Angenommen die Kompetenzen wären so unklar gewesen, dass man hätte diesbezüglich nachfragen müssen, dann wäre das ja ein ganz erheblicher Aspekt.
Dies müsste doch auch unvermeidlich die 'Schlafwandler-These' stützen.
Denn: man stelle sich doch nur mal vor, man habe, auf dem Gipfel einer Krise nicht gewusst, wer als geeigneter Verhandlungspartner in Frage kommen könnte.
Die Entwcklung in den letzten Juli-Tagen war "überkomplex", nicht ausreichend transparent und durch gravierende bewußte und technische Kommunikationsmängel beeinträchtigt. Das hatte aber nichts mit "Schlafwandeln" zu tun, da alle wußten, was sie taten und welche Konsequenzen es nach sich ziehen würde, so zumindest Martel in "The Month that changed the World. 2014".
Für den 30.07. hält er fest: "By evening there was confusion everywhere" .....und: "Moreover, no one was quite certain who was undertaking exactly what military measures.".
Und machte am gleichen Tag im Preußischen Staatsrat deutlich, dass sich die Situation stündlich veränderte.
Bethmann gesteht in diesem Gremium in Bezug auf die europäsichen Regierungen ein, "including that of Russia, were peacable themselves, they were losing control of the situation".
Allerdings verloren sie die Kontrolle nicht durch Inaktivität, sondern durch "Hyperaktivität" bzw. durch intendiertes Handeln, wie im Fal von Ö-U gegenüber Serbien.
In der Zwischenzeit am 30.07 bis weit in den 31.07 ergaben sich allerdings reale Chancen zwischen den "vier unbeteiligten" Mächten, sich auf eine Lösung in Richtung "Halt in Belgrad" zu verständigen. Der sich abzeichnende Krieg hätte an diesem Tag deeskaliert werden können. Er war nicht unausweichlich. Es ging in dieser Lösung primär darum, dass sowohl Ö-U seine Satisfaktion erhält, R sein Gesicht als "Schutzmacht" der Slawen seit 1804 wahrt und Serbiens nationale Integrität nicht in Frage gestellt wird.
Und diese Punkte waren am 30.07 relativ konsensual und KW II unterstützte diese Sicht.
Die Entwicklung einer Annäherung zwischen London und Berlin und zwischen St. Petersburg und Wien erschien so lange positiv bis Bethman am Donnerstag (31.07) um ca. 11.20 nachts Tschirschky instruierte, die vorherigen Aktionen zum Bremsen der Aktionen von Berchtold nicht durchzuführen. Was Berchtold und Conrad ohnehin nicht taten, da die Aufmarschplanung der Österreicher eine Besetzung von Belgrad nicht zuließ (vgl. Darstellung bei Otte: July Crisis).
Die Ursache war, dass der deutsche General Stab Bethman davon überzeugt hatte, dass die militärischen Maßnahmen der Russen und der Franzosen sofortige Mobilisierung erfordern würde. Und da haben wir wieder den Einfluss der militärischen Sachzwänge, zusammengefaßt in dem Konstrukt der "Ideologie der Offensive", was eigentlich eher dem Konzept von Taylor entspricht, des "War by Timetable".
Man handelte in diesen letzten Tagen in Berlin deswegen, weil die anderen eventuell schneller hätten handeln können und man befürchtete militärische Nachteile. Und es ergeben sich dabei eine Reihe von "Ungereimtheiten", auf die Copeland hingewiesen hat (The Origins of Major War. S. 56 ff).
Ansonsten hat Bethmann nach dem Krieg festgestellt, dass es im Prinzip ein "Präventivkrieg" war und für Moltke war es "sein Krieg" (vgl.z.B. dazu Hillgruber: Die gescheiterte Großmacht & Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege)
Da ist niemand auch nur eine Sekunde "geschlafwandelt".