Natürlich nicht, denn man kann nicht erwarten, dass eine bis dahin omnipotente päpstliche Kirche
Im Kontext der Reformation von einer "omnipotenten" päpstlichen Kirche zu reden ist an und für sich bereits ein Treppenwitz, schließlich ist die Reformation selbst der Beweis, dass es mit der "Omnipotenz" nicht so weit her war.
plötzlich zu einem allgemeinen Hassobjekt wird wie zuvor die Juden durch mehr als 1000 Jahre hindurch.
Ich würde aber meinen, dass die Reformation selbst Beleg dafür ist, dass die Bevölkerungen im nördlichen Europa von der katholischen Kirchen und ihrem fragwürdigen Verhalten reichlich die Nase voll hatten.
Weiter unten stellst du auf die wirtschaftlichen Motive ab, nach denen Pogrome vor allem den Zweck gehabt hätten sich potentieller Gläubiger zu entledigen.
Nun wird man allerdings unterstellen können dass ein Großteil der Bevölkerung eher durch den geistlichen Zehnt, als durch fällige Kredite bei jüdischen Geldverleihern berückt wurde.
Das habe ich auch nicht bezweifelt. Aber seine Ideen waren in der Welt, und als sich die Gelegenheit bot, hat man darauf zurückgegriffen.
Gerade nicht, aber das ist dir ja bereits x-fach erklärt worden.
Vielleicht waren sie Unsinn, aber die Pogrome hatten zum Teil auch stattgefunden, um sich der Schulden, die viele bei Juden hatten, zu entledigen.
Ja, aber regional begrenzte Pogrome, denen man wirtschaftliche Motive unterstellen kann, hat es lange vor Luther gegeben. Das macht Luthers Aufrufe zu Gewaltaten nicht besser, nur zu unterstellen er hätte damit irgendwelche neuen Ideen in die Welt gesetzt, funktioniert hier nicht.
Und noch etwas, was ich bisher nicht erwähnt habe: Juden war es die Mitgliedschaft in Zünften verboten – es stand ihnen nur der kaufmännische Berufszweig offen. Um zu überleben, mussten sie Kaufmänner und Bänker werden – und dann geht Luther hin und wirft ihnen das vor und bezeichnete ihr Tun als Müßiggang, verbunden mit der Forderung, sie sollen sich durch körperliche Arbeit ihr Brot verdienen.
Das stimmt so nicht ganz. Erstmal waren Zünfte ein städtisches Phänomen, das mit seinen Regelungen außerhalb der Städte auf dem platten Land in der Form oft nicht griff.
Das Andere ist, dass das Verrichten körperlicher Arbeit nicht unbedingt voraussetzte einem zünftigen Handwerk nachzugehen.
De facto lebten lange nicht alle städtischen Juden von Handel und Geldgeschäften, die Meisten waren dazu schlicht nicht wohlhabend genug. Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung in den Städten verdingte sich verdingte sich de facto als Tagelöhner oder in anderen Bereichen, die von den Zunftordnungen nicht erfasst waren, was entsprechend ein Leben in ziemlich ärmlichen Verhältnissen zur Folge hatte, aber möglich war das durchaus.
Dann muss man, denkee ich dabei auch betrachten, dass auch längst nicht jedem Christen die Mitgliedschaft in einer Zunft so ohne weiteres offen stand.
Sondern die Zünfte errichteten auch gegenüber christlichen Mitgliedschaftsanwärtern mitunter nicht ganz einfach zu nehmende Hürden, wenn man bedenkt, dass längst nicht jede Familie in der Lage war ein entsprechendes Lehrgeld aufzubringen um den Nachkommen eine Handwerkslehre zu ermöglichen, etc.
Insofern wird man Luther hier beigeben müssen, dass er es in seiner Zeit für einen völlig normalen Umstand halten musste, dass einem Großteil der Bevölkerung viele berufliche Wege verschlossen waren, selbst wenn es keine offiziellen Verbote gab, die sie ausschlossen.
Setzt man das voraus, mutete Luther letztendlich den Juden zu, dass diese nach seiner Meinung das Schicksal der christlichen Unterschichten zu teilen hatten, denen mitunter auch nichts anderes übrigblieb, als ein Verdingen als Tagelöhner oder in anderen Beschäftigungen außerhalb der Zunftordnungen.
Deine Einschätzung, dass das ein wenig unfair, im Besonderen denjenigen gegenüber war, die sich eine Ausbildung zum Handwerker hätten leisten können, teile ich.
Allerdings wird man Luther im Gegensatz zu den späteren Antisemiten zwei Dinge zugestehen können:
1. Insofern Luther Konversion grundsätzlich anzuerkennen bereit war und mir auch keine Zunftbestimmungen geläufig sind, die Konvertiten oder deren Nachfahren ausgeschlossen hätten, wären nach Luther Konvertiten keine Steine in den Weg gelegt worden, was das Ergreifen auch eines zünftigen Handwerks angeht.
2. De facto behandelte Luther die Juden hier nicht schlechter als das, was er auch den christlichen Unterschichten zumutete, die ebenfalls keine Aussicht hatten in das zünftige Handwerk einzutreten und sich damit finanziell und sozial zu verbessern.
In Sachen Kritik an Geldgeschäften und Kaufmannswesen scheint er in diesem Sinne auch konsequenter gewesen zu sein, als die späteren Antisemiten, insofern er diese Form des Wirtschaftschaftens im Allgemeinen, also auch bei Christen kritisierte, wohingegen die späteren Antisemiten Personen, die in ihren Augen keine Juden waren in der Regel von den Vorwürfen ausnahmen, die sie gegenüber Personen erhoben, die sie für Juden hielten, auch wenn sich deren Verhalten von einander kaum oder gar nicht unterschied.
Das er ihnen damit die Möglichkeit zur bloßen Existenz abgesprochen hätte, sehe ich hier allerdings nicht.
Man kann es allerdings sicherlich und zurecht als unfair und wenig aufgeklärt bzeichnen. Einen Preis für diskriminierungsfreie Ansichten hätte er damit sicherlich nicht verdient, aber ich denke darüber das Luther in Teilen ziemlich abstoßende judenfeindliche Ansichten hatte, sind wir uns ja einig.
Die Frage ist, hat irgendwas davon im besonderen Maße den Nazis Vorschub geleistet. Und das sehe ich nach wie vor nicht.
Aber Luther war nicht der erste, der forderte, Synagogen zu zerstören, jüdische Bücher zu verbrennen und Juden aus dem Land zu treiben: Erzdiakon Ferrant Martinez in Sevilla forderte das schon lange. Im Jahr 1390 folgte das Volk der Forderung und zerstörte tatsächlich Synagogen.
Ja, wäre allerdings zum einen zu hinterfragen, inwiefern die Bevölkerung dort gewalttätig wurde, weil der Erzdiakon das forderte oder inwieweit das andere Gründe hatte.
Dann wäre auch zu hinterfragen, was Vorfälle in Andalusien 100 Jahre vor Luther in irgendeiner Form mit Luther zu tun haben.
Wenn du damit postulieren wolltest, dass Luther dieses Beispiel haben kennen und daher mögliche Konsequenzen sehen müssen, würde ich dir sagen, dass das eine ziemlich steile These wäre, denn was wusste Luther von Andalusien? Das lag nun wirklich außerhalb seines Wirkungsbereiches.
Das er in Aufzeichnungen/Chroniken mal irgendetwas über Pogrome im Deutschsprachigen Raum erfahren haben mag, würde ich nicht ausschließen wollen, auch nicht, dass er möglicherweise von der Vertreibung der "Conversos" auf der iberischen Halbinsel etwas mitbekomen haben mag, zumal es viele Juden und "Conversos" von der iberischen Halbinsel nach Italien verschlug, dass es durch seine Rom-Reise ja durchaus mindestens oberflächlich kennenlernte.
Aber Luther mit irgendwas in Verbindung bringen zu wollen, dass 100 Jahre vor seiner Zeit in einer Region vorgefallen war, die sich eher außerhalb seines Horizonts bewegt haben dürfte, das halte ich für gewagt.
Man wird Luther dafür kritisieren müssen, dass seine Hetzreden sicherlich grundsätzlich geeignet waren so etwas zu provozieren, wenn die Stimmung in der Bevölkerung gerade dem entsprach.
Eben, das Volk glaubte damals nicht an Konversion – und 400 Jahre später auch nicht; deswegen war es eine leichte Beute für die Nazis.
Du triffst mir sehr häufig sehr übereilte Urteile dafüber, das "das Volk" so glaubte oder nicht.
Das es Fälle gab, in denen man den Konvertiten die Ernsthaftigkeit ihres Entschlusses nicht abnahm, bedeutet zum einen weder, dass ein solcher Verdacht generell unbegründet gewesen wäre (wie viele christliche Potentaten konvertierten später zur jeweils anderen Konfession, nur um in bestimmten Gegenden als Herrscher anerkannt zu werden), noch belegt das in irgendeiner Weise, das Konvertiten einem Generalverdacht ausgesetzt gewesen wären.
Insofern behauptest du mal wieder etwas, was du an dieser Stelle bisher nicht belegen konntest um darauf abenteuerliche Schlussfolgerungen zu konstruieren.
Das ist in dieser Form nicht überzeugend.
Im 19. Jahrhundert hat man noch zu Söhnen und Enkeln von Konvertiten Jude gesagt – siehe z.B. Richard Wagner
Verzeihung, der dezidierte Antisemit Richard Wagner war nun nicht unbedingt die Mehrheitsgesellschaft.
De facto wurden im 19. Jahrhundert Konvertiten und ihren Nachkommen in der Regel keine Steine etwa im Hinblick auf die höhere Bildung in den Weg gelegt, de facto lässt auch die Anzahl der ehelichen Verbindungen zwischen Konvertiten und Personen deren Familien bereits seit längerer Zeit einer christlichen Konfession angehörten eher nicht darauf schließen, dass Konversion vor dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in breiteren Kreisen der Bevölkerung grundsätzlich nicht anerkannt worden wäre.