Attila, der Hunne

@Sepiola auf die Schnelle zu Bleda aus Wikipedia
Der auf türkische Quellen spezialisierte Historiker Omeljan Pritsak hält den Namen für aus dem alttürkischen Verbalstamm bil-, protobulgarisch bli („wissen“), plus Nominalsuffix -da, abgeleitet. Bilgä sei die alttürkische Bezeichnung für einen Wissenden (einen Weisen oder Herrscher), die hunnische Form dieses Titels sei Blidä.[1]
die Fußnote verweist auf Pritsak
 
auf die Schnelle zu Bleda aus Wikipedia
Der auf türkische Quellen spezialisierte Historiker Omeljan Pritsak hält den Namen für aus dem alttürkischen Verbalstamm bil-, protobulgarisch bli („wissen“), plus Nominalsuffix -da, abgeleitet. Bilgä sei die alttürkische Bezeichnung für einen Wissenden (einen Weisen oder Herrscher), die hunnische Form dieses Titels sei Blidä.[1]
Schon witzig, denn in deutschen mittelalterlichen Texten wird aus Bleda Blöde, und ich bin davon überzeugt, dass das nicht unbedingt durch phonetische Gesetze vorgegeben ist.
 
Tatsächlich? Bereits als ich mit 7 Jahren erstmals eine Nacherzählung des Nibelungenliedes las, fragte ich mich, ob der Name „Blödel“ nach „blöd“ klingen soll oder ob das Zufall ist. Ich vermutete allerdings eher Letzteres.
 
@Ravenik ging mir als Kind ebenso, die typische Ritterbegeisterung erhielt einen Dämpfer, weil Blödel/Blödelin doch irgendwie sonderbar klingt, auch wenn Blödel Etzels Bruder ist. Ritter Dankwart beendet dann in der 32. Aventüre Blödels Auftritt.
Wie ist denn das im nordischen Atlilied? Taucht da auch Bleda/Blödel auf?
 
Blöd hat ja eine semantische Reduktion erfahren, blöd ist also weniger in dem Sinne 'dumm' zu verstehen, als in dem Sinn von 'schwach'.
 
Das wusste ich mit 7 natürlich nicht, da fand ich den Namen einfach nur seltsam.
Wie ist denn das im nordischen Atlilied? Taucht da auch Bleda/Blödel auf?
Im „Atlamâl“ wird erwähnt, dass es insgesamt (also inkl. Atli) fünf Brüder waren. Die Namen der anderen werden aber nicht genannt. Zwei davon fielen (einer wurde von Gudrun - also Kriemhild - getötet!).
 
Nur nebenbei: taucht der Name Bloedelin denn überhaupt außerhalb des Nibelungenliedes in anderen mittelalterlichen Texten auf?

... noch abseitiger: die überlieferten romanisierten/latinisierten Eigennamen (Gundacarius für Gundahar, Mundiacus für Mundcuk, Theodericus für Thiudreiks usw) erinnern ein bissel an die aremoricanischen Römerlager... einfach an irgendwas ein -us oder -um anhängen (und wenn man auf die Landkarte schaut, könnte man die nordfriesische Insel Föhr für aremoricanisch halten (Borgsum, Utersum, Nieblum, Wrixum...)) ...upps, sorry für den volksetymologischen Ausflug ;)

Attila und Bleda sind überlieferte Personennamen aus der Völkerwanderungszeit. Attila lässt sich gotisch erklären, Bleda scheint alttürkisch erklärbar (?) Mittelhochdeutsch im Nibelungenlied dann als Etzel und Bloedelin, wobei die mhd. Formen wohl nichts zur Etymologie der älteren Formen beitragen
 
Zuletzt bearbeitet:
Mittelhochdeutsch im Nibelungenlied dann als Etzel und Bloedelin, wobei die mhd. Formen wohl nichts zur Etymologie der älteren Formen beitragen
Nein, eher nicht. Bei Bloedelin würde es sich, wenn ich recht habe, um eine pseudoetymologische Umdeutung handeln. Da wir Menschen dazu neigen, fremden Worten, die wir nicht verstehen, einen Sinn aus unserer Sprache zu geben, siehe hamaca > Hängematte. Es tobt der Hamster vor meinem Fenster (< Original: es tobt der Hass da vor meinem Fenster)....

Bleda scheint alttürkisch erklärbar (?)
Auch hier gibt es gotische oder zumindest germanische Herleitungsversuche:

It is generally agreed that Bleda is Germanic, the short form of a name like OHG Bladardus, Blatgildus, Blatgisus. Bleda of Marcellinus Comes (s.a. 442) appears in Bede's Chronicle in the strange form Blaedla. The English scribes "corrected" the name; they knew it as Blaedla from oral tradition where the name was adapted to Ætla.​
Maenchen-Helfen, Otto J.: The World of the Huns: Studies in Their History and Culture. LA/London 1973, S. 388.
 
Bleda scheint alttürkisch erklärbar (?)

Nein, aus dem Alttürkischen lässt sich Bleda nicht erklären. Das Alttürkische erlaubt keine Konsonantencluster im Anlaut.

Pritsak geht den Umweg übers Donaubulgarische. Hier soll es zu einer (in den anderen Turksprachen m. W. nicht nachweisbaren) clustererzeugenden Metathese gekommen sein.
Nun ist das Donaubulgarische zwar anerkanntermaßen eine Turksprache, doch enthalten die überlieferten Namen, Titel und Texte ziemlich viel Vokabular, das sich ebensogut oder besser aus anderen Sprachen (z. B. Slawisch, Iranisch) deuten lässt oder dessen Deutung recht unsicher ist. Von daher führt Pritsaks Umweg über etwas wackeligen Boden.
 
Interessant, dass Bona sogar weiß, welche der vielen Namensformen des Rugila die ursprüngliche ist. Oebarsios wird allerdings üblicherweise als mitteliranisch gedeutet. Auch die hunnischen Feldherren Hormidac und Zaberdan trugen iranische Namen.
Schramm sieht keine germanischen Namen vor Attila und Bleda (diese aber schon!), wogegen Doerfer schon Mundi-juch als germanisch sieht.

Bona scheint mir eher ein Beleg für die oben erwähnte These, dass man mit lange genug Biegen eine Verwandschaft zu jeder Sprache nachweisen kann. Wobei - wie oben auch schon ausgeführt - türkische Lehnnamen nichts besonderes wären, aber eben auch nichts aussagen, außer dass auch Turkvölker der Föderation angehörten, was niemand bezweifelt.

Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher Chuzbe einige Sprachwissenschaftler die Herkunft eines einzelnen Wortes aus einer bestimmten Sprache postulieren und jede andere Erklärung ausschließen, während ebenso renommierte Kollegen mit der gleichen Vehemenz das genaue Gegenteil behaupten.

Istvan Bona war allerdings kein Sprachwissenschaftler. (Damit will ich nicht sagen, dass nicht auch ein Archäologe in der Lage wäre, sprachwissenschaftlich sauber zu argumentieren, ich habe Bona nicht gelesen.)

Mit Biegen und Verrenkungen lässt sich jedenfalls keine Verwandtschaft nachweisen.

Schon 1959 schrieb Johannes Benzing:

"Irgendwelche zusammenhängenden Texte in einer Sprache der europäischen Hunnen der Völkerwanderungszeit sind bisher nicht bekannt geworden. Zur Beurteilung der hunnischen Sprache(n) stehen uns nur Stammensbezeichnungen und Eigennamen zur Verfügung, und darin lassen sich, je nach Wunsch und Laune, 'altaische', 'kaukasische', indogermanische und vielleicht noch andere Elemente isolieren - wobei man leider in keinem Falle die Möglichkeit hat, zu beweisen, daß die Erklärung falsch oder richtig ist."

Johannes Benzing, Das Hunnische, Donaubolgarische und Wolgabolgarische, in: Philologiae turcicae fundamenta I (Hrsg. Jean Deny / Kaare Grønbech / Helmuth Scheel / Zeki Velidi Togan), Wiesbaden 1959


Was man allerdings zeigen kann, ist, welche Erklärungen auf schwachen oder widerlegbaren Argumenten basieren und welche sprachwissenschaftlich unanfechtbar sind. Und da hat @El Quijote sicher recht: Aus dem Gotischen ist der Name Attila morphologisch schnörkellos herleitbar. Für alle anderen Herleitungen sind Verrenkungen erforderlich, da zeigt Doerfer mit Recht Schwächen der sprachwissenschaftlichen Argumentation auf. Mir wäre nicht bekannt, dass irgendjemand mit "gleicher Vehemenz" (und sprachwissenschaftlich sauberer Argumentation) behauptet, eine gotische Herleitung sei auszuschließen.

 
Ja, in der Thidrekssaga.
Das ist ja allerdings im Prinzip ein Text aus dem selben Sagenkreis wie das Nibelungenlied. Der Protagonist Dietrich von Bern (Þiðrekr af Bern) tritt ja auch im Nibelungenlied auf und zwar am Hof von Etzel/Attila. Daher wird es sich bei einem in der Thidrekssaga vorkommenden Bloedelin wohl um die dieselbe Person wie im Nibelungenlied handeln.
 
Für alle anderen Herleitungen sind Verrenkungen erforderlich, da zeigt Doerfer mit Recht Schwächen der sprachwissenschaftlichen Argumentation auf.

Ein neueres Beispiel (Magnús Snædal, *Attila, in: Studia Etymologica Cracoviensia 20, 2015):

Da wird eine hypothetische Form vorgeschlagen, bei der Erklärung, wie die zu der belegten Form geworden sein soll, wird es aber arg vage:

"Of course we do not know how the name sounded in the language of the Huns. Sometime, somewhere, somehow a proto-form like *agtala- changed to *attila. We cannot tell if the assimilation of gt to tt, and/or if loss of a final consonant took place in Hunnic or if these changes were part of the adaptation process into Latin, Gothic and Greek."​

Doerfer hätte seine Freude daran gehabt.
 
Das ist ja allerdings im Prinzip ein Text aus dem selben Sagenkreis wie das Nibelungenlied. Der Protagonist Dietrich von Bern (Þiðrekr af Bern) tritt ja auch im Nibelungenlied auf und zwar am Hof von Etzel/Attila. Daher wird es sich bei einem in der Thidrekssaga vorkommenden Bloedelin wohl um die dieselbe Person wie im Nibelungenlied handeln.
Ja, richtig. Ich verstand dekumatlands Frage so, ob Blödelin noch in anderen Texten außer dem Nibelungenlied namentlich genannt wird (da er in der Lieder-Edda nicht erwähnt wird), nicht ob ein Personenname „Blödelin“ unabhängig vom Nibelungenstoff belegt ist.
 
Ach so. Im Nibelungen-/Dietrich-Sagenkreis taucht Blödelin in unterschiedlichen Variationen (sowohl was den Namen als auch was die Person betrifft) auf, aber ganz unabhängig von diesem Sagenkreis ist mir der Name noch nie untergekommen (was nichts besagen muss).
 
Ich finde bei Bloedelin interessant, dass der Bruder Attilas überhaupt noch namentlich bekannt war.
Heutzutage ist er doch eher eine Randnotiz wert, er regierte mal gemeinsam mit Attila, ehe dieser ihn vermutlich beseitigte/beseitigen lies, soweit man Jordanes hier glauben kann.
Aber immerhin regierte er 10 Jahre lang die wichtigste Hunnengruppierung gemeinsam mit seinem Bruder.
 
Die Hunnen kommen übrigens auch in der Sage von der Hunnenschlacht zwischen Goten und Hunnen vor, die ebenfalls in der Lieder-Edda enthalten ist.
Da sie wohl weniger bekannt ist, hier eine kurze Zusammenfassung, die ich einmal für den Eigengebrauch verfasst habe:
(...)
Herwör bekam einen Sohn namens Heidrek, der Tyrfing erhielt. Er hatte einen rechtmäßigen Sohn namens Angantyr und eine Tochter Herwör sowie Hlöd, einen Bastard von einer Hunnenprinzessin. Hlöd wuchs bei den Hunnen auf.

Handelt es sich hier eventuell auch um Bloedel/Bleda?
 
Die Konföderation, die unter dem Namen Hunnen auftaucht, bestand vermutlich überwiegend aus den Trägern der Tschernjachow-Kultur, wie auch immer wir diese nennen wollen. Skythen, Goten, Alanen, Slawen, Proto-Bulgaren, Burgunden - kaum zu sagen. Den inneren Herrschaftskreis bildeten Reiterkrieger, die man als "eigentliche Hunnen" bezeichnen könnte, die aber eine klare Minderheit bildeten.
Kulikowski geht davon aus, dass die sogenannten Goten erst an der Donau entstanden sind, genau wie Alemannen oder Franken im Westen - seine Argumente haben einiges für sich.
Diese Konföderation enstand erst in der Steppe um die Wolga herum, und ihre ersten Angriffsziel lagen nicht im Westen, sondern im Süden jenseits des Kaukasus, wo aus dem 4. Jahrhundert immer wieder Angriffe der Hunnen genannt werden - bis tief nach Syrien hinein. Mit den Erfolgen wuchs das Prestige des Führungskerns, und damit auch die Zahl der Gefolgschaft, bis man es mit Rom aufnehmen konnte. Aber eine ethnische Zuordnung macht zu diesem Zeitpunkt nur noch wenig Sinn.

Sehr empfehlenswert dazu ist Mischa Meiers neues Werk "Die Hunnen" (C.H.Beck 2025), welches in diesem Frühjahr erschienen ist.

Eine äußerst kompetente Zusammenfassung der hunnischen Geschichte, die sich nicht endlos mit der müßigen Diskussion über die Herkunft der hunnischen Konföderation beschäftigt (behandelt wird sie natürlich trotzdem), dabei im Gegensatz etwa zu Rosens "Attila" (2016) ohne rassistische Stereotype auskommt, stattdessen die politischen Entwicklungen an der römischen Peripherie über etwas mehr als 100 Jahre zu erklären versucht.

Er zeigt, wie etliche der antiken Texte über die Hunnen sich aus klassischen Topoi zusammensetzen und mehr die Gelehrsamkeit der Autoren dokumentieren sollen, als eine tatsächliche Beschreibung der Realität zu liefern.

Interessant finde ich die von ihm beschrieben Änderung in Attilas Strategie, weg von der größtmöglichen Distanzierung hin zu einer möglichen Integration, wie sie dann in der Folge gotische und fränkische Kriegerscharen realisierten.
 
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