Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Ich habe diese Taktik der Germanen, die sich in den Wald zurückziehen und dann zum Angriff zurückkehren, nie ganz verstanden, wie die gesamte römische Geschichte eines Germania, das aufgrund seiner an riesigen und dunklen Wäldern reichen Natur schwer zu erobern ist.
Es muss berücksichtigt werden, dass das alte Italien von undurchdringlichen und dichten Wäldern wie den germanischen bedeckt war (in einigen italienischen Regionen gibt es noch Naturparks, in denen die Bäume dicht und hoch sind wie in Deutschland), mit viel bergigeren und unzugänglicheren Gebieten.

Der Einzige der dieses Klischee von den grausigen Wäldern, in welchen Germanen zu Hause sind, die Römer sich jedoch fürchten und verloren sind, geht vor allem auf Cassius Dio zurück, so weit ich mich richtig erinnere.
Für Tacitus scheinen jedoch vor allem Sümpfe und Morast entscheidend gewesen zu sein. Interessanterweise scheint es Parallelen zwischen der Langebrückenschlacht (Pontes Longi) und der Varusschlacht gegeben zu haben. Demnach haben die Germanen die Römer zuerst in sumpfigen Gelände so lange aufgerieben und die Truppenstärke verringert bis sie den Rest auch mühelos auf freiem Gelände erledigen konnten. Bei Tacitus steht: „Mitten auf dem Feld: bleichende Knochen, zerstreut oder im Haufen, je nachdem die Soldaten die Flucht ergriffen oder Widerstand geleistet hatten. Daneben lagen zerbrochene Waffen und Pferdegerippe, zugleich sah man an den Baumstümpfen vorn angenagelte Menschenschädel. In den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und Zenturionen ersten Ranges geschlachtet hatten. Und Überlebende dieser Niederlage, der Schlacht oder der Gefangenschaft entronnen, erzählten, hier seien die Legaten gefallen, dort die Adler geraubt worden; sie zeigten, wo dem Varus die erste Wunde beigebracht wurde, wo er durch seine unselige Rechte mit eigenem Stoß den Tod gefunden habe; auf welcher Erhöhung Arminius zum Heer gesprochen, wieviele Galgen für die Gefangenen, was für Martergruben es gegeben und wie er mit den Feldzeichen und Adlern voller Übermut seinen Spott getrieben habe.“
Demnach könnte es sich wohl um ein eher weiträumiges Gebiet gehandelt haben, abwechselnd aus Sümpfen und Mooren und wiederum Wäldern und freiem Gelände. Die heiligen Haine in unmittelbarer Nähe weisen wohl auf permanente Kultstätten hin, die aber, wenn ich das richtig verstehe, nicht von den Menschen bewohnt werden dürfen, also unbewohntes Gebiet sind.
Wälder und Berge können für die Römer demnach wirklich kein Problem gewesen sein, wofür wir mit dem Harzhornereignis ja auch den Beweis haben.
 
Warten wir mal in Ruhe die Ergebnisse der Untersuchungen in Kalkriese und Bochum ab. Ich habe das Gefühl dass sich da im Moment ungewöhnlich viel tut.
 
Der Einzige der dieses Klischee von den grausigen Wäldern, in welchen Germanen zu Hause sind, die Römer sich jedoch fürchten und verloren sind, geht vor allem auf Cassius Dio zurück, so weit ich mich richtig erinnere.
Für Tacitus scheinen jedoch vor allem Sümpfe und Morast entscheidend gewesen zu sein.

Das zieht sich durch die wichtigsten Quellen durch:
Velleius: inclusis silvis paludibus - eingeschlossen in Wälder und Sümpfe
Florus: nihil illa caede per paludes perque silvas cruentius
Tacitus: ...Teutoburgiensi saltu, in quo reliquiae Vari legionumque insepultae... occulta saltuum... simul truncis arborum antefixa ora

Interessanterweise scheint es Parallelen zwischen der Langebrückenschlacht (Pontes Longi) und der Varusschlacht gegeben zu haben.
Das baut Tacitus zwei mal auf, einmal im Traum des Caecina, der in der taciteischen Darstellung träumt, dass Varus' Geist ihn in den Sumpf hinabziehe, zum anderen, indem er Arminius gegenüber seinen Kriegern im Angesicht Caecinas und seiner Legionen ein "Seht derselbe Varus mit denselben Legionen!" in den Mund legt.

Demnach haben die Germanen die Römer zuerst in sumpfigen Gelände so lange aufgerieben und die Truppenstärke verringert bis sie den Rest auch mühelos auf freiem Gelände erledigen konnten. Bei Tacitus steht: „Mitten auf dem Feld: bleichende Knochen, zerstreut oder im Haufen, je nachdem die Soldaten die Flucht ergriffen oder Widerstand geleistet hatten. Daneben lagen zerbrochene Waffen und Pferdegerippe, zugleich sah man an den Baumstümpfen vorn angenagelte Menschenschädel. In den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und Zenturionen ersten Ranges geschlachtet hatten. Und Überlebende dieser Niederlage, der Schlacht oder der Gefangenschaft entronnen, erzählten, hier seien die Legaten gefallen, dort die Adler geraubt worden; sie zeigten, wo dem Varus die erste Wunde beigebracht wurde, wo er durch seine unselige Rechte mit eigenem Stoß den Tod gefunden habe; auf welcher Erhöhung Arminius zum Heer gesprochen, wieviele Galgen für die Gefangenen, was für Martergruben es gegeben und wie er mit den Feldzeichen und Adlern voller Übermut seinen Spott getrieben habe.“
Demnach könnte es sich wohl um ein eher weiträumiges Gebiet gehandelt haben, abwechselnd aus Sümpfen und Mooren und wiederum Wäldern und freiem Gelände. Die heiligen Haine in unmittelbarer Nähe weisen wohl auf permanente Kultstätten hin, die aber, wenn ich das richtig verstehe, nicht von den Menschen bewohnt werden dürfen, also unbewohntes Gebiet sind.
Das ist etwas überinterpretiert. Es geht an der Stelle mit den bleichen Knochen auf freiem Feld nicht um eine Ortsbeschreibung, die sich von den Wäldern und Sümpfen (die zumindest in Teilen eh eher Klischee und Niederlagebegründung sind) abhebt, sondern um die Ungeheuerlichkeit, dass die Gefallenen sechs Jahre lang unbestattet blieben, um den Anblick, der sich den Legionen des Germanicus bot, als sie das Schlachtfeld besichtigten. Der taciteische Bericht ist keine minutiöse Darstellung der Schlachtfeldbegehung, sondern hat einen klimakterischen Aufbau ist literarisch absolut durchkonszipiert.
 
Ich habe diese Taktik der Germanen, die sich in den Wald zurückziehen und dann zum Angriff zurückkehren, nie ganz verstanden, wie die gesamte römische Geschichte eines Germania, das aufgrund seiner an riesigen und dunklen Wäldern reichen Natur schwer zu erobern ist.
Es muss berücksichtigt werden, dass das alte Italien von undurchdringlichen und dichten Wäldern wie den germanischen bedeckt war (in einigen italienischen Regionen gibt es noch Naturparks, in denen die Bäume dicht und hoch sind wie in Deutschland), mit viel bergigeren und unzugänglicheren Gebieten.

Die römische Legion setzte auf Soldaten, die in dichter Formation kämpften und auch eine schwere Ausrüstung hatten, die zum Teil sperrig war. Stichwort Scutum.
Wenn ich durch unsere heutigen aufgeräumten Wälder stapfe, kann ich als Laie sogar sehen, das hier eine Centurie Schwierigkeiten hat geschlossen durch zu kommen. Zumal die schwere Ausrüstung der Legionäre das vorankommen auf dem Waldboden erschwert. Und ob ich die Wurzeln sehe? Schwierig, mit Scutum und Gesichtsfeld verengendem Helm. Da hat ein Plänkler mit leichter Ausrüstung gute Chancen gegen schwere Infanterie.
 
Ich habe diese Taktik der Germanen, die sich in den Wald zurückziehen und dann zum Angriff zurückkehren, nie ganz verstanden, wie die gesamte römische Geschichte eines Germania, das aufgrund seiner an riesigen und dunklen Wäldern reichen Natur schwer zu erobern ist.
Es muss berücksichtigt werden, dass das alte Italien von undurchdringlichen und dichten Wäldern wie den germanischen bedeckt war (in einigen italienischen Regionen gibt es noch Naturparks, in denen die Bäume dicht und hoch sind wie in Deutschland), mit viel bergigeren und unzugänglicheren Gebieten.

Ergänzend zu den Einlassungen von @Apvar

Ich weiß nicht, ob du mal in Mittel- oder Süditalien unterwegs gewesen bist, daber da hält es sich mit dichter stehender Vegetation deutlich in Grenzen und im Besonderen auch der römische Schiffsbau dürfte in weiten Gegenden Italiens auch nicht gerade zu üppigerer Vegetation beigetragen haben.
Das mag in Norditalien stellenweise etwas anders aussehen, nur ist das ja auch ursprünglich gar kein römisches Kerngebiet gewesen.
Das man das Gebiet nördlich von Rubico und Arno als etwas fremdes, nicht zugehöriges betrachtet hat, sagt ja schon die damalige Bezeichnung "Gallia Cisalpina".
De facto kämpften die römischen Truppen Rund um das Mittelmeer in der Regel in Regionen mit eher spärlicherer Vegetation und darauf war ihre Taktik und Kampfweise ausgelegt.

In Griechenland, Afrika, der Levante und auf der iberischen Halbinsel und Keinasien, sowie Mittel- und Süditalien fanden sich weitläufige Ebenen, ohne besonders viel Vegetation, die diese Kampfweise sinnvoll machten, damit hatten ja schon die Griechen, nicht ohne Grund angefangen.
Gemessen daran dürfte das Gelände im Norden eine deutliche Umstellung gewesen sein.

Vor allem sollte man dabei mMn eins auch nicht unterschätzen und dass sind die sich unterscheidenden Niederschlagsmengen noch auswirken konnten.
Selbst wenn man um das Mittelmeer herum mal in die Verdrückung kam in einem dichter bewachsenen Gebiet zu kämpfen, war es doch meist immerhin trocken, so dass auch Kämpfer mit schwerer Ausrüstung noch recht gut einen einigermaßen sicheren Stand finden konnten.
Das mochte sich in der Herbstperiode nördlich der Alpen massiv anders verhalten.
 
Danke für die Antworten.
Die Abholzung im Römischen Reich erfolgte erst nach der militärischen Eroberung, zum Beispiel war Norditalien mit einer riesigen Baumfläche bedeckt, als es von keltischen Völkern bewohnt wurde.

Das römische Heer hatte in seiner langen Geschichte bereits Schlachten, die denen von Teutoburg sehr ähnlich waren, wie die Schlacht an der "Silva Litana", bei der die Römer ebenso viele Soldaten verloren wie Varus.

Diese Schlacht spielt in der Ära Hannibals und wird von Tito Livio erzählt,wenn ich mich nicht irre, wenn Livio berichtet, dass diese uralte Schlacht vor zwei Jahrhunderten derjenigen in Deutschland ähnelte.

Es gibt keine deutsche Seite bei Wikipedia, aber ich habe sie mit einer Online-Software aus der italienischen übersetzt:
 

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  • it_wikipedia_org_wiki_Battaglia_della_Selva_Litana.it.de.pdf
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Wobei auch die undurchdringlichen Wälder und endlosen Sümpfe Germaniens nicht so undurchdringlich und endlos waren. Das sind topoi, daran sei immer wieder mal erinnert. Und diese topoi dienen natürlich auch dazu, für eine Niederlage eine einigermaßen rationale Erklärung hinzubiegen, ohne gleich an der grundsätzlichen Überlegenheit der Römer zu rütteln.
 
Jetzt, zur Zeit des Baumsterbens, der Trockenheit und der großen Rodungen der Fichtenwälder, sieht die Landschaft des heimischen Siegerlandes so kahl aus wie zur Zeitenwende:
Eine Folge des keltischen Eisenerzabbaus und der massiven Holzkohlegewinnung. Schon seit langem sind dort Erosionsfolgen mit Einschwemmung von Böden in die Talauen bekannt.
Man sollte sich von der Vorstellung eines menschenarmen und dichtbewaldeten Germaniens lösen.

Andererseits, in römischen Berichten über Kontrolle eroberter Gebiete durch Schlagen von Schneisen zur Gewinnung von Sichtachsen, hat man auch einen Rückschluss auf die damalige Geländebeschaffenheit und Vegetation.
Pollenanalysen sind in dieser Hinsicht weiter hilfreich für die Einschätzung der landwirtschaftlichen Nutzung.
 
Es gibt eine Karte der Waldverbreitung von Schwarz und Schlüter (s.a. Pflug, Tafel IV). Unabhängig von der zeitlichen Einordnung zeigt sie starke Bewaldung und viele Sümpfe in Flussnähe. Als Beispiel: die Bifurkation Fuhne bildete bis in die Neuzeit ein ca. 15 Kilometer breites Sumpfgebiet. Nur in der Bronzezeit scheint es eine größere Trockenphase gegeben zu haben, wie Urnenfunde am Grund zeitweise ausgetrockneter Gewässer zeigten.
 
Natürlich gab es Wälder (und auch Urwälder) und Sümpfe. Die gibt es z.T. bis heute, viele Sümpfe wurden erst im 20. Jhdt. trockengelegt (heute legt man sie wieder feucht, weil man festgestellt hat, dass sie gute CO2-Speicher sind).

Nur, wenn römische Historiographen Leistungen herausstellen oder Niederlagen oder zumindest Gefahren dramatisieren wollten, dann schilderten sie Germanien als ein Gebiet, das aus nichts anderem als Sümpfen und Wäldern bestand.

Nun sind Sümpfe und Wälder aber keine Lebensgrundlage für Völkerscharen, die den professionellen römischen Legionen zumindest insoweit Probleme machen konnten, dass sie diese ab und an an den Rand einer Niederlage (Caecina) oder darüber hinaus (Lollius, Varus) brachten.

Und wenn es sich bei Germanien nur um Wälder und Sümpfe gehandelt hätte, wäre das nicht nur ein Gebiet gewesen, das keine Lebensgrundlage bot, sondern auch ein ausreichend breiter Grenzsaum um den Durchzug feindlicher Heere zumindesten unwahrscheinlich zu machen, was die alte These von der Grenzverkürzung obsolet machen würde.

Nein, Germanien war für Rom interessant. Vielleicht nicht so sehr wegen der Börden, wie manche meinen, aber eben als Region, in der Menschen lebten, die man lieber unter Kontrolle hatte, denn als beständige Gegner (was sich ja letztlich nicht durchsetzen ließ) und sicherlich auch wegen mutmaßlicher oder bekannter Bodenschätze (wie dem Briloner Blei).

Die fruchtbaren Gebiete waren besiedelt. Es gab Dörfer und (laut Caesar) Einzelgehöfte, die Getreide anbauten - spätestens seit der Bronzezeit gab es auch den Pflug in unseren Gefilden - und sicherlich Ansätze von Hortikultur; die Kirsche (< lat. ceresia) etwa muss damals in Germanien eingeführt worden sein (sonst würden wir sie *Zirse oder *Zirsche o.ä. nennen, wie die Zelle oder die Zither [und nicht den Kaiser oder Keller])
 
Wobei auch die undurchdringlichen Wälder und endlosen Sümpfe Germaniens nicht so undurchdringlich und endlos waren. Das sind topoi, daran sei immer wieder mal erinnert. Und diese topoi dienen natürlich auch dazu, für eine Niederlage eine einigermaßen rationale Erklärung hinzubiegen, ohne gleich an der grundsätzlichen Überlegenheit der Römer zu rütteln.

Die Römer sind auch damit immer irgendwie fertig geworden. Aber gewisse Schwierigkeiten dürfte es ihnen vielleicht trotzdem bereitet haben, wenn Arminius das mit in seine Strategie einbezog.
Ich denke, dass man aus dem Tacitusbericht auch nicht viel mehr als einen „Umriss“ der Ereignisse entnehmen kann. Ich halte es irgendwie für undenkbar, dass Germanikus damals alle Soldaten, aller drei Legionen, zusammen und vollständig bestattet hat. Er wird m.E. nur einen kleinen Teil jener bestattet haben die für ihn auffindbar und unmittelbar „erreichbar“ waren. Wie groß dieser Tumulus war wird ja leider nicht erwähnt. Mal sehen was die Grabungen in Kalkriese noch ans Tageslicht bringen werden. Dass man jetzt anscheinend doch ein Römerlager gefunden hat ist ja schon recht bemerkenswert!
 
Was ich damit meine ist dass man aus Tacitus nicht erkennen kann wie die Landschaft der Arminius/Varusschlacht genau aussah.
 
Ich denke, dass man aus dem Tacitusbericht auch nicht viel mehr als einen „Umriss“ der Ereignisse entnehmen kann. Ich halte es irgendwie für undenkbar, dass Germanikus damals alle Soldaten, aller drei Legionen, zusammen und vollständig bestattet hat. Er wird m.E. nur einen kleinen Teil jener bestattet haben die für ihn auffindbar und unmittelbar „erreichbar“ waren.
So muss man Tacitus auch nicht lesen. "Trium legionum ossa" muss nicht "vollständig alle Gebeine dreier Legionen" bedeuten, sondern kann auch bloß "Gebeine von/aus drei Legionen" im Sinne der aufgefundenen oder einer Auswahl bedeuten.
 
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