Liman-von-Sanders-Krise und die Dardanellen. (..Ein Versuch)

Dass die Großmächte seinerzeit das russ. Dardanellen Geheule samt Drohszenarien ernst nahmen, verwundert mich
1911 greift Italien das Osmanische Reich militärisch an um sich Teile desselben einzuverleiben.
Im Rahmen dieses Krieges wird der Bosporus vorübergehend gesperrt. Das bringt Russland ganz erhebliche Verluste die zudem das Vertrauen in die Russische Finanzwelt erschüttern.
Über die Meerengen geht der Export den es braucht um in der Industrialisierung aufzuholen.
Der Weizen aus den Schwarzerdegebieten bringt die Kaufkraft für Maschinen die man selber noch nicht darstellen kann, weil man eben noch zurückgeblieben ist und deshalb auch dringend aufholen muss.
Dieser Export läuft über die Meerengen.
Wenn der nicht funktioniert, dann fällt man weiter zurück.
Dabei ist Aufholen ja schon schwierig genug, wenn man sich verspätet einer zunehmend dynamischeren Welt stellt.

Und dann gab es neben diesen unabweisbaren wirtschaftlichen Gründen auch religiöse und nationalistische Motive.
Letztere beide waren wohl "Geheule".
Das Heulen der Wölfe der Duma und der Presse, die beide eben erst entstanden sind, definiert zunehmend die aggressive Melodie der Außenpolitik.
Das Heulen der Wölfe aber findet statt vor dem Hintergrund einer realen Gefahr:
Wer die Meerengen sperren kann, kann eine Hauptschlagader des Russischen Reiches durchtrennen.
 
Das Heulen der Wölfe aber findet statt vor dem Hintergrund einer realen Gefahr:
Wer die Meerengen sperren kann, kann eine Hauptschlagader des Russischen Reiches durchtrennen.
geografisches Pech, wenn man sich ein Riesenreich im Abseits anlegt: denn deswegen hat man kein Anrecht auf anderer Leute günstigere logistische Bedingungen.
(ist halt anatomisch sehr blöd gelaufen, wenn die "Hauptschlagader" a) weit weg und b) obendrein in der Hand von Leuten ist, mit denen man es sich gründlich verscherzt hat ...)
((und wenn man unter den genannten Bedingungen dann in Sachen Militärweltmacht Drohgebärden vom Stapel lässt, muss man sich nicht wundern, wenn man wegen 1904 nicht so ganz doll glorreich wirkt...))
 
Die Sperrung der Meerengen war legal. Wer hat Petersburg eigentlich darin gehindert, auf die italienische Regierung, als die ihren Kolonailkrieg bis vor die türkische Haustür getragen hatte, entsprechend einzuwirken.

Sasonow wollte kurze Zeit später, der Erste Balkankrieg war bereits ausgebrochen, die Bedrängnis Konstantinopels ausnutzen, um die Meerengenfrage im eigenen Sinne zu lösen.
 
Keine Antwort. Auch gut.

Die Entwicklung in Russland wurde von den deutschen Diplomaten, allen voran der deutschen Botschafter in Petersburg Pourtalés, falsch eingeschätzt. Der Panslawismus regte sich, wieder einmal, und rief zum Kampfe mit dem Germanentum auf.

Sasonow war der "interessanten" Auffassung, die Herrschaft über die Meerengen sei gleichbedeutend mit der Herrschaft über dem Balkan. Am 06.Januar 1914 schlug er seinem Souverän vor, einem Krieg vom Zaun zu brechen. Ziel wäre die Aufteilung des Osmanischen Reiches. Die Briten sollten in Izmir, die Franzosen in Beirut und Trabzon landen, um eine Aufteilung des Reiches unter den Mächten der Triple Entente vorzubereiten. Eine abenteuerliche Vorstellung.
Eine Woche später tagte der Kriegsausschuss über die Möglichkeit die Liman-Krise zu einem Krieg zu nutzen. Kokowzow winkte ab, da nur die Unterstützung Frankreichs als sicher galt.

Die militärischen Erfolge der slawischen Staaten im Zuge der Balkankrieg sind Sasonow möglicherweise zu Kopf gestiegen.

Jedenfalls mussten die Deutschen einmal mehr zur Kenntnis nehmen, das London international mit zweierlei Maß wertete. Von Gleichgewichtspolitik keine Rede mehr. Berlin war von Konstantinopel um Hilfe gebeten wurden und das Zarenreich bedurfte nun wirklich keiner Unterstützung mehr. Aber die britische Regierung pflegte lieber seine Beziehungen zu Paris und Petersburg. Die deutsche Regierung lenkte ein; nicht zuletzt aus Sorge um die gebesserten Beziehungen zu Großbritannien. Man gab sich in Deutschland bezüglich Londons immer noch Illusionen hin. Ganz anders hinsichtlich Russlands. Selbst Poincaré sah, das die große Machtentfaltung der Russen gegenüber Deutschland in absehbarer Zeit zum Krieg führen müsse.

Die deutsch-russischen Beziehungen wurden durch diese Krise weiter schwer beschädigt.

Umso deprimierender war dann für Bethmann die Nachricht, genauer der Geheimnisverrats von Benno von Siebert, das in London über eine Marinekonvention zwischen Großbritannien und Russland verhandelt wird.
 
Bethmann Hollweg war eine der 5 Personen, die vollständigen Zugang zu allen von Benno von Siebert seit 1908/1909 weiter gegebenen Zusammenfassungen, Auszügen, Exzerpten und Informationen hatte. Über die - auch verschiedenen, zeitlich variierenden - Motive, Ziele, Reaktionen und Vorhaben der Entscheider der russ. Administration - durch den Filter Benno von Siebert - wird er entsprechend umfangreich in Kenntnis gesetzt gewesen sein.

Die Versuche der russ. Administration seit 1912, mit London in Marine-Verhandlungen einzutreten, dürfen als bei Bethmann bekannt voraus gesetzt werden. Die in Berlin avisierte Liman-Mission und die darauf folgende Krise speziell in den politischen dt.-russ. Beziehungen können für Bethmann auf dieser Basis der Kenntnis der Siebert'schen Berichte/Mitteilungen usw. nicht überraschend oder unerwartet gewesen sein, ebenso wenig der nachfolgende Beginn der russ.-britischen Gespräche über eine Marine-Konvention ab dem zeitigen Frühjahr 1914.
 
Zunächst würde ich es sehr begrüßen, wenn du @andreassolar, in einem Forum wie den unserigen, in dem sich Geschichtsinteressierte austauschen und diskutieren die ganzen angesammelten Fragen ,Nachfragen endlich, endlich einmal beantworten und nicht souverän ignorieren würdest.

Du nennst fünf Personen. Mir sind eigentlich deren nur vier bekannt.
Kanzler Bethmann-Hollweg, der Staatssekretär des Äußeren von Jagow, der Unterstaatssekretär des Äußeren Zimmermann und der Chef der Politischen Abteilung von Stumm.
Oder zählst du den Übersetzer Schiemann mit? Dieser wurde ja zur strengsten Geheimhaltung verpflichtet.

Bethmann war der Briefwechsel von Grey und Cambon bekanntgeworden. Der Reichskanzler erhielt auch Kenntnis von den Abreden, beispielsweise von der Entsendung einer britischen Expeditiionsarmee nach Frankreich.

Ich weiß gar nicht, ob man bei Bethmann noch von einer Vertrauenskrise gegenüber Grey als solches sprechen kann, denn die Erkenntnis, das England nun zum eigentlich zum Gegner und zu Krieg gegen Deutschland, wenn die Umstände entsprechend waren, bereit war, wie eben die Verabredungen mit Frankreich und Russland dokumentarisch schlüssig aufzeigen.

Bethmann wichtigstes Ziel seiner Kanzlerschaft war die Annäherung an England. Er musst Kompromisse aufgrund der Flottenpolitik eingehen, aber im Großen und Ganzen verfolgte er sein Ziel konstant. Die Annäherung schien gerade im Frühjahr 1914 so weit gediehen, wie lange nicht mehr. Über die Bagdadbahn wurde endlich eine Einigung erzielt, eine Einigung hinsichtlich der Aufteilung der portugiesischen Kolonien war zum Greifen nahe und in der Liman-von-Sanders-Krise, wie zuvor in den Balkankriegen, wollten beide Mächte den Frieden bewahren; im Gegensatz zu Russland, welches die Krise eskalierte.

Der Sekretär Greys Tyrell ließ Jagow Anfang April 1914 wissen, das er gerne mit ihm an einem geheimen Ort zusammentreffen wolle. Jagow hatte sofort zugestimmt. Doch ließ Tyrell am 18.April 1914 wissen, dass das Treffen nicht zustande käme.

Am 17.April 1914 hatte der französische Geschäftsträger dem Foreign Office von einer kommenden Demarche ,während des Besuch des englischen Königs Georg V. und König Mary, anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Entente, in Paris, zugunsten einer englisch-russischen Marinekonvention oder gar einem Bündnis Mitteilung gemacht.

Reichskanzler, Jagow und Zimmermann erhielten im April und Mail Kenntnis vom jüngsten Briefwechsel zwischen Benckendorff, russischer Botschafter in London, und Iswolsky, russischer Botschafter in Paris und dem Außenminister Sasonow. Auf diesem Wege erfuhren Bethmann, Jagow und Zimmermann, das Poincaré und Außenminister Doumergue anläßlich der Besuchs des englischen Königspaares in Paris, die Zustimmung Greys für eine Marinekonvention zwischen Russland und England erlangen wollten. Grey reagierte positiv.

In Berlin war man natürlich entsetzt und bemühte sich die projektierte Marinekonvention zu verhindern. Zu jenem Zeitpunkt wußte man in Berlin noch nicht, das von einer Landung in Pommern die Rede war und einer Zusammenarbeit in Nord- und Ostsee.

Am 22.Mai erschien dann im Berliner Tageblatt, mit einen angeblich aus Paris übersandten Bericht, ein erster Warnschuss. Vorher wurde beim deutschen Botschafter Lichnowksy nachgefragt, ob dieser etwas über die Pariser Gespräche und einer englischen Zustimmung wüßte.

Bethmann hatte also erst im April 1914 von der ganzen Angelegenheit, und dann noch nicht einmal in ihrer vollen Tragweite, Kenntnis erhalten. Und man bemühte sich um Klarheit. Den Rest der Geschichte mit Greys Unwahrheiten setze ich als bekannt voraus.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da ist mir dann wohl etwas entgangen.
Der Eindruck täuscht nicht :D
Welche reale Gefahr genau meinst du? Von Sasonow einmal abgesehen, hatte niemand der Beteiligten aggressive Absichten.
Entschuldigung, aber das ist ja Unfug.
Die Befürchtungen Sasonovs standen ja nicht in einem leeren Raum.
Nicht nur, dass sie sich mit den strategischen Einschätzungen des deutschen Botschafters in Istanbul Wangenheim deckten, der bereits nach der Anregung einer neuen deutschen Militärmission durch den da noch nicht ermordeten Großwesir Shevket Pasha auf die großen Möglichkeiten hinwies. Denn könnte man erst mal das türkische Militär kontrollieren; es könnte keine osmanische Regierung gegen den Willen des DR gebildet werden. (#336)
Sondern auch auf britischer Seite gibt der britische Botschafter Sir Louis Mallet in Istanbul Anfang Dez. 1913 dem Außenminister Grey per Telegramm diese Einschätzung kund. Sollte diese Mission das Vertrauen der Türken gewinnen wären selbst in Ägypten die britischen Interessen in Gefahr. (#293)

Und wollte man argumentieren nur Sasonov hätte „aggressive Absichten“ gehabt, so ist das gänzlich irreführend.
Denn die große Mächte bereiteten sich auf den großen Krieg vor und lauerten auf den Ausbruch dessen Beginn immer mehr als nur eine Frage Zeit begriffen wurde. Ein Blick auf die wahrlich aberwitzigen Steigerungen der Rüstung in den Vorjahren gibt da ein beredtes Zeugnis. (Die Zahlen liegen Dir ja vor)
Oder wie Berta von Suttner, die kurz vor dem Ausbruch sterben durfte, es ausdrückte: Wo soviel Zündstoff angehäuft wird muss es doch irgendwann losgehen. Narrenturm elendiger!
Henry Kissinger – Diplomacy („Die Vernunft der Völker") nennt das eine „doomsday machine“ und Iwan Bloch beschreibt eben diese bereits 1898 in seinem berühmten Grundsatzwerk über den künftigen Krieg.
Und das ist die auch Stimmung der Zeit und die wird nicht entspannter dadurch, dass der Kaiser Wilhelm dem Liman von Sanders einschärft der Ziel der Mission bestehe darin die deutsche Fahne über dem Bosporus zu hissen.

Und so kam es doch.
Eine Regierung von selbsternannten, aber staatsmännisch unerfahrenen Revolutionären (Enver, Talaat, Cemal, das Komitee der CUP), riss spätestens seit der Ermordung von Shevket Pasha Juni 1913 die Staatsmacht vollständig an sich.
Eine Revolutionsregierung die ohne eine ausländische Schutzmacht nicht lebensfähig war.
(Eine Regierung die Morgenthau* mit der des mexikanischen Revolutionärs dieser Zeit Huerta vergleicht)

Und tatsächlich: als der Erste Weltkrieg ausbricht mobilisiert das OR obwohl noch nicht längst Kriegspartei.
Verstehen kann man das vielleicht nur wenn man sich vor Augen führt in welchem dramatischen Umbruch sich OR nach dem katastrophalen Verlust des europäischen Teils des Reiches fand.
Nachdem Flüchtlingsströme das Land fluteten, während die anderen Ränder des „Osmansichen Reiches“ wie Du es zutreffen nennst, im Osten und Süden noch bei weitem nicht befriedet waren.
Serbien/Russland

Erst Anfang November wird das OR Kriegspartei.
Doch bereits am 27. September werden die Dardanellen geschlossen.
Und zwar, lt. Morgenthau, durch Weber Pasha ohne Rücksprache mit den Türken.
Die Folgen für Russland sind verheerend und bestätigen Sasonovs Befürchtungen eindrucksvoll.
Ambassador Morgenthau's Story : Henry Morgenthau : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
Den Weber Pasha sehen wir hier rechts neben Liman von Sanders:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Weber_(General)#/media/Dateieutsche_Militärmission_Türkei_1913.PNG
Und so schaut sie aus die Mission in einen wackligen Staat.
Die paar Offiziere die angeblich doch keine wirkliche Macht darstellen konnten,
die aber den kaiserlichen Auftrag hatten die deutsche Fahne über dem Bosporus zu hissen.
Dies gelang ihnen mit Bravour und bei weitem nicht nur das.

* Die Erinnerungen des Henry Morgenthau (Vater des späteren US-Finanzministers gleichen Namens und Großvater der Historikerin Barbara Tuchmann) erschienen 1918. Da waren die USA bereits Kriegspartei und was die Schlüsse des HM angeht, so sind sie gewiss mit Vorsicht zu genießen.
Die Darstellung der blanken Fakten ist glaubwürdig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Entschuldigung, aber das ist ja Unfug.


Es ist herzerfrischend, wenn ich lesen darf, ich schreibe Unsinn. Besten Dank auch.

Der Eindruck täuscht nicht :D

Eine weitere Nettigkeit. Auch hierfür besten Dank. Ist dies dein neuer Diskussionsstil?

Die Befürchtungen Sasonovs standen ja nicht in einem leeren Raum.

Sasonow drehte in der Krise ganz gewaltig am Rad.

Wenn ich so bedenke, dass das ganze Problem, um das es sich eigentlich handelte, "nur" die Aufgabe des Befehls durch Liman war, die Wangenheim für denjenigen Punkt hielt, auf den Deutschland entspannt verzichten kann, das Deutschland bereits mitgeteilt hatte, es werde alles tun, "um das Verhältnis der Mission zur osmanischen Armee, so weit es die militärischen Verhältnisse nur irgend erlaubten, den russischen Wünschen entsprechend zu regeln und das die Wangenheimische Vermittlungstätigkeit schon im Gange war, so kann ich nur noch über die Staatskunst eines Sasonow staunen, aber gleichzeitig war das auch erschreckend.

Liman wurde befördert, er gab das Kommando an einem osmansichen General ab und wurde osmanischer Marschall. Sein Einfluss wurde eher größer, als geringer.
Sasonow hätte wegen dieser "Formsache" fast einen Weltkrieg riskiert.
 
Sondern auch auf britischer Seite gibt der britische Botschafter Sir Louis Mallet in Istanbul Anfang Dez. 1913 dem Außenminister Grey per Telegramm diese Einschätzung kund. Sollte diese Mission das Vertrauen der Türken gewinnen wären selbst in Ägypten die britischen Interessen in Gefahr

Wow. Etwas über 70 deutsche Soldaten sollen die Position der Weltmacht Großbritannien in Ägypten gefährden? Ernsthaft?
 
nd tatsächlich: als der Erste Weltkrieg ausbricht mobilisiert das OR obwohl noch nicht längst Kriegspartei.
Verstehen kann man das vielleicht nur wenn man sich vor Augen führt in welchem dramatischen Umbruch sich OR nach dem katastrophalen Verlust des europäischen Teils des Reiches fand.
Nachdem Flüchtlingsströme das Land fluteten, während die anderen Ränder des „Osmansichen Reiches“ wie Du es zutreffen nennst, im Osten und Süden noch bei weitem nicht befriedet waren.
Serbien/Russland

Erst Anfang November wird das OR Kriegspartei.
Doch bereits am 27. September werden die Dardanellen geschlossen.
Und zwar, lt. Morgenthau, durch Weber Pasha ohne Rücksprache mit den Türken.
Die Folgen für Russland sind verheerend und bestätigen Sasonovs Befürchtungen eindrucksvoll.
Ambassador Morgenthau's Story : Henry Morgenthau : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
Den Weber Pasha sehen wir hier rechts neben Liman von Sanders:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Weber_(General)#/media/Dateieutsche_Militärmission_Türkei_1913.PNG
Und so schaut sie aus die Mission in einen wackligen Staat.
Die paar Offiziere die angeblich doch keine wirkliche Macht darstellen konnten,
die aber den kaiserlichen Auftrag hatten die deutsche Fahne über dem Bosporus zu hissen.
Dies gelang ihnen mit Bravour und bei weitem nicht nur das.

* Die Erinnerungen des Henry Morgenthau (Vater des späteren US-Finanzministers gleichen Namens und Großvater der Historikerin Barbara Tuchmann) erschienen 1918. Da waren die USA bereits Kriegspartei und was die Schlüsse des HM angeht, so sind sie gewiss mit Vorsicht zu genießen.
Die Darstellung der blanken Fakten ist glaubwürdig.

Was hat das alles noch mit der eigentlichen Liman-von-Sanders-Krise zu tun, in der Sasonow bereit war, den großen Krieg zu riskieren.
 
Das Buch heisst "Die Vernunft der Nationen".
Das glaub ich gern.

Wow. Etwas über 70 deutsche Soldaten sollen die Position der Weltmacht Großbritannien in Ägypten gefährden? Ernsthaft?
Das ist die Einschätzung des Sir Louis Mallet Anfang Dez. 1913 für den Fall, diese Mission das Vertrauen der Türken gewinnen könne.
(..übrigens kam es später in gewisser Weise tatsächlich so.)
 
Und tatsächlich: als der Erste Weltkrieg ausbricht mobilisiert das OR obwohl noch nicht längst Kriegspartei.
Das noch einen weiteren interessanten Aspekt.
Mit der Mobilisierung gewinnt das Triumvirat Enver, Talaat, Cemal im taumelnden Reich die absolute Macht. (... und viele Günstlinge kommen zu Reichtum. )
 
Zuletzt bearbeitet:
as ist die Einschätzung des Sir Louis Mallet Anfang Dez. 1913 für den Fall, diese Mission das Vertrauen der Türken gewinnen könne.

In Mallets Telegrammen an Grey vom 03.12. , 04.12. , 05.12 , 08.12.und 10.12.1913 konnte ich keine Äußerung Mallets in den Britischen Amtlichen Dokumenten zum Urpsrung des Weltkrieges zur Bedrohung Ägyptens durch die deutsche Militärmission finden.


Zur Frage der angeblichen Bedrohung:

"Der Zar ist die Antwort schuldig geblieben", wie denn bitte schön das Deutsche Reich die Befürchtungen des russischen Außenministers wahr werden lassen soll. ( BD Band X/2 2.Halbband S.1268ff)

Sasonow hatte am 03.April gegenüber Buchanan ausgeführt, "Rußland werde nie aggressiv gegen die Türkei vorgehen, solange diese ein unabhängiger Staat bleibe, aber es würde nie dulden, daß sie in die Abhängigkeit einer anderen Macht geriete."

Und von Sasonow liegt m.W. nach auch keine Äußerung vor, wie die angebliche Bedrohung denn eigentlich Realität hätte werden sollen.

Was wir aber wissen ist, was Sasonow im Februar 1914 so alles auf der Konferenz mit dem Spitzen von Heer und Marine angeregt hatte.

Und wie sah es eigentlich mit der Abhängigkeit Konstantinopels gegenüber Frankreich (Polizei) und England (Marinemission) aus?

Deutschland wollte in dieser Krise gewiss kein Krieg, während Sasonow vor militärischen Zwangsmaßnahmen nicht zurückgeschreckt wäre; es hatte nur keine Unterstützung von Paris und London erhalten, worüber Sasonow ziemlich erbittert war.

Der russische Botschafter in Berlin, Swerbejew, schrieb unter dem Datum des 03.01./16.01.14 an seinem Chef Sasonow unter anderem:

"Ich kann nicht umhin zu erklären, dass das Berliner Kabinett alles ihm Mögliche getan hat, um unsere berechtigten Wünsche zu erfüllen, und das ihm dies wegen der gegen die Regierung gerichtete Zeitungskampagne nicht leicht gewesen ist." (1)

Unter dem Datum des 11.02.1914 schreib der britische Außenminister an dem britischen Botschafter Sir G. Buchanan in Petersburg:
"Mein lieber Buchanan,
... Was das deutsche Militärkommando in Konstantinopel betrifft, so meine ich, daß dessen wirklich Bedeutung sehr stark übertrieben wurde, und allgemein ist der Eindruck entstanden das Deutschland einen diplomatischen Rückschlag erlitten hat, den die deutsche Presse so gut es ging vertuschen musste. Ich sehe nicht ein, warum Sasonow nicht zufrieden sein sollte." (2)


Der britische Außenminister ordnet die Dinge schon ganz richtig ein. Rein gar nichts deutet auf eine deutsche Kriegsabsicht hin, denn ansonsten hätte man nicht so bereitwillig den Forderungen der Russen nachgegeben.

"Die harte Reaktion aus Petersburg läßt sich nur durch eine Bedrohungsperzeption erklären, die die tatsächlichen Ereignisse am Bosporus maßlos übersteigerte." (3)

Aus einer Aufzeichnung von Sir Edward Grey am 29.Dezember 1913 geht hervor, das Grey klar sieht, daß der deutsche Kanzler aufs höchste bestrebt sei, eine für Russland befriedigende Lösung der Schwierigkeit zu finden. (4) Von Ägypten übrigens kein Wort.


(1) Siebert, Diplomatische Aktenstücke zur Geschichte der Ententepolitik der Vorkriegsjahre, S.672

(2) Die Britischen Amtlichen Dokumete zur Vorgeschichte über den Ursprung des Weltkrieges Band 10/1/1, Nr.474

(3) Vermiedene Kriege, Aufsatz Kröger, Letzter Konflikt vor der Katastrophe, S.671

(4) Die Britischen Amtlichen Dokumete zur Vorgeschichte über den Ursprung des Weltkrieges Band 10/1/1, Nr.452
 
Und tatsächlich: als der Erste Weltkrieg ausbricht mobilisiert das OR obwohl noch nicht längst Kriegspartei.
Verstehen kann man das vielleicht nur wenn man sich vor Augen führt in welchem dramatischen Umbruch sich OR nach dem katastrophalen Verlust des europäischen Teils des Reiches fand.
Das hier würde ich etwas anders sehen.

Der Anschluss des Osmanischen Reiches an die Zentralmächte war bei Ausbruch dieses Krieges nur eine Frage der Zeit, weil aus Sicht der Pforte klar sein musste, dass wenn die Zentralmächte diesen Krieg verlieren sollten, niemand die Russen in Sachen Ambitionen wegen der Meerengen mehr aufhalten würde.
Dass wenn Russland auf der einen Seite stand, dass Osmanische Reich sich relativ schnell der Anderen anschließen würde, war nahezu ein Automatismus, der aus der strategischen Gesamtsituation herrührte.
 
Mallets Telegrammen an Grey vom 03.12. , 04.12. , 05.12 , 08.12.und 10.12.1913 konnte ich keine Äußerung Mallets in den Britischen Amtlichen Dokumenten zum Urpsrung des Weltkrieges zur Bedrohung Ägyptens durch die deutsche Militärmission finden.
"If, ...., he [Liman von Sanders] gains the confidence of the Turks, then he will be very powerful in any position, and will be able to exercise great influence in superior council of war — an influence which might be used with effect against our interests, both Egyptian and in the Gulf, regions."
 
Automatismus

Das hier würde ich etwas anders sehen.

Der Anschluss des Osmanischen Reiches an die Zentralmächte war bei Ausbruch dieses Krieges nur eine Frage der Zeit, weil aus Sicht der Pforte klar sein musste, dass wenn die Zentralmächte diesen Krieg verlieren sollten, niemand die Russen in Sachen Ambitionen wegen der Meerengen mehr aufhalten würde.
Dass wenn Russland auf der einen Seite stand, dass Osmanische Reich sich relativ schnell der Anderen anschließen würde, war nahezu ein Automatismus, der aus der strategischen Gesamtsituation herrührte.
Das sehe ich ungefähr auch so.
Das ist naheliegend, wie auch eine Bindung an das Deutsche Reich naheliegend war, hatte sich doch dieses bisher, im Gegensatz zu allen anderen Mächten, keine osmanischen Gebiete einverleibt.
Und die Eroberung Istanbuls ist Russlands Traum seit Katharina der Großen.

Andererseits ist das aber auch eine nicht ungefährliche Wette der nun herrschenden Jungtürken (Enver Talaat, Cemal, CUP).
Denn Istanbul ist eben dann sicher weg, wenn das OR auf Seiten der Mittelmächte kämpft und diese verlieren. Verlieren die Mittelmächte ohne Allianz mit den Türken kann das anders aussehen.
Denn die Neutralität kann ja mit der Garantie der territorialen Unversehrtheit erkauft werden.
Zumal ja die Briten kein Interesse hatten Istanbul in den Händen Russlands zu sehen.
Auch war eigentlich nur Enver eindeutig auf Berlin gepolt. Talaat war eher frankophil.

Also so eindeutig ist das mit dem Automatismus nicht von vorneherein.
Doch mit der Liman-Mission kippt das, zumindest in den Augen von Sasonov und der Gruppe um ihn.
Und das ist ja noch keine Paranoia oder Bosheit, wie der geschätzte @Turgot das darzustellen bevorzugt. ;)
Denn es gibt nicht nur gute Gründe für diese Einschätzung. Sie bestätigt sich später auch.

Und es lohnt einen Blick auf das OR der Jahre 1913/1914 zu werfen.
Die Regierung ist weder legitimiert noch hat sie ausreichend Kontrolle um nicht ihren blutigen Sturz ernsthaft zu fürchten.
Und es gärt ja weiter an den Rändern.
Ein Gären dessen mögliche Folgen gerade erst durch Verlust des europäischen Teil des OR in schockierender Weise demonstriert wurde.

Sie braucht eine Großmacht als Partner. Eine die Geld, Waffen, Expertise und Prestige bringt. Denn all das fehlt den türkischen Revolutionären mehr als schmerzlich.
Und das DR bereitet sich, wie die anderen großen Mächte auch, mit großen Anstrengungen auf den finalen Zusammenstoß vor.
Es kann nicht übersehen werden, dass die Meerengen hier eine Schlüsselrolle spielten.
Denn diese waren die Kehle des Russischen Reiches.
Wird diese abgedrückt schnauft der Riese nicht mehr lange.

................................

Anmerken will ich noch, dass auch Russland alles andere als stabil ist.
Noch acht Jahre vorher stand das Zarenreich am Abgrund.
Die Revolution lauert unter dem Regime, wie das Fegefeuer unter einen bösen Greis. :D

Wir haben ein türkisches Regime an der russischen Kehle am Bosporus, das sich im Inneren mit immer brutaleren Mittel durchzusetzen sucht ohne sicher zu werden.
Und ein Regime in Russland das sich nicht stabilisieren konnte und dessen Außenpolitik zunehmend von innenpolitischen Zwängen, Stimmungen und Irrationalitäten bestimmt wurde.

Beide Spieler auf der Bühne sind zurückgeblieben.
Ihre Ankopplung an die entwickelte Welt ist ihre einzige Chance aufzuholen und nicht noch weiter abgehängt zu werden.
 
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