So, ich hätte eine passende Passage gefunden.
Der von dir zitierte Artikel behauptet:
"Gleich nach der Übernahme seines Amtes, machte Poincaré öffentlich deutlich, das er die besten Beziehungen zu Russland pflegen will. Im August 1912 stand ein Besuch in Petersburg auf der Tagesordnung von Poincaré, den er mit dem russischen Botschafter in Paris, Iswolski, vorbereitet hatte, an. Im Zuge dieser vorbereitenden Gespräche stellte Raymond Poincaré Russland einen Blankoscheck für den Krieg aus. Poincaré sagt im Voraus zu, der Bündnisfall sei für Frankreich gegeben, wenn es zwischen Russland und Österreich-Ungarn zu einem Krieg käme und damit dann für Deutschland der Bündnisfall eintrete. Deutschland hatte Österreich-Ungarn gemäß dem Vertrag von 1879 nur für einen Fall militärische Unterstützung zugesichert, nämlich dann, wenn Russland Österreich angreift."
Clark schreibt in seine Schlafwandlern hingegen:
"Was immer der Grund für den Kurswechsel gewesen sein mochte, im Herbst 1912 sprach sich Poincaré jedenfalls vehement für eine bewaffnete Intervention Russlands auf dem Balkan aus. In einem Gespräch mit Iswolski in der zweiten Septemberwoche, als sich der Erste Balkankrieg bereits andeutete, aber noch nicht begonnen hatte, sagte der französische Regierungchef dem russischen Botschafter, dass die Zerschlagung Bulgariens durch die Türkei oder ein Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien Russland zwingen könne, "seine passive Rolle aufzugeben". Sollte Russland eine militärische Intervention gegen Österreich-Ungarn einleiten müssen und sollte dies wiederrum eine Intervention durch Deutschland nach sich ziehen (was nach den Bestimmungen des Zweibundvertrags unvermeidlich war), so erkenne die französische Regierung dies im Voraus als casus foederis an und würde nicht einen Augenblick zögern, die Verpflichtung, die sie Russland gegenüber auf sich genommen hat zu erfüllen."
Clark, Schlafwandler, 8. Auflage, München, 2013 S. 387
Ich denke der Unterschied ist augenfällig.
Poincaré hatte nicht Russland für eine x-beliebige Situation einen Blankoschek zum Krieg gegen die Zentralmächte ausgestellt, sondern er hatte seinerzeit als Ministerpräsident Frankreichs die Zusage gegeben, dass seine Regierung im Konkreten Zusammenhang dass ein Österreichisch-Serbischer Zusammenstoß eine Deutsche Intervention auslöste (das aber hätte einen serbischen Angriff auf Österreich-Ungarn vorausgesetzt, da der Dreibund ein Defensivbündnis war), dies als Bündnisfall anerkennen würde.
Er berief sich dabei nicht darauf, dass der französisch-russische Allianzvertrag dies so gefordert hätte, sondern er erklärte, dass er als Ministerpräsident und Chef der Regierung Frankreichs bereit wäre eine solche Interpretation des Abkommens vorauszusetzen um Russland beizustehen.
Das Problem ist nur:
Im Juli 1914 war Poincaré nicht mehr Ministerpräsident und damit Chef der Regierung, der die Interpretation der vertraglichen Verpflichtungen oblag. Poincaré war inzwischen Staatspräsident, womit die Zusagen Poincarés, die dieser als Regierungschef Frankreichs der russischen Seite gemacht hatte, nichts mehr wert waren, weil inzwischen Réné Viviani, nicht mehr Poincaré Regierungschef war und dieser sich an Interpretationen Poincarés, hinsichtlich Bündnispflichten, die sich so nicht eindeutig aus dem Vertagstext ableiten ließen, nicht mehr gebunden fühlen musste.
Insofern muss ich mich korrigieren.
Was der Wikipediartikel schreibt ist nicht im Wortlaut falsch, impliziert aber durchaus die falsche Vorstellungen im Hinblick auf klar abzuleitende französische Bündnispflichten, Frankreich wäre zu einem offensiven Mitgehen mit Russland anno 1914 verpflichtet gewesen.
Nein, war es nicht. Poincaré hatte nur 1912 als Regierungschef angeboten den Vertrag so auszulegen, dass Frankreich mitgehen würde und das auch nur, wenn Deutschland verwickelt würde (also nicht unbedingt im Fall einer Österreichischen Agression, für die für Deutschland der casus foederis nicht griff).
Ob Viviani als neuer Regierungschef aber bereit war dieser Auslgeung zu folgen, dass steht auf einem anderen Blatt.
Ein Grund mehr eher die Einschätzung Vivianis, als die Poincarés für maßgeblich zu halten, würde ich meinen.