nicht zuletzt durch die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft, die nicht einfach zurück zu drehen war), eine nach wie vor nicht geklärte soziale Frage (verstärkt durch die Versorgung der Versehrten und Kriegswitwen und-Waisen) und eine politische Krise, weil Nationalisten eine "Verstümmelung des Sieges" durch Verzichtspolitiker und Alliierte vorwarfen.

Es folgten zwei Jahre der "linken Agitation" mit teils gewalttätigen Streiks, Werks- und Landbesetzungen. Die Unfähigkeit der Regierungen, diese Situation in den Griff zu bekommen und die Angst vor einer bolschewistischen Revolution führte dann zum Aufstieg Mussolinis. Die Auswanderung ging nach dem Krieg unvermindert weiter.

Ich kann also weder vor noch nach dem Krieg eine besondere Vereinheitlichung erkennen, die Situaion in den verschiedenen Landesteilen war und blieb sehr heterogen. Auch vermochte der Staat es nicht, seinen Einwohnern eine überwiegend gemeinsame Identität zu geben.


Die ungeklärte soziale Frage gewann vor allem in Süditalien und auf Sizilien und Sardinien an Brisanz, nicht zuletzt auch durch die organisierte Kriminalität und deren rigorose Bekämpfung durch die Faschisten. In Sizilien wurde fast jeder Sizilianer, auch viele Unschuldige inhaftiert und deportiert, der im Verdacht stand, ein Mafioso zu sein. Auf Sardinien forderten Vendettas und Fehden zahlreiche Opfer, bereits im 19. Jahrhundert wurden auf der Insel Sträflingskolonien eingerichtet, und in den 1950er entging die Insel nur knapp dem Schicksal, in einen gigantischen Truppenübungsplatz der Nato verwandelt zu werden. Allerdings entwickelte sich seit den 50ern und 60ern der Tourismus auf Sardinien, seitdem Aga Khan und die "Reichen und Schönen" die Costa Smeralda als Feriendomizil entdeckten. Für Taucher und Segler sind die Gewässer um Sardinien noch heute ein Eldorado. An historischen Bauten aber gibt es auf Sardinien außer Nuraghen nicht viel zu besichtigen. In den Bergdörfern mit den malerischen Korkeichenwäldern antworten viele Sarden, dass alle Eroberer Kartharger, Römer, byzantiner, Araber, Spanier und Italiener die Insel ausgesaugt haben.
 
Hallo an alle :)

vielen Lieben Dank für eure Hilfe!! Da war doch noch der eine oder andere Post dabei, der mir wirklich weiter geholfen hat. Aber auch an die anderen ein großes Dankeschön :) Ich weiß auch selbst, dass es sehr schwierig (bis fast unmöglich) ist, bei diesem Thema Pro-Argumente zu finden. Deshalb habe ich auf eure Hilfe gebaut, da ich alleine nicht mehr weiter gekommen bin.

@orlandus: danke für die Information :) Leider liegt mir kein spezielles Werk vor Augen, ich habe in verschiedenen Texten und Büchern zwischen den Zeilen lesen müssen, da es von der Literatur her eher schwierig ist, für dieses Thema fündig zu werden.

An alle anderen: Vielen lieben Dank noch mal :)
 
ich habe in verschiedenen Texten und Büchern zwischen den Zeilen lesen müssen, da es von der Literatur her eher schwierig ist, für dieses Thema fündig zu werden.

1. Schneller Einstieg:
R. Hamilton & H.Herwig: Italy in, ders.: The Origins of World War I, 2003

The Origins of World War I - Google Books

Im Kontext
2. Macgregor Knox: To the Threshold of Power, 1922/33, 2007, S. 19-142
3. ders.: Common Destiny, 2000, S. 1 - 52

Spezielle zum Eintritt in den WW1
W. Renzi: In the Shadow of the sword, 1987
R. Bosworth: Italy and the appraoch of the First World War, 1983
R. Bosworth: Italy the least of the Great powers, 2005

Damit sind wohl die zentralen Autoren zu dem Thema benannt.

Eine Minderheit im Parlament unter der Führung von Salandra und Sonnino betrieb sehr aktiv den Kriegseintritt gegen eine Mehrheit im Parlament und in der Bevölkerung durch geschickte Beeinflussung der öffentlichen Meinung.

Am stärksten stimme ich persönlich der Darstellung von Solwac zu, aber auch den Ausführungen von Scorpio und Ugh Valencia.

Es war eine Entscheidung für den Krieg, die gegen die Arbeiter und Landarbeiter war, aber auch in der Industrie keine Zustimmung fand. Letztlich war es, wie in den anderen Ländern auch, eine sehr kleine Gruppe, die sich aus sehr dubiosen, sehr egoistischen politischen Gründen für den Kriegseintritt entschied.

Die Idee der Verstärkung des "Nationbuildings" spielte dabei nur am Rande eine Rolle.

Von einer bewußten Strategie kann man kaum reden, angesichts der Widerstände, aber der Krieg war die Basis für die Argumentation der Faschisten nach dem Krieg. Und er war in diesem Sinne auch ein Teil des notwendigen "Gründungsmythos", um Italien eine kollektive Identität zu geben. Und teilweise wurde es durch den Krieg auch erreicht, scheiterte aber letztlich an der zu hohen Quote an Analphabeten. Nationalismus benötigt "gebildete" Bürger, deren "Indoktrination nicht unwesentlich durch Print-Publikationen geleistet wird.

Das selbst der WW1 dazu nicht ausreichte, zeigte sich am späteren Scheitern der Faschisten in Italien, die diesen Mythos in die Idee eines neuen "Roms" verwoben haben. Und diese Durchsetzung des faschistischen Patriotismus in Italien in den zwanziger und dreißiger Jahren hat auch nicht gereicht, die eigentlichen tiefen Konfliktlinien in Italien zwischen den Sozialisten und den Katholiken zu überbrücken, wie es noch im Klasisker Don Camillo und Peppone zum Ausdruck kommt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Don_Camillo_und_Peppone
 
Zuletzt bearbeitet:
thanepower: vielen lieben Dank für deine Mühe!! Ich werde mich morgen sofort einlesen und ich hoffe, dass ich weiteres Material finde :) :bussi: Danke dir!!
 
Ich würde es mal so sagen, Italien wurde durch den Weltkrieg und die Großmachtambitionen seiner Politiker zu einer Nation von Kriegsinvaliden, Kriegerwitwen und Kriegsanleihen Zeichnender". Italien ließ sich seine Neutralität von den Mittelmächten, seinen Kriegseintritt von den Alliierten sehr viel kosten, und das sogenante Italia Irredenta, italienischsprachige Gebiete, die zur Donaumonarchie gehörten, hätte Italien auch ohne einen Kriegseintritt erhalten können, denn Österreich-Ungarn war zu sehr weit gehenden Kompensationen bereit. Die italienische Armee war kaum auf einen langen Krieg vorbereitet, viele Einheiten waren schlecht ausgerüstet. im Kriegsverlauf konnte Italien nur begrenzte Geländegewinne in 11 Isonzoschlachten von 1915-1917 erzielen und erlitt durch einen Gegenschlag der Österreicher und Deutschen 1917 eine vernichtende Niederlage. Tausende italienischer Soldaten gerieten in Gefangenschaft, und zahlreiche Italiener wurden von eigenen Kriegsgerichten als Meuterer und Deserteure erschossen, nachdem sich die italienischen Armeen bis zur Piave zurückziehen mussten. Intellektuelle wie Gabriele Annunzio propagierten einen glühenden Nationalismus, der Anhänger fand. im Vertrag von Versailles erhielt Italien das ganze Trentino, Südtirol bis zum Brenner und dazu Istrien und den Dodekanes, doch hat Italien dafür teuer an Menschenleben bezahlt. Dabei hätte es nicht einmal eines Krieges bedurft und nicht der blutigen Opfer am Isonzo und in den Dolomiten. Die italienischen Militärs gingen auch mit großer Härte gegen die eigenen Soldaten vor. Die Kriegsbegeisterung hielt sich in Grenzen, auch wenn heute noch heroische Kriegerdenkmäler auf Sardinien Zeugnis geben, von Kriegstoten aus Olpia und Orgosolo, die in einem Krieg ihr Leben ließen, der nicht der ihre war.


Ich kann dir nur zustimmen. Anzumerken ist noch, das Italien gerade 1911 einen aggressiven Krieg gegen das Osmanische Reich begann, um Tripolis einzukassieren. Sir Edward Grey bezeichnete das italienische Vorgehen als „noch nicht dagewesene Friedenstörung und Aggression (1) und Kaiser Wilhelm II. war „gegen Italien sehr gereizt.“ (2) Die Frankfurter Zeitung sprach von einen offenen Raubzug. Das Berliner Tageblatt sprach von Italiens Sprache der Brutalität. Falkenhayn hoffte die Italiener würden sich in Tripolis verbluten.(3)

Der Krieg verlief nicht so wie erwartet. Die Türken schlugen sich gut und die einheimische Bevölkerung verband sich mit den Türken und setzten den Italienern übel zu.

Die Gefahr dieses Krieges für Italien war die Länge des Krieges und die Ausdehnung des Kriegsschauplatzes; da man in Tripolis nicht zum gewünschten Erfolg kam. Die europäische Öffentlichkeit stand diesem Krieg Italiens ablehnend gegenüber und es bestand die Gefahr, das über die Öffentlichkeit entsprechend Einfluss auf die europäischen Kabinett genommen wird. Das wollte Italien vermeiden.

Die andere große Gefahr bestand für den europäischen Frieden. Durch diesen Krieg wurde die Türkei erschüttert und die Balkanstaaten Serbien, Montenegro, Bulgarien und Griechenland witterten Morgenluft. Das war natürlich auch in Rom bekannt, das diese Möglichkeit bestand; aber man schritt trotzdem zur Tat und spielte mit dem Feuer.

Darüber hinaus wurde der Verbündete Deutsches Reich, die Türkei war ein Freund Berlins, nicht eben rücksichtsvoll behandelt. Berlin und Wien wurden erst nach Übergabe des Ultimatums an Konstantinopel informiert. Petersburg und Paris hingegen sehr rechtzeitig vor der Aktion.

Aber Frankreich war nicht wirklich begeistert; wenn man auch offiziell nichts sagt. Aber man ließ über Tunis die türkischen Verstärkungen nach Tripolis gelangen.

Der Dreibund wurde durch diesen Krieg belastet. Als italienische türkische Torpedoboote gleich zu Beginn des Krieges in albanischen Häfen versenkte, war Aehrenthal sauer. Die deutsche Diplomatie ermahnte den italiensichen Außenminister die Kampfhandlungen nicht über Tripolis auszudehnen.

Italien betrachtete das Agieren des Ballhausplatzes als nicht bundesfreundlich.

Jedenfalls ist dieser imperialistische Krieg Italiens in seinen Folgen und Auswirkungen auf das Jahr 1914 nicht zu unterschätzen.


(1) Telegramm Mensdorffs v. 03.10.1911 in Österreichs-Ungarns Außenpolitik Band III

(2) Bethmann an Tschirschky, GP Band 30/2 Dokumente Nr.11239

(3) Afflerbach, Falkenhayn, S.77f



Der Weltkrieg und die Verwerfungen die er auch in Italien hinterließ, trugen dazu bei, dass 1922 die Faschisten unter Mussolini die Macht übernehmen konnten und Italien diesmal verbündet mit Deutschland in einen weiteren Weltkrieg verwickelt wurde.
 
Ich kann dir nur zustimmen. Anzumerken ist noch, das Italien gerade 1911 einen aggressiven Krieg gegen das Osmanische Reich begann, um Tripolis einzukassieren. Sir Edward Grey bezeichnete das italienische Vorgehen als „noch nicht dagewesene Friedenstörung und Aggression (1) und Kaiser Wilhelm II. war „gegen Italien sehr gereizt.“ (2) Die Frankfurter Zeitung sprach von einen offenen Raubzug. Das Berliner Tageblatt sprach von Italiens Sprache der Brutalität. Falkenhayn hoffte die Italiener würden sich in Tripolis verbluten.(3)

Der Krieg verlief nicht so wie erwartet. Die Türken schlugen sich gut und die einheimische Bevölkerung verband sich mit den Türken und setzten den Italienern übel zu.

Die Gefahr dieses Krieges für Italien war die Länge des Krieges und die Ausdehnung des Kriegsschauplatzes; da man in Tripolis nicht zum gewünschten Erfolg kam. Die europäische Öffentlichkeit stand diesem Krieg Italiens ablehnend gegenüber und es bestand die Gefahr, das über die Öffentlichkeit entsprechend Einfluss auf die europäischen Kabinett genommen wird. Das wollte Italien vermeiden.

Die andere große Gefahr bestand für den europäischen Frieden. Durch diesen Krieg wurde die Türkei erschüttert und die Balkanstaaten Serbien, Montenegro, Bulgarien und Griechenland witterten Morgenluft. Das war natürlich auch in Rom bekannt, das diese Möglichkeit bestand; aber man schritt trotzdem zur Tat und spielte mit dem Feuer.

Sind diese Zeilen, @Turgot , eine Antwort auf die darüber stehenden Zeilen von Scorpio? Falls dem so ist, vielleicht noch ein paar Balken zur italien. Geschichte vor 1914 in Hinsicht auf Kolonialambitionen und Verhalten jeweiligen italienischen Administrationen gegenüber allen möglichen Regierungen, Vertrags- und Bündnispartnern....

  • schon bald nach Gründung des Königreiches Italien ab 1861 machten sich koloniale Ambitionen bemerkbar, ab den 1880er Jahren der Versuch des Kolonialerwerbs in Afrika, nicht zuletzt im naheliegenden Nordafrika zwischen den französischen (Tunesien) und englischen Machtsphären (Ägpten).
  • im Mai 1882 tritt die ital. Regierung dem Zweibund Dt.-ÖU bei, nachdem sich diese durch die französische Annexion von Tunis 'düpiert und isoliert fühlte' (Eberhard Kolb, Otto von Bismarck, 2014, S. 149.)
  • Im Februar 1887 wird der Dreibund-Vertrag erneuert, mit einem Zusatzabkommen zwischen dem Dt. Kaiserreich und dem Königreich Italien gerade hinsichtlich der italien. Ambitionen auf Marokko und Tripolitanien (GP 4). Intensiv diskutiert von Seiten der Abgesandten der ital. Administration wurde damals auch die zuvor erfolgte Ö-U-Expansion nach Bosnien-Herzegowina, da die östliche Adria wie der Balkan ebenso als Gebiet (berechtigter) kolonialer Ansprüche bzw. Einflusszone italienischer Politik angesehen wurde.
  • 1902: Geheimabkommen Italien-Frankreich, u.a. mit der Verständigung italienischer Ansprüche wg. Marokko und Tripolitanien.
  • 1905/1906: 1. Marokko-Krise zwischen französ. und dt. Regierung um Einfluss und (Mit)Herrschaft sowie Rohstoffe. Ansprüche der italienischen Administration bleiben - natürlich - unberücksichtigt.
  • 1908/1909, Bosnienkrise aufgrund der Annexion durch Ö-U, was zu massiven Spannungen mit der italien. Regierungen führt (siehe entsprechende Bestimmung im Zusatzabkommen Dt.-Italien von 1887, Art. I.)
  • 1909: Geheimabkommen Italien-Russland (im Anschluss an die Bosnien-Krise), u.a. mit Verständigungen hinsichtlich italien. Ansprüche auf dem Balkan und gegenüber dem Osmanischen Reich
  • 1911: Zweite Marokko-Krise zwischen französ. und dt. Regierung, ohne Einbeziehung/Beachtung italien. Ansprüche
  • 1911: Direkt im Anschluss daran militärische Expansion der ital. Reg. auf das formal noch osmanisch beherrschte Tripolitanien, sowie später militär. Ausgriff auf türkisches Kerngebiet, was von Seiten der russ. Regierung hinsichtlich eines möglichen italien. Erfolges, der möglicherweise einen Regimewechsel in Istanbul nach sich hätte ziehen können, befürwortet wurde und wohl schon im Geheimvertrag von 1909 mit intendiert worden war.

Und 1911/1912 war das Dt. Kaiserreich keineswegs mit dem Osmanischen Reich 'befreundet'. Zumal ja der Zusatzvertrag zwischen ital. und dt. Reg. von 1887 die Annexion Bosniens durch die Ö-U-Regierung ausschloss und die Stützung der Ansprüche der italien. Regierung in Nordafrika im Verhältnis zu einer möglichen weiteren Expansion dort durch die franz. Regierung regelte.
 
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