Europa vor dem 1. Weltkrieg

...dass das unter einen Hut passt, bleibt mir ein Rätsel... kulturell eine ästhetische Verfeinerung in Literatur, Malerei, Architektur, Musik und parallel eine dumpfsinnige Kriegsbegeisterung, massive Rüstung und Militarisierung, also Lalique-Schmuck und Pickelhaube - - - das ist so widersinnig, dass ich es nicht verstehen kann.

Kleiner Tipp, man hat es spätestens zwischen 1890/1900 und 1914 (Belle Epoque) mit inzwischen sehr großen wie sehr komplexen, recht modernen Gesellschaften zu tun, inzwischen wohlhabend und groß genug für Künstler, Musiker, Komponisten, Literaten. Selbst und gerade im Dt. Kaiserreich...;-)
Und da war ja noch das Lebensgefühl des Fin de Siecle

Wissenschaften, Industrie/Gewerbe/Handel/Massenmedien und Kulturschaffen explodierten geradezu....und stellten die militärische Expansion locker in den Schatten....Siehe u.a. auch die Weltausstellungen, die waren keine Militär- und Heerschau.
 
Pardon - ein kleiner, quasi kunsthistorischer Exkurs:
die 10.hat Mahler leider nicht geschafft zu vollenden.
ja, aber immerhin haben wir im (nahezu fertig komponierten) Adagio (erster Satz) die maximale Jugendstilkulmination tristanesker Harmonik, Expression und Polyphonie - ein ebenso berührendes wie faszinierendes orchestrales Sehnsuchts-Lamento. (geradezu überirdisch die Aufnahme von Sinopoli!) Zeitlich ebenfalls passend Debussys tristaneske Jugendstil-Oper Pelleas et Melisande, zwar schon 1902 uraufgeführt, aber bis 1918 mehrmals umgearbeitet; 1912 Debussys Martyrium des heiligen Sebastian (auf einen fin de ciecle Text von d´Annuncio), dito ein Jugendstil-Werk.

Aber ich will die Musik des Zeitraums hier nicht in den Vordergrund stellen, wo sie auch nicht hingehört - vielmehr möchte ich auf die Diskrepanz zwischen künstlerischer, ästhetischer, ja allgemein kultureller Verfeinerung und der teilweise völlig unreflektierten Kriegsbegeisterung und industriellen Massenrüstung hinweisen. Was ich für besonders bestürzend halte: zivile Bauwerke sowie industrielle Zweckbauten erhielten - völlig selbstverständlich - ästhetische Gestaltung, stilisierte Fassaden. Diese waren nicht nur Zeitgeschmack*) (sie verteuerten das bauen erheblich) verkürzt gesagt. Beispiele von kunsthistorischem Rang**) lassen sich nahezu endlos aufzählen (später Jugendstilbahnhof Worms, Metrostationen Paris, Maschinenhalle Zeche Zollern, Zigarrenfabrik Dresden) Auch der Militär-Zweckbau der ersten Jahrzehnte nach der Brisanzkrise, also 1885 bis ca 1900/08 ist zumindest in der Gestaltung der rückwärtigen***) Fassaden von Kehlkasernen, Schutzräumen (Untertreträume), Magazinen noch ästhetisch gestaltet, zumeist in historistischem Stil (die Kehlkasernen der Kölner Forts, rückwärtige Fassaden Fort Kugelbake Cuxhaven u.v.a.) Aber um 1900-1914 (je nach Region) setzt sowohl bei der Modernisierung von militärischen Zweckbauten als auch beim Neubau eine völlig andere, nun gänzlich schmucklose, rein klotzartig geometrische und im Verständnis der Militäringenieure und -architekten (Geniekorps) rein zweckorientierte neue Bauweise ein! Diese hat absolut nichts mit Idee und Formgebung des späteren (erst ab 1919) Bauhausstils und der neuen Sachlichkeit zu tun, auch stammt keiner der Bauhausarchitekten aus der Militärarchitektur. Die dann späteren Bunker etc der Maginotlinie und des noch späteren Atlantikwalls bauen stilistisch auf den Erfahrungen von Bauhaus und neuer Sachlichkeit auf, entwickelten durchaus sehr ästhetische Proportionen und geometrische Formgebung - die "Bunker" bzw. Fortifikationsbauten aus Stahlbeton von 1900/08-1914/18 weisen diese formale Ästhetik nicht auf. Innerhalb der Architektur des Zeitraums, die ansonsten überall ästhetisierend gestaltet, wirken diese Bauten wie außerirdische Fremdkörper - kaum zu glauben, dass der Impressionist/Symbolist/Jugendstil-Komponist Debussy diese sehr schätzte.

Ebenso fremdartig wie die "Bunker"/Festungsbauten von 1900-14 ist die nun massive Rüstung & Militarisierung, accompagniert von einer geradezu idiotischen patriotischen Kriegsbegeisterung in Teilen der Bevölkerung (in Kaiserreich, Russland, Frankreich) am Vorabend des Ersten Weltkriegs, einer Epoche oder Zeit des zunehmenden Wohlstands, der Verbesserung der Lebensbedingungen, der ästhetischen Verfeinerung in zahlreichen Lebensbereichen, der Bäderarchitektur, des mondänen Lebensstils (zumindest der upper class), der kulturellen Europäisierung. In die mit Lalique-Schmuck behängte Zauberbergmondänität bricht das Schrapnell, der Bunker...

Ich habe seit nun fast 20 Jahren in der Militärarchitektur von a) 1985-1900 und b) 1900-14/18 nach Jugendstilelementen gesucht. Im Fall von a) bin ich ab und zu fündig geworden (wobei hier historistische Fassadengestaltung weit überwiegt), bei b) eher nicht. Einzig in der Formgebung von drei 1908-12 gebauten Kontereskarpen-Grabenstreichen russischer Festungen (zwei Forts von Modlin, Hauptfeste von Zegrze) konnte ich ornamentale Jugendstilschwünge finden... das ist wenig, bestätigt aber die oben genannte Fremdartigkeit.

--- genug Kunstgeschichte! Nochmals Pardon für diesen Ausflug abseits der Ereignis-, Politik- und Diplomatiegeschichte.

_________
*) die Militärarchitektur von 1818-1900 lässt sich stilistisch einordnen (Klassizismus & Romantik: Ulm, Koblenz, Verona, Brixen. Historismus Köln, Mainz usw) und hatte durchaus repräsentativen Charakter, sollte Stärke und Macht versinnbildlichen (vgl. Franz von Scholl – Wikipedia )
**) natürlich ist da nicht alles architektonischer Jugendstil, es überwiegen Gründerzeit-Klassizismus und Historismus - allerdings geht das gerne bzgl. der ornamentalen Gestaltung ineinander über
***) feindwärts gerichtete Bauteile sind erdgedeckt, versteckt, verschwinden quasi und werden leicht hügelig eins mit der Landschaft
 
Kleiner Tipp, man hat es spätestens zwischen 1890/1900 und 1914 (Belle Epoque) mit inzwischen sehr großen wie sehr komplexen, recht modernen Gesellschaften zu tun, inzwischen wohlhabend und groß genug für Künstler, Musiker, Komponisten, Literaten. Selbst und gerade im Dt. Kaiserreich...;-)
jepp, komplex und wohlhabend genug, um einen Militärapparat zu installieren und hochgelobt zu füttern, mit dem man das alles prima in Schutt und Asche legen konnte - was man dann ab 1914 auch mit Vehemenz betrieben hatte... ;)
 
Aber um 1900-1914 (je nach Region) setzt sowohl bei der Modernisierung von militärischen Zweckbauten als auch beim Neubau eine völlig andere, nun gänzlich schmucklose, rein klotzartig geometrische und im Verständnis der Militäringenieure und -architekten (Geniekorps) rein zweckorientierte neue Bauweise ein.

Das hört sich so an, als ob die Militäringenieure dann aufhörten, wie ästhetisch gestaltende Archtitekten zu arbeiten, als sie die neuen Bautechniken mit Stahlbeton einsetzten. Für die war die existierende Fornensprache ja auch nicht gedacht, und es musste erst mal eine neue entwickelt werden, nicht durch Militäringenieure, sondern durch zivile Architekten.
 
Das hört sich so an, als ob die Militäringenieure dann aufhörten, wie ästhetisch gestaltende Archtitekten zu arbeiten, als sie die neuen Bautechniken mit Stahlbeton einsetzten.
@Clemens64 möglicherweise hatte ich mich mißverständlich ausgedrückt oder zu sehr verkürzt - - Stahlbeton war den Militärs (Ingenieuren, Architekten, dem so genannten Geniekorps) nicht fremd und z.B. im Bau von Fabrikhallen etc hatten die Architekten auch Erfahrungen im "ästhetisch orientierten" bauen mit diesem robusten Werkstoff. Die militärischen Zweckbauten (Untertreträume, Grabenstreichen, Zwischenraumstreichen, Artillerie-Batterieblöcke und wie sie alle heißen) aus Stahlbeton des ungefähren Zeitraums 1900-1914/18 orientierten sich einzig an (relativ flach gehaltenen) Hohlraumgrößen mit möglichst starker Betondecke und dito feindseitiger Wandstärke, ihre Gestaltung und Formgebung war quasi "ästhetikfrei", d.h. ohne jede Rücksicht auf die optische Wirkung der Proportionen und Linien und ohne jegliche Fassadengestaltung der sichtbaren Betonwände. Eine nackte, karge "Sachlichkeit" 10-20 Jahre bevor in der Architektur Bauhaus und neue Sachlichkeit für ästhetische Proportionen sorgten.
Beispiele finden sich in den histor. Fotos (Entfestigung) der Mainzer Selztalstellung (Fort Muhl etc), in der Feste Diedenhofen/Thionville, in den jüngsten Befestigungsgruppen um Metz usw. und geradezu extrem kahl und karg in den 1890-1914 gebauten Batterien auf Helgoland (davon gibt´s leider nur wenige alte Fotos) - die Pläne solcher Anlagen sind übrigens "ästhetischer" in der Aufsicht als dann die realen Bauwerke (auch das ein Unterschied zum militär. Zweckbau vor 1900)
 
Ja, das ist so. Ich habe jetzt ein paar Zahlen für die Rüstungsausgaben, die mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt worden sind, für die Großmächte. Ich nehme mal die letzten Jahre vor dem Krieg:

Angaben in Millionen.

1911 1912 1913

England 70,5 Pfund 72,5 Pfund 77,2 Pfund

Frankreich 1.412 Franc 1.493 Franc 1.630 Franc

Russland 671,3 Rubel 814,9 Rubel 961,6 Rubel

Österreich-Ungarn 657,8 Kronen 780,9 Kronen 1.030,9 Kronen

Deutschland 1.707,5 RM 1.781,3 RM 2.406,4 RM

Die Zahlen stammen von David Stevenson, Armaments an the coming of War. Es sind wirklich gewaltige Summen aufgeboten worden.

Wenn man die Rüstungsausgaben auf die Bevölkerungszahl umlegt, dann rangiert das Deutsche Reich deutlich hinter Frankreich.

Wenn man dann die Präsenzstärke der Streitkräfte ins Verhältnis zur Bevölkerung setzt, fällt auf, das Deutschland zwischen den 1880ziger bis 1914 nicht den hohen Mobilisierungsgrad Frankreichs erreichte. Frankreich blieb gemessen an seiner Bevölkerungsstärke weit voraus. Frankreich schöpfte dein Potenzial erheblich intensiver aus, als das Deutsche Kaiserreich. Der jährliche Rekrutierungsgrad erreicht in Frankreich ca. 82%; in Deutschland lag er deutlich niedriger.
 
Hier noch eine Ergänzung zu ÖU.
und noch eine Ergänzung: das ÖU-Militär plante in Bosnien, Herzegowina, Dalmatien zur Sicherung einen mächtigen Gürtel von Panzerwerken - davon wurden nur recht wenige gebaut, weil die Kosten die Mittel überschritten... detailiert nachzulesen in: "Der Festungsbau auf dem Weg in den Ersten Weltkrieg" Schnell&Steiner Verlag 2019, der Aufsatz von V.K. Pachauer
bzgl. der Ausgaben für Festungsbau ÖU muss man freilich auch erwähnen, dass mit Krakau eine gewaltige Festung mit enorm vielen teuren Panzerwerken vorlag, die bis zum Ersten Weltkrieg permanent auf modernstem Stand war.
 
Wenn man die Rüstungsausgaben auf die Bevölkerungszahl umlegt, dann rangiert das Deutsche Reich deutlich hinter Frankreich.
Ist das so?
Aus den genannten Zahlen geht das ja nicht hervor.
Links neben der Tabelle findet sich eine Grafik, die die Rüstungsausgaben auf das Britische Pfund normiert.
Geht man davon aus, dass die Bevölkerungszahl des DR ca. 1,5mal der Frankreichs ist, so sind doch die stets fast doppelt so hohen Rüstungsausgaben des DR auch pro Kopf deutlich mehr. Nicht umgekehrt.
Jedenfalls gem. der Darstellung des zitieren Stevenson - Armament.
 
Frankreich hatte eine Bevölkerung von ca. 50 Millionen, das Deutsche Reich von ca. 67 Millionen. Also etwas 34% mehr Bevölkerung als Frankreich.

Hier wäre es nicht uninteressant den Wechselkurs vom Franc zur RM oder umgekehrt zu wissen.

Für das Jahr 1913, es war das Jahr der großes Heeresvermehrung, die wohl bis Juli 1914noch gar nicht so zum tragen gekommen war, hatte das Deutsche Reich in der Tat höhere Ausgaben für die Rüstung; bei Zugrundelegung der genannten Zahlen, ohne Kenntnis der Kurse.

Um die Jahrhundertwende war dem nicht so.

Hochproblematisch war die Tatsache, das der Haushalt einer gewissen Militarisierung unterlag. Die Rüstungsausgaben nahmen 1913 schon sagenhafte 61,8% des gesamten Budgets in Anspruch.
Im krassen Gegensatz dazu wurde von der Reichsleitung im Frühjahr 1914 der Stopp der Sozialpolitik verkündet.
 
Zuletzt bearbeitet:
Frankreich hatte eine Bevölkerung von ca. 50 Millionen, das Deutsche Reich von ca. 67 Millionen. Also etwas 34% mehr Bevölkerung als Frankreich.
Damit wären die Pro-Kopf Ausgaben im DR vergleichsweise (normiert auf das Britische Pfund) noch höher.
Ich bin von ca. 42 Mio Einwohnern Frankreichs ausgegangen.

Hier wäre es nicht uninteressant den Wechselkurs vom Franc zur RM oder umgekehrt zu wissen.
Das lässt sich so ungefähr aus den Zahlen der Tabelle und der Pfund-Normierung im Diagramm abschätzen.
Man findet auch in Online-Zeitungsarchiven Wechselkurs-Tabellen. Ich muss aber gestehen, dass ich diese nicht verstanden habe.
 
Damit wären die Pro-Kopf Ausgaben im DR vergleichsweise (normiert auf das Britische Pfund) noch höher.
Ich bin von ca. 42 Mio Einwohnern Frankreichs ausgegangen.

Ich habe nachgesehen. Deine Angabe ist zutreffender als die meinige. Da hat mir mein Gedächtnis einen blöden Streich gespielt. Sorry.

Dann sind die Pro Kopf Kosten in Frankreich aber natürlich recht hoch. Im Jahr 1913 waren es bei Frankreich 38,8 Franc. Im Deutschen Reich 35,9 RM.
 
Sehr schön. Das waren die Kurse 02.08.1913.
Um wirklich vergleichen zu können, würden wir die Zahlen der Jahre davor auch benötigen; mit einen durchschnittlichen Wechselkurs für jedes einzelne Jahr.
Gut für 1913 wird dann doch ein Unterschied deutlich; das Jahr der großen Heeresvermehrung in Deutschland.
 
Um wirklich vergleichen zu können, würden wir die Zahlen der Jahre davor auch benötigen; mit einen durchschnittlichen Wechselkurs für jedes einzelne Jahr.
Die Wechselkurse waren sehr stabil und unterschieden sich gemäß Stichprobe 1905, 1909, 1913 nur gering. das ging nur ein paar Prozent hin und her. Warum das so war: Keine Ahnung
 
Ganz grob überschlagen hatte das Deutsche Reich ab 1907 Frankreich in den pro Kopf Rüstungsausgaben wohl überrundet.

Dafür hatte Frankreich aber anderen Ländern, beispielsweise Russland und Serbien, große Kredite für deren Aufrüstung; Bahnbau etc. zur Verfügung gestellt gehabt.;)
 
Die Wechselkurse waren sehr stabil und unterschieden sich gemäß Stichprobe 1905, 1909, 1913 nur gering. das ging nur ein paar Prozent hin und her. Warum das so war: Keine Ahnung

Dürfte mit der damals praktizierten Golddeckung der größeren europäischen Währungen zu tun haben. Die ließ ja, wollte man nicht durch allgemeine Abwertung das Vertrauen in das System erschüttern, lediglich moderate Ausdehnungen der jeweiligen Geldmenge zu und zwar nur in dem Maße, in dem die Notenbanken in der Lage waren, ihre Goldbestände zu erhöhen.
Diese Möglichkeit wiederrum hing dann komplett vom Goldmarkt ab und auch wenn die Briten von den europäischen Staaten hier (Südafrika/Australien) wohl den einfachsten Zugriff hatten, prinzipiell blieb der Preis für alle gleich.

Wenn man mal davon ausgeht, dass durch die Goldbindung bedingt größere Inflation und damit Ausdehnung der Geldmenge im großen Stil vor dem ersten Weltkrieg weitgehend unterblieb, wären lediglich geringe Schwankungen eigentlich die logische Folge.
Geringe Ausschläge lassen sich sicherlich mit Spekulation und auch mit leicht Asymetrischer Geldmengenausdehnung durch die Regierungen/Notenbanken erklären, je nachdem, wann die beschlossen, die Umlaufmenge moderat zu erhöhen, die dafür notwendigen Goldmengen aufzukaufen und wie schnell sie das de facto realisieren konnten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Wechselkurse waren sehr stabil und unterschieden sich gemäß Stichprobe 1905, 1909, 1913 nur gering. das ging nur ein paar Prozent hin und her. Warum das so war: Keine Ahnung
Frankreich hatte mit Italien, Spanien, Griechenland, der Schweiz und anderen Staaten - teilweise auch Österreich-Ungarn - ab 1865 eine Art Währungsunion: die Lateinische Münzunion auf Silberbasis. Damit waren untereinander feste Wechselkurse garantiert. Nach der Gründung des Deutschen Reiches kam es zu einer Münzumstellung auf Goldbasis in Deutschland und einer darauf folgende Silberinflation. Daraufhin musste die Lateinische Münzunion ab 1885 ebenfalls den Goldstandard einführen.
 
Für das Jahr 1913, es war das Jahr der großes Heeresvermehrung, die wohl bis Juli 1914noch gar nicht so zum tragen gekommen war, hatte das Deutsche Reich in der Tat höhere Ausgaben für die Rüstung; bei Zugrundelegung der genannten Zahlen, ohne Kenntnis der Kurse.

Um die Jahrhundertwende war dem nicht so.

Hier möchte ich mir einmal anmaßen etwas Argumentationshilfe zu leisten:

Leonhard hat in "Die Büchse der Pandora" eine tabellarische Aufstellung für die Militärausgaben der Großmächte vor dem 1. Weltkrieg geliefert.
Diese ist normiert auf das britische Pfund Sterling und greift stichprobenartig die Jahre 1900, 1906, 1911, 1912 und 1913 heraus:

Diese Tabelle verzeichnet für Deutschland:

1900 = 43,2 Mio, 1906 = 57,1 Mio, 1911 = 68,1 Mio, 1912 = 72 Mio, 1913 = 93,4 Mio

Für Frankreich:

1900 = 41,5 Mio, 1906 = 46,2 Mio, 1911 = 60,8 Mio, 1912 = 62,8 Mio, 1913 = 72 Mio

Hält man die Zahlen für einigermaßen authentisch, hatte Frankreich gemessen an seiner Bevölkerungszahl pro Kopf bis 1912 oder 1913 deutlich höhere Ausgaben für's Militär zu verzeichnen gehabt.
Mindestens hinsichtlich der Landstreitkräfte musste das auch erzwungenermaßen so sein, wenn man von französischer Seite her einigermaßen nummerische Parität zu Deutschland halten wollte, denn das setzte logischerweise die Ausbildung eines größeren Anteils der kleineren Bevölkerung an der Waffe voraus und musste somit auch pro Kopf höhere Kosten verursachen, wenn man von annähernd gleichen Unterhaltskosten für die Soldaten ausgeht.
Die französischen Flottenanstrengungen waren zwar nicht so groß, wie die Deutschen, dafür dürfte von französischer Seite her aber mehr für Befestigungen an der Grenze und für den Unterhalt von Truppen im Kolonialreich, dass ja nun etwas größer war, ausgegeben worden sein.

Zahlen gemäß:

Leonhard, Jörn: Die Büchse der Pandora, Geschichte des Ersten Weltkriegs, durch Sachregister erweiterte Auflage, München, 2014, S.40.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dankeschön. Hier noch ein paar weitere Informationen.

Für das Deutsche Reich wird von Stevenson der Betrag von 2,406 Milliarden RM genannt. Es gibt auch die Angabe von „nur“ 2,095 Milliarden RM.

Es wurden Ausgabenpositionen ausgeschlossen, die im Haushaltsplan nicht als speziell militärische Zwecke dienend ausgewiesen wurden, beispielsweise Ausgaben für Kanäle oder Eisenbahnen, aber auf der anderen Seite Positionen eingeschlossen, die nicht in den Armee- oder Marinebudgets genannt werden, aber ganz offensichtlich als Militärausgaben zuzurechnen sind.

Bei den Ausgaben pro Kopf lag das Deutsche Reich beispielsweise tatsächlich im Jahre 1913, in diesem Jahre waren die Rüstungsausgaben wegen der Heeresvermehrung sehr hoch angesetzt, mit 28 RM hinter Frankreich mit 31 RM und Großbritannien mit 32 RM.
Ein großer Posten der deutschen Rüstungsausgaben bis 1913 war dem Flotten rüsten geschuldet.

Vergleicht man die Ausgaben zwischen der Entente und dem Dreibund sieht das Ergebnis folgendermaßen aus:

Zwischen 1907 und 1913 hatte die Entente im Durchschnitt jährlich 83 Millionen Pfund mehr ausgegeben.

Quelle: Niall Ferguson, Der falsche Krieg, ab S.143
 
@Shinigami,

die genannten Zahlen (Leonhard) weichen doch merklich von denen Stevensons ab.
Stevenson kommentiert das Zustandekommen seiner Zahlen in sehr ausführlichen Fußnoten.
Was die Zahlen des DR angeht, so schreibt er, seien diese im Vergleich zu anderen Großmächten etwas zu hoch angesetzt, da sie Kosten für strategischen Eisenbahnbau (ca. 12 Mio. Mark pro Jahr) beinhalten und zudem den Schuldendienst militärischer Anleihen.
Daher müssten die genannten Militärausgaben des DR für einen Vergleich um wahrscheinlich etwas weniger als 10% niedriger angesetzt werden. (FN2)
Weiterhin normiert Stevenson die Militärausgaben auf „constant prices“. Er berücksichtigt in der Rechnung die jeweilige Entwicklung der Kaufkraft. Also das ist sehr kompliziert, oder wie Stevenson schreibt: „Dem Leser sollte bewusst sein, dass die Benutzung solcher Statistiken …. äußerst tückisch ist“ (FN3 Übersetzung durch mich).

Zwischen 1907 und 1913 hatte die Entente im Durchschnitt jährlich 83 Millionen Pfund mehr ausgegeben.



Quelle: Niall Ferguson, Der falsche Krieg, ab S.143

Auch bei Stevenson sind die Militärausgaben der Entente erheblich höher als DR,Ö-U und Italien.
Durchschnittlich 83Mio Pfund werden es da aber nicht ganz, auch dann nicht wenn man die Ausgaben des DR um 10% niedriger ansetzt als angegeben.

Was sich in jedem Falle feststellen lässt: Die Ausgaben für das Militär steigen in den Jahren vor dem Krieg bei allen europäischen Mächten drastisch. Die Ausgaben der Entente sind in der Summe erheblich höher.

( … und es ist nützlich Fußnoten zu lesen. :oops: )
 
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