Um dem Thema gerecht zu werden, doch ein Nachtrag:
Die ersten Erwähnungen von »guéridon« für ›Leuchterständer‹
Die eigentliche Quelle der Angabe, die ersten Guéridon-Möbel hätten Mohren-Figuren als Untergestell gehabt, stammt von Jean Loret (1595–1665),
La Muze Historique, 1658:
Dez. 1650 (
@ Google Books):
En écrans, tant grands que petits,
En guéridons, façon d’ébeine,
Ɛn grands vazes de pourceleine,
Juni 1651 (@
Google Books):
A l’entour de la meſme[même] Sale,
Ɛt dans vne diſtance êgale,
Des Mores noirs, & non pas blonds,
Faits en formes de Guéridons,
Vn grand plat de viande ſa preſte[prête],
Et deux autres, en leurs deux mains,
Les vns remplis de Maſſepains,
Ɛt les autres de Marmelades,
Biſques, Tourtes, Fruits & Salades,
Henry Havard (1838–1921) listet in seinem
Dictionnaire de l'ameublement et de la décoration aus 1894 außerdem (
@ Gallica):
• aus dem Inventar des erhabenen Sohnes von Anne d’Autriche (vmtl. Lous XIV), o.D. (nach 1651):
« Deux guéridons à figures de Maures, d’argent vernis de noir, cizeléz sur le pied des armes de feue la Reyne mère, haults de 4 pieds 3 pouces, pesans ensemble 378 m. »
•
« Inventaire de Paul de Chantelou », o.D. (1657 od. später):
« Six guéridons de bois, représentant deux d’iceux des Mores, deux autres des jeunes Bacus et deux autres des Nimphes, doréz, prisés ensemble six cens livres. »
•
« Inventaire du surintendant Fouquet », 1661:
« deux guéridons de bois noyer ».
•
« Inventaire de la baronne de Castelmauron », 1668:
« deux guarnidons painz en noir, en forme d’ébène ».
Daraus schließt Havard:
« Ces guéridons, en forme de Mores soutenant un plateau, furent très à la mode durant le XVIIe siècle. » und sieht sogar einen Einfluss der Gestaltung des Möbelstücks auf die dunkelhäutige Dienerschaft:
« Nous venons de constater que ces premiers guéridons affectaient l’apparence de petits personnages, surtout de Mores, c’est-à-dire de nègres au de sauvagés, car à cette époque la qualification de More avait une signification moins précise, et par conséquent plus étendue que de nos jours. »
Etwas weiter meint er sogar enthusiastisch:
« Puis, vers ce même temps, on prit aussi la columne d’appeler tous les petits Mores, qui alors servaient de grooms, du nom original de guéridon, et quand un sculpteur ingénieux eut l’idée de combinet ces petites tablettes portées par une figure humaine, comme la physionomie étrange et le riche costume de ces jeunes serviteurs étaient fort décoratifs, en leur faisant soutenir un plateau sur leur tête, ce qui rentrait au surplus dans leurs attributions. De là vint le nom singulier de guéridon donné à ces petits meubles, nom qui s’est fidèlement transmis jusqu’à nous. »
(frei übersetzt: Etwa zur gleichen Zeit diente die Säule[Piedestal?], um alle kleinen Mohren zu benennen, die damals als Kämmerlinge dienten, [hergeleitet] vom ursprünglichen Namen „guéridon“, und als ein genialer Bildhauer auf die Idee kam, diese kleinen Tabletts mit menschlichen Figuren zu kombinieren, zumal die fremde Physiognomie und die reiche Tracht dieser jungen Diener sehr dekorativ waren, während sie auf dem Kopf eine Platte stützten, trug dies zu ihrem Zuständigkeitsbereich bei. Von dort stammt der einzigartige Name „guéridon“, der diesen kleinen Möbelstücken gegeben wurde, ein Name, der uns treu überliefert ist.) Das Zitat verdeutlicht den sorglosen Rassismus Havards und seiner Zeit und bringt gleichzeitig die neue These, das Piedestal sei zuvor generell als
»guéridon« bezeichnet worden.
Mal abgesehen von der Verlässlichkeit der Angaben von Jean Loret in seiner boulevardesken
La Muze Historique, worin die Mohren an jenen Guéridons eindeutig als Dienerschaft dargestellt gewesen seien, ist dies aus den weiteren Erwähnungen nicht ersichtlich, sofern ihre Funktion als Untergestell/Gebälkträger/Karyatide nicht per se als Dienerschaft intrepretiert wird, auch wenn die Herabsetzung bei der Darstellung in dieser Rolle zur ursprünglichen Absicht der Antike gehörte, womit aber schlicht der Sieg über die Abgebildeten gemeint war.(siehe auch Vitruv zum Atlanten,
De Architectura, I., 1, 6)
Dass die Darstellung von dunkelhäutigen Dienern im 17. Jh. weniger aus Frankreich, sondern eher aus England und Venedig stammt, lässt sich auch aus dem Artikel “Serving as Ornament: The Representation of African People in Early Modern British Interiors and Gardens” von Hannah Lee folgern (
British Art Studies, Issue 21), worin ein Kupferstich von Jean Le Pautre (get. 1618–1682) als (einziges) französisches Beispiel aufgeführt wird, das allerdings einen bewaffneten Osmanen als Schalenträger zeigt. So ist auch in Lees Artikel das früheste, eindeutig als Sklave dargestellte Untergestell jener englische Schalenträger aus 1680/1700 (
Inv. NT 452977.2, Dyrham collection, Gloucestershire).
(Mein) Fazit
Nebst Édouard Fourniers negativer Deutung der Tanzrolle des
guéridon aus 1857 dürfte Havards
Dictionnaire aus 1894 mit der ausführlichen Insistenz auf den dunkelhäutigen Diener als ursprünglicher Untersatz die heute übliche Herleitung der Möbelbezeichnung maßgeblich beeinflusst haben. Unbeachtet blieb hierbei, dass im
Brandle de la torche die Rolle des Guéridon nichts mit Dienerschaft zu tun hatte, was die Benennung eines Möbelstücks mit einem Diener als Träger nicht nachvollziehen lässt. Havard folgte bei seinen etymologischen Angaben dem
Nouveau Dictionnaire françois aus 1709, der den Ursprung des Wortes nach Afrika verortet. Wäre dies wahr und um 1650 im allgemeinen Bewusstsein noch stark genug präsent gewesen, um das Leuchtergestell zu bezeichnen, wäre die Benennung des erwählten Fackelträgers im Tanzspiel des Adels, was ja ein Kompliment war, kaum nachvollziehbar. Auch wäre der Link vom tanzenden Fackelträger zum Fackelständer weg und es bliebe nur die Assoziation der Hautfarbe mit Ebenholz, was man auch auf viereckige Beistelltische hätte übertragen können…
Ehrlicherweise muss ich aber hinzufügen, dass ich die nachträgliche Fußnote 11 in
Les Histoirettes von Gédéon Tallemant des Réaux (
@ Wikisource), sowie Fourniers Folgerung, Madame Pilou beziehe in
« Je suis, dit-elle, le guéridon de la compagnie[11] » die Bezeichnung
»guéridon« zweifellos auf die Rolle des Fackelträgers im Tanzspiel Branle, nur mit etwas Skepsis teile.
Wie dem auch sei, die einzige Quelle für die fragwürdige Herleitung der Möbelbezeichnung bleibt Jean Lorets Reimerei mit dem höhnischen Hinweis auf die Hautfarbe der Figur
« des Mores noirs, & non pas blonds ».