Konfession, Antisemitismus und NS

Interessanter Themenstrang. In der Gesamtschau scheinen mir @Dions und @Hatls Argumente überzeugend, die Luther eine Rolle als Wegbereiter des Holocaust zuschreiben. Dazu könnte auch passen, dass bspw. die calvinistisch geprägten Niederlande oder das anglikanische England niemals in denselben antisemitischen Sumpf abglitten wie Deutschland, und insbesondere dessen lutherische Regionen.

Demgegenüber war Antisemitismus in katholischen Gebieten ein relativ gleichmäßiges Phänomen, auch über Deutschland hinaus; man denke nur an Frankreich, Polen und Wallonien. Wenn ich aber auch an einen Einfluss von Luthers Äußerungen über das Judentum glaube, halte ich ihn für kaum quantifizierbar nach damals gut 400 Jahren Reformation. Zu viele Weichenstellungen geschahen dazwischen.

Durchdringender und verhängnisvoller – weil womöglich überkonfessionell prägender – könnte sich Luthers Wirken dahingehend erwiesen haben, als er einer dem Staat unterstehenden Kirche das Wort redete, und die Gläubigen schon in frühen Predigten aufrief, der Obrigkeit zu gehorchen. Matthäus 22:21 räumte er zeitlebens große Bedeutung ein, natürlich nicht zuletzt deshalb, da er seine Lehre unter den Schutz der (keineswegs immer selbstlos oder gar theologisch motivierten) Fürsten gestellt hatte.

Clark schlägt eine direkte Verbindung zwischen Luthers Wirken und dem preußischen Obrigkeitsstaat vor, der den Holocaust zumindest möglich gemacht hat. Ihm zufolge war einer der Schlüsselmomente auf dem Weg in den Massenmord – ein Weg, den Luther freilich keineswegs begonnen hatte – der Kulturkampf, im Zuge dessen der "ultramontane" Katholizismus in den Ruf der Illoyalität geriet und bedeutende Teile der katholischen Bevölkerung eine emotionale Entfremdung zu empfinden begangen.

Demnach hätte Bismarck in letzter Konsequenz unabsichtlich die Lutheraner den Nazis zumindest etwas näher gebracht, und die Katholiken zumindest etwas von ihnen entfremdet. Dazu passen nicht nur die erwähnten, von Falter et. al. herausgestellten Wahlergebnisse, sondern auch die Beobachtung, dass katholische Kleriker und Gläubige sich eher oppositionell betätigten als lutherische, und von den Nazis wohl auch härter angefasst wurden.
 
Dazu könnte auch passen, dass bspw. die calvinistisch geprägten Niederlande oder das anglikanische England niemals in denselben antisemitischen Sumpf abglitten wie Deutschland
Wie passen dazu Dänemark, Norwegen und Schweden mit ihren lutherischen Staatskirchen?

Interessanter Themenstrang. In der Gesamtschau scheinen mir @Dions und @Hatls Argumente überzeugend
Welche Argumente hältst Du für stichhaltig?
 
(...)Demnach hätte Bismarck in letzter Konsequenz unabsichtlich die Lutheraner den Nazis zumindest etwas näher gebracht, und die Katholiken zumindest etwas von ihnen entfremdet.(...)
@muck gehen wir von der Konkurrenz der Konfessionen aus, so wundert mich, dass der Katholizismus das, was du beschreibst, nicht verwendet: ein historischer Nachweis, dass Luther und die Lutheraner etc die Brutstätte des Naziterrors sind, müsste doch Wasser auf die vatikanischen Mühlen sein. Aber ich finde katholischerseits nirgendwo als Argument gegen den Ketzer Luther und seine Nachfolger, also die evangelische Kirche, "geht nicht zu denen, sie sind Praenazis". Lässt sich der Vatikan was entgehen oder bemerkt er dieses Diskreditierungsargument nicht oder ist nichts dran an so einer Argumentation?
 
Ich zitiere, was ich für wichtig halte
Du hast ausgelassen, was dir nicht passte um die Aussage des Zitats in deinem Sinne abzuändern. Sauberes Arbeiten ist was anderes.

Du bist doch der Meister im Kontextweglassen
Das steht dir, nachdem man dich gerade (einmal mehr) dabei erwischt hatte, nicht gut an.

„hat beendet zu werden“ bedeutet: „identifikatorischen Umgangsweise mit ihm“ war für Hoffmann noch nicht beendet. Das war 2013, d.h. vor den 500-Feierlichkeiten und bevor Margot Käßmann sich dafür aussprach, die dunkle Seite Luthers nicht mehr zu verstecken.

"Hat beendet zu werden", bedeutet, der Autor ist der Meinung, dass solche identifikatorischen Umgangsweisen noch anzutreffen seien, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass diese bei der Mehrheit der Angehörigen der evangelischen Kirche oder in der Selbstdarstellung der evangelischen Kirchen regelmäßig anzutreffen seien.

Es ist 2017 im Rahmen der 500-Jahre-Feierlichkeiten schon einiges getan worden, obwohl es Widerstände innerhalb der EKD gab.
Es ist auch vor dem schon einiges passisert, wie dir bereits aufgezeigt worden ist, deine Weigerung das zur Kenntnis zu nehmen ändert nichts an diesem Umstand.

Es wird auch zugegeben, dass Luthers antijüdische Schriften eine bedeutende Rolle spielten, als es den Nazis darum ging, weite Teile des christlichen Deutschlands für sich zu gewinnen
Und dafür würde ich nach wie vor gerne den Nachweis sehen. Hier wäre zu beweisen, dass das ausgraben dieser Schriften tatsächlich eine irgendwie messbare Wirkung im Hinblick auf die Salonfähigkeit des Antisemitismus gehabt hat.
Wo sind die entsprechenden Studien, die das belegen?

Der Umstand, dass es außerhalb deiner Vorstellungswelt liegt, dass Angehörige einer christlichen Kirche nicht unbedingt alles für bare Münze nehmen, nur weil es von Luther oder aus Rom kommt, ersätzt diesen Nachweis nicht.

Das, mein lieber @Scorpio, wird zumindest @Shinigami so nicht stehen lassen. Es sei denn, er vergisst, was er bisher in dieser Sache gesagt hat. :D

Ich habe an @Scorpio s Ausführung so überhaupt nichts auszusetzen und wüsste auch nicht, wo das im Widerspruch zu meinen Äußerungen hier oder anderswo stehen sollte.
Ich weiß ja nicht, was du aus meinen Äußerungen herausgelesen haben willst.

Ich habe nirgendwo behauptet, die evangelischen Kirchen wären ein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus gewesen oder das sie nicht in Teilen dem Nationalsozialismus durchaus freundlich gegenübergestanden hätten, dass es Schnittmengen (z.B. den Antimarxismus/Antikommunismus) gab, das die evangelischen Kirchen auf besonders demokratischem Boden gestanden hätten, es in der bekennenden Kirche keinen Antisemitismus gegeben hätte oder dass die Protestanten unterdurchschnittlich NSDAP gewählt hätten.

Ich fasse nochmal meine Standpunkte für dich zusammen, da du Schwierigkeiten zu haben scheinst sie zu verstehen.
Ich habe behauptet:

1. Das Luthers Antijudaismus eine grundsätzlich andere Qualität hatte, als der Antisemitismus der Nazis. Warum habe ich x-mal ausgeführt und werde ich hier nicht widerholen.
2. Das dementsprechend eine direkte Kontinuität Luther-Hitler nicht besteht, weil es sich um zwei recht verschiedene Ideenwelten handelt und keine direkte Auswirkung Luthers auf die Entstehung der NS-Ideologie nachweisbar sind.
3. Das der Umstand dass die Protestanten im Besonderen im ländlichen Osten und Norden überdruchschnittlich NSDAP wählten nicht zwangsläufig auf ein Korrespondieren von Nationalsozialistischer Ideologie und Luthertum hindeutet, da auch andere Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben könnten. (Das ist im Übrigen die Widergabe einer Einschätzung die Falter selbst in seiner Studie zu Hitlers wählerschaft geäußert hatte, ich habe das Buch leider gerade nicht zur Hand, falls Angabe der Seitenzahl gewünscht, müsste ich mir etwas Zeit erbitten um das in der Bibilithek auszugraben).
4. Das es gute Gründe gibt zu bezweifeln, dass in den 1920er und Anfang der 1930er Jahre luthers judenfeindliche Einlassungen in der Bevölkerung so präsent waren, dass das in irgendeiner Form für Hitler instrumentalisierbar gewesen wäre um an die Macht zu kommen.
5. Das die Behauptung, die lutherischen Pfarrer hätten die Bevölkerung regelmäßig mit Luthers antijüdischen Einlassungen beschallt jeder Grundlage entbehrt und warum dies unwahrscheinlich erscheint.
6. Das sich aus dem Umstand, dass die Nazis diese Schriften in den 1930er Jahren nachdrucken ließen, nicht beweisen lässt, das dass im Hinblick auf die Bereitschaft der Bevölkerung die Nazis und ihr Handeln zu akzeptieren irgendwelche signifikanten Auswirkungen hatte.
7. Das ein Beitritt in die NSDAP nicht gleichbedeutend mit einem Aktivismus für diese Partei war und sich aus dem Umstand, dass bis zu 20% der lutherischen Pfarrer bis 1945 der NSDAP beitraten, nicht automatisch ableiten lässt, dass sie sich auf Grund dessen als williges Sprachrohr für den Antisemitismus der Nazis einspannen ließen.

Das sind im wesentlichen in der jüngeren Unterhaltung meine Kernthesen gewesen und von denen steht keine in signifikanntem Widerspruch zu dem, was Scorpio geschrieben hat.
Auch meine früheren Einlassungen in diesem Faden stehen damit nicht im grundsätzlichen Widerspruch.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Sepiola
Schweden war bis nach dem Weltkrieg durchaus nicht ohne nennenswerte faschistische antisemitische Präsenz; Dänemark war ein Hotspot der Hep-Hep-Krawalle. Historischer Antisemitismus ist in beiden Ländern verbürgt. Aber ich schrieb ja im Weiteren, dass ich diesen Gedankengang für recht akademisch halte, weil es kaum möglich sein dürfte, den Einfluss von Luthers antijudaischen Einlassungen zu messen. In summa halte ich ihn für vernachlässigbar, zumal es meines Erachtens interessantere und relevantere Erklärungsansätze geben könnte, wie eben den mutmaßlich von Luther vorbereiteten preußischen Obrigkeitsstaat, der seinen Bürgern das kritische Nachfragen abgewöhnt.

@dekumatland
Bezieht sich Deine Nachfrage auf die heutige Zeit oder die sterbende Weimarer Republik? Heute ist die Antwort meiner Meinung nach klar: Der Geist der Ökumene verbietet Schuldzuweisungen, außerdem hat die katholische Kirche sich 1933-1945 auch nicht mit Ruhm bekleckert.

In der Vorbereitungsphase des Holocaust hingegen dürfte die antibolschewistische Stoßrichtung der Nazis zu einem Stillhalten v.a. der Amtskirche geführt haben; später überwog womöglich das Appeasement. Auch wenn @Dion hier anderer Meinung sein dürfte, ich kaufe es dem Vatikan und den nicht korrumpierten deutschen Bischöfen wie von Galen durchaus ab, dass die katholische Kirche während der NS-Zeit in bedeutendem Maße von der Angst gelähmt war, die Nazis zu verärgern und deutsche Katholiken zusätzlichen Repressalien auszusetzen.

Diese Priorisierung mag man für verwerflich halten, zumal mutige Kleriker wie eben Galen durchaus offene Kritik übten und halfen, wo sie nur konnten. Nur ist mein Menschenbild wohl pragmatischer als z.B. das von @Dion. Wenn Widerstand gegen das Böse einfach und naheliegend wäre, dann hätte es Hitler, Stalin, Mao und all die anderen Massenmörder nie gegeben.
 
Bezieht sich Deine Nachfrage auf die heutige Zeit oder die sterbende Weimarer Republik?
Meine Frage bezieht sich mehr auf die Zeit nach 1945 und auf diese Diskussion hier, wobei der Kontext (Titel des Fadens samt historischer Entwicklungen) nicht weggeblendet sein soll. Heuer bei eklatantem Schäfchenschwund und eingedenk der Konkurrenz zwischen den Konfessionen würde mich wundern, wenn auf populäre (oder soll ich sagen populistische?) Argumentationsfundorte verzichtet wird. Dass der Konfessionszwist immer mal wieder zu scharfer Wortwahl führte, ist ja nicht unbekannt.
 
Clark schlägt eine direkte Verbindung zwischen Luthers Wirken und dem preußischen Obrigkeitsstaat vor, der den Holocaust zumindest möglich gemacht hat. Ihm zufolge war einer der Schlüsselmomente auf dem Weg in den Massenmord – ein Weg, den Luther freilich keineswegs begonnen hatte – der Kulturkampf, im Zuge dessen der "ultramontane" Katholizismus in den Ruf der Illoyalität geriet und bedeutende Teile der katholischen Bevölkerung eine emotionale Entfremdung zu empfinden begangen.

Das Problem was ich mit dem Modell Obrigkeisstaat in diesem Sinne sehe, ist dass die brandenburgisch-preußischen Landesherren zeitweise ja überhaupt keine Luteraner sondern Calvinisten waren.
Wäre die lutherische Landeskirche also tatsächlich so sehr darauf geeicht gewesen den Anschaungen und Anordnungen der Obrigkeit zu folgen, hätte sie als Resultat aus diesem Grundkonflikt ihre Selbstauflösung beschließen müssen.
 
@dekumatland
Ich glaube nicht, dass die katholische Kirche in der Nachkriegszeit in der Position war, auf das Luthertum mit Fingern zu zeigen, oder sich davon etwas hätte versprechen können.

@Shinigami
Clark bezieht sich wohl auf die Zeit seit der Reichsgründung.
 
Clark bezieht sich wohl auf die Zeit seit der Reichsgründung.

Aber das ändert doch nichts an der Problematik.
Konnten die lutherischen Kirchen in Deutschland den nominellen Katholiken Hitler so ohne weiteres als Obrigkeit anerkennen, der in jedem Fall Folge zu leisten war, ohne sich inhaltlich vollkommen selbst zu verleugnen?

Die lutherische Vorstellung einer Verpflichtung der Gläubigen auf die weltliche Obrigkeit, der die Landeskirche das Wort zu reden habe, konnte doch nur dann funktionieren, wenn die Grundanschauungen dieser Obrigkeit mit denen der Landeskirche übereinstimmten.
Sonst musste sie ja ihre Gläubigen im Konfliktfall zur Missachtung der eigenen Kirchlichen Anschauungen und Regeln auffordern und sich damit selbst delegitimieren/zerstören.
 
Clark bezieht sich aber nicht auf die Person Hitlers. Er schlägt vor, dass Luthers Plädoyer für den gehorsamen Untertan eine quasi natürliche Obrigkeitsnähe in die DNA des deutschen Protestantismus eingebracht habe, die spätestens im Kulturkampf zur Obrigkeitshörigkeit entartet sei. Durch die preußische Dominanz in Deutschland sei in ganz Deutschland eine besonders unkritische Haltung zur Obrigkeit aufgekommen, sowie gerade im Militär und Staatsdienst ein Kadavergehorsam. Diese Annahme passt auch zu den durchaus nicht rundheraus ins Reich der Apologien zu verweisenden Berichte vieler Offiziere und Staatsdiener, sie hätten sich auch gegen ihr Gewissen zum Gehorsam verpflichtet gefühlt. Uns heute mag dergleichen verwerflich vorkommen, wenn nicht sogar als Schutzbehauptung, aber das macht es nicht weniger real.
 
Die Problematik ist und bleibt aber doch die Gleiche.

Wenn wir unterstellen, dass die Protestanten Luther und seine Lehren als Leitinstanz anzuerkennen bereit waren ihr zu folgen, stößt das in dem Punkt an seine Grenzen, wo diese Lehre mit sich selbst in Widerspruch gerät.
Das Anhalten zu Gehorsam gegenüber der Obrigkeit mag Auswirkungen auf die Protestanten gegenüber den hohenzollernschen Herrscherhaus gehabt haben, sofern sich dessen Exponenten selbst auf die Grundlage des Luthertums stellten.
In dem Moment in dem die Obrigkeit aber nicht mehr auf dieser Grundlage stand, konnten die Lutheraner eine solche Obrigkeit vielleicht noch anerkennen mussten allerdings, wenn sie ihren Luther ernst nahmen hier auf der Einschränkung bestehen, dass die Obrigkeit nichts von ihnen verlangen durfte, was in irgendeiner Form mit den Grundsätzen des Luthertums brach.

Die Vorstellung der Obrigkeit in Gestalt des nominellen Katholiken Hitler bedingungslosen gehorsam im Zweifelsfall schuldig zu sein, hätte unabhängig davon, dass Hitler in diesem Sinne nicht tickte den Protestanten die Breitschaft abverlangt die Reformation rückgängig zu machen und Luther in Bausch und Bogen zu verwerfen, wenn die Obrigkeit dies verlangte.
Es musste aber jedem Lutheraner klar sein, dass Luther eine solche Form von Gehorsam, die beanspruchte alle Grundsätze seiner eigenen Lehre im Zweifelsfall zu verwerfen, niemals gemeint haben konnte.
 
Interessanter Themenstrang. In der Gesamtschau scheinen mir @Dions und @Hatls Argumente überzeugend, die Luther eine Rolle als Wegbereiter des Holocaust zuschreiben. Dazu könnte auch passen, dass bspw. die calvinistisch geprägten Niederlande oder das anglikanische England niemals in denselben antisemitischen Sumpf abglitten wie Deutschland, und insbesondere dessen lutherische Regionen.
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ad 1) ...dass die calvinistischen Niederlande oder das anglikanische England niemals in denselben antisemitischen Sumpf abglitten wie Deutschland.

Die Niederlande waren tatsächlich sehr tolerant, und es gab dort auch relativ große Judengemeinden. In GB lebten weitaus weniger Juden, als in den deutschen Ländern, und bei allen Restriktionen und Diskriminierungen gab es seit dem 4./5. Jahrhundert blühende jüdische Gemeinden, und es war die Sprache der Juden Deutsch. Man muss sich doch fragen, warum schrieb ein tschechischer Jude wie Kafka, ein galizischer wie Joseph Roth in deutscher Sprache.
Betrachtet man die Geschichte von ihrem Ende, so lassen sich einige deutsche Traditionslinien erkennen, die nach Auschwitz führten. Heine schrieb: Der Gedanke geht der Tat voraus wie der Blitz dem Donner. In der deutschen Geistesgeschichte gibt es so manche irrlichternde Geistesblitze- die im NS in die Tat umgesetzt wurden.
betrachtet man Geschichte mal nicht von ihrem Ende. Geht man von einer Momentaufnahme von Europa im Jahre 1900 aus und hätte man Zeitgenossen gefragt, wo sich so etwas Barbarisches wie Auschwitz hätte ereignen können, ich denke kaum jemand hätte damals zuerst an Deutschland gedacht. Es gab natürlich auch dort Antisemitismus, auch sehr aggressiven, aber er war nicht stärker ausgeprägt, als in GB oder F.
Man hätte zuerst an das Zarenreich gedacht, wo Pogrome immer noch alltäglich waren, man hätte vielleicht an die Donaumonarchie gedacht, mit Blick auf Leute wie Lueger Schönerer, Lanz von Liebenfels. Man hätte vielleicht an Frankreich gedacht, dass von der Dreyfus-Affäre zerrissen wurde. Deutschland hätte man da nicht sofort auf dem Schirm gehabt.

Dänemark und Schweden sind doch auch lutherisch. Beide haben ungefähr die gleiche demokratische Tradition, über Jahrhunderte auch die gleiche Geschichte. Die Juden Norwegens sind fast alle draufgegangen, in Dänemark gab es eines der wenigen Beispiele für erfolgreichen Widerstand. Der dänische König wollte den Judenstern tragen.
Es war aber auch die Lage 1943 in Dänemark eine andere, als 1944 in Norwegen.


2) ad Luther und der Holocaust

Es bleibt zumindest ein Faktum, dass sich selbst noch einer der widerlichsten Antisemiten-Julius Streicher- sich selbst noch bei den widerlichsten und verbrecherischsten Exzessen nicht ganz zu Unrecht darauf berufen konnte, dass er Luther lediglich beim Wort genommen habe, dass er in die Tat umgesetzt habe, was Luther in seinem Pamphlet von 1543 empfohlen hatte: Zerstörung von Synagogen, Zwangsarbeit für Juden ( sie sollen arbeiten im Schweiß der Nasen), "Primitivbauweise" wie Albert Speer gesagt hätte für Juden (Sie sollen in Ställen hausen), Vernichtung der heiligen Schriften, Vertreibung.
Man kann darüber streiten, ob sich Luthers Forderung Juden Zigeunern gleichzusetzen als Tötungsaufruf interpretiert werden kann. Jedenfalls waren Zigeuner vogelfrei, und sie durften theoretisch legal getötet werden, was immer wieder auch bis zu Beginn des 18. Jhds. vorkam.

Luther und seine Frau befürchteten ernsthaft von Juden vergiftet zu werden, und Luther hat im Mansfeldischen persönlich auf Juden-Vertreibungen hingearbeitet.

Das Pamphlet enthält jedenfalls pathologische Hasstiraden und kaum verhohlene Vernichtungsphantasien. Zu Luthers Lebzeiten ließen sich solche Forderungen nicht praktizieren. Ökonomisch nicht, technisch nicht, bürokratisch nicht, und nicht zuletzt auch nicht aus ethisch-theologischer Sicht. Luther widersprach sich im Übrigen selbst.

Wenn Luther auch keinen Antisemitismus begründet hat und auch nicht begründen musste-er war von Anfang an vorhanden, so hat er zumindest durch sein Ansehen Antisemitismus legitimiert und zitierfähig gemacht. Pogrome und Brandstiftung gegen Gotteshäuser ließen sich nicht rechtfertigen. Immerhin aber konnten selbst noch Brandstifter so rechtfertigen, denn man hatte ja nur Luther beim Wort genommen-das ist schon ein starkes Stück für einen Reformator und Theologen!

Andererseits aber gibt es doch schon eine ganze Menge, in dem sich der mittelalterliche Antijudaismus Luthers vom rassisch motivierten Antisemitismus unterscheidet:
-Luther argumentiert theologisch, nicht biologistisch
-Das "Judenproblem" ist ein theologisches, keines der Schädlingsbekämpfung.
-Durch Konversion können sich Juden gegen sie gerichteten Maßnahmen entziehen.

Der antisemitische Hofprediger Adolf Stöcker bezog sich bei seiner Agitation gegen Juden nicht auf Luther, obwohl ein Bezug auf Luther doch naheliegend gewesen wäre.

Bei der NS-Rassenlehre, bei der (pseudo)-wissenschaftlichen methodischen Grundlage der Maßnahmen gegen Juden spielte Luther als Vordenker" überhaupt keine Rolle. Er wurde allerdings immer wieder zitiert, und die Nazis versuchten, ihn als Bruder im Geiste und Apologeten des NS zu reklamieren, ähnlich wie sie das immer wieder auch mit Treitschke taten. "Die Juden sind unser Unglück" ist ein Zitat von Treitschke. Sieht man sich dann aber genauer Treitschkes Vorschläge zur Judenfrage an, merkt man, dass es immense Unterschiede gibt.

Der rassische Antisemitismus wie er sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte, nimmt Versatzstücke des alten Antijudaismus auf, er ist aber gar nicht vorstellbar ohne die großen Revolutionen: Die Französische, Industrielle und Russische Revolution, er war undenkbar ohne die Erkenntnisse der Medizin im 18. und 19. Jahrhundert: Entdeckung von Viren und Bakterien, Darwinismus, Mendelsche Regeln, Pathologie, Eugenik. Ohne diese Entwicklungen ist der NS überhaupt undenkbar.

Luthers Pamphlet von 1543 aber war keine Schrift, ohne die der NS sich nicht hätte entfalten und entwickeln können. Er war keine Conditio sine qua non, auch ohne Protestantismus, ohne Luther konnte sich der NS entwickeln. Unter dem was Hitler in Mein Kampf als sein "granitenes Fundament" bezeichnet, ist Luther nicht mal erwähnt, es brauchte sein widerliches Pamphlet nicht als Handlungsanweisung.

Der Protestantismus hat sicher in vielem dem NS den Weg geebnet, aber er gehörte nicht zu den Quellen woraus sich der NS speiste.
 
(@Shinigami das ist jetzt zwar aus dem Kontext gerissen, aber weil es in der Formulierung etwas schlagwortartiges hat, verwende ich es - was sich nicht gegen deine Darstellung richtet, wie gleich zu sehen ist)
Das Anhalten zu Gehorsam gegenüber der Obrigkeit
ist ist weder an irgendeine Konfession noch an irgendeine Zeit gebunden, sondern eine in allen organisierten Gesellschaften praktizierte Übereinkunft. Ganz allgemein gesagt: die Forderung, sich an Regeln zu halten, ist nicht per se verwerflich und ebnet auch nicht automatisch den Weg für allerlei Unrechtsregimes.
 
Deutschland hätte man da nicht sofort auf dem Schirm gehabt.
vielleicht doch, wenn man zuvor Urlaub in den Kaiserbädern (besonders Borkum) gemacht hätte (siehe Bäderantisemitismus) oder die frühen Stuttgarter Pogrome miterlebt hätte oder beim Urlaub in den Bergen unangenehme Fragen vom Alpenverein hätte beantworten müssen - - aber das hätte man auch als Ausnahmen und nicht als Regel um 1900 wahrnehmen können.

Allerdings kann ich nirgendwo erkennen, dass sich die schäbigen Stuttgarter Pogrome, die frühen "Ariernachweise" des Alpenvereins und der Bäderantisemitismus ganz speziell aus einer Konfession speisten oder sich auf Luther zurückführen ließen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es bleibt zumindest ein Faktum, dass sich selbst noch einer der widerlichsten Antisemiten-Julius Streicher- sich selbst noch bei den widerlichsten und verbrecherischsten Exzessen nicht ganz zu Unrecht darauf berufen konnte, dass er Luther lediglich beim Wort genommen habe, dass er in die Tat umgesetzt habe, was Luther in seinem Pamphlet von 1543 empfohlen hatte:

Die Frage ist, was dieses Faktum zu bedeuten hat. Streicher hat zeitlebens mit dem Protestantismus oder mit Luther nichts am Hut gehabt. Als er 1946 in Nürnberg vor Gericht stand, benutzte er allerdings Luther für seine durchsichtigen Ausflüchte:

DR. MARX: Gab es außer Ihrem Wochenblatt, insbesondere seit dem Machtantritt der Partei, noch andere Presseerzeugnisse in Deutschland, welche die Judenfrage in judengegnerischem Sinne behandelten?

STREICHER: Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir zum Beispiel ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde. In dem Buch »Die Juden und ihre Lügen« schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht, man solle ihre Synagogen niederbrennen, man soll sie vernichten...

DR. MARX: Herr Streicher! Das ist nicht meine Frage, ich ersuche Sie, meine Frage so zu beantworten, wie ich sie gestellt habe. Antworten Sie zunächst mit Ja oder Nein, ob es außer...

JUSTICE JACKSON: Ich möchte gegen diese Methode, auf Fragen durch Reden zu erwidern, ohne sie zu beantworten, Einspruch erheben. Wir sind völlig außerstande, in diesem Verfahren Einsprüche zu erheben, wenn die Erwiderungen keine Antworten auf die gestellten Fragen darstellen. In diesem Falle haben wir bereits durch Streichers eigenwillige Reden einen Angriff auf die Vereinigten Staaten zu hören bekommen, dessen Beantwortung, falls wir überhaupt darauf antworten wollten, eine Menge Beweismaterial benötigen würde. Es scheint mir absolut ungehörig, daß ein Zeuge etwas anderes tut, als die ihm gestellten Fragen zu beantworten; denn wir müssen verhindern, daß in diesem Verfahren Fragen erörtert werden, die mit dem Fall gar nichts zu tun haben. Um die Frage der Schuld oder Unschuld Streichers zu entscheiden, wird es dem Gerichtshof nichts nützen, sich mit Streitfragen zu befassen, die Streicher hier gegen uns erhoben hat – Dinge, die denkbar leicht zu erklären sind, wenn wir uns die Zeit dazu nähmen.
Es scheint mir angebracht, dem Zeugen eine Verwarnung zu erteilen, und zwar so, daß er vielleicht begreifen lernt, daß er Fragen zu beantworten und dann einzuhalten hat, so daß wir gegen Reden über unerhebliche Dinge rechtzeitig Einspruch erheben können.

VORSITZENDER: Dr. Marx! Wenn Sie Fragen an den Zeugen richten, wollen Sie versuchen, ihn zurückzuhalten, wenn er nicht die an ihn gestellte Frage beantwortet?

DR. MARX: Jawohl, Herr Präsident, ich war ja gerade im Begriff...

VORSITZENDER: Angeklagter Streicher! Sie haben gehört, was gesagt wurde und Sie werden verstehen, daß der Gerichtshof Ihre langen Reden, die keine Antworten auf die Ihnen gestellten Fragen sind, nicht zulassen kann.

DR. MARX: Ich stelle jetzt noch einmal die Frage und ersuche, zunächst die Frage mit Ja oder Nein zu beantworten und dann eine kurze Erklärung zu dem Inhalt der Frage zu geben:
Gab es außer Ihrem Wochenblatt, insbesondere seit dem Machtantritt der Partei, in Deutschland noch andere Presseerzeugnisse, welche die Judenfrage in judengegnerischem Sinne behandelten?​

Der Nürnberger Prozeß, Hauptverhandlungen, Einhundertsechzehnter Tag. Montag, 29. April 1946, Vormittagssitzung
 
2. Das dementsprechend eine direkte Kontinuität Luther-Hitler nicht besteht, weil es sich um zwei recht verschiedene Ideenwelten handelt und keine direkte Auswirkung Luthers auf die Entstehung der NS-Ideologie nachweisbar sind.
Die Frage ist natürlich was eine „direkte Kontinuität“ ist oder sein soll.
Davon abgesehen seh ich das auch so, die Ideenwelt der Nazis schöpfte nicht aus dem Protestantismus oder dem Christentum allgemein. Im Gegenteil sah man sich als eine geistige Avandgarde im Widerspruch zum Christentum, das man zu gegebener Zeit auszuschalten gedachte.
Also, ich hab wirklich gesucht. Die Verbindung ist nicht zu finden. (Reichlich fündig wird man an anderer Stelle)
Die Verbindung bei den Unterstützern Hitlers jedoch schon.
Und hier ist eine Kontinuität zum protestantisch unterfütterten Antisemitismus Wilhelms, seiner Zeit und Herrschaft zu sehen. Die Eliten die sich in dieser Zeit herausbildeten waren weit überdurchschnittlich Antisemiten und das gilt auch für die protestantischen Theologen, die sich im Rahmen einer de facto Kirchenspaltung (Deutsche Christen – Die SA Jesu) Hitler förmlich an den Hals warfen und so zum Schein seiner Rechtschaffenheit beitrugen.

Also vielleicht eine 'indirekte Kontinuität'?
 
(@Shinigami das ist jetzt zwar aus dem Kontext gerissen, aber weil es in der Formulierung etwas schlagwortartiges hat, verwende ich es - was sich nicht gegen deine Darstellung richtet, wie gleich zu sehen ist)

ist ist weder an irgendeine Konfession noch an irgendeine Zeit gebunden, sondern eine in allen organisierten Gesellschaften praktizierte Übereinkunft. Ganz allgemein gesagt: die Forderung, sich an Regeln zu halten, ist nicht per se verwerflich und ebnet auch nicht automatisch den Weg für allerlei Unrechtsregimes.

Sofern man aber eine Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit aus Luthers Wirken und seinen Anschauungen herleiten wollte (und nur dann könnte es ein Argument sein um eine Verbindung Luther-NS zu postulieren), wird man sich näher damit beschäftigen müssen, was Luther denn nun genau damit meinte.
Das Faktum der Reformation an und für sich, die nur funktionieren konnte, weil Luther sich gegen weltliche wie geistliche Obrigkeit aufgelehnt hatte, macht doch bereits klar, dass es in Luthers Anschauung Grenzen für die Pflicht zur Unterordnung gegenüber der Obrigkeit gab, ansonsten hätte er sich Rom oder dem Kaiser fügen und spätestens zu Worms widerrufen müssen.
Aus der gesamten Geschichte und Handlungsweise Luthers wird eigentlich klar, dass die Geehorsamspflicht für ihn da endete, wo sie mit seinen eigenen Lehren in Konflikt geriet.

Ich stelle deswegen so heraus, weil die Vorstellung des Obrigkeeitsstaates, ja impliziert, die Leute hätten generell wenig hinterfragt, wenn es von oben kam.
Aber selbst der dumpfeste, denkfaulste und obrigkeeitsbesoffenste Mensch kann gar nicht anders, als die Obrigkeit zu hinterfragen, wenn die Obrigkeit ihm das Befolgen widersprüchlicher Anweisungen zumutet.

Im Hinblick auf Luthers Antijudaismus, konnten Protestanten viellicht so weit gehen, sich mit der Repression von Personen durch das NS-Regime zu arrangieeren, die sich expressis verbis zum jüdischen Glauben bekannten.

Aber damit ihnen das zuzumuten begnügten sich die Nazis ja nicht, sondern die forderten von ihnen auch an der Verfolgung von Katholiken und Protestanten mitzuwirken, die möglicherweise bereits in zweiter Generation überzeugte und ernsthafte Christen waren, selbst mit dem Judentum nichts zu tun hatten, sondern lediglich jüdische Großeltern hatten.

D.h. eine Obrigkeit, die nicht auf dem Boden der lutherischen Theologie stand, mutete den Lutheranern zu:

1. Überzeugte Glaubensbrüder und -Schwestern einer Obrigkeit auszuliefern, die sie vom theologischen Standpunkt, als fehlgeleitet betrachten musste auszuliefern in dem Wissen, dass diese misshandelt, möglicherweise umgebracht würden.
2. Sich auf den Standpunkt zu stellen, dass der Glaube an den aus ihrer Sicht richtigen Gott in der richtigen Weise einen Menschen, der Vielleicht aus anderen Traditionen gekommen ist, nicht retten könne, was der gesamten lutherischen Theologie zutiefst wiederspricht.


So beschähmend Luthers antijüdische Ausfälle waren, selbst Lutheraner mit antijüdischen Ansichten, die sich auf diesen Standpunkt stellten, konnten wenn sie ihren Luther, auch in seiner ganzen Schlechtigkeit, in dieser Hinsicht ernst nahmen nicht übersehen, dass die Nazis hier Dinge taten und von ihnen einforderten, deren Erfüllung Luther veheemeent zurückgewiesen hätte und die sich aus keiner noch so kruden Interpretation von Luthers unsäglichen Einlassungen herleiten lassen.
Auch nicht aus seinen mahnungen zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit.

Selbst wenn wir Freund Dion mal so weit entgegenkommen wollten, dass wir an dieser Stelle mal annehmen, die lutherischen Pfarrer hätten, bevor die Nazis auftraten, dem lutherischen Antijudaismus, wie er bei Luther überliefert ist, fleißig das Wort geredet, gehörte dazu noch immer, dass die Konversion zum Christentum nicht verworfen wurde, Konvertiten insofern Schutz zu genießen hatten und es sich von selbst verstand, dass Mitglieder der eigenen Kirche an dem gemessen wurde, wozu sie sich bekannten, was sie an Glauben praktizierten und wie sie sich verhielten, nicht wer ihre Vorfahren waren.
Und eine Auslieferung von Glaubensbrüdern an eine katholische (Hitler) oder ganz und gar unchristliche Obrigkeit, in dem Wissen, dass man sie schlimmsten Repressionen oder gar dem Tod aussetzte, wäre in diesem Kontext völlig undenkbar gewesen, selbst wenn sie sich an Luthers Antijudaismus hochzogen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und hier ist eine Kontinuität zum protestantisch unterfütterten Antisemitismus Wilhelms, seiner Zeit und Herrschaft zu sehen. Die Eliten die sich in dieser Zeit herausbildeten waren weit überdurchschnittlich Antisemiten (...)
@hatl ich komme mit der Formulierung "protestantisch unterfüttert" in diesem Kontext nicht klar - was meinst du mit "unterfüttert"? Auf dem Reissbrett der linguist. Ersetzungsprobe könnte man besagte Eliten auch als adelig unterfüttert, als großbürgerlich-industriell unterfüttert usw. bezeichnen - aber automatisch führen Adel, Großbürgertum ebensowenig zu fanatischen rassistisch völkischen und antisemitischen Einstellungen wie eine Konfession. Auf den ersten Blick erscheint mir dieses "unterfüttert" wie ein Suggestivargument (aber da mag ich mich auch täuschen)
 
Die Frage ist natürlich was eine „direkte Kontinuität“ ist oder sein soll.
Nichts weniger als ein dezidierter Bezug der Nazis auf die Lehren Luthers.

Das das Wirken Luthers Strukturen hinterließ, die später die Nazis begünstigten will ich gar nicht bestreiten. Da würde ich jederzeit dem Argument das Wort reden, dass das Herauslösen der protestantischen Landeskirchen aus dem internationalen Zusammenhang des Katholizismus einem radikalen Nationalsimus insofern einen günstigen Boden bereitete, als dass es konkurrierende Loyalitäten der Gläubigen ausschaltete und nationsübergreifende Solidarität der Gläubigen untereinander wesentlich weniger halt gab, als die auf Rom ausgerichteten einheitlichen Strukturen der katholischen Kirche, die einen gemeinsamen Bezugspunkt bilden.
Ein zweites strukturelles Problem der protestantischen Landeskirchen liegt darin, dass sie in ihrer Struktur an die Monarchie (Summus Episcopus) gebunden waren und mit deren Ende in eine strukturelle Krise geraten mussten, was ihre eigene Leitung betraf, die zu einer Ablehnung demokratischer Prinzipien führen musste und Anhänglichkeit, an eine diktatorische Führungspersönlichkeit sicherlich tendenziell verstärkte, wobei ich damit nicht eine spezifische Anhänglichkeit an Hitler meine.

Da gibt es einiges, worüber man sich unterhalten könnte, aber das sind Probleme, die im Wesentlichen auf Entwicklungen zurückgehen, die lange nach Luther stattfanden und auf die Luther selbst am Ende wenig Einfluss hatte.

Und hier ist eine Kontinuität zum protestantisch unterfütterten Antisemitismus Wilhelms, seiner Zeit und Herrschaft zu sehen.
Hier würde ich wie @dekumatland auch fragen wollen, inwiefern protestantisch "unterfüttert"?

Und vor allen Dingen, inwiefern währe Luther dafür verantwortlich zu machen, wenn Ende des 19. Jahrhunderts Protestanten begannen Lehren zuzuneigen, die er in dieser Form nicht gebilligt hätte?
 
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