Ich schätze Ortisi sehr, aber mich stört ein wenig, wie ernst er Cassius Dio nimmt, denn einige Dinge, die er nennt (Sommerlager an der Weser, "auch das Wetter soll schlecht gewesen sein") kommen nur bei Cassius Dio vor, der eben - ich habe es ja schon häufiger ausgeführt - zumindest in einigen Punkten problematisch und unzuverlässig ist. Ich muss Ortisi bei dieser kleinen Kritik natürlich zugute halten, dass er sagt, es "
soll schlecht gewesen sein". Beim
bello Variano vom Marcus Caelius-Kenotaph hat er natürlich einen Punkt. Ich habe es immer so gesehen, dass es eine mehrtägige Marschschlacht war, wie wir es bei Cassius Dio ausführlich und bei Tacitus zwischen den Zeilen lesen kann, aber dass die drei Legionen und Auxiliareinheiten des Varus eben gemeinsam marschierten, wohingegen Asprenas ja noch zwei bei sich hatte. Klar, Cassius Dio beschreibt auch die Zersplitterung der Armee bereits vor der Schlacht und dass die Germanen einzelne Posten vor der Schlacht bereits überfielen. Die
bello Variano-Formulierung auf dem Marcus Caelius-Kenotaph habe ich in diesem Zusammenhang immer so gelesen, dass die Varusschlacht nebst Folgeereignissen gemeint war, also Belagerung und Entsatz Alisos. Das liest Ortisi ja anders.
Die Frage ist aber natürlich auch - das würde natürlich die Datierung des Marcus Caelius-Kenotaphs - öffnen, was sich Publius Caelius unter
bello Variano vorstellte, als er die Inschrift anbringen ließ. Er könnte sich theoretisch unter
bello Variano ja sogar Schlachten unter Tiberius 10 oder Germanicus 14 - 16 n. Chr. vorgestellt haben. Dann wäre Marcus Caelius gar nicht in der Varusschlacht gefallen, sondern vielleicht erst bei den pontes longi, in Idavisto oder am Angrivarierwall (oder bei einer der anderen Begegnungen, die weniger bekannt sind).
So richtig neues habe ich in dem Artikel nicht gefunden,
Ich schon. Und zwar hier:
FAZ/Uwe Ebbinghaus: Diese Entdeckungen führten zu der Theorie, dass der Wall möglicherweise zu einem römischen Marschlager, einer Verschanzung, gehörte. Was würde für diese Theorie sprechen?
Salvatore Ortisi: Ich muss vorausschicken, dass ich diese Theorie mittlerweile kritisch sehe. In den ersten Publikationen zu den Grabungen in Kalkriese stand übrigens genau diese Frage noch im Raum: Gehörte der gefundene Wall zu einem römischen Lager? Dieser Punkt war dann allerdings schnell aus der Diskussion verschwunden. 2016 setzten wir hier an. Bei den Nachgrabungen haben wir dann an der Hangkante zwischen Oberesch und Moor einen Graben mit nach Süden hin aufgeworfenem Wall gefunden, der weitgehend identisch war mit dem hangaufwärts gelegenen sogenannten Germanenwall. Damit hatten wir plötzlich zwei Wallgrabenanlagen im Gelände, was zunächst dafür sprach, dass die Theorie von der römischen Befestigungsanlage die plausiblere sein könnte.
Ich habe ja jahrelang hier im Thread die Germanenwallthese von Wilbers-Rost/Rostverteidigt und musste dann 2016 noch nicht, aber 2017 zähneknirschend zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um römische Bauwerke handelte, wohl etwas für sich hätte, wenn auch die Zuschreibungen noch nicht absolut gesichert waren. Dass nun Ortisi, der gemeinsam mit seinem Adlatus Rappe Schlüters These verfolgte, die Lagerhypothese schon wieder halb verwirft, überrascht mich dann doch etwas.
Bzgl. der Äußerung
Salvatore Ortisi: Auch diese Frage haben wir versucht zu beantworten, selbst ein Notlager braucht schließlich vier Seiten.
weicht Ortisi allerdings von der Lagerthese Schlüters insofern ab, als das Schlüter ja die fehlenden zwei Seiten damit erklärt hatte, dass hier keine Gräben und Wälle angelegt worden seien, sondern Verhaue. Als Quellenstelle für eine so geartetes Marschlager hat Schlüter Tac.
ann. I, 50 angeführt:
castra in limite locat, frontem ac tergum vallo, latera concaedibus munitus - auf die Schneise [Halbsatz vorher] legte er [Germanicus] ein Lager, die Vor- und Rückseite mit einem Wall, die Seiten mit Gefälltem versehen.