Konfession, Antisemitismus und NS

Dieses Thema im Forum "Das Dritte Reich" wurde erstellt von Dion, 23. Juni 2022.

  1. Scorpio

    Scorpio Aktives Mitglied

    Hans Ullrich Thamer, Verführung und Gewalt Deutschland 1933-45, S. 441:

    "Zum ersten Mal erhob der Notbund am 27. September 1933 im Namen von zweitausend Anhängern während der Nationalsynode in Wittenberg, die ganz unter dem Einfluß der deutschen Christen stand seine Stimme für die Verfolgten und für ein freies evangelisches Bekenntnis. Bis zum Januar 1934 schlossen sich ihm 7000 Mitglieder an, das war knapp die Hälfte der protestantischen Pfarrer."

    Ich habe hier nicht ganz korrekt und aus dem Gedächtnis zitiert. Dass 3/4 der Pfarrer den Mut hatten, die Erklärung öffentlich von der Kanzel zu verlesen geht daraus nicht hervor.
     
  2. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Eberhard Röhm und Jörg Thierfelder, Juden, Christen, Deutsche 1933-1945, Band 2, Teil 1, Stuttgart 1992, S. 161:
    "In denselben Tagen, als in Berlin Anfang August 1936 mit großem, propagandistischen Aufwand die Olympischen Spiele begannen und darum der Gestapo vorübergehend Zurückhaltung auferlegt war, druckten die Bruderräte einzelner Landeskirchen die Vorlage der Basler Nachrichten bzw. Teile davon in hohen Auflagen nach und verbreiteten sie im ganzen Land."​
    Dazu Anmerkung 273, S. 372:
    "Ernst Hornig, Mitglied des schlesischen Bruderrats, gab der Breslauer Druckerei Gebrüder Kruppke den Auftrag, die Denkschrift nach der Textfassung der Basler Nachrichten in einer Auflage von 100.000 Exemplaren zu drucken."​
     
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  3. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Ich nehme an, Du meinst Walter Künneth. (Der war allerdings mit einem Theologen namens Wilhelm Künerth befreundet.)
     
  4. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Bin gerade dabei, etwa in der Mitte (S. 167)...
     
  5. Armer Konrad

    Armer Konrad Aktives Mitglied

    Am Schluss des Traktates "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" von 1523:
    „Will man ihnen helfen, so muss man ... christlicher Liebe Gesetz an ihnen üben und sie freundlich annehmen, (sie) mit lassen erwerben und arbeiten, damit sie Ursache und Raum gewinnen, bei und um uns zu sein, unsere christliche Lehre und Leben zu hören und (zu) sehen. Ob etliche halsstarrig sind, was liegt dran? Sind wir doch auch nicht alle gute Christen. Hier will ichs diesmal lassen bleiben, bis ich sehe, was ich gewirkt habe. Gott gebe uns allen seine Gnade. Amen.“

    U.a. wird dieses Traktat als Beleg gewertet, dass Luther anfänglich eine friedliche Judenmission beabsichtigt haben soll. Etwa im selben Zeitraum warf er der Kirche vor, dass sie die Juden behandle "als wären es Hunde und nicht Menschen". Auch der Vorwurf an die Kirche bezügl. der Behandlung von Konvertiten (sie benehme sich wie "Hurenwirtin, die einem Mädchen die Hurerei lehret und sie danach beschuldigt, dass sie sich nicht eine Jungfrau aufführt) stammt, meine ich, ebenfalls aus den 1520er Jahren.

    Hier eine kurze Zusammenfassung von J.Gundbach über Luthers geänderte Meinungen und Standpunkte gegenüber den Juden. Auch er meint, dass Luther ursprünglich die Hoffnung hatte, dass sich die Juden (zum Mindesten einige von ihnen) ihm anschliessen würden.

    http://s5a332f101a0b3a3a.jimcontent.com/download/version/1430837856/module/11883511624/name/Vortrag Gundlach.pdf
     
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  6. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Vom Ziel der Bekehrung der Juden ist Luther zeitlebens nicht abgerückt.
    "Christus unser lieber Herr, bekehre sie barmherziglich" - "Nun wollen wir christlich mit ihnen handeln und bieten ihnen erstlich den christlichen Glauben an, daß sie den Messias wollen annehmen, der doch ihr Vetter ist und von ihrem Fleisch und Blut geboren", schreibt Luther noch in seinen letzten Schriften.
     
  7. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Hat Deine Nachfrage einen bestimmten Grund?
     
  8. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Ich muss sagen, auf S. 167 habe ich die Lust zum Weiterlesen verloren...
     
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  9. hatl

    hatl Premiummitglied

    Das verwundert mich.
    Hast Du etwas an seiner Analyse auszusetzen?
     
  10. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Das Buch ist in meinen Augen eher ein überdimensionierter Essay bzw. eine Aneinanderreihung von Anekdoten als eine Analyse. Von einer wissenschaftlichen Arbeit erwarte ich eine Auseinandersetzungen mit dem Forschungsstand, Pro- und Contra-Argumente, genaue Quellenangaben zu Daten und Fakten und ein systematisches Herangehen an die komplexe Problematik. Ich überblicke das Thema ja nicht, sondern ich möchte informiert werden. Und an der Stelle, wo mir weisgemacht werden sollte, Hitler sei ein loyaler Anhänger Eisners gewesen, habe ich mich veralbert gefühlt.
     
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  11. hatl

    hatl Premiummitglied

    S.166:D
    Nur schreibt das der Götz Aly nicht.
    Sondern, dass Hitler auf Filmaufnahmen am 7. November 1918 beim Trauerzug Eisners zu sehen sei.
    (Ich hätte mir hier auch eine eigen FN gewünscht, aber vielleicht setzt der Aly das voraus, ..oder ist Leser des Geschichtsforums.)
    Am 29. Februar 1919 sei der Hitler gar von der Revolutionsregierung als Wache zum Hauptbahnhof [München] entsandt worden, es daher anzunehmen sei, dass er für "loyal" gehalten wurde.

    Er beschreibt ihn nicht als loyalen Anhänger Eisners, sondern vielmehr als einen der sich sozusagen auch auf dieser Baustelle der wackligen Zukunft herumtreibt,
    und alsbald in seiner „Augustrede“ 1920 über Sozialismus, Nationalismus und Antisemitismus sagen wird, dass diese drei Begriffe untrennbar miteinander verbunden seien. (FN 239)*

    Ja, aber keine Absicht.
    Ich hab im Rahmen des Themas „Konfession, Antisemitismus und NS“, dessen Quell ja ein bisserl auch der Luther war, ein wenig zum Kaiserreich nachgeschaut:
    Röhl – Kaiser Hof und Staat -, Ullrich - Die nervöse Großmacht - , und auch Aly -Warum die Deutschen? Warum die Juden?
    (Den Luther selbst hab ich so gut wie nirgends gefunden.)

    Interessant ist sicher die Figur des Stöcker. Da decken und ergänzen sich die Darstellungen der drei genannten.

    ….........
    * Also ich denk, es lohnt sich weiterzulesen.
    Deine Kritik teile ich nicht. Ich halte seine Arbeiten für sehr erhellend.
    Empfehlen will ich auch: „Europa gegen die Juden“ und „Hitlers Volksstaat“.
    ….und der Stil an dem Du Dich störst, ist unter bedeutenden Historiker-innen gewiss kein Alleinstellungsmerkmal.
     
  12. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Das schreibt er wohl, und nichts davon ist nachweisbar. Wenn ich mich richtig erinnere (das Buch habe ich wieder zurückgegeben), steht sogar drin, Hitler habe Eisner "die letzte Ehre erwiesen". Da wird der Leser schon ganz schön in die Irre geführt.
    Hast Du mal Othmar Plöckinger zu diesem Thema gelesen?

    Das kann ich nachvollziehen, der Luther hat ja in der Zeit des aufkommenden Antisemitismus so gut wie keine Rolle gespielt. Mehr Licht auf religiös/konfessionell bedingten Antisemitismus hätte ich mir trotzdem gewünscht.

    Mit dem Stil kann ich leben, wenn die sonstigen wissenschaftlichen Standards stimmen.
     
  13. hatl

    hatl Premiummitglied

    Ja, ich mir auch im Themenzusammenhang.:)
    Interessant fand ich eben, dass Aly einen anderen Schwerpunkt verfolgt.
    Instrumentalisierung des Sozialneids gegen eine überraschend erfolgreiche jüdische Minderheit inmitten der industriellen Revolution. Diese Minderheit ist überdurchschnittlich des Lesens und Schreibens mächtig, ist traditionell mehrsprachig und auch örtlich weit beweglicher als die weit trägeren Christen.
    Der ziemlich plötzlich resultierende Erfolg dieser Minderheit weckt eine böse Missgunst und es waren "Demokraten" und "Christen" die den Antisemitismus beförderten.
    (Ein anschauliches Beispiel ist Ungarn ab 1867, das mit seinen Schulbestimmungen eine Bildungskatastrohe bewirkte, die der mehrsprachigen jüdische Minderheit eine lang erhoffte Chance gab.)
     
    Zuletzt bearbeitet: 5. August 2022
  14. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Die antijüdischen Schriften Luthers hat er aber gerade nicht zitiert, und ob er sie im Originalwortlaut gelesen hat, halte ich für fraglich.
    Er hat allerdings Zitate dieser Schriften gelesen bei Heinrich Graetz, Geschichte der Juden von den Anfängen bis auf die Gegenwart, und es hat ihn offensichtlich sehr gestört, dass Luther dadurch in schiefem Licht erscheint.
    In seinem Pamphlet Unsere Aussichten greift er Graetz dann auch direkt an:
    Man lese die Geschichte der Juden von Graetz: welche fanatische Wuth gegen den "Erbfeind", das Christenthum, welcher Todhaß grade wider die reinsten und mächtigsten Vertreter germanischen Wesens, von Luther bis herab auf Goethe und Fichte!
    In seiner Erwiderung an Herrn von Treitschke schrieb Graetz am 7. Dezember 1879 in direktem Bezug zu diesem Satz:
    Illoyal ist Ihre vom Zaum gebrochene Anschuldigung gegen meine Geschichtsdarstellung, daß sie "Todhaß gerade wider die reinsten und mächtigsten Vertreter deutschen Wesens von Luther bis herab auf Goethe und Fichte" enthalte. Ich habe im Gegentheil die überwältigende Größe dieser Heroen ins rechte Licht gesetzt. Von Luther schrieb ich (Band IX, Seite 191 fg.): „Diese Natur war beherrscht von Gottdurchdrungenheit, von einer in dieser Zeit beispiellosen Hingebung an Gott und die Anforderung des Glaubens... auch von einem fleckenlosen Wandel und wahrhafter Demuth!" Athmen diese Worte Todhaß? Aus Luthers kleiner Schrift: daß Jesus ein geborener Jude gewesen, zog ich einen Passus aus (S. 211), der recht zeitgemäß ist: „Unsere Narren, die Papisten... haben bisher also mit den Juden verfahren, daß wer ein guter Christ gewesen, hätte wohl mögen ein Jud werden, und wenn ich ein Jude gewesen wäre und hätte solche Tölpel und Knebel das Christenthum regieren und lehren gesehen, so wäre ich eher eine Sau geworden, als ein Christ." Durfte ich aber nach diesem verschweigen, was Luther 20 Jahre später in der Hitze des Kampfes gegen auftauchende Sectirer und gereizt durch eine anonyme polemische Schrift eines Unitariers (hinter der Luther einen jüdischen Autor vermuthet hatte) im Widerspruche mit seinen eigenen Worten Liebloses gegen Juden geschrieben und gepredigt hat? Er verlangte, daß man ihre Synagogen einriß, ihnen sogar die heiligen Schriften entziehe, ihre Häuser zerstöre, sie in einen Stall wie Zigeuner einsperre und noch viel Härteres. Sie werden doch nicht für Luther Unfehlbarkeit beanspruchen? Ist es überhaupt eines Historikers würdig, in der treuen Geschichtserzählung Blasphemie zu suchen?

    Treitschkes ausführliche Antwort Herr Graetz und sein Judenthum vom 15. Dezember 1879 wiederholt den Vorwurf, über Goethe und Fichte in "gehässigen Worten" geschrieben zu haben; von Luther ist dagegen überhaupt nicht mehr die Rede. In Bezug auf Graetz' Buch, dem er unkorrekterweise die Formulierung 'Erbfeind' unterschoben hatte, schreibt er: "ich bekenne daß ich den Band schon im letzten Sommer gelesen und mir keine Notizen daraus gemacht habe".

    Zitate aus:
    Der "Berliner Antisemitismusstreit" 1879-1881 (Hrsg. Karsten Krieger), München 2003


    Eine zeitgenössische protestantische Sicht zu Luthers antijüdischen Spätschriften von Friedrich Lezius (Professor der Theologie an der Universität Königsberg) enthält der Artikel Luthers Stellung zu den Juden (Baltische Monatsschrift XXXIX, 1892):

    Es liegt auf der Hand, daß Luther hier nicht aus dem Geiste des neuen Testamentes und der Reformation heraus argumentirt und Forderungen aufstellt, vielmehr erweist er sich hierin als übermannt vom mißverstandenen alten Testament und von mittelalterlich, vom Evangelium gerichteten Wahnvorstellungen. Die evangelische Kirche hat daher die Irrthümer des alternden Revormators als für sich nicht maßgebend abgelehnt und sieht in der Schrift Luthers, daß Jesus Christus ein geborener Jude sei, welche 1523 erschien, den wahren Ausdruck reformatorischen Geistes.
    [...]
    Diese Rathschläge Luthers, so sehr sie ihm am Herzen lagen, hat das deutsche Volk nicht befolgen wollen, weil sie sich mit dem Evangelium und den Begriffen moderner Humanität nicht vertragen. Die Forderung, die Juden als Feinde Christi aus dem Lande zu jagen, die Luther aufstellt und so eifrig begründet, ist unprotestantisch und als Nachwirkung der katholischen Staatsanschauung zu betrachten. Es hat die Christenheit daher wohlgethan, diese Ermahnungen des gewaltigen Mannes unbeachtet zu lassen. Ueber die socialpolitische Begründung der gewaltsamen Einschränkung der jüdischen Uebermacht, die Luther vorbringt, läßt sich reden. Daß Luther sich aber schwer irrte, als er aus religiösen Gründen die Vertreibung der Juden forderte und für ihre strafrechtliche Verfolgung eintrat, kann für einen evangelischen Christen keinem Zweifel unterliegen.

    Baltische Monatsschrift : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
     
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  15. hatl

    hatl Premiummitglied

    So ist es.
    Die Nazis waren eines anderen "Geistes" und beabsichtigten das Christentum durch eine neue Religion nach ihren Mythen zu ersetzen.
    Diese schöpften sie aus dem Okkulten, der völkischen Esoterik und den "Grenzwissenschaften".
    Hier sind die "Brüder im Geiste" weit eher zu verorten.
     
    dekumatland und silesia gefällt das.
  16. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Kleiner Nachtrag zu Götz Aly:
    Hans-Ulrich Wehler zieht ein ziemlich vernichtendes Fazit:

    Holocaust-Forschung: Götz Alys neuer Irrweg
     
  17. hatl

    hatl Premiummitglied

    Von Götz Aly, ein häufig zitierter Historiker, habe ich gelesen: Hitlers Volksstaat, Europa gegen die Juden, Warum die Deutschen, warum die Juden? und Unser Kampf.
    Ich empfehle alle Bücher.
    Dass Herr Wehler Götz Aly negativ beurteilt bleibt ihm unbenommen.
     
  18. Dion

    Dion Aktives Mitglied

    Als ich in dem von dir, @Sepiola, verlinkten FAZ-Artikel vom 12.12.2011 das

    Man fragt sich, wie überaus wohlwollende Rezensenten (wie etwa Gustav Seibt in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 12. August) auf solch ein flüchtig fabriziertes Buch hereinfallen konnten.

    las, war für mich klar: Das war ein von der Redaktion der FAZ bestellter Artikel, um wieder einmal die eigene Gegnerschaft gegenüber der SZ zu demonstrieren, denn fast immer sind diese beiden deutschen publizistischen Leitorgane über die in Feuilletons behandelten Themen unterschiedlicher Meinung. Oder anders gesagt: Wenn die SZ etwas befürwortete, dann war FAZ dagegen – und umgekehrt.

    So ist es verständlich, dass die FAZ Hans-Ulrich Wehler, den erklärten Gegner Götz Alys, mit dem Verriss beauftragte.

    Was würden Historiker ohne Streit tun?
     

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