Der Moltke-Schlieffen-Plan war ein kompletter Operationsplan mit genauer zeitlicher Planung bis zur Einnahme von Paris.
Aus dem oben verlinkten Artikel "There never was a Schlieffenplan" von Zuber:
"5. I noted, that the Schlieffen plan called for 96 divisions in a one-front-war (and 109 divisions in a two-front-war). In 1906 the Germans had 72 divisions in total; in 1914, 68 divisions in the west. There were never enough divisions to conduct the "Schlieffen Plan", wich included at least 24 "ghost divisions" (S. 241).
Das ist der für mich problematische Aspekt.
Das ein Plan lediglich im Grundsatz gilt, und Änderungen von Zeit zu Zeit vorgenommen werden, geschenkt. Dass manche Pläne nicht über ein bestimmtes Operationsziel hinausgehen ebenfalls geschenkt.
Man kann die Schlieffen-Denkschrift vor diesem Hintergrund als Empfehlung an seinen Nachfolger Moltke verstehen, das Auffüllen der Lücke zwischen den im Plan vorgesehenen und den real vorhandenen Kräften nach Möglichkeit beim Kaiser und bei der Regierung durchzusetzen.
Nur passierte das nicht.
Und hier kommen wir dann eben zu dem Problem, dass die minutiöse Planung auf dem Papier und beim Aufmarsch vielleicht ganz hüsch aussah, und zumindest bei der Mobilisierung auch funktionierte, der notwendige Kräfteansatz, den Schlieffen mal veranschlagt hatte dabei aber nicht erreicht wurde, während sich seit Schlieffen aber durch die Erhohlung Russlands und die zunehmende Entfremdung Italiens vom Dreibund die Ausgangslage zunehmend verschlechterte.
Moltkes Modifikation des Plans und die Entscheidung die Niederlande nicht mit einzubeziehen um sich überseeische Zufuhren auf diesem Weg zu erhalten erschwerte die Ausführung ebenfalls, weil damit Maastricht als wichtiger Verkehrsknotenpunkt/Einfallstor für die Westbewegung entfiel und damit alles mehr oder weniger durch das Nadelöhr Lüttich oder Luxemburg durch musste (= größeres Risiko, sich an der Festung Lüttich festzurennen und weniger Bahnlinien um Verstärkungen und Nachschub nach vorn zu bringen, folglich Gefahr des Verstopfens der Bahnlinien, Bahnhöfe und Vormarschstraßen).
Wenn Moltke aber substanzielle Teile der Truppen fehlten, die er eigentlich gemäß Schlieffens Kalkulationen benötigt hätte und Schlieffen sich dabei nicht sehr vertan hatte, konnte Moltke nur entweder den linken Flügel schwächen und die Möglichkeit im Elass Druck auszuüben um die Franzosen hier zu fesseln abschwächen, mit der Folge, dass die es leichter haben würden Truppen aus der Front herauszuziehen und nach Nordwesten zu verlegen oder aber den rechten Angriffsflügel zu schwächen, um mehr Möglichkeiten zu haben die Franzosen im Elsass in Kämpfe zu verwickeln und substanzielle Teile ihrer Truppen dort zu binden, bei gleichzeitiger Schwächung der Durchschlagkraft des rechten Angriffsflügels.
Moltke entschied sich bekanntlich dafür (im Vergleich zu Schlieffens Konzeption) den rechten Flügel zu Gunsten des Linken zu schwächen was ihm posthum dann jede Menge Schmähungen eingebracht hat, da er angeblich den Schlieffenplan "verwässert" habe.
Was wäre aber die Konsequenz gewesen, wenn er das nicht getan hätte?
Deutschland hätte im Elsass noch weniger Truppen zur Verfügung gehabt, die in Konsequenz weniger französische Truppen dort hätten fesseln können. Joffre hätte dann um so leichter Truppen aus der elsässischen und der lothringer Front herausnehmen und auf den französischen linken Flügel umgruppieren können.
Moltke hätte zur Ausführung seines Plans tatsächlich eine sehr deutliche Übermacht benötigt (wenigstens zeitweise). Aber die hatte er nicht.
Das ganze hätte möglicherweise etwas anders ausgesehen, wenn Frankreich der Agressor gewesen, Italien auf der Seite der Zentralmächte in den Krieg eingetreten wäre und sich der britische Kriegseintritt wenigstens verzögert hätte.
Die Konsequenz wäre gewesen, dass wie gesagt Frankreich im Süden die Alpengrenze hätte sichern müssen, was Truppen gebunden hätte, man hätte 1-2 Italienische Korps im südlichen Elsass aufmarschieren lassen können, um Bindewirkung für die gegenüberstehenden französischen Truppen aufzubauen und weitere deutsche Kräfte auf den rechten Flügel verschieben zu können.
Wäre das passiert und hätte sich der britische Kriegseintritt jedenfalls verzögert, weil der Kriegseintritt auf Seiten des ursprünglichen Agressors dem Parlament und der Bevölkerung schwerer zu vermitteln gewesen wäre, hätte die Situation vielleicht anders ausgehsen.
Dann wäre es gegebenenfalls möglich gewesen vor Inerscheinungtreten der Briten den linken französischen Flügel zu umschließen und teilweise aufzureiben, gleichzeitig hätte Fesselung der französischen Truppen an der Elsass-Front unter Miteinbeziehung italienischer Kräfte Joffre die rechtzeitige Umgruppierung sehr erschweren können.
Das Defizit an Truppen gegenüber Schlieffens Kalkulationen hätte sich unter diesen Bedingungen vielleicht auffangen lassen, wenn wir mal davon ausgehen, dass Schlieffen vorsichtig und nicht auf des Messers Schneide seinen benötigten Kräfteansatz kalkuiert hatte.
Aber als Agressor, also mit den Briten gegen sich, ohne die Italiener als Unterstützung und ohne zweite Front für Frankreich im Süden, sehe ich nicht, wie das hätte funktionieren sollen.