Europa vor dem 1. Weltkrieg

Die Ausgaben für das Militär steigen in den Jahren vor dem Krieg bei allen europäischen Mächten drastisch.
Aber hierbei sollte man nicht übersehen, dass das Militär mittels seiner Rüstungsprojekte (Flotte, Festungsbau, Militärbahnen, Armierung/Bewaffnung/Munition) wenigstens einen Teil der staatlichen Militärausgaben sozusagen zurück in die Volkswirtschaft(en) investierte: zahlreiche Zulieferbetriebe (Ziegeleien, Zement/Betonwerke, Stahlindustrie, Chemieindustrie, allg. "Elektro"-Industrie*), tausenderlei! sogar Bergbaufirmen*)) wurden neu geschaffen bzw. vergrößerten sich, wobei die saisonalen wie fest angestellten Arbeitskräfte Steuern zahlten. Allein für das Umfeld eines einzigen Militärprojekts, der Modernisierung der Reichsfestung Köln, ist das wirtschaftliche Drumherum im opulenten Band "Festung Köln" gut dokumentiert. Mag sein, dass diese Form der Reinvestition nur einen kleinen Teil der Militärausgaben indirekt wieder einspielte, aber immerhin kann man konstatieren, dass nicht die gesamten Ausgaben sozusagen "futsch waren.
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*) Feldtelefonleitungen, Festungstelefonleitungen, Beleuchtung, Ausbau unterirdischer Anlagen (u.a. Köln, Metz, Helgoland, Istein)
 
Aber hierbei sollte man nicht übersehen, dass das Militär mittels seiner Rüstungsprojekte (Flotte, Festungsbau, Militärbahnen, Armierung/Bewaffnung/Munition) wenigstens einen Teil der staatlichen Militärausgaben sozusagen zurück in die Volkswirtschaft(en) investierte.. Mag sein, dass diese Form der Reinvestition nur einen kleinen Teil der Militärausgaben indirekt wieder einspielte, aber immerhin kann man konstatieren, dass nicht die gesamten Ausgaben sozusagen "futsch waren.
Diese Selbstfinanzierung von Staatsausgaben tritt auf, wenn die Produktionskapazitäten ansonsten brachgelegen hätten. In einer Phase sehr guter Konjunktur (wie, soviel ich weiß, am Vorabend des Ersten Weltkriegs) ist damit aber eigentlich nicht zu rechnen. In diesem Fall ist eher davon auszugehen, dass private Ausgaben verdrängt wurden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Diese Selbstfinanzierung von Staatsausgaben tritt auf, wenn die Produktionskapazitäten ansonsten brachgelegen hätten. In einer Phase sehr guter Ko0njunktur (wie, soviel ich weiß, am Vorabend des Ersten Weltkriegs) ist damit aber eigentlich nicht zu rechnen. In diesem Fall ist eher davon auszugehen, dass private Ausgaben verdrängt wurden.

Da wird man aber zwischen zivilen und militärischen Gütern unterscheiden müssen. Im Hinblick auf militärische Güter kann die Konjunktur nur dann gut sein, wenn staatliche Akteure nachfragen, denn an Private werden ja im Allgemeinen keine militärischen Güter verkauft.
Insofern würden ausschließlich für den zivilen Markt produzierende Betriebe möglicherweise ausgelastet gewesen sein, die Kapazitäten der Rüstungskonzerne, die ebenfalls Steuern zahlen und Nachfrage generieren, aber brach gelegen haben.
Bei Rüstungsgütern mögen sicherlich die Multiplikatoreffekte geringer sein.
 
Bei Rüstungsgütern mögen sicherlich die Multiplikatoreffekte geringer sein.
Eben.
Denn was produziert man denn?
Im besten Fall Sicherheit, die sich positiv auf die Wirtschaft auswirkt. Nur, je mehr "Sicherheit" man überall kauft, desto unsicherer wird die Lage in dieser Zeit.

Ich würde sagen ein solcher "Multiplikatoreffekt" hat ein negatives Vorzeichen.
 
Eben.
Denn was produziert man denn?
Im besten Fall Sicherheit, die sich positiv auf die Wirtschaft auswirkt. Nur, je mehr "Sicherheit" man überall kauft, desto unsicherer wird die Lage in dieser Zeit.

Ich würde sagen ein solcher "Multiplikatoreffekt" hat ein negatives Vorzeichen.

Zynisch betrachtet? Möglicherweise produziert man mit Investitionen in militärische Güter die durch Krieg bedingte, gewaltsame Aneignung von neuen Rohstoffpotentialen und Absatzräumen, nebst Konjunkturprogrammen für Bestatter und Bauunternehmer.

Ob sich Investitionen in das Militär möglicherweise finanziell lohnen, die moralische Seite (natürlich ist Krieg abzulehnen) außen vor gelassen, hängt davon ab, ob der Akteur, der das betreibt bereit ist einen Eroberungskrieg zu führen und in der Lage ist die militärische Konfrontation in kurzer Zeit mit geringen Verlusten für sich zu entscheiden.


Letzteres ist wohl die scheußliche Kalkulation, auf die der gesamte Imperialismus begründet war, nebst der Absichten diverser Scharfmacher anno Juli '14
 
Zuletzt bearbeitet:
Diese Selbstfinanzierung von Staatsausgaben tritt auf, wenn die Produktionskapazitäten ansonsten brachgelegen hätten.
Hatte ich eine - absurde - "Selbstfinanzierung" der Staatsausgaben (für den gestiegenen Militäretat wegen Aufrüstung etc) angedeutet? Nein, ich habe lediglich auf einen kleinen (!) Nebeneffekt verwiesen:
Mag sein, dass diese Form der Reinvestition nur einen kleinen Teil der Militärausgaben indirekt wieder einspielte, aber immerhin kann man konstatieren, dass nicht die gesamten Ausgaben sozusagen "futsch waren.
Was daran unrichtig sein soll, kann ich noch nicht erkennen. Tatsache ist, dass einige industrielle und handwerkliche Erwerbszweige expandieren konnten, ja mussten, da ihnen vereinfacht gesagt das Militär die Auftragsbücher voller als zuvor machte. Wie gesagt bzgl. der Modernisierung von Köln ist der Boom der Zulieferbetriebe nachgewiesen, dieser wirtschaftliche Aufschwung im Fahrwasser der staatlich finanzierten Militärausgaben wird vermutlich nicht einfach so verpufft sein: deshalb schrieb ich "dass nicht die gesamten Ausgaben (für den enorm gestiegenen Militäretat) sozusagen "futsch" waren", sondern dass dadurch ein kleiner Teil der Militärausgaben indirekt wieder eingebracht wurde. Von völliger Selbstfinanzierung war nicht die Rede.
 
Von völliger Selbstfinanzierung war nicht die Rede.
Das habe ich so auch nicht verstanden. Wenn ein Rüstungsauftrag zu einer Erhöhung der Einkommen um 1000 Mark führt und von den Einkommen werden 30% wieder weggesteuert, dann kostet der Rüstungsauftrag den Staat letztlich nur 700 Mark. Wenn aber wegen voll ausgelasteter Kapazitäten dafür ein privater Auftrag nicht ausgeführt werden kann und sich die Einkommen insgesamt nicht erhöhen, fällt dieser teilweise Selbstfinanzierungseffekt weg.
 
Ausweislich der diversen Metastudien zu den Modellen und Messungen ist der Bereich militärischer Staatsausgaben seit 40 Jahren in der Ökonometrie hochumstritten.
Es gibt dazu reichlich Studien. Militär-Keynesianismus oder Ergebnisse des neoklassischen Solow-Modells sind offensichtlich nicht zufriedenstellend als Erklärungsansatz. trade-offs gibt es nicht nur auf der Produktionsseite, sondern offenbar auch indirekt über Finanzierungseffekte der Staatsausgaben (who pays...?). Geringe Wachstumseffekte scheinen in Zeit- und diversen Länderstudien nachgewiesen. Innovations- und crowding-out-Effekte scheinen klarer, sind aber letztlich auch in den Messungen/Ergebnissen umstritten. Regionale Effekte sind zwar offensichtlich oder relativ leicht nachweisbar, führen aber für gesamtwirtschaftliche Beurteilungen nicht weiter.

Als Skizzen z. B.
Military expenditure and economic growth: A meta-analysis
Meta-analysis, military expenditures and growth
 
Ergebnis der beiden Meta-Studien ist ja, dass der Effekt von Militärausgaben auf das Wirtschaftswachstum typischerweise nahe 0 ist. Warum das so ist, dazu wurden in den vorigen Thread-Beiträgen wichtige Gründe genannt, natürlich nicht erschöpfend. Beispielsweise könnte die Entwicklung neuer Waffentechnologien den allgemeinen technischen Fortschritt befördern. Junge Leute zu kasernieren statt studieren zu lassen hat dagegen wohl den gegenteiligen Effekt.
 
Aber um 1900-1914 (je nach Region) setzt sowohl bei der Modernisierung von militärischen Zweckbauten als auch beim Neubau eine völlig andere, nun gänzlich schmucklose, rein klotzartig geometrische und im Verständnis der Militäringenieure und -architekten (Geniekorps) rein zweckorientierte neue Bauweise ein! Diese hat absolut nichts mit Idee und Formgebung des späteren (erst ab 1919) Bauhausstils und der neuen Sachlichkeit zu tun, auch stammt keiner der Bauhausarchitekten aus der Militärarchitektur.
hier muss ich mich korrigieren: ausnahmsweise kam es doch vor, dass die seinerzeit (Ende 19. Anfang 20. Jh.) modernen Beton- und Stahlbetonfestungsanlagen ästhetisierende Jugendstilfassden bzw. -gestaltung erhielten! Ich war über diesen zufälligen Fund selber total überrascht:
die Infanteriestellung Froidmont der Festung Metz 1916
Fotos und sehr gute Dokumentation finden sich hier: Moselstellung - Fort Froidmont - deutsche Festung bei Metz
saperlot: die geschwungenen Säulen der rückwärtigen Fassade und der "Westphalenblick"
 
Im Jahre 1906 wurde ein neuer Chef des russischen Außenministeriums ernannt. Eine Personalie, die man gar nicht überschätzen kann.

Da mit dem Amtsantritt Iswolskys die russische Außenpolitik komplett neu ausgerichtet worden war, lohnt es sich durchaus ein Blick auf diese Persönlichkeit zu werden.

Alexander Iswolsky wurde im Jahr 1856 geboren, war also gerade einmal 50 Jahre jung, als er zum Chef der Sängerbrücke befördert wurde. Seinem Amtsvorgänger Lamsdorff wurde keine Träne nachgeweint; im Gegenteil, in den Zeitungen wurde ihm sein „Sündenregister“ vor Augen gehalten.

Iswolsky war als Diplomat in der Türkei, Rumänien, USA, Belgrad und auch Tokio. Gemäß seinen posthum veröffentlichen Erinnerungen wollte er als Gesandter in Tokio eine andere Politik, eine versöhnlichere Haltung vor allem mit einer Einigung bezüglich Koreas. Nun wissen seine damaliger französischer Kollege Dubail über andere, deutlich aggressivere, Töne zu berichten. Auch Äußerungen des österreichisch-ungarischen Gesandten Ambro sind geeignet Zweifel an Iswolskys Erinnerungen wach zu rufen.

Iswolsky galt in Russland als einer der besten Köpfe der russsichen Diplomatie, was nicht viel heißen mang, denn zu jenem Zeitpunkt gab es nicht viel Konkurrenz für Iswolsky. Die Kaiserinwitwe Maria, gebürtige Prinzessin Dagmar von Dänemark, förderte Iswolsky Karriere nach Kräften, da diese mit dessen Ehefrau eng befreundet war.

Nach Tokio wurde Iswolsky Gesandter in Kopenhagen, welches gemeinhin als Sprungbrett für eine der großen Botschaften oder gar den Chefsessel der Sängerbrücke galt. So war beispielsweise der langjährige russische Botschafter in London Benckendorff, übrigens ein Cousin von Lichnowksy, ebenfalls vorher in Kopenhagen als Vertreter seines Landes tätig.

1906 zeichnete sich der Abgang von Lamsdorff ab und Iswolsky kam automatisch auf die Kandidatenliste. Am 12.Mai 1906 wurde Iswolsky zum Außenminister ernannt.

Zeitgenosse bezeichneten Iswolsky als eitel, feige, als Snobist, Opportunist, Verschwender.

Iswolsky war entschlossen die traditionellen Balkanpolitik wieder aufzunehmen. Er betrachtete es als seine Hauptaufgabe, eine deutsche Welthegemonie zu verhindern. (1)

Wenn Russland England und Frankreich den Rücken kehre, so heisst es in seinen Erinnerungen, und sich in einem Kampf um die Führung in Asien einlasse, müsse es nicht nur seine historische Rolle in Europa, sondern auch jede ökonomische und moralische Unabhängigkeit Deutschland gegenüber aufgeben.

Also Iswolksky hatte anscheinend keine Sympathien für Deutschland; die galten den Demokratien England und Frankreich.

Später vielleicht mehr.

Iswolsky, Memoires, S.90ff
 
Nach der Niederlage zu Land und Wasser war Iswolsky klar, das in nächster zeit außenpolitisch kleine Brötchen gebacken werden müssen. Auch innenpolitisch war es unruhig-

Im September 1906 wurde on Sinowjew und Iswolsky für den Zaren eine Denkschrift hinsichtlich der künftigen Beziehungen zu England aufgesetzt. In dieser Denkschrift wurde ausführlich deutlich gemacht, das man seine Position bezüglich Persien, Afghanistan und Zentralasien revidieren, eben deutlich nachgiebiger, müsse, um zu freundschaftlichen Beziehungen mit England zu gelangen. Durch diese Freundschaft konnte man eine Garantie der Grenzen in Zentralasien erreichen, sondern, wichtiger noch, die Unterstützung für die Aufrollung der Meerengenfrage.

Die russische Schwarzmeerflotte, so begann der betreffende Abschnitt der Denkschrift, könnte auf lange Sicht nicht mit einer für einen Überraschungsangriff gegen den Bosporus günstigen Sitaution rechnen. Die Flotte sei deshalb unter den jetzigen Meerengenregime militärisch gesehen eine reine Defensivwaffe. Als politischer Kraftfaktor sei sie auf lange Zeit hinaus zur Untätigkeit verurteilt. Da man im Mittelmeergebiet und auf dem Balkan bald mit einer lebhaften politischen Tätigkeit zu rechnen habe, sei indessen diese Lage äusserst unbefriedigend. Nichts könne mehr erwünscht sein, als die Londoner Konvention von 1871 (das war die revidierte Abmachung bezüglich der Pontus Klauseln des Pariser Friedens von 1856; Anmerkung von mir) dahingehend zu revidieren, das die russische Schwarzmeerflotte im Mittelmeer auftreten könne.
Diese Frage ohne aufrichtige Mirwirkung Englands aufzunehmen sei unmöglich.

Motivation und Zielsetzung Iswolsky werden hier deutlich.
 
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