Warum keine Neutralitätspolitik?

Mit einen entscheidenden Unterschied. Preußen und Österreich haben 1864 Platz an dem Konferenztisch genommen, um diesen Konflikt aus der Welt zu schaffen. Und es war Dänemark., da waren sich alle Konferenzteilnehmer darüber einig, welche die Konferenz scheitern ließ. Danach hatte wirklich auch niemand mehr Interesse daran für Dänemark auch nur ein Finger krumm zu machen.
Das ändert nichts daran, dass das Londoner Protokoll von 1852 den völkerrechtlichen Status der Elbherzogtümer regelte und Berlin sich darüber hinwegsetzte (Wien wollte die Zukunft als etwaige eigenständige Gebiete ja immerhin in Frankfurt zur Disposition stellen und ließ damit Bereitschaft erkennen mindestens näherungsweise zur Regelung von 1852 zurück zu kehren).

Und war war mit dem Bruch der Bundesakte durch die Kriegserklärung an einem Mitglied des Bundes?
Die Wendung "und was war mit......" ist ein relativ sicheres Zeichen dafür, dass ein whataboutism folgt.

Preußen hatte sich mit Italien gegen Österreich verbündet und Italien im Kriegsfall Österreichisches Gebiet in Aussicht gestellt, was einen Bruch der Bundesakte darstellte und Preußen war in Holstein einmarschiert und hatte es rechtswiedrig besetzt, was ebenfalls den Bruch bestehender Verträge bedeutete.

Ob die Kriegeserklärung an Preußen einen Bruch der Bundesakte darstellte, hängt von der Frage ab, ob man das als Bundesexekution gegen Preußen betrachten konnte oder nicht, das dürfte wegen des in der Zeit unklaren Status des von Preußen besetzen Holstein ziemlich schwierig zu klären sein (sofern den anderen Staaten das deutsch-italienische Bündnis noch nicht bekannt war).


Aber vollkommen egal, wie man das deutet, bemerkst du eigentlich nicht, dass du, in dem du ununterbrochen auf tatsächliche oder vermeindliche Vertragsverletzungen diverser Akteure verweist, mein Argument untermauerst, dass Verleetzung bestehender Verträge, wenn sie Interesen im Wege standen in der damaligen Zeit an der Tagesordnung waren, wenn sich ein Akteur in einer hinreichend starken Position wähnte um das tun zu können?

Kannst du mir bitte kurz erläutern, was nun konkret Belgien hier thematisch zu suchen hat. Und dann könnte man gleich auch noch Griechenland hinsichtlich der gebrochenen Neutralität einbeziehen.
Jo, warum nicht, alles Beispiele die untermauern, was ich schreibe.

Was Belgien damit zu tun hat, sollte doch offensichtlich sein. Deutschland hatte das Land überfallen, obwohl dieses Land nicht nur neutral war, sondern Deutschland ihm gegenüber auch Garantiepflichten übernommen hatte, also vertraglich in der Pflicht war es gegen Angriffe auf seine Territoriale Integrität zu verteidigen.
Damit wurde zwar kein formaler Bündnispartner überfallen, aber das Niveau an moralischer Verwerflichkeit hatte eine ganz ähnliche Dimension.

Zu Kriegsbeginn hätte man das vielleicht noch mit militärischer Notwendigkeit begründen und zur eigenen Verteidigung anführen können, dass man das ja wenigstens nicht tat, um sich daran zu bereichern.

Aber spätestens nachdem regierungsseitig zwischen Mitte August und Anfang September das "Septemberprogramm" ausgearbeitet wurde und das den Gedanken einer Annexion Ostbelgiens postulierte, lag das Bereicherungsmotiv auch von deutscher Seite her auf dem Tisch.
Ob das bereits vor Kriegsbeginn eine Rolle gespielt hat, wie das Fischer mehr oder weniger posstuliert hat, konnte in dieser Form nie bewisen werden, es ist aber durchaus möglich.

Spätestens ab September erwog man von deutscher Seite her jedenfalls Belgien, dass man trotz der Tatsache, dass man selbst Garantiemacht von dessen Neutralität war überfallen hatte und mit Krieg übeerzog, auch dezidiert zu berauben und sich Teile davon einzuverleiben (übrigens Teile ohne besonders große deutschsprachige Minderheiten).

Hier wurde immerhin das eigene Unrecht, den Bruch der belgischen Neutralität, vor der ganzen Weltöffentlichkeit anerkannt und zugegeben.
Um dann einen Monat später das "Septeberprogramm" auszuarbeiten und darin die Absicht niederzulegen auf das Unrecht durch die Annexion Ostbelgiens mit Lüttich und die dauerhafte erzwungene Einbndung Belgiens unter deutschen Einfluss, noch mehr Unrecht drauf zu setzen.
 
Das offizielle Frankreich in Form der französischen Regierungen zwischen 1871 und 1914 auch nicht, jedenfalls wurden nie dezidierte militärische Vorkehrungen für einen Revanchekrieg getroffen.

Tatsächlich. Es wurde sich doch aber alle Mühe gegeben, die Armee wieder in Form zu bringen. Anfang Februar 1875 wurde berichtet, durch mehrere Agentenberichte bestätigt, das Frankreich den Druck von 600 Millionen Francs in 20 Francs Noten angeordnet habe. Eine Maßnahme, die oftmals durchgeführt wurde, damit in Kriegszeiten genügend Bargeld zur Verfügung stand. Darüber hinaus gingen die Franzosen in Deutschland auf Einkaufstour und kauften umfänglich Pferde ein. Auch eine Maßnahme, die üblicherweise auf Kriegsabsichten deutet. Dann das Kadergesetz, welches die französischen Streitkräfte massive aufrüstete.
Frankreich war benötigte trotzdem einen Bündnispartner, um Deutschland zu besiegen, vorher war eine Revanche nicht mit Aussicht auf Erfolg durchzuführen. Das war 1894 schließlich erreicht.

Weite Teile der Öffentlichen Meinung hüben, wie drüben, waren anderer Ansicht. Die Rechtsextremen in der Weimarer Republik wollten atürlich genau das und waren darin den Radikalen in Frankreich zwischen 1871 und 1914 durchaus sehr ähnlich.

Das offizielle Deutschland, die Reichsregierung, hatte Locarno unterschrieben und Stresemann wollte die Versöhnung mit Frankreich. DNVP und NSDAP waren nicht in der Mehrheit. Die Situation ist durchaus nicht vergleichbar. Eine französische Regierung hat und hätte keinen Schlussstrich unter 1870/71 gezogen.

Ein General v. Seeckt, während weiter Teile der Weimarer Zeit die zentrale Figur in der Reichswehr hätte nachdem, was man so über seine Absichten und mittlerweile weiß, den Spottnamen "General Revanche" in ähnlicher Weise verdient gehabt, wie seinerzeit auf der frannzösischen Seite der General Boulanger.

General Boulanger war Teil der französischen Regierung; General von Seekt war nicht Teil der deutschen Regierung.

Gut, für's Protokoll:

Du hältst es für korrekt, jemandem im Rahmen einer vertraglichen Einigung etwas anzubieten, in der festen Absicht, diesen, nachdem die Vorteile aus diesem Vertrag genossen wurden zu überfallen und ihn des Handelsobjektes wieder zu berauben.

Und beschwerst dich im gleichen Atemzug über die mangelnde Vertragstreue anderer Parteien?
ist das dein Ernst?

Aha, du erwartest also von dem Opfer der Erpressung, von dem Bündnispartner, der böswillig hintergangen wurde, das dieser selbstverständlich aufrichtig und ehrlich sein Territorium herausrückt und es dabei bewenden lässt?
Ist das dein Ernst?
 
Das ändert nichts daran, dass das Londoner Protokoll von 1852 den völkerrechtlichen Status der Elbherzogtümer regelte und Berlin sich darüber hinwegsetzte (Wien wollte die Zukunft als etwaige eigenständige Gebiete ja immerhin in Frankfurt zur Disposition stellen und ließ damit Bereitschaft erkennen mindestens näherungsweise zur Regelung von 1852 zurück zu kehren).

Du hast auch hier merkwürdige Vorstellungen. Nachdem Dänemark sich als Brecher des Rechts konsequent geweigert hatte zu den Status der Londoner Protokolle zurückzukehren, kann doch vom anderen Teil der Vertragspartner nicht mehr erwartet werden, das sich dieser auf dem Boden dieser Protokolle bewegt. Übrigens sahen dies auch die anderen Signatarmächte so. Es wurde auf der Londoner Konferenz sich intensiv bemüht eine Lösung zu erarbeiten. Aber Dänemarks Einstellung lautete "Njet".

Wien verfolgte eigensüchtige Interessen, Preußen sollte und durfte aus Sicht Wiens nicht stärker werden, schon gar nicht gleichberechtigt im Bund, und verfolgte keine humanitären Absichten.

Die Wendung "und was war mit......" ist ein relativ sicheres Zeichen dafür, dass ein whataboutism folgt.
Eine ausgeprägte Spezialität von dir.

Preußen hatte sich mit Italien gegen Österreich verbündet und Italien im Kriegsfall Österreichisches Gebiet in Aussicht gestellt, was einen Bruch der Bundesakte darstellte und Preußen war in Holstein einmarschiert und hatte es rechtswiedrig besetzt, was ebenfalls den Bruch bestehender Verträge bedeutete.

Kurz zur Info: Zwischen Preußen und Österreich auf der eine Seite und Dänemark auf der anderen herrschte Krieg. Preußen und Österreich haben sich nicht auf die Bundesakte berufen, sondern auf den Bruch der Londoner Protokolle. Da hält man nicht einfach an der Grenze zu Holstein an. Es ging darum, den Krieg zu gewinnen, den Dänemark herausgefordert hatte.

Sage eimal, welche Kriege möchtest du eigentlich noch bemühen, um das verwerfliche Agieren Italiens 1915 zu rechtfertigen?

Was Belgien damit zu tun hat, sollte doch offensichtlich sein. Deutschland hatte das Land überfallen, obwohl dieses Land nicht nur neutral war, sondern Deutschland ihm gegenüber auch Garantiepflichten übernommen hatte, also vertraglich in der Pflicht war es gegen Angriffe auf seine Territoriale Integrität zu verteidigen.
Damit wurde zwar kein formaler Bündnispartner überfallen, aber das Niveau an moralischer Verwerflichkeit hatte eine ganz ähnliche Dimension.

Überhaupt nicht. Hatte Belgien mit Deutschland einen Bündnisvertrag? Hatte Belgien Deutschland jahrzehntelang beschützt? Nein! Also hinkt der Vergleich gewaltig. Und des Weiteren zu Wiederholung: Deutschland hat sein begangenes Unrecht durch Bethmann im Deutschen Reichstag zugegeben.
Hatte Italien sein Unrecht zugegeben? Hatten die Alliierten dies hinsichtlich Griechenland? Nein, haben sie nicht. Das ist ein sehr bemerkenswerter Unterschied.

Um dann einen Monat später das "Septeberprogramm" auszuarbeiten und darin die Absicht niederzulegen auf das Unrecht durch die Annexion Ostbelgiens mit Lüttich und die dauerhafte erzwungene Einbndung Belgiens unter deutschen Einfluss, noch mehr Unrecht drauf zu setzen.

Du wiederholst dich. Denke an das Sykes-Picot Abkommen. Denke an das Verhalten gegenüber Griechenland, den Niederlanden, den ganzen neutralen Staaten usw.
 
Im April 1861 kamen Napoleon III. und Dalwigk in den Tuilerien zu einem Gespräch zusammen.
Napoleon III. äußerte, er könne gar nicht verstehen verstehen, weshalb in Deutschland Stimmen gegen ihn laut werden.
Dalwigk antwortete, dass man in Deutschland besorgt sei, das bei einem neuen Angriff der Sardinier, Frankreich eingreifen wird.
Napoleon sagte, ein solcher Angriff sei nicht zu fürchten, er denselben nicht unterstützen,
Dalwigk erwiderte, dazu liege ja auch kein Grund vor. Ein Interesse habe Frankreich dabei nicht. Sardinien sei habsüchtig, falsch und undankbar.
 
Wie von mir und anderen erwähnt, war die Annexion Elsass-Lothringens nur ein weiterer, wenn auch sehr schwerer Felsbrocken in den französisch-deutschen Beziehungen nach 1871.

Eben schon nach 1866, "Rache für Sadowa", war absehbar, dass Frankreich das Erwachsen eines durch Preußen geformtes und geführtes Deutschland grundsätzlich ablehnte. Und die demütigende Niederlage 1870/71 hätte auch ohne Reichsgründung ausgerechnet in Versailles und Elsass-Lothringen nicht zu einer freundlichen Stimmung gegenüber dem geeinten Deutschland in Frankreich geführt.

Eine Aussöhnung mit dem Kriegsgegner "passte" auch einfach nicht ins Zeitalter des Nationalismus und Imperialismus, weder links noch rechts vom Rhein. Und für die Grande Nation war das deutlich größere und immer stärker werdende Reich per se der Endgegner, egal wo die Grenze verlaufen wäre, statt also "immer daran denken, nie davon sprechen" eben vielleicht "Rache für Sedan".

Ja, es gibt das Gegenbeispiel Österreich-Ungarns mit Preußen/Deutschland, aber dieses Verhältnis war sehr speziell. Stichworte Bruderkrieg, deutsches Blut auf beiden Seiten vergossen, aber auch die Stärkung des ungarischen Reichsteils, der kein Interesse an "innerdeutschen" Angelegenheiten hatte.

Zurück zu Italien im 1. Weltkrieg. 1914 wurden die im Dreibund vertraglich festgelegten Bündnisverpflichtungen von Italien als nicht gegeben angesehen. Weder Österreich-Ungarn noch das Deutsche Reich wurden angegriffen, sondern erklärten zuerst die Kriegszustände.

Dies wurde, zähneknirschend zwar, sowohl in Berlin als auch in Wien akzeptiert, weil man erstens mit einem kurzen Krieg rechnete und zweitens mit einem neutralen Italien gut leben konnte. Was sich auch daran zeigte, dass die Österreicher die Grenze quasi entblößt hatten. Was Wien dennoch nicht daran gehindert hat, einen Präventivkrieg ins Auge zu fassen.

Der Dreibund war durch die Neutralität Italiens 1914 sowieso obsolet. Gegen wen sollte Italien seinen Partnern zuhilfe eilen, wenn man schon für sich entschieden hatte, dass Deutschland und Österreich die Aggressoren waren?

Erst als deutlich wurde, dass sich der Krieg hinzieht, wurden die Bemühungen, den Dreibund zu aktivieren, verstärkt. Man hat sich in Berlin und Wien auch an seinen drei Fingern abzählen können, dass England und Frankreich ein großes Interesse an einer weiteren Front hatten und versuchten, Italien auf ihre Seite zu ziehen (würde mich nicht wundern, wenn man ziemlich gut Bescheid wusste, da es in Rom ja auch prodeutsche Kräfte gab).

Man muss auch die Gesamtsituation 1914/15 betrachten und vergessen, was danach geschah. Als Italien im Mai 1915 in den Krieg eintrat, war Verdun noch mehr als 1 Jahr entfernt. Auch der Gaskrieg begann erst unmittelbar vor dem Kriegseintritt. Die wahren Schrecken standen also erst noch bevor. Und im Osten gegen Russland wurde kein Grabenkrieg geführt.

Im Osten hatte Österreich-Ungarn schwere Verluste erlitten, auf dem Balkan kam es nicht voran. Die Truppen entlang der Grenze zu Italien waren bestenfalls zweitklassig und nur dünn gestreut. Kein Wunder also, dass die italienische Militärführung von einem schnellen Vorstoß ausging, bis Wien. Dass die Front dann doch sehr schnell erstarrte, war nicht unbedingt vorhersehbar.

Dass militärische Planungen und Versprechungen gegenüber den politischen Entscheidern im 1. WK nur selten mit der Wirklichkeit übereinstimmten und zu katastrophalen Ergebnissen führten, ist auch keine italienische Spezialität, sondern eher die Norm gewesen, Stichworte Schlieffen-Plan, Gallipoli, nach 1915 Verdun, Somme, Brussilow etc..

Im politischen Rom hatte man also vor dem Seitenwechsel die Aussicht, einen schnellen Sieg auf Seiten der Entente zu erringen und nicht nur das Trentino zu gewinnen, sondern auch noch Triest, Istrien und die dalmatinische Küste (die Adria als italienisches Binnenmeer). Oder eben vertragstreu "wohlwollend neutral" zu bleiben und sich der Gefahr auszusetzen, von der Entente blockiert zu werden

Dass die Allierten nicht zimperlich waren im Umgang mit neutralen Staaten, kann man an der der Einnahme Thessalonikis im weiteren Verlauf von 1915 erkennen oder dem Druck auf Norwegen, keinen Handel mit Deutschland zu treiben oder der quasi Einbeziehung der Niederlande in die Blockade.
 
Tatsächlich. Es wurde sich doch aber alle Mühe gegeben, die Armee wieder in Form zu bringen.
Ah, zählt dann nach diesem Paradigma die Aufstellung der "schwarzen Reichswehr" und die Vorbereitung der vertragswidrigen Aufrüstung in Deutschland auch bereits als Vorbereitung zu Revanchekrieg? Ich frage nur.

Das offizielle Deutschland, die Reichsregierung, hatte Locarno unterschrieben
Unter dem Druck der Ruhrbesetzug und der französischen Waffen.

Es hatte also unter Zwang einen Vertrag geschlossen, der gemäß deinen eigenen Ausführungen:

Aha, du erwartest also von dem Opfer der Erpressung, von dem Bündnispartner, der böswillig hintergangen wurde, das dieser selbstverständlich aufrichtig und ehrlich sein Territorium herausrückt und es dabei bewenden lässt?

als nichtig zu betrachten gewesen wäre, da auf Basis von Erpressung zustande gekommen, denn für die Ruhrbesetzung gab es keine, wie auch immer geartete Rechtsgrundlage, die war ein Willkürakt gegen die territoriale Integrität Deutschlands, die im Gegensatz zur Rheinlandbesetzung von keinem Vertrag gedeckt war.

Stresemann wollte die Versöhnung mit Frankreich. DNVP und NSDAP waren nicht in der Mehrheit.
Ja, DNVP und NSDAP waren nicht die Mehrheit (Jedenfalls bis zu den repressierten Reichstagswahlen 1933 nicht), aber sie waren nun wirklich keine gänzlich zu vernachlässigende Größe, sondern sie waren im Volk salonfähig genug, dass sie mit Hilfe Hindenburgs die Macht übernehmen konnten und Stresemann stand nicht pars pro toto für die politischen Überzeugungen des deutschen Volkes.

Wenn er das getan hätte, hätten DNVP und NSDAP kaum in diesem Maße Teile der Wählerschaft mobilisieren könnnen.

General Boulanger war Teil der französischen Regierung; General von Seekt war nicht Teil der deutschen Regierung.
Seeckt war 1923 von Ebert zweitweise mit der Wahrnehmung der "vollziehenden Gewalt" im Reich beauftragt (Ausnahmezustand am Ende des Krisenjahres unter Eindruck von Hitler-Putsch und Hamburger Aufstand der Kommunisten) worden, womit er de facto wenigstens zeitweise eherheblichen Einfluss auf die deutsche Politik hatte.

Aha, du erwartest also von dem Opfer der Erpressung, von dem Bündnispartner, der böswillig hintergangen wurde, das dieser selbstverständlich aufrichtig und ehrlich sein Territorium herausrückt und es dabei bewenden lässt?
Erstmal halte ich den Begriff "Erpressung" in diesem Zusammenhang für schwierig. Immerhin hatten Deutschland und Österreich mehrere andere Staaten angegriffen und trugen sich in der Zwischenzeit auch mit der Absicht die Landkarte Europas zu eigenen Gunsten zwangsweise umzugestalten.

Diese beiden Aktuere hatten kein Recht so zu handeln und dementsprechend auch keinen Anspruch darauf, dass man sie dabei gwähren ließe.

Ein Räuber kann sich schwerlich darüber beschweren, wenn er von dritten Personen bei der Ausführung eines Raubes behindert und angeganen wird. Mit welchem Argument denn? Das man das Recht habe einen anderen zu berauben?*

Österreich wurde nicht widerrechtlich erpresst, sondern Italien hatte angeboten unter bestimmten Bedingungen ("Gewinnbeteiligung") Wien bei seinem eigenen widerrechtlichen Tun unbehelligt zu lassen.
Damit war Wien ein Vorteil in Aussicht gestellt worden (nämlich das seine eigene widerrechtliche Machtausdehnung durch Angriffskrieg hingenommen würde), auf den es keinen, wie auch immer gearteten Anspruch hatte (anders als bei einer Erpressung in der der Erpresste an Leib. Leben oder einem anderen geschützten Rechtsgut genötigt wird).
Wenn Wien also einen Vertrag abschloss gewann es mit diesem Handel einen Vorteil. Und wenn es diesen Vorteil konsumierte und von einem solchen Vertrag profitierte, konnte es sich über den Vertrag selbst beschweren.
Wer die in einem Vertrag garantierten Vorteile für sich in Anspruch nimmt, kann nicht anschließend den Vertrag für ungültig erklären, mit dem Argument es wäre nur gegen den eignen expliziten Willen erpresst worden, in dem Moment, wo die Vorteile angenommen und genutzt werden, bekennt sich der jeweilige Akteur zu diesem Vertrag.


Nun könnte man allenfalls noch argumentieren, dass ein solcher Vertrag an und für sich sittenwidrig/rechtswidrig sei, da er widerrechtliche Handlungen (gewaltsame Umverteilung von Territorien) schützte, solche aber nicht durch einen Vertrag legitimiert werden könnten und der Vertrag von dem her gegenstandslos sei.

Dann allerdings müsste man argumentieren, dass auch der Dreibundvertrag wegen des Kompensationsartikels, der im Falle territorialer Zugewinne Österreichs oder Italiens Kompensation für die jeweils andere Partei forderte ebenfalls sittenwidrig/rechtswidrig gewesen sei.
Denn natürlich hätte "Gewinnbeteiligung" im Rahmen des Kompensationsartikels auch in Fällen von gewaltätigen Eroberungsprojekten gegriffen, die gegen die Souveränität anderer staatlicher Akteure gegangen wären.




*und bevor gleich das Lamento kommt Österreich habe ja von Serbien nichts annektieren wollen und desewegen sei kein Raub beabsichtigt gewesen:
Für den Tatbestand eines Raubes ist es nicht notwendig dass der Räuber selbst dass Raubgut behällt. Wenn er es an Dritte weitergibt (Wien beabsichtigte ja sehr wohl serbisches Gebiet abzutrennen und es Bulgarien zu überlassen), ist das immernoch Raub.
 
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Oder eben vertragstreu "wohlwollend neutral" zu bleiben und sich der Gefahr auszusetzen, von der Entente blockiert zu werden

Dass die Allierten nicht zimperlich waren im Umgang mit neutralen Staaten, kann man an der der Einnahme Thessalonikis im weiteren Verlauf von 1915 erkennen oder dem Druck auf Norwegen, keinen Handel mit Deutschland zu treiben oder der quasi Einbeziehung der Niederlande in die Blockade.
Dezidierte Blockade halte ich nach wie vor für unwahrscheinlich. Embargos hinsichtlich bestimmter Handeslgüter, die Italien sehr weh tun konnten ja, aber keine dezidiert feindlichen Handlungen.
Was hätten die Ententemächte davon gehabt?

Norwegen, die Niederlande und Griechenland waren keine Gegner von denen irgendwelche Gefahr ausging.

- Norwegen war bevölkerungsarm und hatte weder eine Armee, noch eine Flotte die in diesem Konflikt irgendeine Relevanz gehabt hätten.
- Die Niederländer wussten, dass wenn sie sich in einen Krieg mit Großbritannien einließen ihr "ostindisches" Kolonialreich wahrscheinlich auf ewig perdu gewesen wäre, da die Briten das qua Seeüberlegenheit und Kolonialtruppen aus Indien sehr wahrscheinlich einfach mal einkassiert hätte (wirtschaftlich interssant genug war das Gebiet allemal). Also bestand auch keine große Gefahr, dass sich die Niederlande wehren und einen Konflikt riskieren würden.
- Griechenland war nachdem sich in Thessaloniki um Venizelos eine nicht verfassungsgemäße Gegenregierung zu Athen gebildet hatte gerade dabei in den Bürgerkrieg zu schlittern und somit auch nicht fähig etwas dagegen zu unternehmen.

Italien wäre aber sehr wohl stark genug und in der Verfassung gewesen den Ententemächten einig Schwierigkeiten zu machen, jedenfalls in der Adria und im Balkan.

Unwahrscheinlich, dass die Entente das riskiert hätte.
Italien hätte sehr wahrscheinlich neutral bleiben können ohne direkt angegriffen zu werden, weil eine der beiden Seiten nicht willens gewesen wäre die Neutralität zähneknirschend zu akzeptieren.

Es wäre aber sicherlich mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken und Nachteilen verbunden gewesen.
Und wenn Rom dies kompensiert sehen wollte (zumal noch der Artikel VII des Dreibundvertrags im Raum stand, als Grundlag für kompensationen, auf den Rom sich mehrfach berief), ist das durchaus nicht so ganz unverständlich.
 
Wie von mir und anderen erwähnt, war die Annexion Elsass-Lothringens nur ein weiterer, wenn auch sehr schwerer Felsbrocken in den französisch-deutschen Beziehungen nach 1871.

Eben schon nach 1866, "Rache für Sadowa", war absehbar, dass Frankreich das Erwachsen eines durch Preußen geformtes und geführtes Deutschland grundsätzlich ablehnte. Und die demütigende Niederlage 1870/71 hätte auch ohne Reichsgründung ausgerechnet in Versailles und Elsass-Lothringen nicht zu einer freundlichen Stimmung gegenüber dem geeinten Deutschland in Frankreich geführt.
zwar halte ich hier - Thema Neutralitätsspekulation - für nicht zielführend, über den Krieg 1870/71 zu diskutieren, aber weil er dauernd erwähnt wird, (m)eine Verständnisfrage: ist das hier
Die Kampfhandlungen begannen am 2. August 1870 mit einem Vorstoß französischer Truppenteile der Rheinarmee unter General Frossard. Sie nahmen das strategisch eher isolierte und nur von wenigen preußischen Truppen geschützte Saarbrücken ein.
auch ein Felsbrocken, oder nur ein Kieselsteinchen?
 
Auch das ist falsch bzw. eine grobe Verzerrung. Von "begrüßten" kann keine Rede sein, und schon gar nicht "mehrheitlich" - man schickte sich bestenfalls ins Unvermeidliche und versuchte, langfristig das Beste draus zu machen. Wir hatten das Thema doch schon mal:



Teutsch und Küss waren übrigens Protestanten.

Ich habe den ganzen Nachmittag nach einem Thread gesucht, in der es um das Elsass ging. Ich war mir nur sicher, dass @Griffel den Thread gestartet hatte, ich habe ihn aber nicht mehr gefunden.
 
@dekumatland, es ging nicht um den Krieg 1870/71 oder wer den ersten Schuss geschossen hat, sondern darum, dass Frankreich nach der Niederlage in diesem Krieg dem Deutschen Reich feindlich gesonnen gewesen wäre, ganz unabhängig davon, wie die Entscheidung über Elsass-Lothringen (der große Felsbrocken) ausgesehen hätte.

Das geeinigte Deutschland wäre immer als Gefahr für Frankreich betrachtet worden, so wie umgekehrt Frankreich von deutscher Seite. Zwei Staaten, die sich so spinnefeind waren bzw. sich nicht über den Weg trauten, konnten nicht neutral sein (die Ausgangsfrage bezog sich ja auf eine mögliche deutsche Neutralitätspolitik).

Um den Bogen ins Jahr 1914 zu schlagen, hätte Deutschland da neutral bleiben können.

Höchstwahrscheinlich nicht. Österreich-Ungarn war gewillt, den Serben eine Lektion zu erteilen, Russland wollte Serbien schützen und hätte Ö-U angegriffen. Was den Beistandspakt mit dem Deutschen Reich ausgelöst hätte, was wiederum Frankreich auf den Plan gerufen hätte. Geändert hätte sich "nur" die Reihenfolge der Kriegserklärungen.

Letztendlich lag der "Große Krieg" ja seit längerem in der Luft, die Großmächte suchten geradezu nach einem Grund für den alles entscheidenden Krieg. Die Gelegenheit schien für alle Seiten günstig ("noch" auf deutscher Seite, "endlich" auf Seiten der Franzosen). Daher auch so wenig Bemühungen, den Krieg zu vermeiden.

Was auch daran lag, dass Krieg noch immer ein allgemein akzeptiertes Mittel der Politik war. Was wiederum daran lag, dass sich keiner einen solch katastrophalen Krieg vorstellen konnte.
 
Höchstwahrscheinlich nicht. Österreich-Ungarn war gewillt, den Serben eine Lektion zu erteilen, Russland wollte Serbien schützen und hätte Ö-U angegriffen. Was den Beistandspakt mit dem Deutschen Reich ausgelöst hätte, was wiederum Frankreich auf den Plan gerufen hätte. Geändert hätte sich "nur" die Reihenfolge der Kriegserklärungen.

Wenn Österreich selbst Serbien angriff und Russland wiederrum Serbien lediglich militärischen Beistand leistete unterfiel das nicht so ohne weiteres den Bestimmungen des Zweibund-Vertrages sondern war mindestens Interpretationssache und damit Entscheidungsspielraum der deutschen Regierung.

Andernfalls wäre es nämlich völlig unnötig gewesen, sich von deutscher Seite den berüchtigten "Blancoschek" ausstellen zu lassen, denn dann wäre der Zweibundvertrag bereits der von Bismarck ausgestellte Blancoschek gewesen.
So konnte er aber seinerzeit nicht intendiert gewsen sein, denn das hätte sich sonstigenfalls mit dem Rückversicherungsvertrag mit Russland nicht vereinbaren lassen.

Auch wäre es Bismarck kaum in den Sinn gekommen, mit Wien ein Abkommen zu schließen, dass es Wien wiederrum erlaubt hätte Berlin ohne dass dieses noch ein Veto-recht dagegen gehabt hätte auf diese Weise in Auseinandersetzungen am Balkan zu involvieren, ein Raum, aus dem sich Bismarck so gut es ging heraushalten wollte ("[...]nicht die gesunden knochen eines einzigen pommerschen Musketiers[...] usw.)


Insofern der Zweibundvertrag nicht die eingebaute Beistandsgarantie war, wenn Wien selbst einen Krieg vom Zaun brach, sondern Berlin sich zu einem solchen Unterfangen über die Vereinbarungen des Dreibunds hinaus bereitfinden musste, respektive dazu, die durchaus interpretationsfähigen vertraglichen Bestimungen in diese Richtung zu interpretieren, hätte Berlin, wenn es bereit gewesen wäre mit den möglichen politischen Konsequenzen zu leben, durchaus den Österreicher "njet" sagen und damit weitere Eskalation zu Krieg verhindern können.
Da Österreich-Ungarn ohne die sichere Rückendeckung Deutschlands gegenüber Russland nicht aktionsfähig war, wäre dann vermutlich einfach gar nichts passiert.

Nachdem der "Blancoschek" allerdings einmal ausgestellt und Wien zum Losschlagen ermuntert war, musste es schwerfallen, das wieder einzufangen und Raushalten war danach tendenziell nicht mehr möglich, weil sich Berlin in dieser Bündniskonstellation nicht leisten konnte, dass Österreich-Ungarn militärisch gegenüber Russland unter die Räder kam.
 
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Seeckt war 1923 von Ebert zweitweise mit der Wahrnehmung der "vollziehenden Gewalt" im Reich beauftragt (Ausnahmezustand am Ende des Krisenjahres unter Eindruck von Hitler-Putsch und Hamburger Aufstand der Kommunisten) worden, womit er de facto wenigstens zeitweise eherheblichen Einfluss auf die deutsche Politik hatte.

Für sehr kurze Zeit. Und deshalb war er trotzdem kein Regierungsmitglied.

Aber davon einmal abgesehen, bevor du noch Tamerlan oder Mao bemühst, ständig What about tism aus der Kiste holst, rege ich an, das wir doch bei dem italienischen Verhalten im Mai 1915 bleiben.

Oh wieder was Neues; jetzt kommt auch noch endlich Serbien dran. Um in deinem Bild zu bleiben, der Raub hätte erstmal vollzogen sein müssen. War der es im Mai 1915? Begann der entscheidende Feldzug nicht erst im Oktober 1915? Eine Kompensation einzufordern, wenn noch nichts erobert wurde, das ist ein wenig albern. Und es wurde von Wien ausdrücklich erklärt, keine Annexionen vornehmen zu wollen.

Und dann sollte sich Italien an die eigene Nase fassen, denn bei seinem räuberischen Tripolis Feldzug, hat es genau diese abgelehnt und Österreich-Ungarn war artig und hat Rom nicht erpresst.
 
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zwar halte ich hier - Thema Neutralitätsspekulation - für nicht zielführend, über den Krieg 1870/71 zu diskutieren, aber weil er dauernd erwähnt wird, (m)eine Verständnisfrage: ist das hier

auch ein Felsbrocken, oder nur ein Kieselsteinchen?

Und nicht nur das. Wer hat denn wem im Juli 1870 den Krieg erklärt?
 
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Italien ging es einzig und allein mit seinem sacro egoismo nur um den eigenen Territorialgewinn. Die Tatsache, das man mit Österreich-Ungarn verbündet war, spielte dabei berhaupt gar keine Rolle. Salewski schreibt beispielsweise in seinem Weltkriegswerk, das bereits die Abmachungen von 1902 diametral den Dreibundverträgen entgegenstanden. @Shinigami, du siehst, dieser Historiker beurteilt das noch viel härter als meine Wenigkeit. Jedenfalls, die angeblich "unerlösten" Gebiete sollten endlich zu Italien kommen.

Nicht zu vergessen ist auch, das König Vittorio Emanuele zu Beginn des Krieges den Herrschen in Wien und Berlin die wohlwollende Neutralität seines Landes zugesichert hatte.

Es war für die Alliierten ein Leichtes Italiens Verbündete in dem Bieterwettbewerb um Rom auszustechen, denn sie verschacherten fremdes Territorium. Die Rechnung bekamen sie dafür 1940 von Mussolini, einer der größten Kriegstreiber 1915, wegen angeblich unbeglichenen Rechnungen präsentiert.

Italien verhandelte selbst dann noch zum Schein, um Zeit zu schinden, mit Österreich-Ungarn weiter, als man bereits Ende April 1915 sich mit Großbritannien und Frankreich in London handelseinig geworden war. In dem Bündnis vom 26.April 1915 wurde Italien Südtirol bis zur Brennergrenze, Triest, Istrien und ein Stück der albanischen und dalmatinischen Küste verbindlich zugesagt. Ob nun dort überall geborene Italiener die Bevölkerungsmehrheit stellten, ist mir nicht bekannt.

Am 23.Mai 1915 erfolgte die italienische Kriegserklärung. Cadorna, er war sehr für den Bündnisbruch eingetreten, plante über den Isonzo über Kärnten in nordöstlicher Richtung nach Wien vorzustoßen. Es folgte ein Dutzend Schlachten am Isonzo, ungeheure Opfer und null Erfolge für Italien und das obwohl Österreich-Ungarn mehr als eine Front zu bedienen hatte und numerisch den italienischen Streitkräften deutlich unterlegen war.

Es ist schwer zu begreifen, was Cadorna sich dabei gedacht hatte, zuzusagen, das die italienischen Streitkräfte binnen kurzer Zeit in Wien stehen würden. Der Generalstabschef hätte um den kümmerlichen Zustand der eigenen Streitkräfte wissen müssen. Es hatte ja nicht einmal für Tripolis gereicht. Wie konnte Cadorna das schwierige Gelände dermaßen unterschätzen? und die Leistungsfähigkeit der eigenen Truppen so überschätzen? Es ist kaum zu begreifen. Cadorna braucht, vom 23.Mai 1915 ausgehend, noch einen weiteren ganzen weiteren Monat, um seine Divisionen auf die Offensive vorzubereiten. Bis dahin hatten auch die k.u.k. Streitkräfte Truppen rangeführt und haben den Angriff erfolgreich abgewehrt. Wenn sie schneller gewesen wären, hätten sie Italiener womöglich überrollen können.
 
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@dekumatland, es ging nicht um den Krieg 1870/71 oder wer den ersten Schuss geschossen hat, (1) sondern darum, dass Frankreich nach der Niederlage in diesem Krieg dem Deutschen Reich feindlich gesonnen gewesen wäre, ganz unabhängig davon, wie die Entscheidung über Elsass-Lothringen (der große Felsbrocken) ausgesehen hätte. (2) Das geeinigte Deutschland wäre immer als Gefahr für Frankreich betrachtet worden, so wie umgekehrt Frankreich von deutscher Seite. Zwei Staaten, die sich so spinnefeind waren bzw. sich nicht über den Weg trauten, konnten nicht neutral sein (die Ausgangsfrage bezog sich ja auf eine mögliche deutsche Neutralitätspolitik).
@collo entweder verstehe ich diese Überlegung bzw Einschätzung nicht, oder ich missverstehe sie:
(1) hätte Frankreich den Krieg 1870/71 nicht verlieren sollen, damit eine entspannte politische Lage die Lage in Europa friedlich hält? Falls das intendiert war, wäre meine erste naive Reaktion darauf: man hätte halt seitens Frankreich diesen in jedem Sinn peinlichen Krieg gar nicht erst beginnen/anzetteln sollen...
(2) damit kann ich nichts anfangen, denn es bedeutet, dass Entwicklungen außerhalb Frankreichs sich hätten an Frankreich orientieren, sozusagen um Erlaubnis fragen müssen, damit die Grande Nation nicht beleidigt ist und friedlich bleibt... und da frage ich mich, welche unumstößlichen Gründe es geben mag, Frankreich samt seiner eigennützigen Interessen auf ein solches Riesenpodest der Relevanz für den Frieden zu heben.
Ich will dir weder (1) noch (2) unterstellen, also nicht missverstehen! Was ich dazu kommentiert habe, ist das, was mir als Konsequenz aus deinen Überlegungen erscheint.
Oder ist das anders zu verstehen (grün markiert) : egal was sich entwickelt, D und F waren - warum auch immer - spinnefeind, woran sich nichts änderte (das wäre sowas in Richtung ewiger Erbfeindschaft)

In einer Sache muss ich dir widersprechen: es ist nicht und nie irrelevant nachzuschauen, wer einen Krieg begonnen hat (Kriegserklärung, "erster Schuss") - ganz im Gegenteil. (nebenbei: ohne das wäre es nicht zur französischen Niederlage gekommen)
 
@dekumatland

Da es sich hier um die Möglichkeit einer Neutralitätspolitik des Deutschen Reiches dreht (jedenfalls in der Ursprungsfrage) ist der Krieg 1870/71 bzw. die daraus folgende Reichsgründung nur der Startzeitpunkt der (meiner) Überlegungen. Daher sind die einzelnen Ereignisse des Krieges irrelevant, aber nicht der Sieg bzw. die Niederlage als solche. Diese hatten langanhaltende Konsequenzen im Verhältnis der beiden Länder.

Ja, meine Schlussfolgerungen gehen tatsächlich in Richtung Erbfeindschaft und zwar beidseitig.

Frankreich war militärisch gedemütigt worden, im Osten ein geeinigtes Deutschland entstanden, was Frankreich lange Zeit zu verhindern suchte. Aus meiner Sicht hätten diese beiden Punkte das deutsch-französische Verhältnis schon mehr als genug belastet. Ganz zu schweigen eben von den "Felsbrocken" Spiegelsaal von Versailles und Elsass-Lothringen.

Deutschland in seiner Mittellage musste verhindern, dass Frankreich Bündnispartner fand, die diesem die Möglichkeit gaben, das Ergebnis von 1871 zu revidieren. Und es hatte sich ins kollektive Bewusstsein gebrannt, dass Frankreich Deutschland lange als Schlachtfeld betrachtete und sich in deutsche Angelegenheiten einmischte.

Vielleicht kann man es so formulieren, dass der Krieg von 1870/71 noch nicht schrecklich genug war, dass gekränkter Stolz und die Ausdehnung der eigenen Macht auf Kosten anderer, keine guten Voraussetzungen waren, um Kriege zu verhindern und Wohlstand zu fördern. Diese Einsicht ist in Europa erst 1945 entstanden.

Wie wir grade erleben, auch nicht auf Dauer.
 
Wie von mir und anderen erwähnt, war die Annexion Elsass-Lothringens nur ein weiterer, wenn auch sehr schwerer Felsbrocken in den französisch-deutschen Beziehungen nach 1871.

Eben schon nach 1866, "Rache für Sadowa", war absehbar, dass Frankreich das Erwachsen eines durch Preußen geformtes und geführtes Deutschland grundsätzlich ablehnte. Und die demütigende Niederlage 1870/71 hätte auch ohne Reichsgründung ausgerechnet in Versailles und Elsass-Lothringen nicht zu einer freundlichen Stimmung gegenüber dem geeinten Deutschland in Frankreich geführt.

Eine Aussöhnung mit dem Kriegsgegner "passte" auch einfach nicht ins Zeitalter des Nationalismus und Imperialismus, weder links noch rechts vom Rhein. Und für die Grande Nation war das deutlich größere und immer stärker werdende Reich per se der Endgegner, egal wo die Grenze verlaufen wäre, statt also "immer daran denken, nie davon sprechen" eben vielleicht "Rache für Sedan".

Ja, es gibt das Gegenbeispiel Österreich-Ungarns mit Preußen/Deutschland, aber dieses Verhältnis war sehr speziell.

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Nördlich und südlich des Ärmelkanals aber schon!

Die deutsch-französischen Beziehungen waren zweifellos stark belastet. Die Annexion von Elsass-Lothringen, die Ausrufung des Deutschen Reichs im Spiegelsaal von Versailles, die Erfahrungen aus der "Franzosenzeit", als Preußen beinahe von der Landkarte getilgt wurde, die Verwüstung der Pfalz unter Melac, die Erfahrungen mit Marodeuren im Siebenjährigen Krieg und den napoleonischen Kriegen- Das waren alles Ereignisse, die zur Zementierung einer "Erbfeindschaft" beitrugen und eine Aussöhnung erschwerten.

Dennoch war grundsätzlich auch im Zeitalter des Imperialismus die Überwindung einer historischen "Erbfeindschaft" nicht per se unmöglich.

Auch im Zeitalter des Imperialismus/Nationalismus gab es Beispiele dafür, dass eine historische "Erbfeindschaft" überwunden werden konnte, wenn die politischen Gegebenheiten einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik nahelegten.

Du hast bereits selbst auf die Beziehungen zwischen Österreich und Preußen hingewiesen. Da gab es eine gut hundertjährige Rivalität seit den Schlesischen Kriegen, und Wilhelm I. hatte im Krieg von 1866 noch an großzügige Annexionen gedacht, was Bismarck ihm ausreden konnte.

Die britisch-französische Rivalität hatte sogar noch eine weit längere Tradition, die bis ins Mittelalter, bis in die Zeit des Hundertjährigen Krieges zurückreichte. Da könnte man durchaus auch von einer historischen "Erbfeindschaft" sprechen, die über viele Jahrhunderte eine Konstante der europäischen Politik war. In der britischen Geschichtswissenschaft wird die Zeit zwischen 1689 und 1815 zuweilen als Zweiter Hundertjähriger Krieg" bezeichnet.

Noch im Jahre 1898 wäre es zwischen F und GB beinahe zu einem Krieg gekommen. Die Faschoda-Krise 1898 erschütterte die 3. Republik in ähnlicher Weise wie die Panama-Krise und die Dreyfus-Affäre. In der britischen wie französischen Presse gab es heftige Reaktionen. Dennoch kam es zu einer Annäherung von F und GB und 1904 zur Entente Cordiale.
 
Mich würde mal interessieren, warum das Deutsche Reich, sprich Kaiserreich, nach seiner Gründung, keine aktive und anerkannte Neutralitätspolitik verfolgt hat bzw. verfolgen konnte?

Es wurde ja dem Reich vorgeworfen, dass man keine feste Bündnispolitik verfolgt hat!

Die Politik der freien Hand, die Bismarcks Nachfolger betrieben, könnte man im weitesten Sinne als Neutralitätspolitik interpretieren. Bismarcks Nachfolger glaubten, dass zwischen GB und Russland unüberbrückbare Gegensätze bestanden und D als verlässlicher Partner stets Bundesgenossen finden würde, auch ohne sich formell einem Bündnis-System anzuschließen.

Das Deutsche Reich begab sich mit der Politik der freien Hand in "Splendid Isolation" gerade zu dem Zeitpunkt, als GB die "Splendid Isolation" aufgab. Bismarcks Bündnis-Politik wurde von seinen Nachfolgern als hemmend empfunden. Erst als D diplomatisch ziemlich isoliert war, hat man erkannt, dass die Politik der freien Hand gescheitert war und hat versucht, die Isolation aufzubrechen, doch da war es bereits zu spät.

Das Reich hatte ja an sich genug eigene Probleme! Auf fast allen Gebieten! Wirtschaftlich, sozial, und finanziell. Somit war Deutschland, an sich, keine Bedrohung. Weder, für Frankreich noch für England. Beide Nationen, hatten ja durchaus einen enormen Vorsprung, auf allen wichtigen Gebieten. Auch wenn, Deutschland es im Laufe des 19. Jahrhunderts geschafft hat, zu einem Konkurrenten zu werden!

Deutschland war bei weitem die stärkste und dynamischste Großmacht in Europa. Deutsche Universitäten hatten einen hervorragenden Ruf, und ein Nobelpreis nach dem anderen ging nach D. Das Auto, das Luftschiff, der Computer und das Telefon wurden von Deutschen erfunden. Made in Germany, ursprünglich mal eingeführt, um nicht britische Produkte zu kennzeichnen, wurde zu einem Gütesiegel für deutsche Wertarbeit. Deutschland hat es nicht nur geschafft, zu einem Konkurrenten zu werden, sondern es hat, innerhalb eines kurzen Zeitraums bis zur Jahrhundertwende den "enormen Vorsprung" GB und F nicht nur eingeholt, sondern es hat GB überholt und F abgehängt. Demographisch, wirtschaftlich, politisch und militärisch war D bei weitem die stärkste und dynamischste Großmacht in Europa, und natürlich war es eine potenzielle Bedrohung.
Schweden, hat es ja auch geschafft, ohne Kolonien auszukommen. Dem nordischen Land, scheint seine Neutralität ja nicht geschadet zu haben.



:(

Schweden hat sich aber auch nicht ganz freiwillig dazu entschlossen, auf Expansion zu verzichten, und es hat sich auch nicht ganz freiwillig von seinen Außenbesitzungen im Baltikum und in Deutschland getrennt. Schwedens geostrategische Lage und sein demographisches Gewicht war auch ein ganz anderes Kaliber als das deutsche Kaiserreich, das mitten in Europa lag, umgeben von Nachbarn, mit denen es bereits aneinander geraten war.
Neutralität oder wohlwollendes Desinteresse, sofern es ehrlich gemeint ist, kann ja von niemandem als Bedrohung empfunden werden. Die Schweiz hat ja damit gute Erfahrungen gemacht.

Neutralität und wohlwollendes Desinteresse hält aber auch keinen Aggressor davon ab, sich Landesteile einzuverleiben, die so schön das eigene Territorium abrunden. Dass die Schweiz niemals erobert wurde, hat sie vor allem ihrer geostrategischen Lage mitten in den Alpen zu verdanken, aber nicht ihrer Neutralität.

Demographisch, wirtschaftlich und geostrategisch war das nun vereinte Deutschland ein ganz anderes Kaliber als Staaten wie Schweden oder die Schweiz, die an der Peripherie Europas lagen und nach ihrem politischen, wirtschaftlichen, militärischen und demographischen Profil gar keine Bedrohung darstellen konnten.
 
Nichts verbindet mehr als ein gemeinsamer Gegner.

Großbritannien betrachtete sich lange als Schiedsrichter in kontinentaleuropäischen Angelegenheiten und vermied daher enge Bindungen. Was nicht heisst, dass es keine Zweckbündnisse einging, z.B. militärisch im Krimkrieg mit Frankreich gegen Russland. Oder diplomatisch, als es gemeinsam mit Russland Bismarck drohte, nicht zu weit zu gehen. Oder mit Bismarck gegen Russland ein paar Jahre später.
Nicht zu vergessen ist auch, dass der letzte Krieg der Briten gegen die Franzosen der Feldzug gegen Napoleon 1815 war, also anno dunnemals.

Noch vor Deutschland sah sich ab 1890 Großbritannien als umkreist an, aus der splendid isolation war eine echte Isolation geworden. Die französisch-russische Annäherung wurde eben auch in London als Bedrohung der eigenen Position wahrgenommen. Daher auch das Bündnus mit Japan 1902, welches sich gegen Russland richtete.

Es lag also nahe, dass sich London zuerst nach Berlin wandte, als es auf der Suche nach europäischen Partnern war. Und geschicktere Außenpolitiker in der Wilhelmstraße hätten eine deutsch-britische Entente Cordiale zustandebringen können.

Wobei auch die britische Seite nicht ganz unschuldig war. Deutschland brauchte gegen die Bedrohung Frankreichs und Russland eben mehr als nur gegenseitiges Einvernehmen, sondern ein festes Bündnis. Dazu war Großbritannien aber nicht bereit, auch nicht 1904 mit Frankreich.

Dass das Verhältnis zu Frankreich (und Russland) in den wenigen Jahren vor dem Weltkrieg dann doch immer enger wurde, bis hin zu militärischer Zusammenarbeit, lag dann an der Einschätzung, dass sich Deutschland zur einer existenziellen Bedrohung für alle drei entwickelte.

Was die Rüsungsspirale so richtig ins Rolen brachte. Deutschland hatte zwei mächtige Gegner und nur zwei zweitrangige Verbündete. Es musste zu Lande so stark sein, dass es Frankreich und Russland nacheinander ausschalten konnte. Und es dachte, nach der Nicht-Einigung mit England, die eigene Flotte zu einer noch größeren Bedrohung ausbauen zu müssen.

Solange Krieg aber als politisches Mittel allgemein akzeptiert war, funktionierte dieses frühe Konzept der Abschreckung nicht, sondern führte fast zwangsläufig in einen solchen.
 
Die Politik der freien Hand, die Bismarcks Nachfolger betrieben, könnte man im weitesten Sinne als Neutralitätspolitik interpretieren. Bismarcks Nachfolger glaubten, dass zwischen GB und Russland unüberbrückbare Gegensätze bestanden und D als verlässlicher Partner stets Bundesgenossen finden würde, auch ohne sich formell einem Bündnis-System anzuschließen.

Auch wenn es niemanden interessiert, würde ich nicht alle Ausführungen unterschreiben.;)

Die Wilhelmstraße ging ebenfalls vom einem festen Gegensatz zwischen Großbritannien und Frankreich aus. Stichworte sind beispielsweise Ägypten, Marokko, Tunesien, Vietnam etc.etc. Faschoda war Schluss- und Ausgangspunkt zugleich. Delcasse schluckte die Kröte der Niederlage und fuhr einen konsequenten Kurs der Annäherung an Großbritannien, was 1904 zum Erfolg führte.

Und Deutschland war bereits Bestandteil eines festen Bündnissystem, nämlich dem Zweibund, den Dreibund, dann mit Österreich-Ungarn und Rumänien und bis in die Neunziger in der Mittelmeerentente, die aber hinfällig würde, als das Großbritanniens Salisburys diese nicht mehr verlängerte.

Das Deutsche Reich begab sich mit der Politik der freien Hand in "Splendid Isolation" gerade zu dem Zeitpunkt, als GB die "Splendid Isolation" aufgab. Bismarcks Bündnis-Politik wurde von seinen Nachfolgern als hemmend empfunden. Erst als D diplomatisch ziemlich isoliert war, hat man erkannt, dass die Politik der freien Hand gescheitert war und hat versucht, die Isolation aufzubrechen, doch da war es bereits zu spät.

Die Splendid Isolation Großbritanniens wurde ab Ende der 90ziger aufgegeben. 1902 wurde das Bündnis mit Japan abgeschlossen, 1904 die Entente Cordiale und schließlich 1907 der Ausgleich mit Russland. Deutschland war der erste Ansprechpartner; nur war es mit Salisbury nicht zu haben; selbst wenn Deutschland ernsthaft gewollt hätte. Bülow gravitierte aber deutlich mehr zu Russland.
Es gab deutsche Bemühungen mit Russland und auch Frankreich einen Bündnis unter Dach und Fach zu bekommen. Der Zar hatte auch schon unterschreiben, wurde aber von Lambsdorff zurückgepfiffen und die Franzosen hatten auch kein Interesse; man wollte die Provinzen zurückhaben!
Nach Bülows erzwungenen Abgang begannen unter Bethmann die Bemühungen um eine durchgreifende Verbesserung der Beziehungen zu Großbritannien. Erklärtes Ziel war die Neutralität Londons zu erreichen, wenn Deutschland unprovoziert angegriffen würde. Das war mit Grey und Co. aber nicht zu haben.
 
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