Konfession, Antisemitismus und NS

"Auch wenn nur wenige Abgeordnete die Forderungen der Antisemitenpetition offen unterstützen wollten, äußerten sich Vertreter der Konservativen und des Zentrums in antisemitischer Weise."
(zitiert aus Scorpios Link zur Interpellation Hänel)

Dass es auch im Zentrum zu antisemitischen Äußerungen kam, passt nicht damit zusammen, dass der kaiserzeitliche Antisemitismus eine originär protestantische Ideologie gewesen sei.
Es fügt sich aber in das Bild, dass Hitler in den katholischen Metropolen Wien und München zum Antisemiten wurde.

Ich denke man muss vor allem auch Antijudaistische/Antisemitische Äußerungen von einem geschlossen Antisemitischen Weltbild und persönliche Vorurteile vom Versuch das in eine politische Programmatik zu überführen unterscheiden.
Man wird einzelne nur so zu verstehende Äußerungen sowohl bei einigen Personen des Zentrums, als auch bei den Nationalliberalen finden und wenn man sich darauf kaprizieren möchte, einzelne Persönlichkeiten herauszugreifen, die in diese Richtung gehende Ansichten vertraten, wird man sogar auch einzelne Vertreter der Sozialdemokratie, wie etwa August Winnig benennen können, denen antisemitische Vorstellungen durchaus nicht fremd waren.

Was die Kaiserzeit angeht, sehe ich nach wie vor das die judenfeindlichen Ideologien, die in dieser Zeit auftreten, in sich reichlich indifferent sind und sich nicht eindeutig als pseudobiologisch untermauerter Antisemitismus klassifizieren lassen.
Schaut man sich etwa die Fälle von Ritualmordbeschuldigungen in der Kaiserzeit an, die ja oft und zurecht heranzitieert werden um feindliche Haltungeen gegen Juden zu belegen, zeigt sich dabei eigentlich recht deutlich, dass dabei noch sehr viel altheergebrachte antijudaistische Vorstellungen mitschwangen, die zuweilen mit rassistisch motiviertem Antisemitismus unheilige Allianzen eingingen.

Diese Formen judenfeindlicher Ideologien waren auf Grund der Vermengung rassistischer und religiöser Vorbehalte für katholiken und lutheraner auf Basis von deren Religion wesentlich anschlussfähiger als die weitgehend von religiösen Kategorien losgelösten späteren Anschauungen der Nazis, die sich eindeutig auf pseudobiologische Vorstellungen kaprizierten.

Legt man das zu Grunde, würde ich sagen, dass die gängigeen Judenfeindlichen Sentiments Im Kaiserreich und vor allem bis zur Jahrhundertwende auf Grund des uneindeutigen Charakters ihrer Begründung sehr breit anschlussfähig waren.
Dazu dürfte auch eine nicht eindeutige Terminologie beigetragen haben.

Die im 19. und frühen 20. Jahrhundert immer wieder anzutreffende rhetorische/literarische Figur des "getauften Juden" etwa lässt ja durchaus Interpretationsspielraum dafür, welche Art von Vorwurf hier bespielt wurde.

Dort kann man genau so eine Skepsis des Postulanten gegenüber der Ernsthaftigkeit von Konvertiten hineininterpretieren, wie es sie aus voreingenommener religiöser Perspektive schon im Mittelalter gab und wie sie auch etwa Luther durchaus verstreten hat oder aber man kann dort hineininterpretieren, dass die Taufe am Umstand, dass es sich bei der Person aus Sicht des Postulanten weiterhin um einen Juden handelte, nichts änderte und sich damit in dessen Weltsicht bereits die Vorstellung manifestiert hatte, dass Judentum keine religiöse Kategorie sei.

Diese Undifferenziertheit dürfte dafür gesorgt haben, dass weite gesellschaftliche Kreise das als Projektionsfläche Annahmen um ihre wie auch immer beschaffenen Vorurteile und Sentiments da hinein zu interpretieren, sie wird in der Regel aber auch die Umsetzung in ein geschlossenes Weltbild oder eine politische Programmatik eher behindert haben, weil die Sammlung an Anschauungen, die sich damit verband zu heterogen war, um daraus ein geschlossenes System konstruieren zu können.

Ich denke damit lässt sich durchaus erklären, warum man in dieser Zeit ein relativ breites Spektrum hat, dass sich in irgendeiner Form an den Begriff Antisemitsmus wenigstens asoziieren lässte oder an Ideologien, die man nicht eindeutig von alten Antijudaismus abgrenzen kann, die aber ohne Frage antisemitische Versatzstücke beinhalten, während gleichzeitig der dezidierte politische Antisemitismus relativ unpopulär blieb, wenn man sich die Ergbnisse der Reichstagswahlen im Ganze anschaut.
 
Zuletzt bearbeitet:
Christen haben fast 2000 Jahre gegen Juden gewütet, bis sich jemand fand, der Luthers Worte ernst nahm und sie in die Tat umsetzte, was dieser gesagt. Weil es möglich war, hat man noch mehr getan, aber die Saat dafür hat Luther gesät. Und weil er es war, haben viele mitgemacht.

Dein ständiges Wiederholen der Behauptung die Nazis hätten Luthers Einlassungen in die Tat umgesetzt, macht die Behauptung nicht richtiger.
Du ignorierst nach wie vor den Umstand, dass die Nazis und Luther eine vollkommen verschiedene Definition davon hatten, wer denn nun überhaupt ein Jude sei.

Ich wiederhole mich hier, die Nazis haben Personen als "Halbjuden" oder "Vierteljuden" charakterisiert, obwohl diese mit dem Judentum als Religion nie etwas zu tun hatten, sondern einfach auf Grund der religiösen Überzeugung ihrer Vorfahren.
Und sie haben Personen, die sich nie in ihrem Leben zum Judentum bekannt oder dieses praktiziert haben, in verschiedenen Abstufungen nicht nur als Juden kategorisiert, sondern auch auf Grund ihrer Abstammung repressiert, terrorisiert und umgebracht.

So wiederlich Luthers Einlassungen waren, damit wäre der Mann alles andere als einverstanden gewesen und insofern kann man was die Nazis taten auch nicht als "Erfüllung" von Forderungen Luthers verstehen.
Hätten die Nazis sich tatsächlich an Luther orientiert, hätten sie das so nicht machen können.

Wenn du weiterhin behaupten möchtest, die Nazis hätten am Ende im Prinzip das getan, was Luther forderte, belege doch bitte endlich, welchen Forderungen Luthers das Handeln der Nazis entsprach.
Bzw. erläutere in diesem Fall bitte, warum die Widersprüche zwischen beidem, die dir mittlerweile oft genug aufgezeigt wurden, deiner Ansicht nach ungültig sind, sonst kommen wir hier nicht weiter.
 
Bei Pogromen handelt es sich ja meistens um mehr oder weniger spontane Ausschreitungen und Krawalle. In der Regel waren aber Pogrome nicht befohlen, es handelte sich in den meisten Fällen um spontane, nicht organisierte Ausschreitungen.

Dion setzt ja geradezu eine Befehlsgewalt Luthers voraus, in dem er regelmäßig die damalige Bevölkerung auf ihre religiösen Anschauungen reduziert und ausblendet, dass diese eben auch anderen Einflüssen unterlag.
 
Laut Birgit Gregor (1999) übernahm Luther von Anfang an das kirchliche Streben, das Judentum durch vollständige Assimilierung aufzulösen. Auch seine scheinbar „judenfreundlichen“ Schriften seien von diesem Ziel bestimmt. Der bisher unzureichend erforschte „protestantische Antisemitismus“ sei keine direkte Kontinuität „von Luther zu Hitler“, sondern eine „konstruierte Kontinuität“: Seit Adolf Stöcker hätten bestimmte protestantische Interessengruppen Luther künstlich als prominenten Vorläufer für ihre eigenen antisemitischen Ziele benutzt und dazu lange vorhandene antijüdische Ressentiments und Stereotype in veränderter Zeitsituation bewusst mit darwinistischer und rassistischer Judenfeindschaft verschmolzen.[180]
https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther_und_die_Juden#Beitrag_der_Antisemitismusforschung

wenn Wikipedia zu trauen ist, dann muss man wahrnehmen, dass
die monokausale Deutung einer ursächlichen Beziehung zwischen Luthers Judentexten und dem Nationalsozialismus kaum noch vertreten (wird)

Ich glaube nicht, dass @Dion , trotz aller Mühe, die er sich gibt, die Antisemitismusforschung in dieser Angelegenheit umkrempeln wird.
 
Das Wikipedia-Zitat ist aber auch nicht ganz korrekt:

Laut Birgit Gregor (1999) übernahm Luther von Anfang an das kirchliche Streben, das Judentum durch vollständige Assimilierung aufzulösen.
Luther hatte dieses Ziel. Man kann ja seine verschiedenen Haltungen zum Judentum in seinen verschiedenen Schriften im Laufe der Zeit nachverfolgen. In der Katholischen Kirche galt aber mehrheitlich - trotz Ausreißern - die augustinische Zeugenschaftslehre, wonach die Juden als (unfreiwillige) Zeugen der Göttlichkeit Christi ihre Daseinsberechtigung hatten.
Ausreißer davon sind die antijüdische Gesetzgebung Sisebuts (> Zwangstaufen) welche sein Berater Isidor als theologisch falsch bezeichnete und die Ausweisung der Juden aus verschiedenen Ländern während des Mittelalters. Die Inquisition in Rom schützte die Juden sogar vor Zwangstaufen (mit zweifelhaften salominischen Urteilen), wohingegen die Spanische Inquisition sie wiederum zur Taufe trieb, den getauften Juden dann aber wiederum nicht traute, dass sie sich aus Überzeugung hatten taufen lassen, weshalb sie als Marranen (Schweine) beschimpft drastisch verfolgt wurden.
Auch die Judenverfolgungen am Rhein zur Zeit der Kreuzzüge waren ein Novum.
 
Das Wikipedia-Zitat ist aber auch nicht ganz korrekt:
Seltsam:
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Ich musste gerade wirklich überlegen, was du willst.
Also... ich habe dir nicht vorwerfen wollen, falsch zitiert zu haben. Ich verstehe, dass du mich so verstanden hast und dass ich in der Tat so verstanden werden kann, hier bin ich also als Sender definitiv schuld am Missverständnis.

Meine tatsächliche Aussageabsicht war, dass die im Wikipedia-Artikel zitierte Aussage von Birgit Gregor (die ich selber nicht gelesen habe), so nicht stimmt. Begründung siehe oben.
 
Luther hat auch „wider des vom Teufel gestifteten Papsttum“, wenn ich den Titel der entsprechenden Schrift mal so praraphrasieren darf, gewettert. Deswegen ist aber niemand auf die Idee gekommen, die gesamte römische Kurie über die Klinge springen zu lassen.
Natürlich nicht, denn man kann nicht erwarten, dass eine bis dahin omnipotente päpstliche Kirche plötzlich zu einem allgemeinen Hassobjekt wird wie zuvor die Juden durch mehr als 1000 Jahre hindurch.

Zu Luthers Lebzeiten waren diese Forderungen jedenfalls nicht praktisch in die Tat umzusetzen.
Das habe ich auch nicht bezweifelt. Aber seine Ideen waren in der Welt, und als sich die Gelegenheit bot, hat man darauf zurückgegriffen.

Es waren Luthers Forderungen aber nicht zuletzt auch in ökonomischer Hinsicht völliger Unsinn.
Vielleicht waren sie Unsinn, aber die Pogrome hatten zum Teil auch stattgefunden, um sich der Schulden, die viele bei Juden hatten, zu entledigen. Und noch etwas, was ich bisher nicht erwähnt habe: Juden war es die Mitgliedschaft in Zünften verboten – es stand ihnen nur der kaufmännische Berufszweig offen. Um zu überleben, mussten sie Kaufmänner und Bänker werden – und dann geht Luther hin und wirft ihnen das vor und bezeichnete ihr Tun als Müßiggang, verbunden mit der Forderung, sie sollen sich durch körperliche Arbeit ihr Brot verdienen. Dazu gibt es nur ein Wort: Niedertracht.

Aber Luther war nicht der erste, der forderte, Synagogen zu zerstören, jüdische Bücher zu verbrennen und Juden aus dem Land zu treiben: Erzdiakon Ferrant Martinez in Sevilla forderte das schon lange. Im Jahr 1390 folgte das Volk der Forderung und zerstörte tatsächlich Synagogen. Als König, der Schutzherr der Juden, von Domkapitel verlangte, Synagogen auf eigene Kosten wieder herzurichten, weigerte sich der Erzdiakon einfach – hier wiederholte sich fast das, was schon Theodosius I. mit Ambrosius von Mailand widerfahren war. Mehr noch: Martinez hetzte weiter und erreichte, dass 1 Jahr später der jüdische Viertel vom Mob gestürmt, wobei tausende Juden ermordet oder zum Übertritt zum Christentum gezwungen wurden. Dem folgten weitere Pogrome im Königreiche Kastilien und Aragon.

100 Jahre später erließen Ferdinand II. und Isabella I. als Königspaar von Aragonien und Kastilien am 31. März 1492 das gegen die Juden gerichtete Decreto de la Alhambra.“. (…) Das Edikt ließ den Juden Spaniens nur die Wahl zwischen der Konversion zum Christentum und dem Exil, anderenfalls drohten Todesstrafe und Beschlagnahmung aller Güter.

Zum Dank erhielt das Königspaar vom Papst das Prädikat „Katholische Könige“.

In vielen Gegenden kursierte das Sprichwort "dreimal getauft-aber immer noch ein Jud.
Eben, das Volk glaubte damals nicht an Konversion – und 400 Jahre später auch nicht; deswegen war es eine leichte Beute für die Nazis.

Die Konversion konnte und durfte einem Juden nicht verweigert werden- Er war dann kein Jude mehr, und wenn es auch vielerorts Vorbehalte gegen Konvertiten gab, der Generation der Söhne und Enkel hat in der Regel auch keiner mehr das frühere Bekenntnis vorgeworfen oder vorwerfen können.
Was redest du da? Im 19. Jahrhundert hat man noch zu Söhnen und Enkeln von Konvertiten Jude gesagt – siehe z.B. Richard Wagner in seinem Traktat „Das Judenthum in der Musik“, der fast zum Vergessenwerden von Felix Mendelssohn Bartholdy in 19. Jahrhundert führte. Kein Wunder, dass Hitler Wagner verehrte.

Darüber hinaus bist du, @Scorpio, nicht auf Johannes 8:42-44 eingegangen: Da werden Juden von Jesus als Teufelsbrut bezeichnet, was dem Christentum u.a. dazu diente, Judenverfolgung zu rechtfertigen. Das war, neben des Hauptvorwurfs, sie seien Gottesmörder, auch eine der Ursache des Übels, das Juden während der 1700 Jahre in christlichen Ländern widerfahren ist.
 
Natürlich nicht, denn man kann nicht erwarten, dass eine bis dahin omnipotente päpstliche Kirche plötzlich zu einem allgemeinen Hassobjekt wird wie zuvor die Juden durch mehr als 1000 Jahre hindurch.
Luther hat sie gleichermaßen als teuflisch bezeichnet. Die antikatholische wie auch antiprotestantische Propaganda fand im 16. Jhdt. große Verbreitung.

auch eine der Ursache des Übels, das Juden während der 1700 Jahre in christlichen Ländern widerfahren ist.
Ohne das Schicksal der Juden in Europa in irgendeiner Form verharmlosen zu wollen: Die Wahrnehmung der jüdischen Geschichte als eine 2000jährige Verfolgungsgeschichte ist schlicht falsch. Vor dem 11. Jhdt. gab es - mit Ausnahme westgotischer Gesetzgebung - keine nennenswerte Judenverfolgung im christlichen Europa. Ein Kleriker von Hof Ludwigs des Frommen könnte sogar zum Judentum konvertieren. Die Judenverfolgung hatte ihre Hochphasen in der frühen Kreuzzugszeit und ab dem 13. Jhdt. Während England die Juden im 13. Jhdt. auswies, machte Spanien das 1492 (nach hässlichen Judenpogromen seit Ende des 14. Jhdts., nichtsdestotrotz konnte Alonso de Cartagena, Sohn eines Rabbis, Bischof werden).
Süßkind von Trimberg („Sueskint der Jude von Trimperg“) fand neben Walter von der Vogelweide und dem Staufer Konradin und vielen anderen Rittern als Dichter Eingang in die Manessesche Liederhandschrift, man sieht ihn bei einem Bischof (vermutlich von Konstanz, möglich aber auch Köln) und zwei Klerikern.
Die Judenverfolgung hatte sowohl regionale als auch zeitliche Schwerpunkte. Eine Wahrnehmung der jüdischen Geschichte und Europa als die eines permanenten Verfolgungsdrucks ist falsch.
 
Natürlich nicht, denn man kann nicht erwarten, dass eine bis dahin omnipotente päpstliche Kirche
Im Kontext der Reformation von einer "omnipotenten" päpstlichen Kirche zu reden ist an und für sich bereits ein Treppenwitz, schließlich ist die Reformation selbst der Beweis, dass es mit der "Omnipotenz" nicht so weit her war.

plötzlich zu einem allgemeinen Hassobjekt wird wie zuvor die Juden durch mehr als 1000 Jahre hindurch.
Ich würde aber meinen, dass die Reformation selbst Beleg dafür ist, dass die Bevölkerungen im nördlichen Europa von der katholischen Kirchen und ihrem fragwürdigen Verhalten reichlich die Nase voll hatten.

Weiter unten stellst du auf die wirtschaftlichen Motive ab, nach denen Pogrome vor allem den Zweck gehabt hätten sich potentieller Gläubiger zu entledigen.
Nun wird man allerdings unterstellen können dass ein Großteil der Bevölkerung eher durch den geistlichen Zehnt, als durch fällige Kredite bei jüdischen Geldverleihern berückt wurde.

Das habe ich auch nicht bezweifelt. Aber seine Ideen waren in der Welt, und als sich die Gelegenheit bot, hat man darauf zurückgegriffen.
Gerade nicht, aber das ist dir ja bereits x-fach erklärt worden.

Vielleicht waren sie Unsinn, aber die Pogrome hatten zum Teil auch stattgefunden, um sich der Schulden, die viele bei Juden hatten, zu entledigen.

Ja, aber regional begrenzte Pogrome, denen man wirtschaftliche Motive unterstellen kann, hat es lange vor Luther gegeben. Das macht Luthers Aufrufe zu Gewaltaten nicht besser, nur zu unterstellen er hätte damit irgendwelche neuen Ideen in die Welt gesetzt, funktioniert hier nicht.

Und noch etwas, was ich bisher nicht erwähnt habe: Juden war es die Mitgliedschaft in Zünften verboten – es stand ihnen nur der kaufmännische Berufszweig offen. Um zu überleben, mussten sie Kaufmänner und Bänker werden – und dann geht Luther hin und wirft ihnen das vor und bezeichnete ihr Tun als Müßiggang, verbunden mit der Forderung, sie sollen sich durch körperliche Arbeit ihr Brot verdienen.

Das stimmt so nicht ganz. Erstmal waren Zünfte ein städtisches Phänomen, das mit seinen Regelungen außerhalb der Städte auf dem platten Land in der Form oft nicht griff.
Das Andere ist, dass das Verrichten körperlicher Arbeit nicht unbedingt voraussetzte einem zünftigen Handwerk nachzugehen.
De facto lebten lange nicht alle städtischen Juden von Handel und Geldgeschäften, die Meisten waren dazu schlicht nicht wohlhabend genug. Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung in den Städten verdingte sich verdingte sich de facto als Tagelöhner oder in anderen Bereichen, die von den Zunftordnungen nicht erfasst waren, was entsprechend ein Leben in ziemlich ärmlichen Verhältnissen zur Folge hatte, aber möglich war das durchaus.

Dann muss man, denkee ich dabei auch betrachten, dass auch längst nicht jedem Christen die Mitgliedschaft in einer Zunft so ohne weiteres offen stand.
Sondern die Zünfte errichteten auch gegenüber christlichen Mitgliedschaftsanwärtern mitunter nicht ganz einfach zu nehmende Hürden, wenn man bedenkt, dass längst nicht jede Familie in der Lage war ein entsprechendes Lehrgeld aufzubringen um den Nachkommen eine Handwerkslehre zu ermöglichen, etc.

Insofern wird man Luther hier beigeben müssen, dass er es in seiner Zeit für einen völlig normalen Umstand halten musste, dass einem Großteil der Bevölkerung viele berufliche Wege verschlossen waren, selbst wenn es keine offiziellen Verbote gab, die sie ausschlossen.
Setzt man das voraus, mutete Luther letztendlich den Juden zu, dass diese nach seiner Meinung das Schicksal der christlichen Unterschichten zu teilen hatten, denen mitunter auch nichts anderes übrigblieb, als ein Verdingen als Tagelöhner oder in anderen Beschäftigungen außerhalb der Zunftordnungen.

Deine Einschätzung, dass das ein wenig unfair, im Besonderen denjenigen gegenüber war, die sich eine Ausbildung zum Handwerker hätten leisten können, teile ich.
Allerdings wird man Luther im Gegensatz zu den späteren Antisemiten zwei Dinge zugestehen können:

1. Insofern Luther Konversion grundsätzlich anzuerkennen bereit war und mir auch keine Zunftbestimmungen geläufig sind, die Konvertiten oder deren Nachfahren ausgeschlossen hätten, wären nach Luther Konvertiten keine Steine in den Weg gelegt worden, was das Ergreifen auch eines zünftigen Handwerks angeht.

2. De facto behandelte Luther die Juden hier nicht schlechter als das, was er auch den christlichen Unterschichten zumutete, die ebenfalls keine Aussicht hatten in das zünftige Handwerk einzutreten und sich damit finanziell und sozial zu verbessern.
In Sachen Kritik an Geldgeschäften und Kaufmannswesen scheint er in diesem Sinne auch konsequenter gewesen zu sein, als die späteren Antisemiten, insofern er diese Form des Wirtschaftschaftens im Allgemeinen, also auch bei Christen kritisierte, wohingegen die späteren Antisemiten Personen, die in ihren Augen keine Juden waren in der Regel von den Vorwürfen ausnahmen, die sie gegenüber Personen erhoben, die sie für Juden hielten, auch wenn sich deren Verhalten von einander kaum oder gar nicht unterschied.

Das er ihnen damit die Möglichkeit zur bloßen Existenz abgesprochen hätte, sehe ich hier allerdings nicht.
Man kann es allerdings sicherlich und zurecht als unfair und wenig aufgeklärt bzeichnen. Einen Preis für diskriminierungsfreie Ansichten hätte er damit sicherlich nicht verdient, aber ich denke darüber das Luther in Teilen ziemlich abstoßende judenfeindliche Ansichten hatte, sind wir uns ja einig.
Die Frage ist, hat irgendwas davon im besonderen Maße den Nazis Vorschub geleistet. Und das sehe ich nach wie vor nicht.

Aber Luther war nicht der erste, der forderte, Synagogen zu zerstören, jüdische Bücher zu verbrennen und Juden aus dem Land zu treiben: Erzdiakon Ferrant Martinez in Sevilla forderte das schon lange. Im Jahr 1390 folgte das Volk der Forderung und zerstörte tatsächlich Synagogen.

Ja, wäre allerdings zum einen zu hinterfragen, inwiefern die Bevölkerung dort gewalttätig wurde, weil der Erzdiakon das forderte oder inwieweit das andere Gründe hatte.
Dann wäre auch zu hinterfragen, was Vorfälle in Andalusien 100 Jahre vor Luther in irgendeiner Form mit Luther zu tun haben.
Wenn du damit postulieren wolltest, dass Luther dieses Beispiel haben kennen und daher mögliche Konsequenzen sehen müssen, würde ich dir sagen, dass das eine ziemlich steile These wäre, denn was wusste Luther von Andalusien? Das lag nun wirklich außerhalb seines Wirkungsbereiches.

Das er in Aufzeichnungen/Chroniken mal irgendetwas über Pogrome im Deutschsprachigen Raum erfahren haben mag, würde ich nicht ausschließen wollen, auch nicht, dass er möglicherweise von der Vertreibung der "Conversos" auf der iberischen Halbinsel etwas mitbekomen haben mag, zumal es viele Juden und "Conversos" von der iberischen Halbinsel nach Italien verschlug, dass es durch seine Rom-Reise ja durchaus mindestens oberflächlich kennenlernte.
Aber Luther mit irgendwas in Verbindung bringen zu wollen, dass 100 Jahre vor seiner Zeit in einer Region vorgefallen war, die sich eher außerhalb seines Horizonts bewegt haben dürfte, das halte ich für gewagt.

Man wird Luther dafür kritisieren müssen, dass seine Hetzreden sicherlich grundsätzlich geeignet waren so etwas zu provozieren, wenn die Stimmung in der Bevölkerung gerade dem entsprach.

Eben, das Volk glaubte damals nicht an Konversion – und 400 Jahre später auch nicht; deswegen war es eine leichte Beute für die Nazis.

Du triffst mir sehr häufig sehr übereilte Urteile dafüber, das "das Volk" so glaubte oder nicht.
Das es Fälle gab, in denen man den Konvertiten die Ernsthaftigkeit ihres Entschlusses nicht abnahm, bedeutet zum einen weder, dass ein solcher Verdacht generell unbegründet gewesen wäre (wie viele christliche Potentaten konvertierten später zur jeweils anderen Konfession, nur um in bestimmten Gegenden als Herrscher anerkannt zu werden), noch belegt das in irgendeiner Weise, das Konvertiten einem Generalverdacht ausgesetzt gewesen wären.

Insofern behauptest du mal wieder etwas, was du an dieser Stelle bisher nicht belegen konntest um darauf abenteuerliche Schlussfolgerungen zu konstruieren.
Das ist in dieser Form nicht überzeugend.

Im 19. Jahrhundert hat man noch zu Söhnen und Enkeln von Konvertiten Jude gesagt – siehe z.B. Richard Wagner
Verzeihung, der dezidierte Antisemit Richard Wagner war nun nicht unbedingt die Mehrheitsgesellschaft.

De facto wurden im 19. Jahrhundert Konvertiten und ihren Nachkommen in der Regel keine Steine etwa im Hinblick auf die höhere Bildung in den Weg gelegt, de facto lässt auch die Anzahl der ehelichen Verbindungen zwischen Konvertiten und Personen deren Familien bereits seit längerer Zeit einer christlichen Konfession angehörten eher nicht darauf schließen, dass Konversion vor dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in breiteren Kreisen der Bevölkerung grundsätzlich nicht anerkannt worden wäre.
 
Zuletzt bearbeitet:
Luther hat sie gleichermaßen als teuflisch bezeichnet. Die antikatholische wie auch antiprotestantische Propaganda fand im 16. Jhdt. große Verbreitung.
Ja. Und weil sie den Papst und die römische Kurie nicht habhaft werden konnten, haben sie ihren Hass an Bildern und Statuen ausgelassen – die reformatorischen Bilderstürmer haben ordentliche Arbeit geliefert, so dass wir heute nur noch bedauern können, was damals unwiederbringlich zugrunde ging.

Die Wahrnehmung der jüdischen Geschichte als eine 2000jährige Verfolgungsgeschichte ist schlicht falsch. Vor dem 11. Jhdt. gab es - mit Ausnahme westgotischer Gesetzgebung - keine nennenswerte Judenverfolgung im christlichen Europa.
War nicht ein Bischof, der schon im Jahr 160 erklärt hatte, die Juden seien Jesusmörder? Ach ja, ich habe selbst den Link dazu geliefert, wo u.a. steht – Zitat:

Der Begriff entstand im Jahr 160 aufgrund der Aussage des Bischofs Melito von Sardes: „Gott ist ermordet worden.“[1]

Dieser Schuldvorwurf ist ein zentrales Stereotyp des christlichen Antijudaismus. Damit begründete die Kirche seit dem 2. Jahrhundert die religiöse „Verwerfung“ und „Enterbung“ des Judentums (Substitutionstheologie) und rechtfertigte die soziale Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung jüdischer Minderheiten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Das in der Volksfrömmigkeit verankerte Bild der Juden als „Volk der Gottesmörder“ trug wesentlich dazu bei, dass Judenfeindlichkeit ein „kultureller Code“ der Geschichte Europas wurde.[2] Der Gottesmordvorwurf begünstigte den seit etwa 1860 entstandenen modernen Antisemitismus, trug zu „akuten Formen der Komplizenschaft“ der Großkirchen mit dem Nationalsozialismus bei[3] und ermöglichte es mit, dass der Holocaust überwiegend von christlich getauften Tätern ausgeführt wurde.[4]

Die Kirchen haben die Gottesmordthese und weitere damit verknüpfte antijudaistische Stereotype seit 1945 allmählich als Irrtum und Schuld erkannt und sind öffentlich davon abgerückt (siehe Kirchen und Judentum nach 1945).

Erst nach 1945, also nach dem Holocaust, sind die Kirchen allmählich davon abgerückt, die Kollektivschuld am Tod Jesu den Juden zuzuschreiben. Ist auch verständlich, denn sonst müssten sich Christen selbst die Kollektivschuld für Holocaust zuschreiben oder zuschreiben lassen.

Ein Kleriker von Hof Ludwigs des Frommen könnte sogar zum Judentum konvertieren.
(…)
Während England die Juden im 13. Jhdt. auswies, machte Spanien das 1492 (nach hässlichen Judenpogromen seit Ende des 14. Jhdts., nichtsdestotrotz konnte Alonso de Cartagena, Sohn eines Rabbis, Bischof werden).
Das sind Ausnahmen, mit denen dir nicht gelingen wird, den tausendfachen Mord und Vertreibungen schön zu reden.

Die Judenverfolgung hatte sowohl regionale als auch zeitliche Schwerpunkte. Eine Wahrnehmung der jüdischen Geschichte und Europa als die eines permanenten Verfolgungsdrucks ist falsch.
Ja, natürlich, denn nachdem man in einer Stadt Juden getötet oder vertrieben hatte, war niemand mehr da, gegen den sich ihr Judenhass richten könnte. Bis ein Fürst eine paar Generationen später wieder Geld brauchte und die Ansiedlung von Juden erlaubte - selbstverständlich gegen Geld und unter strengen Auflagen; dann ging es bald von Neuem los. Dabei half die Kirche nach Kräften mit, die Judensäue sind nicht von ungefähr an Kirchenmauern angebracht und nicht oder weniger an Ratshäusern.

Auch diesen Einwand von dir werte ich als Versuch, die Geschichte Europas in Bezug auf Juden milder zu sehen als sie tatsächlich war.
 
1540er

„Um die Osterzeit 1540 wurde im Dorfe Sappenfeld bei Eichstätt der 3½ Jahre alter Knabe eines Bauern ermordet.“
Die „Volksstimme“ bezichtigte Juden eines nahen Ortes des Ritual-Mordes.
Die Beschuldigten werden nach Eichstätt (katholisch nehm ich an) verbracht wo sich einem „Gottesurteil“ stellen sollten.
Dort findet sich auch die Leiche des Opfers von welcher man erwartet, dass sie im Angesicht der Juden bluten müsse.
Und die Beschuldigten legen überraschend eine Schrift des evangelischen Theologen Andreas Osiander von Nürnberg* zu ihrer Verteidigung vor.
Dieser legt recht plausibel dar, dass jüdischer Ritualmord an Christen eine unsinnige Vorstellung sei.
Das war ursprünglich nicht für die Veröffentlichung gedacht, fand aber seinen Weg.
Die Angeklagten werden in die Freiheit entlassen 1)

Dieses entlastende Gutachten des Osiander ruft den katholischen Theologen Johannes Eck auf den Plan. (Dieser hat seit Jahrzehnten theologischen Austausch und auch Streit mit Luther.)
1541 verfasst er eine Gegenschrift. Die Ritual-Morde der Juden seien Tatsache und der Osiander ein gekaufter Lump der Juden, usw. Doch geht er nicht soweit die Misshandlung der Juden pauschal zu fordern, sondern ihr Verhalten zum Maßstab zu machen. 2)

1543 haut der Luther sein „Von Juden und ihren Lügen“ auf das Parkett. 3)

Und geht dabei deutlich über Eck hinaus. Er fordert Brandstiftung, Vertreibung, Enteignung, Schändung und das Ttilgen jedes Angedenkens der Juden.
Noch 20 Jahre vorher meinte Luther die Juden bekehren zu können. Er bot den Übertritt zum protestantischen Glauben, was die katholische Kirche nicht, oder nur ausnahmsweise, gwährte.
„ bot den Juden erstmals seit Jahrhunderten einen Zugang zum Christusbekenntnis, wie er
unter dem Papsttum undenkbar gewesen war.“4)

.. das ist nur ein Versuch ein paar Puzzlesteinchen zur Zeit Luthers und seiner Position darin zu finden.

............

1) https://ia600209.us.archive.org/18/items/schriftberdiebl00stergoog/schriftberdiebl00stergoog.pdf

2) Regius Bäumer – Die Juden im Urteil von Johannes Eck und Martin Luther – Münchner Theologische Zeitschrift 1983, Heft 4. (Kann man finden, konnte ich aber leider nicht sinnvoll verlinken)

3)https://www.pthu.nl/Over-PThU/Organ...on-den-juden-und-ihren-luegen-wa-53-417ff.pdf

4)https://www.luther2017.de/fileadmin...trag_Kaufmann_Thomas_luther_und_die_juden.pdf


*Nürnberg hat ab 1498 keine jüdische Bevölkerung mehr, was der „Humanist“ Celtis zu dieser Zeit in der „Norimberga“ als tolle Sache anpreist und auch sonst die Grausamkeit der Nürnberger Patrizier zustimmend hervorhebt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja. Und weil sie den Papst und die römische Kurie nicht habhaft werden konnten, haben sie ihren Hass an Bildern und Statuen ausgelassen – die reformatorischen Bilderstürmer haben ordentliche Arbeit geliefert, so dass wir heute nur noch bedauern können, was damals unwiederbringlich zugrunde ging.
Da scherst du jetzt alle reformatorischen Gruppen der Reformationszeit über einen Kamm. Es war auch nicht der „Hass auf den Papst und die Kurie“, sondern sola scriptura, sola fide, sola gratia und solus Christus - die Schrift, der Glaube, die göttliche Gnade und Christus welche Erlösung schaffen konnten, keine Vermittler, keine Sakramente.

War nicht ein Bischof, der schon im Jahr 160 erklärt hatte, die Juden seien Jesusmörder?
Und trotzdem hat es vor dem 11. Jhdt. keine nennenswerte Judenverfolgung gegeben.

Das sind Ausnahmen, mit denen dir nicht gelingen wird, den tausendfachen Mord und Vertreibungen schön zu reden.
Ich habe nichts dergleichen getan und das solltest du mir auch nicht unterstellen.

Wenn es in Europa über 1700 Jahre permanenten Verfolgungsdruck gegeben hätte, dann hätte das Judentum in Europa bereits die Christianisierung nicht überlebt.
Wenn du es logisch betrachtest, wirst du das auch einsehen - dass es keine permanente Verfolgung gab: Die Nazis haben 6 Millionen Juden umgebracht. Wo kamen die her, wenn die Juden in Europa permanent nur verfolgt wurden?

Weil du antijudaistische Darstellungen an Kirchen als Beleg für immerwährenden, gleichbleibenden christlichen Antijudaismus darstellst:
Diese sind vor allem der Gotik zuzuordnen. Die Gegenüberstellung von hellsichtigen Ecclesia und blickverschleierten Synagoga mit gebrochenem Stab kommt im 12., die Judensauen im 13. Jhdt. auf.

Das deckt sich im Übrigen mit dem, was ich schrieb:
Die Judenverfolgung hatte ihre Hochphasen in der frühen Kreuzzugszeit und ab dem 13. Jhdt. Während England die Juden im 13. Jhdt. auswies, machte Spanien das 1492 (nach hässlichen Judenpogromen seit Ende des 14. Jhdts., […]
Die Judenverfolgung hatte sowohl regionale als auch zeitliche Schwerpunkte. Eine Wahrnehmung der jüdischen Geschichte und Europa als die eines permanenten Verfolgungsdrucks ist falsch.
 
Auch diesen Einwand von dir werte ich als Versuch, die Geschichte Europas in Bezug auf Juden milder zu sehen als sie tatsächlich war.
Werte den Satz doch einfach als das, was er ist: die Feststellung, dass Judenverfolgung nicht 1700 Jahre lang permanent an der Tagesordnung war, sondern jedes Mal auf’s Neue ein Zivilisationsbruch (und nebenbei auch ein Bruch der christlichen Gebote!).
Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, dass den Juden einerseits der Zugang zu „ehrlichen“ Berufen verwehrt war (Kein Zutritt zu Zünften, kein Landbesitz), und ihnen dann, nachdem man ihnen quasi den Geldhandel aufgezwungen hatte, zum Vorwurf machte, dass sie von Geldverleih und Handel leben mussten (woraus sich später dann bis heute wirkmächtige rassistische Stereotype entwickelten). Das ändert aber nichts daran, dass sie eine wichtige Funktion im Wirtschaftsleben einnahmen, die Christen lange nicht einnehmen durften, wohingegen ihnen ja die Berufe für die Christen weitgehend verwehrt wahren.
 
Das sind Ausnahmen, mit denen dir nicht gelingen wird, den tausendfachen Mord und Vertreibungen schön zu reden.

Das geht nun ganz ehrlich ein wenig zu weit.
Weder El Quijote noch sonst irgendjemand in diesem Faden, hat hier den Versuch unternommen überlieferte Pogrome und Vertreibungen in irgendeiner Form schön zu reden.

Du bist lediglich darauf hingewiesen worden, dass das Fehlen von Überlieferungen entsprechender Ereignisse vor dem 11. Jahrhundert und ansonsten das Regionale, wie zeitliche Auftreten des Phänomens gegen deine Vorstellung einer permanenten Verfolgung sprechen.
Dieser Hinweis hat seine Berechtigung.

Erst nach 1945, also nach dem Holocaust, sind die Kirchen allmählich davon abgerückt, die Kollektivschuld am Tod Jesu den Juden zuzuschreiben. Ist auch verständlich, denn sonst müssten sich Christen selbst die Kollektivschuld für Holocaust zuschreiben oder zuschreiben lassen.

Letzteres ist schonmal völliger Unfug. Insofern die Nazis sich für die Theologie nicht wirklich interessierten, sondern für ihr Mordprogramm eine pseudobiologisch-rassistische Rechtfertigung und Begründung aufboten, sind die theologischen Lehrsätze der Kirchen in Sachen Holocaust außen vor.
Die waren weder entscheidend für die Planung noch (soweit es sich beobachten lässt) für die Durchführung dieses Verbrechens.
Insofern von dem nationalsozialistischen Mordprogramm auch Katholiken und Protestanten betroffen waren, die lediglich jüdische Vorfahren hatten, sich selbst aber nie zum Judentum bekannten, lässt sich dieses Verbrechen aus keinem lutherischen Lehrsatz und aus keinem Beschluss der Kurie, keiner Ex-Cathedra-Entscheidung der Päpste, keinem Konzilbeschluss, keinem älteren päpstlichen Dekret, Hirtenbrief und keiner theologischen Schrift, herleiten, sondern dass lief wirklich jeder noch so kruden christlich-theologischen Auffassung zuwider.

Was die Kollektivschuld-Behauptung angeht, wäre sich anzuschauen, wie verbreitet die im 18. und 19. Jahrhundert de facto noch war.
Sie dürfte jedenfalls von theologischer Seite her deutlich früher als 1945 durchaus kritisch betrachtet worden sein.

Das sind Ausnahmen,
Den Rest der Einlassung hatte ich ja bereits thematisiert, jetzt hierzu:

Selbst wenn es sich um Ausnahmefälle handelt, gehören diese Ausnahmefälle zur Betrachtung und haben berücksichtigt zu werden, sind aber nicht auszulassen.

Du selber argumentieerst hier laufend mit abseitigen Einlassungen von einzelnen Funktionsträgern der Kirchen, die in keinem direkt fassbaren Zusammenhang zu tatsächlichen Pogrom-Ereignissen stehen.

Du gräbst auf den Hinweis, dass sich vor dem 11. Jahrhundert keine Pogrome fassen lassen, einen Bischof aus dem 2. Jahrhundert aus, dessen Einlassung du mal eben als ständige Position der Kirchen bis 1945 hinstellst (mit welcher Berechtigung eigentlich? Welche Befugnisse hatte nämlicher Bischof verbindliche Lehren für die ganze Kirche festzulegen und wo genau ist das kodifizieert und kanonisiert?) und versuchst den Einwand damit vom Tisch zu wischen.

@El Quijote hat sich an dieser Stelle weiter vorgewagt, als ich das tun würde, wenn er schreibt, dass es bis zum 11. Jahrhundert keine nennenswerte Judenverfolgung durch die Kirche(n) oder das Christentum gegeben habe.
Ich würde mich wegen der streckenweise eher schlechten Quellenlage in der Spätantike und dem Frühmittelalter nicht darauf kaprizieren wollen, dass es das definitiv nicht gegeben habe, aber es scheint jedenfalls quellenmäßig nicht fassbar zu sein.

An dieser Stelle wäre es als Postulant einer dauerhaften raumgreifenden Verfolgung an dir hier konkrete Nachweise zu liefern.

Das gilt auch für diverse andere Behauptungen, die du hier aufgestellt hast.

Du vermutest regelmäßig Kausalzusammenhänge zwischen in Teilen eher abseitigen Schriften und Lehren und Pogromereignissen, lieferst dafür zum Teil aber eben keine überzeugenden Hinweise, die eine solche Kausalität nahelegen würden.
Du kannst weitgehend nicht einmal belegen, dass die handelnden Personen die Schriften und Sätze, auf die du dich beziehst überhaupt kannten und dementsprechend danach hätten handeln können.

Freundlich gesagt, dass bringt so nichts.
Das unter x Millionen Menschen auf diesem Planeten über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten mal zwei oder mehr Menschen die gleiche oder ähnliche Ideen haben, ohne explizite Kenntnis vom Anderen zu haben, ist nun wirklich mehr als wahrscheinlich.
Gäbe es enge zeitliche und räumliche Zusammenhänge, zwischen den entsprechenden Thesen und damit gegebenenfalls korrespondierenden Ereignissen, ließe sich das vielleicht noch mit einiger Plausibilität als Vermutung anführen, aber unter diesen Umständen bräuchte es schon etwas stichhaltigere Argumente.

Ja, natürlich, denn nachdem man in einer Stadt Juden getötet oder vertrieben hatte, war niemand mehr da, gegen den sich ihr Judenhass richten könnte.
Hass setzt also die reale physische Anwesenheit eines Feindbildes voraus?

Darf ich dann dieser Einlassung nach davon ausgehen, dass du der Meinung bist, Hexen, Werwölfe und Widergänger seinen reale Phänomene? Immerhin sind Ängste, Hass und zu weilen tätliche Konsequenzen in dieser Hinsicht ja gut dokumentiert.

Dabei half die Kirche nach Kräften mit, die Judensäue sind nicht von ungefähr an Kirchenmauern angebracht und nicht oder weniger an Ratshäusern.

Ja, das bedeutet aber durchaus nicht, dass sie unbedingt auf kirchliches Betrieben dort angebracht wurden, denn Stiftungen/Schenkungen, Erweiterungsbauten Ausstattungen und Kunstwerke weltlicher Würdenträger an die Kirche sind ja keine Seltenheit gewesen, insofern müsste man sich im Einzelfall ansehen, auf wessen Betreiben diese Plastiken dort angebracht wurden.
 
Das ändert aber nichts daran, dass sie eine wichtige Funktion im Wirtschaftsleben einnahmen, die Christen lange nicht einnehmen durften

Wie sieht es damit eigentlich praktisch aus?
Natürlich gab es theoretisch das christlich begründete Zinsverbot, letztendlich war die Zeit Luthers aber auch die Zeit der Fugger und der Medici, so dass es erscheint, als wäre das in praxi zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst überholt gewesen, abgesehen von der Möglichkeit das dezidierte Zinsverbot durch allerhand Kunstgriffe zu umgehen (Vermittlungsgebühr für einen Kredit, Gebühr für das Bereitstellen von Zahlungsmitteln, Gebühr für die Dienstleistung des Entleihens, Gebühr für das Ausstellen entsprechender Urkunden, ggf. versteckte Profitmargen durch überhöhte Wechselkurse, falls ein Kredit in Fremdwährung benötigt wurde oder getilgt werden sollte etc. etc. die Möglichkeiten ohne Explizite Zinsen mit Gewinn Geldgeschäfte zu betreiben waren mit genügend Phantasie ja durchaus gegeben), wann änderte sich das eigentlich konkret dahingehend, dass Geldgeschäfte auch zunehmend in christliche Hände übergingen?

Würde mich einfach mal interessieren, weil mir da etwas die Vorstellung fehlt.
 
@Dion ich bin wirklich entsetzt! Das hier
Das sind Ausnahmen, mit denen dir nicht gelingen wird, den tausendfachen Mord und Vertreibungen schön zu reden.
ist eine extrem krasse Unterstellung.
@El Quijote hat in keinem seiner Beiträge "tausendfachen Mord und Vertreibungen" schön geredet oder verharmlost. Ich will annehmen, dass dir das im Eifer des Wortgefechts rausgerutscht ist und nicht wirklich wörtlich gemeint ist.
 
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