»Guéridon« – Etymologie

Mashenka

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Liebes Forum,

Auch wenn meine Frage das aktuelle Thema ›Rassimus in der Kunst, und wie damit umgehen‹ tangiert, geht es mir nur um die Herleitung des Namens »Guéridon«, bzw. der entsprechenden Möbelbezeichnung (im 18. Jh. übrigens auch im Deutschen für ›Kerzenständer‹ gebräuchlich, siehe Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 11, 1735).:

Zur Einleitung Auszüge aus dem PDF Philippe Cordez, »Ebenholz-Sklaven : Zum Mobiliar Andrea Brustolons für Pietro Venier (Venedig, 1706)«, in: Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 3(2013), S. 24-41, (S. 28f):

[…] Angesichts dieser suggestiven Konstellationen stellen sich Fragen: Wie ist man dazu gekommen, Afrikaner in Ebenholz darzustellen und zu Möbeln zu machen? […]

Wandlungen: Körper und Materialien
In diesen Zusammenhang gehört die komplexe Geschichte des französischen Wortes „guéridon“,[10] als welche die freistehenden Vasenträger im Mobiliar Andrea Brustolons, und insbesondere die Afrikanerfiguren, bezeichnet werden können. Als „guéridon“ ab 1614 in Kontexten um den königlichen Hof erstmals auftaucht, hat es zugleich mehrere Verwendungen: Es ist ein Refrain, dessen onomatopoetische Klänge den hellen Trällerlaut der Schalmei und den tiefen Dauerton des Bourdons eines Dudelsacks evozieren; außerdem eine Bezeichnung für den entsprechenden ländlich-lustigen Tanzliedtyp insbesondere aus der Region Poitou; und auch noch der Eigenname einer Personifizierung dieses Amüsements, wobei man sich Guéridon als einen bäuerlichen, fröhlichen und geistreichen, dichtenden und singenden, anziehenden jungen Mann vorzustellen hat. Ab etwa 1650 begegnet man aber dem Wort auch mit einer ganz anderen Bedeutung: als Bezeichnung eines einbeinigen Möbelstückes, genauer eines Leuchter- bzw. Beistelltisches (letztere Bedeutung hat sich durchgesetzt und ist heute nicht zuletzt in der Sprache der Luxusrestaurants gebräuchlich). Diese Sinnverschiebung wird dadurch erklärt, dass manche Hofbälle der Zeit durch Rundtänze ländlichen Charakters eröffnet wurden, in denen man Guéridons sang und Fackeln trug: Von der Figur des Guéridons als Fackeltänzer, der mit seinen Witzen entlarvte und verführte, bis zum Möbel Guéridon als Leuchterträger, der die Räume erhellte und verzierte, war es eigentlich ein kleiner Schritt – zumal die selben Handwerker aus dem Poitou Dudelsäcke wie auch Möbel drechseln konnten, und menschliche Figuren häufig zum Dekor zeitgenössischer Möbel gehörten.
Mehrere Inventare belegen, dass diese hölzernen Guéridons sich schnell in den französischen Adelshäusern aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert verbreitet haben; zurzeit Ludwig des XIV. soll es 455 davon in Versailles gegeben haben; oft wurden sie in Paaren verwendet.[11] Mohren bzw. Schwarze waren von Anfang an unter den Guéridon-Figuren besonders verbreitet – bis zu dem Punkt, dass der Lexikograph César-Pierre Richelet (1626–1698) in seinem Nouveau Dictionnaire françois schreiben zu können glaubte, dass das Wort selbst «aporté d’Afrique», also aus Afrika gebracht worden wäre, und zunächst ein Objekt bezeichnete, bevor man es «métamorphosa en homme», «in einem Mensch verwandelte».[12] Diese Präsenz der Mohren als Guéridon-Figuren lässt sich aber zunächst umgekehrt dadurch erklären, dass Mohren öfter in Balletten oder Maskeraden am Hof vorkamen, wie auch der allegorische französische Bauer Guéridon – und dass sie dort als Exoten nicht unbedingt sehr viel fremder als dieser gewirkt haben mögen. Außerdem waren bereits die ersten bezeugten Guéridon-Möbel aus Ebenholz gefertigt,[13] und man muss empfunden haben, dass dies mit der Darstellung von Mohren bestens einhergehen würde. So wurden die Mohren-Tänzer, deren Rolle jener der unterhaltenden Guéridon-Figur ähnelte, zusammen mit dieser
zu ebenhölzernen Guéridon-Möbeln. […]

10. Vgl. zum Folgenden Fritz Nies, «Zum Ursprung von Fr. Guéridon und seiner Geschichte im 17. Jahrhundert», in: Germanisch-Romanische Monatsschrift, 1967, Bd. N.F. 17, S. 353–364.
11. Vgl. Henry Havard, Dictionnaire de l’ameublement et de la décoration depuis le XIIIe siècle jusqu’à nos jours, 4 Bde., Paris 1887–1890, s.v. ‹Guéridon›, Bd. 2, col. 1108–1113.
12. César-Pierre Richelet, Nouveau Dictionnaire françois contenant généralement tous les mots, les matières [...], Köln 1694, S. 476. Diese Erklärung findet sich noch nicht in der ersten Edition von 1680.
13. […]



Ohne auf jene Ausgabe der Germanisch-Romanischen Monatsschrift Zugriff zu haben, würde ich erstmal die Behauptung als Spekulation betrachten, die Darstellung von Mohren bzw. Schwarzen als Guéridon-Tischgestell sei von Anfang an verbreitet gewesen. Frühe guéridons, d.h. aus dem letzten Drittel des 17. Jhs., zeichnen sich durch eine runde Tischplatte, eine runde Fußplatte (meist mit Kugelfüßchen) und insbesondere durch eine gedrechselte Mittelsäule aus, die dem Gusto der Zeit entsprechend fast immer spiralförmig war.(vmtl. wegen einer tech. Erleichterung in den 1660ern, was dann insbesondere den englischen Möbelbau prägte) Belegt nebst erhaltenen Exemplaren auch durch Furetière, in dessen 1690 erschienenem Dictionnaire Universel: « Il [le guéridon] eſt compoſé d’un pilier ou colomne de bois ou d’argent entre deux pieces rondes, l’un par bas pour le ſoûtenir, & l’autre par en haut pour porter ce qu’on met deſſus. » (@ Gallica) Es handelt sich also eher nur um die Assoziation des Leuchtenständers mit der Theaterfigur »Guéridon«.

(Bei meiner Frage zwar unwichtig, aber zur Verwendung von Ebenholz sei angemerkt, dass sie zuvorderst der Protzerei des höfischen Hochbarocks mit exotischen Materialien diente, sowie dem Anliegen, möglichst viel Kontrast der Marketerie zu verleihen, um die Materialschlacht {nebst Ebenholz und Edelmetallen allen voran Schildpatt und Elfenbein} besser zur Geltung zu bringen. Außerdem waren franz. guéridons selten aus Ebenholz gefertigt, ebenso wenig die englischen Modelle, die durch Exporte um 1700 wohl den venezianischen Möbelbau inspirierten, was generell an den dortigen Möbeln der Epoche zu erkennen ist.)

Interessanter aber ist der Hinweis des Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales auf das 1614 im Louvre aufgeführte Ballet des Argonautes, dessen Komponist Pierre Guédron (um 1665–1620) hieß. Die Ähnlichkeit des Namens kann doch kein Zufall sein, auch wenn manchmal die Figur »Guelindon« in jenem Ballett für den Grund der Bezeichnung »Guéridon« gehalten wird.(« une autre forme de « guéridon » »(??), @ Opéra Baroque). Wäre es nicht wahrscheinlicher, dass der Komponist Guédron in seinem Werk als bemalter Fackelträger agierte, zu einer Zeit als manchmal auch Herrscher Hauptrollen übernahmen und irgendwann auch das Publikum mittanzen durfte? Dies würde allerdings alle Behauptungen zu einer Figur namens »Guéridon« in damaligen Komödien relatieven, d.h. den Ursprung des Charakters auf Guédrons Ballett zurückführen.

Was meint Ihr zu »Guelindon« (da blicke ich überhaupt nicht durch) und zu den Wahrscheinlichkeiten beim Ursprung des Namens?
 
Zuletzt bearbeitet:
@Mashenka toller Beitrag!
Nur den bemalten Compositeur, aktiv bei einer Aufführung seines Balletts mittanzend, halte ich für eher unwahrscheinlich. Lully, Rameau & Co. waren in Frankreich recht geschätzt beim mondän-frivolen Adel.
 
@Mashenka toller Beitrag!
Nur den bemalten Compositeur, aktiv bei einer Aufführung seines Balletts mittanzend, halte ich für eher unwahrscheinlich. Lully, Rameau & Co. waren in Frankreich recht geschätzt beim mondän-frivolen Adel.
Hab’s irgendwie geahnt, dass Dir die Frage gefallen wird… :D

Das Ballett habe ja burleske Elemente enthalten. Burlesk wäre bspw. gewesen, wenn der werte »Compositeur« inmitten im Saal mit einer Fackel herumgestanden wäre, während alle tanzten. Louis XIII. (und nicht etwa der XIV., apropos Lully) hätte das bestimmt gutgeheißen. Was spricht Deiner Meinung nach dagegen? Die Autorität eines Guédron, während sogar der König hin und wieder mitwirkte? Ich kann mir sonst die Ähnlichkeit von »guéridon« und »Guédron« nicht erklären.
 
geht es mir nur um die Herleitung des Namens »Guéridon«, bzw. der entsprechenden Möbelbezeichnung […]
In diesen Zusammenhang gehört die komplexe Geschichte des französischen Wortes „guéridon“,[…] Als „guéridon“ ab 1614 in Kontexten um den königlichen Hof erstmals auftaucht, hat es zugleich mehrere Verwendungen: Es ist ein Refrain, […] eine Bezeichnung für […] ländlich-lustigen Tanzliedtyp […] und […] der Eigenname einer Personifizierung […] einen bäuerlichen, fröhlichen und geistreichen, dichtenden und singenden, anziehenden jungen Mann […]. Ab etwa 1650 begegnet man aber dem Wort auch mit einer ganz anderen Bedeutung: als Bezeichnung eines einbeinigen Möbelstückes,
[…] Schwarze waren von Anfang an unter den Guéridon-Figuren besonders verbreitet – bis zu dem Punkt, dass der Lexikograph César-Pierre Richelet (1626–1698) in seinem Nouveau Dictionnaire françois schreiben zu können glaubte, dass das Wort selbst «aporté d’Afrique», also aus Afrika gebracht worden wäre,

[…]
Interessanter aber ist der Hinweis des Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales auf das 1614 im Louvre aufgeführte Ballet des Argonautes, dessen Komponist Pierre Guédron (um 1665–1620) hieß. Die Ähnlichkeit des Namens kann doch kein Zufall sein, auch wenn manchmal die Figur »Guelindon« in jenem Ballett für den Grund der Bezeichnung »Guéridon« gehalten wird.(« une autre forme de « guéridon » »(??), @ Opéra Baroque). Wäre es nicht wahrscheinlicher, dass der Komponist Guédron in seinem Werk als bemalter Fackelträger agierte, zu einer Zeit als manchmal auch Herrscher Hauptrollen übernahmen und irgendwann auch das Publikum mittanzen durfte? Dies würde allerdings alle Behauptungen zu einer Figur namens »Guéridon« in damaligen Komödien relativieren, d.h. den Ursprung des Charakters auf Guédrons Ballett zurückführen.

Was meint Ihr zu »Guelindon« (da blicke ich überhaupt nicht durch) und zu den Wahrscheinlichkeiten beim Ursprung des Namens?

Den Zusammenhang Guéridon und Guelindon kann ich mir vorstellen. Es gibt sowohl den Rhota- als auch den Lambdazismus, also das ein Laut zu /l/ bzw. zu /r/ umgelautet wird.
Einen Zusammenhang zwischen dem Komponistennamen Guédron (bei dessen Lebensdaten Dir vermutlich ein Tippfehler unterlaufen ist) und Guéridon würde ich hingegen ausschließen. Ich würde vom Komponisten auch eher erwarten, dass er dirigierte, als dass er als Komparse im Bühnenstück teilnahm. Etymologisch gesehen würde bei einer Übernahme eines Personennamens für einen Rollennahmen eher mit einer Verschleifung rechnen, als damit, dass das Wort um eine Silbe verlängert würde.
 
… Guédron (bei dessen Lebensdaten Dir vermutlich ein Tippfehler unterlaufen ist)
»Vermutlich« ist nett; :) Korrektur: Pierre Guédron (um 1565–1620)

Den Zusammenhang Guéridon und Guelindon kann ich mir vorstellen. Es gibt sowohl den Rhota- als auch den Lambdazismus, also das ein Laut zu /l/ bzw. zu /r/ umgelautet wird.
Einen Zusammenhang zwischen dem Komponistennamen Guédron (bei dessen Lebensdaten Dir vermutlich ein Tippfehler unterlaufen ist) und Guéridon würde ich hingegen ausschließen. Ich würde vom Komponisten auch eher erwarten, dass er dirigierte, als dass er als Komparse im Bühnenstück teilnahm. Etymologisch gesehen würde bei einer Übernahme eines Personennamens für einen Rollennahmen eher mit einer Verschleifung rechnen, als damit, dass das Wort um eine Silbe verlängert würde.
Danke auch für die linguistische Einschätzung! Mir ist noch die Möglichkeit einer Art von Wortkreuzung von »Guelindon« mit »Guédron« durch den Kopf gegangen, was die Verlängerung angeht. Aber gut, heißt also, dass der Komödien-Charakter Guéridon durchaus schon zuvor existiert haben kann und dass im Ballett lediglich ein alternativer Name verwendet wurde.
Dass der Komponist Guédron mitgewirkt haben könnte, würde ich persönlich nach wie vor nicht ausschließen, zumal dies 1. seine Loyalität zum manchmal ebenfalls mittanzenden König hätte bezeugen können, und 2. als eine Art der Animation des Publikums zum Erfolg des Stückes beigetragen haben kann, u.U. auch um es zum Mitmachen zu bewegen. Aber ja, halbnackt und angemalt wäre schon eine heftige Demutbezeugung gewesen…

Wusste doch, dass die Frage besser unter Fragen & Antworten aufgehoben ist, da sie schnell geklärt, bzw. mein Verdacht entkräftigt wird. Danke, jedenfalls!
 
Was spricht Deiner Meinung nach dagegen?
Nichts "ständisches", sondern was aufführungspraktisches: in der Barockzeit gab es nur extrem wenige "professionelle" und ordentlich entlohnte "Berufsorchester" für "Großveranstaltungen" wie Oper und Ballett, weltliches und kirchliches Oratorium*) Nur wenige der "allerhöchsten" Herren leisteten sich vor der Spätbarockzeit ständige Oper und Orchester, wobei auch hier die Finanzlast oft genug privatwirtschaftlich auf die Ausführenden gelegt wurde**) Dann aber kommt noch hinzu, dass die "Compositeurs" in prunkvoll nach außen präsentierten Hofkapellmeisterposten verdammt viel zu tun hatten, und zwar ganz praktisch: Tafelmusiken (kleineres Ensemble) komponieren und aufführen alle Nase lang, repräsentative Großprojekte komponieren/proben/aufführen, d.h. für eine Oper, ein Ballett, ein Oratorium war z.B. Händel Regisseur, Organisator/Intendant, Komponist und Dirigent - Berufsdirigenten wie Karajan gab es noch lange nicht, d.h. Händel, Purcell, Rameau und dein Guedron waren nie in der angenehmen Lage, ihren eigenen Opern im Parkett zuzuschauen oder bei einer Aufführung eine Rolle übernehmen zu können, denn dann hätte das Orchester ohne Leitung (Kapellmeister) ein ziemlich wüstes Durcheinander produziert und den Zorn der hohen Herrschaften auf sich gezogen... ;):p Und das umso mehr, als ein Großteil der Orchestermusiker eher Laien waren und es nur sehr wenige Proben gab: da musste der Kapellmeister fast immer das Beste aus teils unzulänglichen Bedingungen herausholen***)

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*) Johann Jakob Scheibe, ein Zeitgenosse von Bach, also erst Spätbarock (!) beklagte diesen Unstand und regte Reformen an
**) der große Händel ging prima pleite als Londoner Oprenchef
***) es gibt tatsächlich Experimente, die derartiges nachstellen: Hobbymusiker im Klangkörper, 3 Proben mit Profidirigent, dann Aufnahme --- aber Halleluja, wir können froh sein, dass wir anderes gewohnt sind :D:D:D
 
Nichts "ständisches", sondern was aufführungspraktisches: […]
Wusst’ ich nicht. Die armen, armen Compositeure! Ganz im Gegenteil zu den Tänzern, bei denen es eigentlich nur um galante Bewegungen ging, während sie mehr oder weniger nur herumstolziert sind (von Ausnahmen abgesehen). Danke auch Dir für die Ausführungen! :)
 
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Die Ähnlichkeit des Namens kann doch kein Zufall sein
Warum nicht? Derartige Zufälle sind Legion.

Lully war ausgebildeter Tänzer.

Nichts "ständisches", sondern was aufführungspraktisches: in der Barockzeit gab es nur extrem wenige "professionelle" und ordentlich entlohnte "Berufsorchester" für "Großveranstaltungen" wie Oper und Ballett, weltliches und kirchliches Oratorium*) Nur wenige der "allerhöchsten" Herren leisteten sich vor der Spätbarockzeit ständige Oper und Orchester, wobei auch hier die Finanzlast oft genug privatwirtschaftlich auf die Ausführenden gelegt wurde**) Dann aber kommt noch hinzu, dass die "Compositeurs" in prunkvoll nach außen präsentierten Hofkapellmeisterposten verdammt viel zu tun hatten, und zwar ganz praktisch: Tafelmusiken (kleineres Ensemble) komponieren und aufführen alle Nase lang, repräsentative Großprojekte komponieren/proben/aufführen, d.h. für eine Oper, ein Ballett, ein Oratorium war z.B. Händel Regisseur, Organisator/Intendant, Komponist und Dirigent - Berufsdirigenten wie Karajan gab es noch lange nicht, d.h. Händel, Purcell, Rameau und dein Guedron waren nie in der angenehmen Lage, ihren eigenen Opern im Parkett zuzuschauen oder bei einer Aufführung eine Rolle übernehmen zu können
Am französischen Hof dürfte allerdings die Personaldecke nicht ganz so dünn gewesen sein; man beschäftigte einen surintendant de la musique du roi, einen compositeur de la musique de la Chambre du roi, einen maître de musique de la reine mère und was weiß ich noch....
 
Am französischen Hof dürfte allerdings die Personaldecke nicht ganz so dünn gewesen sein;
Zeitweilig, aber die Regel war das nicht permanent und überall, und nicht jeder wohlklingende Posten war mit einer üppigen Rente ausgestattet, geschweige denn dass die vielen benötigten Musiker (Orchester!) eine "Festanstellung" gehabt hätten (die meisten dümpelten mit Neben/Zusatzjobs) und das auch im Umfeld des franz. Hofs -- natürlich gab es vereinzelt in der Barockzeit "Superkarrieren": hier ein Kastrat, da eine Primadonna gelangten ausnahmsweise zu europaweitem Ruhm und einigem Reichtum.
 
Interessanter aber ist der Hinweis des Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales auf das 1614 im Louvre aufgeführte Ballet des Argonautes, dessen Komponist Pierre Guédron (um 1665–1620) hieß. Die Ähnlichkeit des Namens kann doch kein Zufall sein, auch wenn manchmal die Figur »Guelindon« in jenem Ballett für den Grund der Bezeichnung »Guéridon« gehalten wird.(« une autre forme de « guéridon » »(??), @ Opéra Baroque). Wäre es nicht wahrscheinlicher, dass der Komponist Guédron in seinem Werk als bemalter Fackelträger agierte, zu einer Zeit als manchmal auch Herrscher Hauptrollen übernahmen und irgendwann auch das Publikum mittanzen durfte? Dies würde allerdings alle Behauptungen zu einer Figur namens »Guéridon« in damaligen Komödien relatieven, d.h. den Ursprung des Charakters auf Guédrons Ballett zurückführen.

Nach dem von Dir erwähnten Artikel im CNRTL taucht der Name Guéridon als Person in einer Farce (Komödie) im Jahre 1614 auf und wurde im gleichen Jahr im Ballet des Argonautes verwendet.

Den Text der Farce findet man hier: Conférence d’Antitus, Panurge et Gueridon - Wikisource


Später dann Übertragung auf das Möbelstück, da das Bein des Tisches oftmals als Maure dargestellt wurde.

Einen Zusammenhang mit dem Komponisten Pierre Guédron stellt der Artikel im CNRTL nicht her.
 
Vielen Dank für den Link! :)

Später dann Übertragung auf das Möbelstück, da das Bein des Tisches oftmals als Maure dargestellt wurde.
Eben nicht. »Später« hieße um 1660/1670, was die Kausalität unglaubwürdig macht. Es wird immer wieder der oben genannte Brustolon herangezogen, der aber erst in den 1700ern, d.h. Jahrzehnte nach Einführung des Wortes für das Möbelstück seine ›äthiopischen Leuchtenatlanten‹ in Venetien hergestellt hatte. (Bei der Benennung des Leuchtenständers wird es sehr wahrscheinlich einzig und allein um die Assoziation mit der Theaterfigur gehandelt haben.) Hatte allerdings mit meiner Eingangsfrage nur insofern zu tun, als dass diese allzu legere Behauptung aus meiner verzweifelt suchenden Sicht auch die Glaubwürdigkeit des Restes der jeweiligen Angaben minderte.

Einen Zusammenhang mit dem Komponisten Pierre Guédron stellt der Artikel im CNRTL nicht her.
Stimmt. Ich aber war so frei, und fragte… :D
 
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Zur Einleitung Auszüge aus dem PDF Philippe Cordez, »Ebenholz-Sklaven : Zum Mobiliar Andrea Brustolons für Pietro Venier (Venedig, 1706)«, in: Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 3(2013), S. 24-41, (S. 28f):
[…] Als „guéridon“ ab 1614 in Kontexten um den königlichen Hof erstmals auftaucht, hat es zugleich mehrere Verwendungen: Es ist ein Refrain, dessen onomatopoetische Klänge den hellen Trällerlaut der Schalmei und den tiefen Dauerton des Bourdons eines Dudelsacks evozieren; außerdem eine Bezeichnung für den entsprechenden ländlich-lustigen Tanzliedtyp insbesondere aus der Region Poitou; und auch noch der Eigenname einer Personifizierung dieses Amüsements
[...]
Von der Figur des Guéridons als Fackeltänzer, der mit seinen Witzen entlarvte und verführte, bis zum Möbel Guéridon als Leuchterträger, der die Räume erhellte und verzierte, war es eigentlich ein kleiner Schritt – zumal die selben Handwerker aus dem Poitou Dudelsäcke wie auch Möbel drechseln konnten, und menschliche Figuren häufig zum Dekor zeitgenössischer Möbel gehörten.

Der onomatopoetische Erklärungsversuch mit dem Dudelsack überzeugt nicht im mindesten, und der Versuch, einen Zusammenhang mit dem Dudelsack dergestalt herzustellen, dass Drechsler sowohl Möbelteile wie auch Zubehör zu Musikinstrumenten herstellten, ist ebenfalls an den Haaren herbeigezogen.

Lautmalende Refrains an sich kann ich mir gut vorstellen; diese sind durch die Musikgeschichte gut belegt, man denke an Tandaradei (Walther von der Vogelweide), Don don don diri diri don (Orlando di Lasso), in diesem Sinne rechnete auch der Romanist Leo Spitzer guéridon zu den lautmalenden Wörtern:
Miscellanea linguistica dedicata a Hugo Schuchardt per il suo 80o anniversario (1922) : Schuchardt, Hugo : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
 
Eben nicht. »Später« hieße um 1660/1670, was die Kausalität unglaubwürdig macht. Es wird immer wieder der oben genannte Brustolon herangezogen, der aber erst in den 1700ern, d.h. Jahrzehnte nach Einführung des Wortes für das Möbelstück seine ›äthiopischen Leuchtenatlanten‹ in Venetien hergestellt hatte. (Bei der Benennung des Leuchtenständers wird es sehr wahrscheinlich einzig und allein um die Assoziation mit der Theaterfigur gehandelt haben.) Hatte allerdings mit meiner Eingangsfrage nur insofern zu tun, als dass diese allzu legere Behauptung aus meiner verzweifelt suchenden Sicht auch die Glaubwürdigkeit des Restes der jeweiligen Angaben minderte.

Der Artikel in der CNRTL geht von einer Übertragung von der Figur im Theater auf das Möbelstück aus. Hier noch mal aus der CNRTL:

Ainsi la désignation par ce nom de ce petit meuble, dont le pied, unique à l'orig., avait souvent une forme humaine, notamment celle d'un Maure, est peut-être due à l'image du personnage isolé, qui dans la danse du branle de la torche, au cours de laquelle on chantait ce refrain, tenait un flambeau alors que les autres s'embrassaient (Nies, op. cit., pp. 360-364).​

Sicher ist die Angabe auch nicht, das ist eine Vermutung ("peut-être"/vielleicht) von dem erwähnten Nies. Der Erstbeleg für Guéridon ist von 1614 für die erwähnte Farce und auch das Balletstück. (Ob der Verfasser von einem der Werke das Wort erfunden hat, oder ob es schon vorher mündlich in Gebrauch war, wird sich wohl nicht klären lassen.) Von daher wird man wohl sagen können, dass es das Wort spätestens ab 1614 gab. Aber Erstbeleg zeigt ja auch, dass es erst später (post 1614) auf das Möbelstück/Kerzenhalter übergegangen ist.

Du hast ja oben zitiert:

Ab etwa 1650 begegnet man aber dem Wort auch mit einer ganz anderen Bedeutung: als Bezeichnung eines einbeinigen Möbelstückes, genauer eines Leuchter- bzw. Beistelltisches (letztere Bedeutung hat sich durchgesetzt und ist heute nicht zuletzt in der Sprache der Luxusrestaurants gebräuchlich).

Danach wurde das Möbelstück zunächst ohne einen figürlich dargestellen Mauren auch schon als Guéridon bezeichnet.

Laut Wiki Guéridon – Wikipedia :

Der Guéridon ist ein kleiner Tisch, der in Wohnräumen oder im Restaurant verwendet wird. Die Bezeichnung wird von einem jungen schwarzen Sklaven aus einer Komödie von 1644 mit Namen Guéridon abgeleitet, der einen Kandelaber trägt.[1]

Quelle: Geneviève Souchal: Le mobilier français au XVIIIe siècle, Paris: Hachette, 1962, S. 76

Da müßte man sich das Werk von Mdm. Souchal besorgen und nachsehen.


EDIT: * Vielleicht nicht namentlich, tut es aber doch mit « et introduit à la même date dans un ballet (1614, ballet des Argonautes, cf. Nies, loc. cit.) ».

Nach meinem Verständnis des Textes eigentlich nicht, vielleicht verstehe ich auch nicht, was Du im Text verstehst.
 
Ich sollte meine laienhaften etymologischen Spekulationen für mich behalten, doch weil dabei vielleicht etwas für unseren Festungsexperten raus springt, bring ich sie trotzdem:
Eventuell gibt es einen Zusammenhang mit dem französischen Wort la guérite, was für kleine Wächterhäuschen (Guérite — Wikipédia ), aber auch Türmchen bis hin zum Mastkorb bei Schiffen benutzt wird.

Guérite und guéride kennt man spätestens seit dem 13. Jh. als Bezeichnung für einen Zufluchtsort, so z.B bei einem Hospiz in Pamiers (Pyrenäen), dem L'hôpital de la Guéride, oder im Ausdruck a la garite! / a la guerida! (rette sich wer kann!).
Der Suffix -on wird im Französischen manchmal diminutiv, wie z.B. in chaperon angehängt.

Die kleine Zuflucht oder das kleine Wächterhäuschen als Bezeichnung für ein Möbelstück finde ich hübsch, ist aber vermutlich auch nur an den Haaren herbeigezogen. Ich fand nur eine Veröffentlichung aus dem 19. Jh., die das ähnlich sieht, es aber von einem angeblich lateinischen guarida für Türmchen ableitet. Den dort erwähnten Eintrag dafür im Glossarium ad scriptores mediae et infimae latinitatis – Wikipedia finde ich allerdings nicht.

Nicht nur, aber besonders für @dekumatland: Guérite blindée – Wikipedia
 
Da habe ich - glaube ich - etwas falsch verstanden:

Eben nicht. »Später« hieße um 1660/1670, was die Kausalität unglaubwürdig macht. Es wird immer wieder der oben genannte Brustolon herangezogen, der aber erst in den 1700ern, d.h. Jahrzehnte nach Einführung des Wortes für das Möbelstück seine ›äthiopischen Leuchtenatlanten‹ in Venetien hergestellt hatte.

Wir haben erst (spätestens 1614) den Begriff Guéridon für eine Rolle in einem Theaterstück bzw. Ballett, dann ab 1650 als einbeiniger Leuchter- /Beitstelltisch (zunächst noch figürliche Darstellung eines Mauren), dann später (Ende des 17. Jh.) ist das Tischbein in der Form eines Mauren.

Danach dürfte der Begriff nicht direkt von der Theaterrolle auf den Leuchter in Form eines Mauren übertragen worden sein.

Der Artikel in der CNRTL geht von einer Übertragung von der Figur im Theater auf das Möbelstück aus. Hier noch mal aus der CNRTL:

Möglicherweise findet sich der missing link in der Bedeutungsübrtragung in dem oben erwähnten Buch von Geneviève Souchal.
 
Ich sollte meine laienhaften etymologischen Spekulationen für mich behalten, doch weil dabei vielleicht etwas für unseren Festungsexperten raus springt, bring ich sie trotzdem:
Eventuell gibt es einen Zusammenhang mit dem französischen Wort la guérite, was für kleine Wächterhäuschen (Guérite — Wikipédia ), aber auch Türmchen bis hin zum Mastkorb bei Schiffen benutzt wird.

Guérite und guéride kennt man spätestens seit dem 13. Jh. als Bezeichnung für einen Zufluchtsort, so z.B bei einem Hospiz in Pamiers (Pyrenäen), dem L'hôpital de la Guéride, oder im Ausdruck a la garite! / a la guerida! (rette sich wer kann!).
Der Suffix -on wird im Französischen manchmal diminutiv, wie z.B. in chaperon angehängt.

Die kleine Zuflucht oder das kleine Wächterhäuschen als Bezeichnung für ein Möbelstück finde ich hübsch, ist aber vermutlich auch nur an den Haaren herbeigezogen. Ich fand nur eine Veröffentlichung aus dem 19. Jh., die das ähnlich sieht, es aber von einem angeblich lateinischen guarida für Türmchen ableitet. Den dort erwähnten Eintrag dafür im Glossarium ad scriptores mediae et infimae latinitatis – Wikipedia finde ich allerdings nicht.

Nicht nur, aber besonders für @dekumatland: Guérite blindée – Wikipedia
Bin mir jetzt nur nicht sicher, ob das Wort nicht schon damals für den Korbsessel reserviert war, dessen Lehne bis über den Kopf reichte (vmtl. nicht, aber möglich). Heute jedenfalls wird die bergère à dôme auch «bergère à guérite» oder abgekürzt eben «guérite» genannt.
 
Möglicherweise findet sich der missing link in der Bedeutungsübrtragung in dem oben erwähnten Buch von Geneviève Souchal.
Ja, danke! Werde dort nachschauen. Mit Literatur über Mobiliar ist es allerdings so ne Sache…, es gab und gibt so viele Autoren, die irgendwas zusammenschrieben. Es gibt leider immer noch viel zu wenig gute Fachliteratur, v.a. was die Zeit vor 1700 angeht.
 
Der onomatopoetische Erklärungsversuch mit dem Dudelsack überzeugt nicht im mindesten, und der Versuch, einen Zusammenhang mit dem Dudelsack dergestalt herzustellen, dass Drechsler sowohl Möbelteile wie auch Zubehör zu Musikinstrumenten herstellten, ist ebenfalls an den Haaren herbeigezogen.

Lautmalende Refrains an sich kann ich mir gut vorstellen; diese sind durch die Musikgeschichte gut belegt, man denke an Tandaradei (Walther von der Vogelweide), Don don don diri diri don (Orlando di Lasso), in diesem Sinne rechnete auch der Romanist Leo Spitzer guéridon zu den lautmalenden Wörtern:
Miscellanea linguistica dedicata a Hugo Schuchardt per il suo 80o anniversario (1922) : Schuchardt, Hugo : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
Danke, fürs genaue Durchlesen, Sepiola! Einiges hat mich auch nicht so überzeugt. Das Problemchen war nur: Fritz Nies’ Beitrag, »Zum Ursprung von Fr. Guéridon und seiner Geschichte im 17. Jahrhundert« in der Germanisch-Romanische Monatsschrift aus 1967 scheint ein wichtiger Essay zum Thema zu sein, auf den sich ja auch das CNRTL bezieht.

Super der Link, vielen Dank!! Bestätigt auch sehr schön die Abwandlung von »guéridon« zu »Guelindon«! Und die diri-diri-don-Sache klingt eigentlich auch überzeugend.
 
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