Untergang der altägyptischen Religion

Die Frage bleibt, wie aus einer anfangs verfolgten Religion eine Staatsreligion wurde.
Vielleicht kann Jan Assmann die Frage, was das Christentum attraktiver machte ja beantworten. Diesem zufolge war nämlich das ägyptische Totenreich mit dem griechischen Hades und dem jüdischen She'ol vergleichbar und alles andere als ein angenehmer Ort. Nachzulesen im 5. Kapitel seines Buches Tod und Jenseits im Alten Ägypten. München 2001.
 
Was ist der Vorteil von neuen Ideen? Sie haben ihre Konkurenten und deren Eigenschaften im Blick. Analysieren die fehlenden Bestandteile und geben vorallem den Menschen was sie wollen. Ich denke die "heidnischen" Religionen waren viel mehr praktischer Natur. Das Christentum, so einfach es klingt, war denke ich am Anfang der Ausbreitung (bevor es zich Konzile und neue Dogmen gab) viel schlichter und mit einem Fokus auf den einfachen Mann. Jetzt wo ich es schreibe sehe ich Parallelen mit dem Kommunismus und seiner ausbreitung. Wie auch immer, die neue Marke das Christentum brauchte ja auch Art der Verbreitung, daher war die Missionierung notwendig. Also nimmt man anstelle des oben genannten schrecklichen Nachleben, ein Paradies exklusiv für die Genossen, bei dem jeder vor dem Tor gleichwertig ist. Was ist das irdische vergängliche Leben im vergleich zu dem Ewigen schönen? Zudem wird jedes "Schuldgefühl" mit reue befriedigt und nicht wie davor mit Opfergaben. Ich denke diese Zaubertricks haben bei den einfachen Menschen großen eindruck gemacht, nicht so wie die Aristokraten liebenden "heidnischen" Götter. Ich finde es deswegen nicht verwunderlich wieso das Christentum sich "evolutionär" durchgesetzt hat. Sobald große Teile der Bevölkerung konvertierten war es nurnoch eine Frage der Zeit bis auch die Herrscher dies sich zu nutzen machten und früher oder später sich der mehrheit beugen mussten. (Konstantin) Generationen später gerät alles wie es kommen musste ins extreme, da die Religion gewisse tendenzen in der Richtung praktisch gutheißt. Somit hat man neben der politischen und physischen Macht, nun eine spirituelle, vorher unterschätzte Macht. Nur meine meinung.
 
Das klingt mir zu sehr nach Mischung aus Marktanalyse und der alten vulgärmarxistischen Hypothese, dass Religion ein Mittel der Unterdrückung sei.* Missionare stehen aber i.d.R. innerhalb des Systems (der Religion) und nicht außerhalb. Die Missionare haben sich nicht Martyrien unterworfen, weil sie etwas verkaufen wollten, sondern weil sie selbst daran glaubten. Und das steht im Widerspruch zu der Annahme einer Marktanalyse. Was wäre auch der Nutzen gewesen?


*Ja, sie ist immer mal wieder als Mittel der Unterdrückung und Ruhighaltung der Massen missbraucht worden.
 
Nun fragt man sich auch noch wieso die Zoroastrier bis heute überlebten und die altägyptische Religion nicht.

Das hat vielleicht damit zu tun, dass der Zoroastrismus ja nicht eigentlich polytheistisch ist und eventuell spielt auch noch eine Rolle, dass sich in Persien die Shia durchsetzte. Das Christentum in Ägypten war offensichtlich von Anfang an wenig tolerant gegenüber dem alten Glauben, wie sich an den Spuren von Vandalismus an den Tempelwänden feststellen lässt, die angeblich auf die frühen Christen zurückgehen. Was eventuell noch übriggeblieben war vom alten Glauben, wurde dann durch den Islam wohl endgültig erledigt. Zwei monotheistische Religionen hat der alte Glaube nicht überstehen können ...
 
Ich bezweifle nicht, dass die Märtyrer nicht an ihre eigenen Offenbarungen glaubten. Alles was den Heiden fehlte und die Massen begeisterte, kann eher als Argument für seine Offenbarungen gelten. Ganz nach dem Motto, Gottes Wille ist auch des guten Menschen Wille. Ich denke man hatte damals schon auf plausible Art und Weise so Gott beweisen wollen. Wenn es einen gibt, dann ist er so wie ihr ihn wollt. Mit paar ausnahmen war dieser Gott eine verbesserung zum Jahwe oder Jupiter, der weitaus unvollkommener war. Menschen starben auch für andere politische Ideale und dazu wurden diese Märtyrer von ihren Mitchristen als Helden gefeiert.

@Curious
Die Shia war nicht von Anfang an da und ich weiß nicht was das mit dem Zoroastrismus zu tun hat. Die Religion litt Anfangs unter starken Repressionen. Diese hatten bis zum heutigen Tag immer wieder auf und abs. Gelegentlich hatten sie auch einen ähnlichen Status wie die Dhimmis, aber waren meist Ärmer dran. Die meisten leben in der Diaspora heutzutage. Überlebt hatte die Religion denke ich aus ähnlichen Gründen wie das Judentum. Es gab strikte Schriften und Regeln die Priorität hatten und so gut Generationen weitergegebn werden konnten.
 
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Das hat vielleicht damit zu tun, dass der Zoroastrismus ja nicht eigentlich polytheistisch ist und eventuell spielt auch noch eine Rolle, dass sich in Persien die Shia durchsetzte.
Die Shia setzte sich in Persien flächendeckend erst in der frühen Neuzeit durch, als sie von der Safawiden-Dynastie massiv gefördert wurde. Davor war das Land gemischtkonfessionell mit einigen schiitischen Zentren, aber ansonsten eher sunnitischer Bevölkerung.

Ich finde es deswegen nicht verwunderlich wieso das Christentum sich "evolutionär" durchgesetzt hat. Sobald große Teile der Bevölkerung konvertierten war es nurnoch eine Frage der Zeit bis auch die Herrscher dies sich zu nutzen machten und früher oder später sich der mehrheit beugen mussten. (Konstantin)
Davon, dass zu Beginn von Konstantins Herrschaft die Christen bereits die Bevölkerungsmehrheit gestellt hätten oder sonstwie in der Lage gewesen wären, auf den Kaiser Druck auszuüben, kann keine Rede sein. Genau Zahlen sind nicht bekannt; Schätzungen reichen bis zu 10% Bevölkerungsanteil, was ich allerdings - reichsweit gesehen - auch für zu hoch angesetzt halte, das könnte nur in den stärker christianisierten Gebieten im Orient und in Africa hinkommen. Erst im Zuge der offiziellen Duldung und Förderung durch Konstantin und seine Nachfolger scheint sich der christliche Anteil rapide erhöht zu haben. Eine zwingende Notwendigkeit, sich den Christen zu "beugen", bestand für Konstantin nicht. So wirklich klar ist sein Motiv nicht, was auch daran liegt, dass heidnische Autoren seine Hinwendung zum Christentum oft kaum oder gar nicht thematisierten, christliche sie aber religiös verklärten.
 
Da hast du Recht. Dennoch ist es ungewöhnlich, dass das Christentum, selbst wenn es weniger als 10% sind, einen solchen Zufluss erreichen konnte und dann in einer kurzen Phase der Stärke sich durchsetzte. Ich weiß nicht ob die Zahl der Christen stagnieren würde, wenn Konstantin nicht Christenfreundlich wäre. Vielleicht sah er einen progressiven Trend hin zu der Religion? Ich habe keine Ahnung von den Quellen über die Zahl und Lage der Christen in der Zeit. War das Christentum der einzige neumodische Kult von vielen, der sich Zufälligerweise durchsetzte? Ich Jammer über die Quellen die vernichtet wurden und die, die eventuell selektiv erhalten geblieben sind...
 
Sobald große Teile der Bevölkerung konvertierten war es nurnoch eine Frage der Zeit bis auch die Herrscher dies sich zu nutzen machten und früher oder später sich der mehrheit beugen mussten.
erstaunlicherweise aber verlief z.B. die Missionierung der Germanen und Slawen genau anders herum: erst ließen sich die Herrscher und ihr Gefolge taufen (zumeist aus politischen Gründen), peu a peu danach die Landbevölkerung ("Masse") und so konnte es ggf ein paar Generationen dauern, bis sich von oben nach unten (!) die Christianisierung durchsetzte.
 
Eine Christianisierung "von oben" - das kann in einer Stammesgesellschaft nicht gehen.

Wahrscheinlich zunächst einige der wenigen aus der Riege der Alphabetisierten. Ein verchronifiziertes Taufereignis bildet doch schon einen öffentlich-ritualisiert - also aussengerichteten - Konsens (!) ab u doch nicht den Beginn des Christianisierungsprozesses.

Christentum ist eine Schriftreligion, also im Unterschied zur germanischen Esoterik ein Alphabetisierungs- u damit Rationalisierungsmotor. Christentum bildet in der Tendenz mehr "Mittelschicht" aus "Unterschicht" als "Mittelschicht" aus "Oberschicht" - eben via Alphabetisierung als primärem Offenbarungsmittel (Joh), das sich Gemeinde konstituiert.
 
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@Bliblablub
Zur Alphabetisierung trug das Christentum meiner Meinung nach erst sehr spät bis garnicht etwas bei, bis auf für den priveligierten Klerus.

@dekumatland
Ich hatte meine Aussage diesbezüglich bereits revidiert. Dennoch finde ich es sehr einfach gesagt, ein Herrscher entscheidet mal eben, dass die alte Tradition falsch ist und eine neue her muss. Ich denke die Herrscher waren nicht die einzigen, die die Entscheidung gefällt haben bzw. die Umstände halfen nach. (Chlodwigs Frau, Konstantins Mutter). Vielleicht auch andere nahestehende Personen. Gab es seitens der Bevölkerung starke gegenwehr?
 
ja wenn das so ist, dann wird künftig die Historie der Germanen- und Slawenmission umgeschrieben werden müssen... ;)
...wie war das mit Chlodwig bei den Franken?

Es ist zwar so überliefert, aber wenn man genauer hinsieht, sind die Frauen der Fürsten, die sich dann mitsamt ihrer Stämme taufen lassen, meist schon Christinnen. Die Geschichte vom Fürsten oder König, der sich mitsamt seines Gefolges taufen lässt, scheint also eine etwas glatt gebügelte Version der Wahrheit zu sein.
 
1stCloud
Sobald große Teile der Bevölkerung konvertierten war es nurnoch eine Frage der Zeit bis auch die Herrscher dies sich zu nutzen machten und früher oder später sich der mehrheit beugen mussten.


Ich meine mich zu erinnen, dass in Deutschland nach der Reformation die jeweiligen Landesherren die Religionszugehörigkeit ihrer Untertanen bestimmten. War das zu Ägypter- und Römerzeiten auch schon so ? Oder ab wann gab es so etwas wie Religionsfreiheit ?

 
Ich meine mich zu erinnen, dass in Deutschland nach der Reformation die jeweiligen Landesherren die Religionszugehörigkeit ihrer Untertanen bestimmten. War das zu Ägypter- und Römerzeiten auch schon so ? Oder ab wann gab es so etwas wie Religionsfreiheit ?

Es gab gerade in Ägypten eine Vielzahl von Kulten und Göttern. Da hatte jeder eine riesige Auswahl. Ob man allerdings die Göttlichkeit des Pharao öffentlich verneinen durfte, wage ich zu bezweifeln.

Auch im Imperium Romanum konnte jeder mit seinem Gott oder seiner Göttin selig werden. Und wenn er einen neuen erfand, so hatte niemand etwas dagegen einzuwenden - sofern die staatliche Ordnung und die "guten Sitten" nicht gestört wurden. Aber auch dort durfte die Göttlichkeit des Kaisers nich angezweifelt werden, der die Einheit des Reichs symbolisierte.
 
Die Frage bleibt, wie aus einer anfangs verfolgten Religion eine Staatsreligion wurde.
Vielleicht kann Jan Assmann die Frage, was das Christentum attraktiver machte ja beantworten. Diesem zufolge war nämlich das ägyptische Totenreich mit dem griechischen Hades und dem jüdischen She'ol vergleichbar und alles andere als ein angenehmer Ort. Nachzulesen im 5. Kapitel seines Buches Tod und Jenseits im Alten Ägypten. München 2001.

Was du da meinst, bezieht sich nicht auf die ägyptische Paradiesvorstellung, sondern auf den Weg der verstorbenen Seele zum Totengericht im Duat. Nach bestandenem Totengericht vermag der ´Tote´ in das elysische Sechet-iaru einzugehen, welches die erste Paradiesvorstellung in der Religionsgeschichte darstellt, Jahrtausende vor dem Mazdaismus und Christentum. Bewohner des Sechet-iaru können auch täglich zu einer bestimmten Zeit die Gegenwart des Sonnengottes Re genießen. Andere Vorstellungen zielen auf das Eingehen in den Mutterleib der Himmelsgöttin Nut, was sich auch in der Gestaltung von Särgen niederschlug. Im Fall eines nicht bestandenen Totengerichts blüht dem Kandidaten ewige Qual. Darüber habe ich hier schon mehrmals geschrieben.

Dass in den antiken Mysterien - darunter auch deren Prototyp, die Isismysterien - das Jenseits als seliges Lichtreich gedacht (und bei Initiationen auch - zumindest subjektiv - erfahren) wurde, versteht sich ohnehin, da dies die Kernbotschaft der Mysterien war. Auch der Mithraskult kannte - für Eingeweihte - ein seliges Jenseits in Form des ewigen Lebens im Sternenhimmel.

Die düstere Jenseitsvorstellung Mesopotamiens beeinflusste dagegen die jüdische Vorstellung des Scheol und wohl auch des Hades.

Das ägyptische System wurde in Persien rezipiert und eschatologisch transformiert: Ein persönliches Gericht durch Ahura Mazda entscheidet über den Verbleib im Himmel oder der Hölle bis zum Zeitpunt des eschatologischen Endgerichts, wo das Schicksal der Seelen endgültig bestimmt wird (auf der Basis ihres moralischen Verhaltens, ganz genauso wie beim ägyptischen Totengericht).

Davon wurde die Johannesoffenbarung entscheidend beeinflusst.

Vielleicht kann Jan Assmann die Frage, was das Christentum attraktiver machte ja beantworten.

Da wirst du von einem Gegner des Christentums nicht die erhoffte positive Auskunft erwarten können, schätze ich, zumal das christliche Paradies nicht die Einzigkeit hat, die du ihm unterstellst (siehe oben). Zudem gibt es überhaupt keine verbindliche christliche Vorstellung des Jenseits, die man auch nur im Ansatz "klar" nennen könnte, vielmehr konkurrieren mehrere meist vage Ansätze miteinander.

Was "das Christentum attraktiver" machte, habe ich in einem Thread über die ´Verbreitung des Christentums´ plausibel zu machen versucht. Die Jenseitsversprechungen waren es mit Sicherheit nicht. Die wesentlichen Motive sind vielmehr zunächst auf der sozialpsychologischen Seite zu suchen. Das ´Ur-Christentum´ speiste sich aus sozialrevolutionären Antrieben, was sich in der Motivik der Christologie (Sohnschaft, Kreuzigung usw.) ganz evident niederschlug. Später wurden philosophisch-hellenistische Motive adaptiert, um die Attraktivität von den plebejischen auf die bürgerlichen und adligen Schichten auszuweiten. Allerdings wäre das Christentum ohne Konstantins individuelle Entscheidung für diesen Glauben (wohl weitgehend auf einem Kalkül basierend) keine Staatsreligion geworden.

Es bringt also wenig, den "Erfolg" des Christentum allein auf dessen Potential zurückzuführen, z.B. dessen angebliche höhere Moralität, die du gerne als Argument anführst - ich wiederum kann eine solche absolut nicht erkennen, weder auf dem Gebiet der christliche Lehre noch auf dem der christlichen Praxis.

Wovon das Christentum profitierte, waren sicher gewisse Eigenarten der konkurrierenden Religionen. Der Kaiserkult hatte zu wenig emotionale Ausstrahlung. Die Mithras- und Isisreligion waren ´elitär´, d.h. sie setzten das Bestehen sehr schwieriger Initiationsprüfungen voraus, denen die breite Masse nicht gewachsen war, vermittelten allerdings für Eingeweihte Einsichten, von denen der Normalchrist nur träumen konnte.

Auch die gnostischen Gemeinden, noch viel ausgedehnter als die christlichen, stellten geistige Ansprüche an ihre Adepten, die hoch über denen des Christentums lagen, welches - in den Augen der Gnostiker - nur die einfachen Gemüter ansprach, die von den Gnostikern ´Hyliker´ genannt wurden, die für die wahre Gotteserkenntnis prinzipiell Unfähigen. Ihnen standen die gnostischen ´Pneumatiker´ gegenüber, fähig, das göttliche Licht zu erkennen, und die unentschiedenen ´Psychiker´, welche sich in die eine oder in die andere Richtung entfalten konnten.

Die Attraktivität des Christentums bestand also - letztlich - in seiner Einfachheit und intellektuellen Anspruchslosigkeit im Vergleich zu den konkurrierenden Systemen. Die Verfeinerungen im 4. Jahrhundert (Hellenisierung) wurden vom einfachen Volk gar nicht verstanden, sie waren nur Denkspielereien der klerikalen Elite.

Ob man allerdings die Göttlichkeit des Pharao öffentlich verneinen durfte, wage ich zu bezweifeln.

Die Frage ist wohl weniger, ob man durfte (mit Sicherheit nicht), sondern ob überhaupt der Gedanke aufkam. Die ´göttliche´ Macht des Pharao durchdrang das ägyptischen Denken bis in die letzten Verästelungen, da war sicher kein Platz für Zweifel. Ich bin ohnehin gerade mit einem ausführlichenText über die ägyptische Königsideologie befasst, den ich spätestens übermorgen hier einstelle, damit lässt sich das Thema dann facettenreicher behandeln.
 
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Polytheistischer, öffentlicher Kult als Kern antiker Götterwelt-Vorstellungen

Der antike Polytheismus ist für uns Heutige kaum nachvollziehbar und daher ständig mit einer falschen Konnotation aufgeladen. Persönliche Hingabe und Glaube eines Menschen waren etwas, das kaum eine relevante Rolle spielte. Im Vordergrund der hier diskutierten religiösen Werte standen öffentliche Kulte, keine theologischen Denkgebäude! Welche Gottesvorstellungen herrschten denn dann vor?

Im Bezug auf die altorientalische Gottheit der Ianna/Ischtar/Astate schreibt J. Kersten [Aphrodite S 36f]
…erfordert es kurz das religiöse Verständnis dieser Kultur zu skizzieren, denn aus heutiger Sicht fällt es schwer, die oft geradezu bösartig wirkenden Handlungen altorientalischer Götter beziehungsweise die Ehrfurcht der betroffenen Menschen vor diesen zu verstehen.
[Anm. von mir: Es geht nun um den altorientalischen Sintflut-Mythos]…Die Götter hatten gemeinsam den Ratschluss getroffen, die Menschheit zu vernichten – Ea wiederum rettet einen von ihnen: Atramhasis. Als das Boot des Atramhasis, der um die Vernichtung der Menschheit durch die Götter weiß, nach dem Unglück erstmalig an Land stößt, hat er nichts besseres zu tun, als diesen bei erster Gelegenheit ein Rauchopfer zu bringen, um welches sich die mörderischen Götter unbedenklich wie Fliegen um das Licht gedrängt haben sollen, um sich daran zu erfreuen.
Nach altorientalischem Verständnis konnten Götter beliebig in menschliches Schicksal eingreifen, ob in negativer oder positiver Weise oblag ihrem eigenen Gutdünken, das nicht zu hinterfragen, wohl aber durch Opfer in positiver Weise zu beeinflussen war. Gerade wegen ihrer Unberechenbarkeit opferte der altorientalische Mensch und betete um der Götter Gnade, da er um die Schrecklichkeit ihres Zorns wusste, und er betete auch nach einer Strafe, um weiteres Unheil abzuwenden…
Im Kern war es bei anderen polytheistischen, antiken Gottesvorstellungen kaum anders. Aus diesem Zitat geht auch die zentrale Rolle der öffentlich praktizierten, religiösen Kulte hervor. Jedes Gemeinwesen fand seine speziellen Schutzgottheiten und im häuslichen Raum war es nicht anders, was die Auswahl der Hausgottheiten betrifft. Teils war so eine strikte Trennung zwischen (positiven) Göttern und (fürchterlichen) Dämonen kaum möglich. Die verheerendsten, Pestbringendsten Dämonen scheute man sich nicht, als Abwender von Übel durch Amulette einzusetzen, um Schrecken durch Schrecken abzuschrecken!

Zu den olympischen Gottheiten schreibt M. Seifert im gleichen Buch (S 18)
Die griechischen Götter besaßen eine Reihe von Eigenschaften, die sie von den Menschen unterschieden: Sie waren unsterblich und in ihren Adern floss kein Blut. Sie ernährten sich von Nektar und Ambrosia sowie vom Opferrauch, der von den Altären der Menschen in ihren Heiligtümern aufstieg…
Die Götter konnten eine Reihe von verschiedenen Rollen übernehmen, die durch Beinamen angezeigt wurden. Diese Beinamen entsprachen dem jeweiligen Ort, an dem die Götter den spezifischen Kult empfingen, oder der Funktion die sie erfüllten….
Da mag man nebenbei erahnen, welche Rolle der antiken "Weihrauchstraße" zukam... Aber zurück: Der zentrale Akt der Kontaktaufnahme und Beeinflussung der Götter war damit der absolut exakt und regelmäßig zu widerholende, genauestens reglementierende, öffentliche Opferkult. Genau deshalb war diese Kultpraxis auch ein ganz zentrales Anliegen jeder menschlichen Gemeinschaft. In der antiken Stadtkultur war dies demzufolge eine der wichtigsten Aufgaben der Stadt – und damit der Stadtstaaten. Im Bezug auf Ägypten war die Rolle der großen Tempel so bedeutend, das teils von Tempelstädten gesprochen wurde!

Nun erklärt es sich vielleicht einfacher, warum das frühe Christentum eventuell gerade in Ägypten so relativ erfolgreich gewesen sein könnte? Vor diesem Kontext war die Verweigerung des Opfers durch frühe Christen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Doch der Zorn der Götter blieb aus…? Wer hätte das gedacht? Also war vielleicht der neue Gott doch mächtiger? Er fragte ja nicht nach öffentlichen Opfern, man solle selbst, ganz persönlich mit ihm ins Reine kommen…. und er verhieß den Seinen ein glückliches Jenseits, für das keine regelmäßigen Opferhandlungen durch „wankelmütige“ Nachkommen oder gefährdete Pharaonen einen Einfluss haben konnten.

Weiterhin erstarb mit der öffentlichen Hinwendung der römischen Kaiser zum Christentum bald das öffentlich finanzierte, fragile Gebäude der antiken Kultpraxis, was ja durchaus Kostenintensiv war und aus oben skizzierten Gründen extremst wichtig für das Verhältnis zu den alten Göttern war! Die Gemeinschaft besänftigte und förderte also nicht länger „ihre alten Götter“ – doch nichts geschah! Spätestens indem die öffentliche Kultpraxis eingestellt wurde, erstarb das zentrale Element der alten Göttervorstellungen und ihres Verhältnisses zu den Menschen. Was sich vielleicht noch halten konnte, war zumindest gezwungen sich neu zu orientieren. So wird auch die blinde Zerstörungswut des frühchristlich, ägyptischen Mönchtums gegenüber den alten Kultstätten verständlicher. Selbst Kirchenvätern gingen diese Fanatiker oft zu weit... Maßgebliche Teile von ihnen waren ungebildete, aufbrausende, von keinerlei Mönchsregeln oder Autoritäten gebändigter, potentieller Mob – der vielleicht auf einen Märtyrertod hoffte? Aber das war jetzt eine ganz persönliche Hypothese von mir…
Das sich später entwickelnde, uns bekannte christliche Mönchstum entwickelte sich völlig anders, doch nicht unbeeinflusst von diesen Vorgängen...
 
Weiterhin erstarb mit der öffentlichen Hinwendung der römischen Kaiser zum Christentum bald das öffentlich finanzierte, fragile Gebäude der antiken Kultpraxis, was ja durchaus Kostenintensiv war und aus oben skizzierten Gründen extremst wichtig für das Verhältnis zu den alten Göttern war! Die Gemeinschaft besänftigte und förderte also nicht länger „ihre alten Götter“ – doch nichts geschah!
Die Heiden sahen das allerdings zumindest teilweise durchaus anders. Der spätantike heidnische Historiker Zosimos sah in extrem monokausaler Weise die Hauptursache für den Niedergang des Reiches darin, dass die christlichen Kaiser die alte Säkularfeier nicht mehr veranstalteten. Auch in den Streit um den Victoria-Altar in der römischen Senatscurie spielte eine derartige Denkweise hinein.
 
Die Heiden sahen das allerdings zumindest teilweise durchaus anders. Der spätantike heidnische Historiker Zosimos sah in extrem monokausaler Weise die Hauptursache für den Niedergang des Reiches darin, dass die christlichen Kaiser die alte Säkularfeier nicht mehr veranstalteten. Auch in den Streit um den Victoria-Altar in der römischen Senatscurie spielte eine derartige Denkweise hinein.

Das ist richtig. Ich sehe hier keinen Widerspruch zu meinen Ausführungen. Im Gegenteil! Am Victoria-Altar wurden ja noch bis zum Eingreifen des Mailänder Bischofs Ambrosius weiterhin Rauchopfer dargebracht. Allein die Tatsache, dass Zosimos noch um das Jahr 500 herum öffentlich die alten Götter protegierte, beweist ja das Fortleben alter Vorstellungen. (Suggeriert es auch weiter stattfindende Opfertätigkeit, die allerdings nicht länger die alten, öffentlichen Formen annahmen?) Das spricht gegen eine gelungene, schnelle „Ausrottung“ der alten Kulte! Aber für ihren Niedergang. Allein die Argumentationsweise des Zosimos beweist m.E. deutlich, dass meine Überlegungen prinzipiell richtig sind: Er deutet den römischen Niedergang als eine Folge der Abkehr von den alten Göttern (mit einem Nachlassen/Auslassen wichtiger Kulttätigkeit)! Ein mit den alten, von mir skizzierten Vorstellungen eng verbundener Versuch eines „polytheistischen Gottesbeweises“!

Meine Darstellung oben sollte prinzipielle Abläufe skizzieren. Nicht suggerieren, das die alten religiösen Vorstellungen sehr schnell verfielen, analog zur Geschichte um die Donareiche mit darauffolgender, schneller Bekehrung! Dem war keinesfalls so. Es war ein Erosionsprozess, der wohl mit der Zeit an Fahrt gewann und die Altgläubigen in die Defensive drängte.
Donareiche ? Wikipedia
In meinem Vorpost war die Formulierung „Was sich vielleicht noch halten konnte, war zumindest gezwungen sich neu zu orientieren“ sehr bewusst gewählt. Göttergläubige Menschen konnten mit der allmählichen Schließung der Tempel nicht mehr die gewohnten Rituale öffentlich ausüben. Eine fortgesetzte Kultpraxis in veränderter Weise schließt dies genauso wenig aus wie der frühere Zwang zur „Teilnahme an öffentlichen Opfern“ die damaligen Christen davon abhalten konnte, ihre Religion in einem anderen Rahmen abzuhalten. Die Altgläubigen verloren die Öffentlichkeit an die Christen.
 
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Es ist zwar so überliefert, aber wenn man genauer hinsieht, sind die Frauen der Fürsten, die sich dann mitsamt ihrer Stämme taufen lassen, meist schon Christinnen. Die Geschichte vom Fürsten oder König, der sich mitsamt seines Gefolges taufen lässt, scheint also eine etwas glatt gebügelte Version der Wahrheit zu sein.
und schaut man noch genauer hin, dann erblickt man politisch-dynastische Motive (die ausgewählten Damen der frühmittelalterlichen Könige waren keine Liebesheiraten), man erblickt auch "innerchristliche Konfessionswechsel" (zumeist vom Arianismus weg hin zu Rom) - die politische Motivation der Anbindung an christl.-röm. imperiale Funktionen ist letztlich bei fast allen völkerwanderungszeitlichen Königen deutlich. Ein weiteres Indiz für solche Religionswechsel von oben ist darin zu sehen, dass die Landbevölkerung meistens länger an Heidentum und Synkretismus festhielt (ja dass die neue "verordnete" Religion angepasst werden musste, man denke an den merowinigschen Martinskult und seine heidnischen Züge, an die trotz Religionswechsel weiterhin praktizierte merowingische Vielweiberei etc.)
Und zuletzt spricht für so einen Wechsel von oben, dass z.B. der heilige Bonifatius einige Generationen nach Chlodwig tätig war (das merowingisch-karolingische Territorium war offenbar noch nicht flächendeckend christianisiert)
 
Frage an Chan

Im Fall eines nicht bestandenen Totengerichts blüht dem Kandidaten ewige Qual. Darüber habe ich hier schon mehrmals geschrieben.

Wo kann ich das finden ?

P.S. Ich bin begeistert über die Diskussion, die sich hier entwickelt hat. Man lernt hier mehr als in 10 Jahren Geschichtsunterricht !
 
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