Verluste an antiker Literatur

Aber während zu paganer Zeit der Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung verhältnismäßig hoch war, ging es damit in der christlichen Zeit bergab. Eine der Gründe war es, dass Bischöfe den Nachwuchs nur noch für ihren eigenen, kirchlichen und staatlichen Bedarf förderten, für alle anderen gab es keine Lehrer und dementsprechend auch keine Schüler mehr – und weil Nichtkleriker bald nicht mehr lesen konnten, brauchte man für sie auch keine Bücher und natürlich auch keine Bibliotheken mehr.

Und ein wesentlich bedeutenderer Grund, den du allerdings, sicher vollkommen unabsichtlich unterschlägst, ist derjenige, dass sich das Leben insgesamt durch die Auflösung oder jedenfalls starke Verkleinerung der städtischen Zentren durch die Umbrüche in den wirtschaftlichen Grundlagen in den ländlichen Bereich verlagerte, sich das Verhältnis von Land- zu Stadtbevölkerung bedeutend in Richtung Landbevölkerung verschob und die Landbevölkerun im Gegensatz zur städtischen Bevölkerung in keiner Weise zentral durch Bildungseinrichtungen oder Bibliotheken erreichbar war, da vollkommen unrealistische Anreisewege oder extrem hoher Bedarf an Einrichtungen gegenüber einen sehr kleinen erreichbaren Publikum, der schlicht nicht leistbar war, weil die Ressourcen das nicht hergaben.

Ist vielleicht ein ganz kleines Bisschen bedeutender, als die teuflischen Machenschaften der pösen pösen christlichen Kleriker.

Im Übrigen auch im antiken Rom lief Bildung (vor allem höhere) selbstredend auf die Vorbereitung für irgendeine Laufbahn hinaus.

Es konnte niemand Lehrer werden/sein, der den beiden Kirchen (katholisch oder evangelisch) als politisch oder sittlich unwürdig für den Lehrerberuf erschien.

Überraschung: Wer als potentieller politischer Umstürzler gilt, wird auch heute nicht verbeamtet und als Lehrer angestellt.
Ganz ohne kirchliche Oberaufsicht.
Die Kriterien wann jemand als ungeeignet gilt, mögen in beim Staat etwas andere sein, als bei der Kirche, aber das Prinzip ist das gleiche.
 
Was mich durchaus mal interessieren würde, wäre die Frage ob es eigentlich in den zeitweise byzantinisch beherrschten Gebieten im Besonderen Italiens (Unteritalien, Sizilien, Exarchat Ravenna, Venedig) eine andere (möglicherweise wenige gebrochene Überlieferungstradition von antikem Schriftgut gab, als im übrigen Italien.

Mir ist nichts davon bekannt - es waren altrömisch-lateinische Gebiete allemal, mit weniger Tradition und Tradierung sowie weniger Zentren der Tradierung antikem Schriftgutes oder Lehr antiken Wissens.

Aber während zu paganer Zeit der Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung verhältnismäßig hoch war, ging es damit in der christlichen Zeit bergab. Eine der Gründe war es, dass Bischöfe den Nachwuchs nur noch für ihren eigenen, kirchlichen und staatlichen Bedarf förderten, für alle anderen gab es keine Lehrer und dementsprechend auch keine Schüler mehr – und weil Nichtkleriker bald nicht mehr lesen konnten, brauchte man für sie auch keine Bücher und natürlich auch keine Bibliotheken mehr.

Das ist schlicht ein wirres, pauschales wie selektives Mischmasch...über alle Regionen, Kontinente Herrschaftsgebiete, Staaten, Ethnien, Zeiten und Kulturen hinweg.

Wenn schon: Die Protestanten legten großen Wert auf die eigene Fähigkeit, die Bibel lesen zu können. Die frühen Klöster waren Zentren auch der Wissensvermittlung, Kultur, Schriftensammlung und -tradierung. Gerade in den kulturell verarmten Völkerwanderungsgebieten Europas.

Ein bedeutsamer Import antiker und islamisch-arabischer Schriften, Kenntnisse und Wissenschaften fand mit Hilfe der Toledanischen Bischofskirche statt. Die Gründungen der ersten europäischen Unis waren wesentlich auf Initiative bischöflicher und kirchlicher Kreise geschehen - Paris, Bologna.

Die byzantinischen Gelehrten und die von dort mitgebrachten Schriftenkonvolute waren wesentliche Initiatoren des Renaissance-Humanismus im 14. Jh. in Italien.
 
Und ein wesentlich bedeutenderer Grund, den du allerdings, sicher vollkommen unabsichtlich unterschlägst, ist derjenige, dass sich das Leben insgesamt durch die Auflösung oder jedenfalls starke Verkleinerung der städtischen Zentren durch die Umbrüche in den wirtschaftlichen Grundlagen in den ländlichen Bereich verlagerte, sich das Verhältnis von Land- zu Stadtbevölkerung bedeutend in Richtung Landbevölkerung verschob und die Landbevölkerun im Gegensatz zur städtischen Bevölkerung in keiner Weise zentral durch Bildungseinrichtungen oder Bibliotheken erreichbar war, da vollkommen unrealistische Anreisewege oder extrem hoher Bedarf an Einrichtungen gegenüber einen sehr kleinen erreichbaren Publikum, der schlicht nicht leistbar war, weil die Ressourcen das nicht hergaben.

Da Dion eine allgemeine Abrechnung ohne zeitliche, räumliche und kulturelle Grenzen und Differenzierungen sowie wichtige Details anstrebt, obwohl der Titel des Faden eindeutig ist, wird Dein Hinweis, der besonders für das Gebiet des Weströmischen Reiches wesentlich ist, wenig fruchten.

Tatsächlich findet beispielsweise im ehemals westlichen, lateinischen Bereich des Römischen Reiches aufgrund dessen Auflösung und Übernahmen durch die 'barbarischen' völkerwanderungszeitlichen Ethnien ein gravierender Rückgang an akademischer Bildung, administrativen Techniken und Kenntnissen, an Fremdsprachkenntnissen und Wissensvermittlungs-Institutionen statt u.v.m. statt. Mitsamt einem massiven Rückgang an wirtschaftlichen, medizinischen, politisch-staatlichen Ressourcen.
Herausragend sichtbar an der rapiden De-Urbanisierung, siehe Köln, Trier, London, usw. usw.

Halbwegs übrig blieben jene reduzierten bischöflichen Strukturen u. Traditionen...

Hätte Dion weniger Gas gegeben, mehr notwendige Kenntnisse und Differenzierungen rezipiert, eingebaut, besessen, hätte ich selber durchaus in Teilen und für gewissen Phasen, Regionen und Traditionen des spätantiken Christentums/der spätantiken Christentümer vielleicht zustimmen können.

Speziell das Kapitel, ab welchem das spätantike Christentum offiziell anerkannt wurde und dann schließlich staatliche Religion wurde....dieses vielfach unerfreuliche, absurde, teil gewalttätige Hickhack zwischen den christlichen Fraktionen, Bewegungen, Kulturen, Lebensweisen, Theologien, Macht-Strukturen, die machtbewussten lokalen Bischöfe, die Eiferer, die radikalen Asketen-Mönche, die erbitterten Auseinandersetzungen beispielsweise ob die Naturen Christ vermischt sind, wie sie sind......usw. usw. usw.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielleicht noch ein Hinweis:
Die lateinischen Römer waren groß in Rhetorik, Landwirtschaft, Staat, Jura, Straßenbau, Administration und Militär.
Die restlichen Wissensbereiche, die akademische Bildung, Wissenschaften, Philosophie inklusive, literarische Hochkultur usw. waren eher im griechisch sprachigen Raum im östlichen Teil des römischen Reiches zu finden.

Herausragend beispielweise Alexandria.
 
Herausragend sichtbar an der rapiden De-Urbanisierung, siehe Köln, Trier, London, usw. usw.

Ich denke, man kann es auch im italischen Raum ganz deutlich sehen.
Auch wenn postulierte Einwohnerzahlen von 1-2 Millionen Menschen für das Antike Rom übertrieben angesetzt sein mögen, mit 500.000-800.000 wird man wohl rechnen dürfen und wenn davon in gewissen Abschnitten des Mittelalters noch an die 50.000 Bewohner Erwähnung finden, ist das Ein Schrumpfen immerhin um den Faktor 10.

Bei den anderen städtischen Zentren Italiens mag es vielleicht etwas weniger gravierend ausgesehen haben, aber die Tendenz ist doch recht eindeutig.

Und eigentlich müssten bereits die Einwohnerzahlen der mittelalterlichen Städte klar machen, dass da in Sachen höhere Bildung nicht viel zu leisten war.

In Zeiten in denen eine Stadt mit 10.000 Einwohnern bereits als veritable Großstadt galt, was kann man da sinnvoller Weise an Infrastruktur erwarten?

Selbst nach den heutigen Maßstäben, wäre in einer Stadt dieser Größenordnung nicht unbedingt eine weiterführende Schule oder eine hochspezialisierte Bibliothek zu erwarten und das trotz bezahlbarer Schreibmaterialien, moderner Produktionsmethoden und allgemeiner Zugänglichkeit ohne Entrichtung von Schulgeld, das die Unterschichten ausschließt.

Deswegen ist mir vollkommen schleierhaft, warum diese Umbrüche in Dions Betrachtung keine Rolle spielen.

Hätte Dion weniger Gas gegeben, mehr notwendige Kenntnisse und Differenzierungen rezipiert, eingebaut, besessen, hätte ich selber durchaus in Teilen und für gewissen Phasen, Regionen und Traditionen des spätantiken Christentums/der spätantiken Christentümer vielleicht zustimmen können.

Ich für meinen Teil selbst dann nicht, weil da, wie du richtig schreibst die Initiative in der Regel bei lokalen Bischöfen lag, es sich aber nicht um eine wie auch immer orchestrierte Gesamtaktion handelte.

Lokale Religiöse Anführer, die der Meinun waren sie könnten/müssten/sollten mal tabula rasa in ihrem Einflussbereich machen, hat es ja auch später immer wieder gegeben (ich denke da gerade im Speziellen an Savonarola).

Aber auch das würde ich nicht in der Weise generalisieren, wie Dion das sehen wollen, auch mit dem Argument, dass sich der Einfluss dieser Akteure auf ihre Provinz, möglicherweise nur auf ihre Stadt beschränkte und somit ihre Möglichkeit im Alleingang eine antike Schrift auf ewig aus dem Verkehr zu ziehen, eher beschränkt war, weil es vorausgesetzt hätte, dass das einzige zugängliche Exemplar in ihrem Machtbereich lag.

Insofern hatten lokale geistliche Anführer vielleicht genau die Absicht zu tun, was Dion ihnen unterstellt, aber nicht die Mittel dazu.
 
Ich habe die Liste der Bücherverbrennungen verlinkt
Wozu eigentlich? Wenn Du meinen Beitrag vom vergangenen Sonntag gelesen hättest, wäre Dir aufgefallen, was aus dieser höchst unvollständigen Liste nicht hervorgeht.

In der Liste fehlt z. B.:
Kaiser Augustus ließ z. B. "alles, was an Weissagungsbüchern, sowohl griechischen als lateinischen, von entweder völlig unbekannten oder unglaubwürdigen Verfassern, im Umlauf war, über zweitausend Bände, zusammenbringen und verbrennen. Nur die Sibyllinischen behielt er, und auch diese nur in Auswahl, zurück und bewahrte sie in zwei vergoldeten Schränkchen unter dem Fußgestell des Palatinischen Apollo auf." Kaiserbiographien

Apropos Sueton, da finde ich en passant gleich noch ein paar Stellen:

Caligula: "Sämtliche Papiere, welche sich auf die Prozesse seiner Mutter und Brüder bezogen, ließ er, damit keiner der (dabei beteiligten) Angeber oder Zeugen künftig mehr etwas zu fürchten hätte, auf das Forum bringen und verbrannte, nachdem er zuvor laut die Götter zu Zeugen angerufen, daß er davon weder etwas in die Hand genommen, noch gelesen habe, den ganzen Haufen." (Hier geht es allerdings eher um Akten als um Bücher.)

In den Fällen, wo die Autoren verbrannt wurden, dürften auch die Schriften im Feuer gelandet sein:
"Den Dichter einer Atellanenkomödie verbrannte er wegen eines einzigen Verses, der eine zweideutige Anspielung enthielt, mitten in der Arena des Amphitheaters."

Domitian: "Schmähschriften, die man öffentlich verbreitete, um angesehenen Männern und Frauen etwas anzuhängen, ließ er vernichten und belegte obenein die Verfasser mit entehrenden Strafen."


Und wenn Du dem ersten Link nachgegangen wärst, hättest Du gemerkt, dass wir über eine Passage dieses Wiki-Artikels schon mal diskutiert hatten:

Von "artes liberales" ist da aber überhaupt keine Rede, sondern von Zauberkünsten/Giftmischerei, von Zauberformeln und Liebestränken (veneficia, incantamenta, amatoria).

Das waren bereits vor den christlichen Kaisern "verbotene Künste" (artes interdictae), die mit drakonischen Strafen belegt waren. Auf Besitz von Zauberbüchern stand das Einziehen des Vermögens, das öffentliche Verbrennen der Bücher und (bei Höhergestellten) die Deportation auf eine Insel, ansonsten die Todesstrafe:
 
Vielleicht noch ein Hinweis:
Die lateinischen Römer waren groß in Rhetorik, Landwirtschaft, Staat, Jura, Straßenbau, Administration und Militär.
Die restlichen Wissensbereiche, die akademische Bildung, Wissenschaften, Philosophie inklusive, literarische Hochkultur usw. waren eher im griechisch sprachigen Raum im östlichen Teil des römischen Reiches zu finden.

Da fällt mir auch gleich noch ein alter Beitrag ein:

Ohne die byzantinische Tradition hätten die islamischen Mathematiker wenig zu retten gehabt. In Byzanz wurden die Werke von Euklid, Archimedes & Co. noch über viele Jahrhunderte kopiert, ediert und kommentiert.

Im lateinischen Westen hat man sich für die griechischen Mathematiker nie groß interessiert, insofern hat dort auch kein "Rückschritt" stattgefunden. Eine Ausnahmeerscheinung war etwa Boethius, der an der Schwelle des Mittelalters stand und griechisches Bildungsgut in lateinischer Sprache verfügbar machte. U. a. schuf er eine lateinische Bearbeitung der "Einführung in die Arithmetik" des Nikomachos von Gerasa, die dann auch in der lateinischen Gelehrtenwelt des Mittelalters weite Verbreitung gefunden hat.

Ja, allerdings sind das ingenieurstechnische Anwendungen. Deshalb sind die Kathedralen bei "Bautechnik" mMn am richtigen Ort aufgehoben. Das wird zurecht von der sogenannten "reinen Mathematik" unterschieden - Mathematik zum Selbstzweck resp. mathematischen Erkenntnisgewinns.
Insofern wäre man im westlichen Mittelalter der altrömischen Auffassung treu geblieben:

"in summo apud illos honore geometria fuit, itaque nihil mathematicis inlustrius; at nos metiendi ratiocinandique utilitate huius artis terminavimus modum."
=
"In höchster Ehre stand bei ihnen [den Griechen] die Geometrie; darum nichts verherrlichter als die Mathematiker. Wir [Römer] dagegen haben diese Kunst soweit begrenzt und beschränkt, als sie zum Messen und Rechnen nützlich ist."

Cicero, Tusculanae Disputationes - Gespräche in Tusculum, Cic.Tusc.1,1.8 Prolog, Disposition, Thema (lateinisch)


"Aus römischer Zeit ist kein schöpferisch tätiger Mathematiker bekannt geworden. Die Mathematik war bei den Römern nur eine Hilfswissenschaft für Feldmesser (Agrimensoren), Ingenieure und Architekten."
Die antike Mathematik
 
Die Protestanten legten großen Wert auf die eigene Fähigkeit, die Bibel lesen zu können.
Klar, aber Protestanten gibt es erst seit dem 16. Jahrhundert, also erst in der Neuzeit. Ich sprach aber von der Spätantike und Frühmittelalter, was unschwer an dieser Formulierung zu erkennen ist - Zitat: Aber während zu paganer Zeit der Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung verhältnismäßig hoch war, ging es damit in der christlichen Zeit bergab.

Ein weiterer Grund war, dass außer der Kleriker bald niemand mehr lateinisch verstand. Der Vorteil der Araber war, dass sie in einer lebendigen Sprache schrieben (davon schrieb schon El Quijote). Das bedeutete, dass jeder, der lesen konnte, alles lesen konnte, sprich wissenschaftlichen Arbeiten genauso wie Belletristik. Selbst im griechisch dominierten oströmischen Reich schrieben sie bald nur noch Griechisch, also in einer lebendigen Sprache.

Im Westen dagegen war alles Geschriebene in Latein, erst durch Karl den Großen kam Bewegung in das Schrifttum, wenn auch anfangs nur sporadisch und mehr für Missionierungszwecke. Erst im Hoch- und Spätmittelalter änderte sich das langsam, aber die wissenschaftlichen Werke wurden weiter in Latein verfasst, nicht zuletzt aus einem Elitedenken heraus, obwohl man selbst in diesen Kreisen das Latein nicht mehr sprach, sondern nur noch schrieb.

Wenn Du meinen Beitrag vom vergangenen Sonntag gelesen hättest, wäre Dir aufgefallen, was aus dieser höchst unvollständigen Liste nicht hervorgeht.
Ich habe nie behauptet, dass jene Liste in der Wikipedia vollständig ist. Die Liste ist trotzdem ziemlich lang, insofern macht es nicht so viel aus, wenn darin einzelne Ereignisse fehlen – irgendjemand, der Bescheid weiß, wird sie schon nachtragen.
 
Ich habe nie behauptet, dass jene Liste in der Wikipedia vollständig ist. Die Liste ist trotzdem ziemlich lang

Die Zahl der Einträge, die antike europäische Literatur betreffen, beträgt genau neun, davon beschreiben zwei vermutlich dasselbe Ereignis (Ammianus berichtet über die Büchervernichtungsaktion des Kaisers Valens, der Wiki-Artikel bietet außer dem Neuen Testament keine einzige Quellenangabe!), einer ist eine Legende des 13. Jahrhunderts über die islamische Eroberung.

Das ist doch recht quantitativ und qualitativ recht dürftig.
 
Das bedeutete, dass jeder, der lesen konnte, alles lesen konnte, sprich wissenschaftlichen Arbeiten genauso wie Belletristik.

Nicht das ich irgendwas von der Sprache verstünde, aber ist es nicht so, dass im Arabischen die Spannweite an Dialekten so groß ist, dass die jeweils anderen für die Sprecher relativ schwer zu verstehen sind?

Das bedeutete, dass jeder, der lesen konnte, alles lesen konnte, sprich wissenschaftlichen Arbeiten genauso wie Belletristik.
Lesen ja, aber nicht unbedingt verstehen, weil der Umstand prinzipiell lesen zu können nicht unbedingt gleichbedeutend damit ist auch ein Nachschlagewert für abstrakte Begrifflichkeiten zur Hand zu haben.

Selbst im griechisch dominierten oströmischen Reich schrieben sie bald nur noch Griechisch, also in einer lebendigen Sprache.

Einer Lebendigen Sprache zwar, die allerdings auch nur die Bewohner Griechenlands und von Teilen der kleinasiatischen Küste, was die breiteren Schichten betrifft, wirklich gut verstehen konnten.

Während Latein auf der italischen Halbinsel noch einigermaßen verstanden werden konnte. Die Herausbildung der italienischen Sprache oder besser der italienischen Dialekte brauchte ihre Zeit, das viel nicht vom Himmel.

Und außerhalb Kerngriechenlands, der Ägäis und der kleinasiatischen Küsten wird man umfassende Kenntnisse in griechischer Sprache auch nicht unbedigt bei der breiten Bevölkerung voraussetzen dürfen.
 
Nicht das ich irgendwas von der Sprache verstünde, aber ist es nicht so, dass im Arabischen die Spannweite an Dialekten so groß ist, dass die jeweils anderen für die Sprecher relativ schwer zu verstehen sind?
Im Zuge der islamischen Expansion verbreitete sich auch die arabische Sprache - und zwar das Hocharabische des Koran. Als das Arabische beispielsweise im Maghreb Berbersprachen und nordafrikanisches Romanisch verdrängte, war dies das Arabisch des Koran. Erst im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich in den unterschiedliche Regionen daraus arabische Dialekte. Je weiter wir also in der Geschichte zurückgehen, desto geringer dürften die dialektalen Unterschiede gewesen sein. So weit zur gesprochenen Sprache.
Bei der Schriftsprache fallen die dialektalen Unterschiede (fast ganz) weg. Jemand der Schwyzzerdütsch und ein anderer der niederdeutsches Ostfriesisch spricht, dürften sich mündlich schwer verständigen können. Aber von der Bibel bis zur Fernsehzeitschrift können sie beide gedrucktes Standarddeutsch verstehen - und ähnlich ist es auch mit Arabisch als Schriftsprache.
 
Während Latein auf der italischen Halbinsel noch einigermaßen verstanden werden konnte. Die Herausbildung der italienischen Sprache oder besser der italienischen Dialekte brauchte ihre Zeit, das viel nicht vom Himmel.

Da gibt es grundsätzlich keinen Unterschied, ob es sich um das Latein auf der italischen Halbinsel, im Moseltal oder an der dalmatinischen Küste handelte. Überall entstanden regionale Dialekte. Die Sprecher dieser Dialekte konnten zwar Latein noch einigermaßen verstehen, sie konnten sich aber irgendwann nicht mehr in ihren regionalen Dialekten untereinander verständigen.

Selbst im griechisch dominierten oströmischen Reich schrieben sie bald nur noch Griechisch, also in einer lebendigen Sprache.

Mit der "Lebendigkeit" bist Du sehr im Irrtum. So wie sich Literatursprache und Volkssprache im Lateinischen auseinderentwickelten, entwickelten sich Literatursprache und Volkssprache auch im Griechischen auseinander:

Bereits in hellenistischer Zeit begann die Diglossie der attischen Literatursprache und der sich stetig entwickelnden gesprochenen Volkssprache. Nach dem Ende der Antike wurde diese Kluft unübersehbar. Die noch vom Attischen geprägte mittelalterliche Koinē (‚Gemeinsprache‘), die über Jahrhunderte die Literatursprache des Mittelgriechischen blieb, konservierte eine nicht mehr gesprochene Stufe des Griechischen.
Mittelgriechische Sprache – Wikipedia
 
Der Vorteil der Araber war, dass sie in einer lebendigen Sprache schrieben (davon schrieb schon El Quijote). Das bedeutete, dass jeder, der lesen konnte, alles lesen konnte, sprich wissenschaftlichen Arbeiten genauso wie Belletristik. Selbst im griechisch dominierten oströmischen Reich schrieben sie bald nur noch Griechisch, also in einer lebendigen Sprache.

Im Westen dagegen war alles Geschriebene in Latein, erst durch Karl den Großen kam Bewegung in das Schrifttum, wenn auch anfangs nur sporadisch und mehr für Missionierungszwecke. Erst im Hoch- und Spätmittelalter änderte sich das langsam, aber die wissenschaftlichen Werke wurden weiter in Latein verfasst, nicht zuletzt aus einem Elitedenken heraus, obwohl man selbst in diesen Kreisen das Latein nicht mehr sprach, sondern nur noch schrieb.
Ich verstehe die Opposition zwischen Arabisch/Griechisch und Latein hier nicht. Bevor sich die romanischen Sprachen auseinanderentwickelten, waren sie auch nichts weiter als dialektal gefärbtes Latein. Warum sollte man nicht in Latein schreiben? (Wenn du schreibst, dass erst mit KdG "Bewegung" in die Sache kam, muss ich ja annehmen, dass du Spätantike und FMA meinst?).

Nicht das ich irgendwas von der Sprache verstünde, aber ist es nicht so, dass im Arabischen die Spannweite an Dialekten so groß ist, dass die jeweils anderen für die Sprecher relativ schwer zu verstehen sind?

Im Zuge der islamischen Expansion verbreitete sich auch die arabische Sprache - und zwar das Hocharabische des Koran. Als das Arabische beispielsweise im Maghreb Berbersprachen und nordafrikanisches Romanisch verdrängte, war dies das Arabisch des Koran. Erst im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich in den unterschiedliche Regionen daraus arabische Dialekte. Je weiter wir also in der Geschichte zurückgehen, desto geringer dürften die dialektalen Unterschiede gewesen sein. So weit zur gesprochenen Sprache.
Bei der Schriftsprache fallen die dialektalen Unterschiede (fast ganz) weg. Jemand der Schwyzzerdütsch und ein anderer der niederdeutsches Ostfriesisch spricht, dürften sich mündlich schwer verständigen können. Aber von der Bibel bis zur Fernsehzeitschrift können sie beide gedrucktes Standarddeutsch verstehen - und ähnlich ist es auch mit Arabisch als Schriftsprache.
Richtig Fuṣḥā (Standardsprache) versteht jeder. Ebenso Ägyptisch, was daran liegt, das Ägypten die Drittgrößte Filmindustrie der Welt hat.
Jordanisch blendet qâf aus und verwandelt es in 'ayn (nicht gesichert, kann sein, dass ich mich hier falsch erinnere).
 
Jordanisch blendet qâf aus und verwandelt es in 'ayn (nicht gesichert, kann sein, dass ich mich hier falsch erinnere).

Gibt es auch im Libanon. Aus der Qala (Festung) wird dann die A'ala. Wenn man dann als Deutscher das natürlich falsch betont, wird es unfreiwillig komisch. Ich habe schon oft gesagt, ich gehe nun zu Gott. Hat mehrheitlich Staunen hervorgerufen.
 
Ein direktes Zeugnis für Literaturverluste liefert Avitus von Vienne. Nach turbulenten kriegerischen Ereignissen hatte er große Schwierigkeiten, seine eigenen bereits veröffentlichten Gedichte wiederzufinden, um sie in einem Sammelband zu editieren:

"Du stellst mir nämlich die Aufgabe, dass ich Dir alles, was von mir, zu welchen Themen auch immer, in gebundener Sprache geschrieben wurde, im Rahmen einer kleinen Veröffentlichung namentlich zueignen solle.
[...]
Während ich mich mit dem Gedanken trug, dies unter Wahrung der thematischen und zeitlichen Anordnung zu bewerkstelligen, ist alles in der Not jener nur allzu bekannten Wirren zerstreut worden. Da das Aufsuchen beziehungsweise das Finden dieser Gedichte im Einzelnen schwierig oder unmöglich wäre, habe ich den Gedanken daran aufgegeben; denn schon das Anordnen der erhaltenen Gedichte erschien mir mühsam, von der Wiederherstellung der verlorenen ganz zu schweigen.
Einige Büchlein immerhin habe ich später bei einem meiner Freunde wiedergefunden [...]"

(Iniungis namque, ut si quid a me de quibuscumque causis metri lege conscriptum est, sub professione opusculi vestro nomini dedicetur.
[...]
Quod dum facere servato causarum vel temporum ordine meditarer, omnia paene in illa notissimae perturbationis necessitate dispersa sunt. Quae quoniam singillatim aut requiri difficile, aut inveniri inpossibile foret, abieci ea de animo meo, quorum mihi vel ordinatio salvorum, ne dicam dispersorum reparatio, dura videretur.
Aliquos sane libellos apud quendam familiarem meum postea repperi: [...])
Von den Ereignissen der geistlichen Geschichte

Bei den "allzu bekannten Wirren" dürfte es sich sich um den Bruderkrieg der Burgunderkönige Godegisel (auf dessen Seite die merowingschen Franken kämpften) und Gundobad (der wohl von den Westgoten unterstützt wurde) handeln, von denen Vienne betroffen war:

Bereits ein Jahr später (501) konnte Gundobad die entscheidende Kriegswende herbeiführen. Vermutlich wurde er dabei von dem Westgotenkönig Alarich II. unterstützt. Er wandte sich gegen Godegisel und belagerte ihn in Vienne. Trotz militärischem Beistand durch ein fränkisches Heer erwies sich Godegisel als unterlegen. Als in Vienne eine Hungersnot ausbrach, schickte Godegisel aus Angst um sein Leben das einfache Volk aus der Stadt hinaus. Einer dieser Exilierten zeigte Gundobad daraufhin den Weg, über den Aquädukt in die Stadt zu gelangen. Diese wurde daraufhin von Gundobad erobert und Godegisel in einer arianischen Kirche gemeinsam mit dem Bischof getötet. Auch Godegisels Familie sowie dessen hochrangige gallorömische und burgundische Unterstützer, die wohl des Hochverrats beschuldigt wurden, fielen Gundobads Rache zum Opfer.
Gundobad – Wikipedia
 
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