Mashenka
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Liebes Forum,
Auch wenn meine Frage das aktuelle Thema ›Rassimus in der Kunst, und wie damit umgehen‹ tangiert, geht es mir nur um die Herleitung des Namens »Guéridon«, bzw. der entsprechenden Möbelbezeichnung (im 18. Jh. übrigens auch im Deutschen für ›Kerzenständer‹ gebräuchlich, siehe Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 11, 1735).:
Zur Einleitung Auszüge aus dem PDF Philippe Cordez, »Ebenholz-Sklaven : Zum Mobiliar Andrea Brustolons für Pietro Venier (Venedig, 1706)«, in: Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 3(2013), S. 24-41, (S. 28f):
[…] Angesichts dieser suggestiven Konstellationen stellen sich Fragen: Wie ist man dazu gekommen, Afrikaner in Ebenholz darzustellen und zu Möbeln zu machen? […]
Wandlungen: Körper und Materialien
In diesen Zusammenhang gehört die komplexe Geschichte des französischen Wortes „guéridon“,[10] als welche die freistehenden Vasenträger im Mobiliar Andrea Brustolons, und insbesondere die Afrikanerfiguren, bezeichnet werden können. Als „guéridon“ ab 1614 in Kontexten um den königlichen Hof erstmals auftaucht, hat es zugleich mehrere Verwendungen: Es ist ein Refrain, dessen onomatopoetische Klänge den hellen Trällerlaut der Schalmei und den tiefen Dauerton des Bourdons eines Dudelsacks evozieren; außerdem eine Bezeichnung für den entsprechenden ländlich-lustigen Tanzliedtyp insbesondere aus der Region Poitou; und auch noch der Eigenname einer Personifizierung dieses Amüsements, wobei man sich Guéridon als einen bäuerlichen, fröhlichen und geistreichen, dichtenden und singenden, anziehenden jungen Mann vorzustellen hat. Ab etwa 1650 begegnet man aber dem Wort auch mit einer ganz anderen Bedeutung: als Bezeichnung eines einbeinigen Möbelstückes, genauer eines Leuchter- bzw. Beistelltisches (letztere Bedeutung hat sich durchgesetzt und ist heute nicht zuletzt in der Sprache der Luxusrestaurants gebräuchlich). Diese Sinnverschiebung wird dadurch erklärt, dass manche Hofbälle der Zeit durch Rundtänze ländlichen Charakters eröffnet wurden, in denen man Guéridons sang und Fackeln trug: Von der Figur des Guéridons als Fackeltänzer, der mit seinen Witzen entlarvte und verführte, bis zum Möbel Guéridon als Leuchterträger, der die Räume erhellte und verzierte, war es eigentlich ein kleiner Schritt – zumal die selben Handwerker aus dem Poitou Dudelsäcke wie auch Möbel drechseln konnten, und menschliche Figuren häufig zum Dekor zeitgenössischer Möbel gehörten.
Mehrere Inventare belegen, dass diese hölzernen Guéridons sich schnell in den französischen Adelshäusern aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert verbreitet haben; zurzeit Ludwig des XIV. soll es 455 davon in Versailles gegeben haben; oft wurden sie in Paaren verwendet.[11] Mohren bzw. Schwarze waren von Anfang an unter den Guéridon-Figuren besonders verbreitet – bis zu dem Punkt, dass der Lexikograph César-Pierre Richelet (1626–1698) in seinem Nouveau Dictionnaire françois schreiben zu können glaubte, dass das Wort selbst «aporté d’Afrique», also aus Afrika gebracht worden wäre, und zunächst ein Objekt bezeichnete, bevor man es «métamorphosa en homme», «in einem Mensch verwandelte».[12] Diese Präsenz der Mohren als Guéridon-Figuren lässt sich aber zunächst umgekehrt dadurch erklären, dass Mohren öfter in Balletten oder Maskeraden am Hof vorkamen, wie auch der allegorische französische Bauer Guéridon – und dass sie dort als Exoten nicht unbedingt sehr viel fremder als dieser gewirkt haben mögen. Außerdem waren bereits die ersten bezeugten Guéridon-Möbel aus Ebenholz gefertigt,[13] und man muss empfunden haben, dass dies mit der Darstellung von Mohren bestens einhergehen würde. So wurden die Mohren-Tänzer, deren Rolle jener der unterhaltenden Guéridon-Figur ähnelte, zusammen mit dieser
zu ebenhölzernen Guéridon-Möbeln. […]
10. Vgl. zum Folgenden Fritz Nies, «Zum Ursprung von Fr. Guéridon und seiner Geschichte im 17. Jahrhundert», in: Germanisch-Romanische Monatsschrift, 1967, Bd. N.F. 17, S. 353–364.
11. Vgl. Henry Havard, Dictionnaire de l’ameublement et de la décoration depuis le XIIIe siècle jusqu’à nos jours, 4 Bde., Paris 1887–1890, s.v. ‹Guéridon›, Bd. 2, col. 1108–1113.
12. César-Pierre Richelet, Nouveau Dictionnaire françois contenant généralement tous les mots, les matières [...], Köln 1694, S. 476. Diese Erklärung findet sich noch nicht in der ersten Edition von 1680.
13. […]
Ohne auf jene Ausgabe der Germanisch-Romanischen Monatsschrift Zugriff zu haben, würde ich erstmal die Behauptung als Spekulation betrachten, die Darstellung von Mohren bzw. Schwarzen als Guéridon-Tischgestell sei von Anfang an verbreitet gewesen. Frühe guéridons, d.h. aus dem letzten Drittel des 17. Jhs., zeichnen sich durch eine runde Tischplatte, eine runde Fußplatte (meist mit Kugelfüßchen) und insbesondere durch eine gedrechselte Mittelsäule aus, die dem Gusto der Zeit entsprechend fast immer spiralförmig war.(vmtl. wegen einer tech. Erleichterung in den 1660ern, was dann insbesondere den englischen Möbelbau prägte) Belegt nebst erhaltenen Exemplaren auch durch Furetière, in dessen 1690 erschienenem Dictionnaire Universel: « Il [le guéridon] eſt compoſé d’un pilier ou colomne de bois ou d’argent entre deux pieces rondes, l’un par bas pour le ſoûtenir, & l’autre par en haut pour porter ce qu’on met deſſus. » (@ Gallica) Es handelt sich also eher nur um die Assoziation des Leuchtenständers mit der Theaterfigur »Guéridon«.
(Bei meiner Frage zwar unwichtig, aber zur Verwendung von Ebenholz sei angemerkt, dass sie zuvorderst der Protzerei des höfischen Hochbarocks mit exotischen Materialien diente, sowie dem Anliegen, möglichst viel Kontrast der Marketerie zu verleihen, um die Materialschlacht {nebst Ebenholz und Edelmetallen allen voran Schildpatt und Elfenbein} besser zur Geltung zu bringen. Außerdem waren franz. guéridons selten aus Ebenholz gefertigt, ebenso wenig die englischen Modelle, die durch Exporte um 1700 wohl den venezianischen Möbelbau inspirierten, was generell an den dortigen Möbeln der Epoche zu erkennen ist.)
Interessanter aber ist der Hinweis des Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales auf das 1614 im Louvre aufgeführte Ballet des Argonautes, dessen Komponist Pierre Guédron (um 1665–1620) hieß. Die Ähnlichkeit des Namens kann doch kein Zufall sein, auch wenn manchmal die Figur »Guelindon« in jenem Ballett für den Grund der Bezeichnung »Guéridon« gehalten wird.(« une autre forme de « guéridon » »(??), @ Opéra Baroque). Wäre es nicht wahrscheinlicher, dass der Komponist Guédron in seinem Werk als bemalter Fackelträger agierte, zu einer Zeit als manchmal auch Herrscher Hauptrollen übernahmen und irgendwann auch das Publikum mittanzen durfte? Dies würde allerdings alle Behauptungen zu einer Figur namens »Guéridon« in damaligen Komödien relatieven, d.h. den Ursprung des Charakters auf Guédrons Ballett zurückführen.
Was meint Ihr zu »Guelindon« (da blicke ich überhaupt nicht durch) und zu den Wahrscheinlichkeiten beim Ursprung des Namens?
Auch wenn meine Frage das aktuelle Thema ›Rassimus in der Kunst, und wie damit umgehen‹ tangiert, geht es mir nur um die Herleitung des Namens »Guéridon«, bzw. der entsprechenden Möbelbezeichnung (im 18. Jh. übrigens auch im Deutschen für ›Kerzenständer‹ gebräuchlich, siehe Zedler, Universal-Lexicon, Bd. 11, 1735).:
Zur Einleitung Auszüge aus dem PDF Philippe Cordez, »Ebenholz-Sklaven : Zum Mobiliar Andrea Brustolons für Pietro Venier (Venedig, 1706)«, in: Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften 3(2013), S. 24-41, (S. 28f):
[…] Angesichts dieser suggestiven Konstellationen stellen sich Fragen: Wie ist man dazu gekommen, Afrikaner in Ebenholz darzustellen und zu Möbeln zu machen? […]
Wandlungen: Körper und Materialien
In diesen Zusammenhang gehört die komplexe Geschichte des französischen Wortes „guéridon“,[10] als welche die freistehenden Vasenträger im Mobiliar Andrea Brustolons, und insbesondere die Afrikanerfiguren, bezeichnet werden können. Als „guéridon“ ab 1614 in Kontexten um den königlichen Hof erstmals auftaucht, hat es zugleich mehrere Verwendungen: Es ist ein Refrain, dessen onomatopoetische Klänge den hellen Trällerlaut der Schalmei und den tiefen Dauerton des Bourdons eines Dudelsacks evozieren; außerdem eine Bezeichnung für den entsprechenden ländlich-lustigen Tanzliedtyp insbesondere aus der Region Poitou; und auch noch der Eigenname einer Personifizierung dieses Amüsements, wobei man sich Guéridon als einen bäuerlichen, fröhlichen und geistreichen, dichtenden und singenden, anziehenden jungen Mann vorzustellen hat. Ab etwa 1650 begegnet man aber dem Wort auch mit einer ganz anderen Bedeutung: als Bezeichnung eines einbeinigen Möbelstückes, genauer eines Leuchter- bzw. Beistelltisches (letztere Bedeutung hat sich durchgesetzt und ist heute nicht zuletzt in der Sprache der Luxusrestaurants gebräuchlich). Diese Sinnverschiebung wird dadurch erklärt, dass manche Hofbälle der Zeit durch Rundtänze ländlichen Charakters eröffnet wurden, in denen man Guéridons sang und Fackeln trug: Von der Figur des Guéridons als Fackeltänzer, der mit seinen Witzen entlarvte und verführte, bis zum Möbel Guéridon als Leuchterträger, der die Räume erhellte und verzierte, war es eigentlich ein kleiner Schritt – zumal die selben Handwerker aus dem Poitou Dudelsäcke wie auch Möbel drechseln konnten, und menschliche Figuren häufig zum Dekor zeitgenössischer Möbel gehörten.
Mehrere Inventare belegen, dass diese hölzernen Guéridons sich schnell in den französischen Adelshäusern aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert verbreitet haben; zurzeit Ludwig des XIV. soll es 455 davon in Versailles gegeben haben; oft wurden sie in Paaren verwendet.[11] Mohren bzw. Schwarze waren von Anfang an unter den Guéridon-Figuren besonders verbreitet – bis zu dem Punkt, dass der Lexikograph César-Pierre Richelet (1626–1698) in seinem Nouveau Dictionnaire françois schreiben zu können glaubte, dass das Wort selbst «aporté d’Afrique», also aus Afrika gebracht worden wäre, und zunächst ein Objekt bezeichnete, bevor man es «métamorphosa en homme», «in einem Mensch verwandelte».[12] Diese Präsenz der Mohren als Guéridon-Figuren lässt sich aber zunächst umgekehrt dadurch erklären, dass Mohren öfter in Balletten oder Maskeraden am Hof vorkamen, wie auch der allegorische französische Bauer Guéridon – und dass sie dort als Exoten nicht unbedingt sehr viel fremder als dieser gewirkt haben mögen. Außerdem waren bereits die ersten bezeugten Guéridon-Möbel aus Ebenholz gefertigt,[13] und man muss empfunden haben, dass dies mit der Darstellung von Mohren bestens einhergehen würde. So wurden die Mohren-Tänzer, deren Rolle jener der unterhaltenden Guéridon-Figur ähnelte, zusammen mit dieser
zu ebenhölzernen Guéridon-Möbeln. […]
10. Vgl. zum Folgenden Fritz Nies, «Zum Ursprung von Fr. Guéridon und seiner Geschichte im 17. Jahrhundert», in: Germanisch-Romanische Monatsschrift, 1967, Bd. N.F. 17, S. 353–364.
11. Vgl. Henry Havard, Dictionnaire de l’ameublement et de la décoration depuis le XIIIe siècle jusqu’à nos jours, 4 Bde., Paris 1887–1890, s.v. ‹Guéridon›, Bd. 2, col. 1108–1113.
12. César-Pierre Richelet, Nouveau Dictionnaire françois contenant généralement tous les mots, les matières [...], Köln 1694, S. 476. Diese Erklärung findet sich noch nicht in der ersten Edition von 1680.
13. […]
Ohne auf jene Ausgabe der Germanisch-Romanischen Monatsschrift Zugriff zu haben, würde ich erstmal die Behauptung als Spekulation betrachten, die Darstellung von Mohren bzw. Schwarzen als Guéridon-Tischgestell sei von Anfang an verbreitet gewesen. Frühe guéridons, d.h. aus dem letzten Drittel des 17. Jhs., zeichnen sich durch eine runde Tischplatte, eine runde Fußplatte (meist mit Kugelfüßchen) und insbesondere durch eine gedrechselte Mittelsäule aus, die dem Gusto der Zeit entsprechend fast immer spiralförmig war.(vmtl. wegen einer tech. Erleichterung in den 1660ern, was dann insbesondere den englischen Möbelbau prägte) Belegt nebst erhaltenen Exemplaren auch durch Furetière, in dessen 1690 erschienenem Dictionnaire Universel: « Il [le guéridon] eſt compoſé d’un pilier ou colomne de bois ou d’argent entre deux pieces rondes, l’un par bas pour le ſoûtenir, & l’autre par en haut pour porter ce qu’on met deſſus. » (@ Gallica) Es handelt sich also eher nur um die Assoziation des Leuchtenständers mit der Theaterfigur »Guéridon«.
(Bei meiner Frage zwar unwichtig, aber zur Verwendung von Ebenholz sei angemerkt, dass sie zuvorderst der Protzerei des höfischen Hochbarocks mit exotischen Materialien diente, sowie dem Anliegen, möglichst viel Kontrast der Marketerie zu verleihen, um die Materialschlacht {nebst Ebenholz und Edelmetallen allen voran Schildpatt und Elfenbein} besser zur Geltung zu bringen. Außerdem waren franz. guéridons selten aus Ebenholz gefertigt, ebenso wenig die englischen Modelle, die durch Exporte um 1700 wohl den venezianischen Möbelbau inspirierten, was generell an den dortigen Möbeln der Epoche zu erkennen ist.)
Interessanter aber ist der Hinweis des Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales auf das 1614 im Louvre aufgeführte Ballet des Argonautes, dessen Komponist Pierre Guédron (um 1665–1620) hieß. Die Ähnlichkeit des Namens kann doch kein Zufall sein, auch wenn manchmal die Figur »Guelindon« in jenem Ballett für den Grund der Bezeichnung »Guéridon« gehalten wird.(« une autre forme de « guéridon » »(??), @ Opéra Baroque). Wäre es nicht wahrscheinlicher, dass der Komponist Guédron in seinem Werk als bemalter Fackelträger agierte, zu einer Zeit als manchmal auch Herrscher Hauptrollen übernahmen und irgendwann auch das Publikum mittanzen durfte? Dies würde allerdings alle Behauptungen zu einer Figur namens »Guéridon« in damaligen Komödien relatieven, d.h. den Ursprung des Charakters auf Guédrons Ballett zurückführen.
Was meint Ihr zu »Guelindon« (da blicke ich überhaupt nicht durch) und zu den Wahrscheinlichkeiten beim Ursprung des Namens?
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