Die Rolle der Akademiker bei der NS- Machtübernahme

Es geht nicht um die Frage ob Akademiker besonders betroffen waren. Wahrscheinlich nicht. Es geht um die Frage des Umbruches: während im Kaiserreich ein abgeschlossenes Studium, vielleicht sogar mit Doktortitel, ein sicherer Garant für ein bürgerliches Auskommen war, traf dies in der Weimarer Republik nicht zu. Ein Dr. Goebbels, ein Dr. Dirlewanger, der Marineoffizier Heydrich sind 3 Beispiele für Personen, die in den angestrebten Berufen nicht untergekommen sind. Die NSDAP und ihre Institutionen schufen diesen Menschen Bereiche, in denen sie ihre schlimmsten Veranlagungen ausleben konnten. Die 3 oben genannten sind sicherlich Auswüchse, aber es gab reichlich Akademiker, die gewillt waren, die NS Ideologie zu akzeptieren, wenn dafür eine Stelle und ein sicheres Auskommen zu bekommen war.
 
Und die Masse der SA-Schlägertrupps bestand aus meist arbeitslosen Arbeitern und diese Trupps haben nach der "Machtergreifung" ihre politischen Gegner einkassiert. Soweit mir bekannt, gab es da keine akademische Steuerung. Von Seiten der "Akademiker" muß man hier eher sagen, das gerade an vielen Universitäten sofort die NS-Doktrinen umgesetzt wurden. Gerade hier scheint es von Seiten der Studierenden und auch viele ihrer Lehrkörper eher wenig Widerstand gegeben zu haben.
 
Aus meiner Sicht ist das zutreffend. Studierende und Professoren hatten noch das Weltbild des Kaiserreiches und standen den linken Kräften eher ablehnend gegenüber.
 
Goebbels, Dirlewanger und Heydrich lassen sich meiner Meinung nach nicht einfach ohne entsprechenden Vergleich mir anderen Bildungsgruppen als Beispiel anführen.
Hier müßte man einer Vergleich mit anderen politischen Gruppen und Parteien der Weimarer Republik ziehen. Wie hoch waren die Anteile der Parteimitglieder und aktiven Unterstützer bezüglich ihres "Bildungsniveaus" in ihnen.
 
Die Rolle der Akademiker bei der "Machtergreifung" scheint für mich eher relativ gering zu sein aber!!! danach nimmt deren Bedeutung in der NS-Herrschaft erheblich!!! zu. Ohne deren aktive Mitarbeit wäre die schnelle Übernahme der demokratischen Institutionen Seitens der NSDAP, ihrer Unter-und Nebenorganisationen, der GESTAPA/ später GESTAPO als staatliches Organ, so schnell und reibungslos kaum möglich gewesen.
 
Es geht nicht um die Frage ob Akademiker besonders betroffen waren. Wahrscheinlich nicht. Es geht um die Frage des Umbruches: während im Kaiserreich ein abgeschlossenes Studium, vielleicht sogar mit Doktortitel, ein sicherer Garant für ein bürgerliches Auskommen war, traf dies in der Weimarer Republik nicht zu.
Wenn es bei den Akademikern einen Umbruch gab und für andere Berufsgruppen nicht so, dann wären Akademiker also doch besonders betroffen gewesen, oder wie?
 
@Shinigami Schon im Mittelalter gab es an Universitäten pauperes. Das waren gar nicht so wenige. Nicht jeder, der promoviert hatte, bekam eine gute Pfründe. In den Artistenmfakultäten verdiente man nicht besonders gut. Bildung ist per se kein Garant für ein gutes Einkommen. Ich würde eher sagen, dass erfolgreiche Absolventen in den meisten Fällen in die Mittelschicht auffstiegen. Nach 1918 dürfte die doppelte Erfahrung, Herkunft aus dem unteren Bürgertum plus sozialer "Zurückstieg" durch äußere Rahmenbedingungen für viele prägend gewesen sein. Im Kaiserreich waren Karrieren vielfach durch Herkunftsschranken blockiert.

Jetzt gehen sehr verschiedene Dinge durcheinander:

- Es gab im Mittelalter und in der FNZ an Universitäten Pauperes, aber das waren keine arbeitslosen oder schlechtbezahlten Absolventen, sondern Studierende, denen man auf Grund von Armut die Gebühren ganz oder teilweise erließ. Das war allerdings ein reiner Gnadenakt auf den keinerlei Anspruch bestannt.
- Die Artistenfakultät, war ja vor allem auch das, was man heute als Propädeutikum oder Grundstudium betrachten würde und in der Regel ging es von da aus weiter zur Medizin, Theologie oder Jurisprudenz.
- Du darfst nicht übersehen, dass sich in der Neuzeit die aufkommenden Verwaltungsapparate überall ausdehnten und das Ganze wesentlich personalintensiver wurde.
Nimm z.B. den Bereich der Justiz. Bis mitten ins 19. Jahrhundert, gibt es zumindest östlich der Elbe noch die gutsherrliche Patrimonialgerichtbarkeit, sprich, die vor Ort vom Gutsherrn selbst ausgebübte Niedergerichtbarkeit.
Was meinst du, z.B. wie viele Ostelbische Junker tatsächlich eine für Rechtssprechung qualifizierende juristische Ausbildung hatten? In der Regen hatten sie die nicht, sonderne es wurde faktisch bis dahin ein großer Teil der Rechtssprechung von juristischen Laien vollzogen. Nachdem das nach der 1848er Revolution endgültig abgeschafft und in den staatlichen Aufgabenbereich überführt wurde musste dafür den staatlichen Standarts entsprechend ausgebildetes Personal her. Es wurden also durch die Umstellung deutlich mehr Juristen benötigt, als vorher.
- Ähnliches bei den staatlichen Verwaltungen. Seit dem 19. Jahrhundert begann der Staat ja auch zunehmend sich neue Aufgabenfelder zu erschließen. Waren bis ins 18. Jahrhundert vorwiegend die Armee, die Verwaltung der herrscherlichen Finanzen, die Steuerbeschaffung (wobei die auch gerne outgecourst wurde, Stichwort "Steuerpacht"), Zollwesen und hohe Gerichtsbarkeit Aufgabenfelder des Staates, kommen eben im 19. Jahrhundert, vor allem im Transportwesen und mit dem Beginn des Wohlfahrtsstaates, tatsächlich durchgesetzter allgemeiner Schulpflicht etc. völlig neue Aufgabenfelder hinzu und für die brauchte es auch für die Verwaltung ausgebildetes Personal.
Wenn z.B. durch Bismarck sowas wie die staatlich organisierte Rentenversicherung und die Invaliditätsversicherung gegründet wurden, benötigte das natürlich einen entsprechenden Behördenapparat und Personal, dass diese Dinge auch verwalten konnte.
Zumal die Verwaltung durch die Koloniale Expansion und den Ausbau der kolonialen Verwaltung auch rein quantitativ zunehmend wuchs, nicht nur qualitativ durch neue Aufgabenfelder.

- Das Gleiche auch in der Arbeitswelt, seit dem die Industrialisierung spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts Fahrt aufgenommen hatte. Physiker, Chemiker, zunehmend professionelle Ökonomen, Landvermesser, Ingenieure und so weiter und so weiter. Das alles wurde auf einmal in wesentlich größerem Ausmaß gebraucht zumal Unternehmen jetzt auch erstmals groß genug wurden selbst sich selbst Forschungsabteilungen leisten und sie betreiben zu können, um ihre Produkte zu verbessern und da konnte man nicht irgendwen mit beschäftigen, sondern vor allem dijenigen, die die entsprechende Bildung hatten.
Man darf dabei nicht übersehen, dass man es bis zum 1. Weltkrieg mit einem seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts stets expandierenden System zu tun hatte.


Das mit den herkunftsbedingten Karrierebeschränkungen im Kaiserreich trifft im Allgemeinen auch nur so lange zu, wie damit gemeint ist, dass auf Grund der Herkunft das Geld für höhere Bildung nicht aufgebracht werden konnte.
Ansonsten gab es Karrierehindernisse für gebildete Personen aus bürgerlichen Familien allenfalls in der preußischen Armee in gehäufter Form (und auch da nicht unbedingt bei der Artillerie und den Ingenieuren, deren Kader durchaus oft Bürgerliche waren).

Man findet in absoluten Spitzenpositionen im Kaiserreich durchaus bürgerliche Namen. Schau dir z.B. mal das Kabinett der Regierung v. Bethmann Hollweg an:


Da waren in Bereichen wie Justiz, Finanzen, Kolonien und Post durchaus Bürgerliche in Ministerämter eingerückt, während des 1. Weltkriegs folgte dabei mit der Ernennung Artur Zimmermanns zum leitenden Staatssekretär des Äußeren auch das auswärtige Amt.
 
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Goebbels, Dirlewanger und Heydrich lassen sich meiner Meinung nach nicht einfach ohne entsprechenden Vergleich mir anderen Bildungsgruppen als Beispiel anführen.
Hier müßte man einer Vergleich mit anderen politischen Gruppen und Parteien der Weimarer Republik ziehen. Wie hoch waren die Anteile der Parteimitglieder und aktiven Unterstützer bezüglich ihres "Bildungsniveaus" in ihnen.
Zumal ich zumindest hinter den namen Heydrich auch ein Fragezeichen setzen würde, ob der in die Liste gehört.

Heydrich hatte es in der Marine immerhin zum Oberstleutnant zur See und in die Admiralstabsabteilung geschafft. Das war ein Offiziersdienstgrad, einen Rang vor den Kapitänsrängen, also durchaus ordentlich bezahlt und als noch einigermaßen junger Mann hätte Heydrich sicherlich den Sprung zum Kapitän-Leutnant, Korvettenkapitän, Fregattenkapitän oder Kapitän zur See schaffen können.

Heydrichs Karriere bevor er zu den Nazis ging, scheiterte nicht daran, dass er keine Stelle bekommen hätte, sondern daran, dass er seine Stellung in der Marine, die er durchaus hatte, wegen persönlichen Fehlverhaltens im Privatleben verlor, weil er sich eine private Liebschaft und ein falsches Eheversprechen zu viel geleistet hatte.


Der war jetzt karrieretechnisch weniger ein Opfer des Umstands, dass akademische Abschlüsse oder Abitur generell in Sackgassen geführt hätte, als viel mehr Ofer seiner Einstellung, sich über bestehende gesellschaftliche Konventionen hinweg zu setzen.
 
während im Kaiserreich ein abgeschlossenes Studium, vielleicht sogar mit Doktortitel, ein sicherer Garant für ein bürgerliches Auskommen war, traf dies in der Weimarer Republik nicht zu.
beruhte der sachte demographische Anstieg von Studenabsolventen nach 1918 ergo auf Verblendung? Sah niemand, dass die roaring twenties kaum bis keine Akademiker benötigte? -- ...falls das so war, woran ich zweifle.

aber es gab reichlich Akademiker, die gewillt waren, die NS Ideologie zu akzeptieren, wenn dafür eine Stelle und ein sicheres Auskommen zu bekommen war.
und das ist ein signifikantes Unterscheidungsmerkmal zu anderen Berufsgruppen? Hauptsächlich "Akademiker" verhielten sich so a la wes Brot ich esse des Lied ich sing, wohingegen dieses Verhalten bei anderen Berufsgruppen signifikant seltener vorkam? - - auch daran hege ich erhebliche Zweifel.
 
Nur ein gewisser Prozentsatz machte einen Abschluss und ein noch kleinerer Teil studierte die edleren Fächer wie weltliches oder kirchliches Recht. Wer als Lehrer an einer Artistenfakultät unterrichtete und keine Pfründe hatte, musste von dem leben, was ihm die Studenten zahlten. Das reichte für den Lebensunterhalt, war aber in der Regel nicht berauschend. Deutlich besser hatten es die Inhaber von Studentenhäusern oder bepfründete Universitätslehrer. Über das gute Einkommen entschied die Pfründe. Der Vergleich hinkt, weil es im Mittelalter keine vergleichbaren Arbeitsmärkte und keine Arbeitslosigkeit im modernen Sinn gab. Pauperes konnten Söhne wohlhabender Handwerker sein usw., daher ist das "arm" mit Vorsicht zu genießen. Das Wort unterprivilegiert trifft es wohl besser. fichtes Vater war Weber, Kants Vater ein Sattlermeister, ehrbare Leute, mehr auch nicht.

Wir dürfen jedenfalls nicht davon ausgehen, dass jeder, der ein Lehrer war, automatisch aus einer besseren Schicht kam. Das war auch noch im alten Preußen so. Man wird in ihnen einen Teil der unteren Mittelschicht zu sehen haben, die damals weiter oben war. Wir kennen das ja auch von den so genannten Krautjunkern, die im Prinzip nichts anderes waren als eine gehoben-mittelständische Gruppe, die man keinesfalls durchgängig als reich bezeichnen sollte. Das mag gelegentlich so gewesen sein, der Regelfall war es nicht. Viele deutsche Geistesgrößen stammten nicht gerade aus wohlhabenden Verhältnissen. Das ist auch klar, da Jura, Theologie oder Geisteswissenschaften keine Tätigkeitsfelder sind, in denen man so viel Geld verdient wie z.B. als Unternehmer, als Regierungsbeamter, als Naturwissenschaftler, Erfinder oder Mediziner. Der Begriff "Bildungsbürgertum" dürfte ziemlich treffend sein. Dieses Bildungsbürgertum war relativ offen, wenn man Leistung erbrachte, es war aber keineswegs dazu geeignet, großen Wohlstand zu erwirtschaften. Der soziale Einstieg in den Sektor Bildung ist einfacher als in den Bereich Wirtschaft. Für das eine benötigt man Geistesgaben für das andere Kapital und Verbindungen. Das dürfte im Prinzip auch in den 1930er Jahren nicht anders gewesen sein. Vielleicht sollte man eher sagen, dass es moderne Bildungsmilieus gab, zu denen ein Teil dieses Bildungsbürgertums nicht gehörten, Leute die schon arriviert waren, Nischen besetzten oder moderne Forschungsfelder erarbeiteten, also ingesamt geistig beweglicher und innovativer waren. Den Grund für Sozialneid wird man darin schon zu sehen haben. Das Klein- und Mittelbürgertum trennte Welten vom Großbürgertum. Es besteht ein Unterschied zwischen dem Sohn eines Polizeiaktuars und einer Bäckerin zu dem eines Bankiers und einer Fabrikantentochter, auch dann wenn beide denselben Beruf ausüben. Sprich: Antisemitismus unter Studenten gab es 1813, 1830, 1848 genauso wie 1933.
 
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Alle fleißigen Kommentatoren haben recht. In anderen Berufsgruppen als den Akademikern gab es natürlich auch im gleichen Maße Profiteure des neuen Regimes.

Warum nach WK I die Zahl der Studierenden anstieg, ist leicht zu erklären. Zum einen die Soldaten, die mit Notabitur in den Krieg gezogen waren und nun, nach der Rückkehr ein Studium begannen, zum anderen die Frauen, die in der Weimarer Republik leichter Zugang zu den Universitären Bildungseinrichtungen fanden als im Kaiserreich.

Aus den zahlreichen Kommentaren sehe ich, dass das Thema offenbar doch interessant ist und eine Aufarbeitung mit Zahlen und Statistiken offensichtlich wünschenswert wäre. Ich kann hier nur als Impulsgeber fungieren, da ich meine Brötchen in einem ganz anderen Bereich verdiene.
Ich freue mich über die intensive Diskussion und hoffe auch künftig diesem Forum Beiträge vorlegen zu können.
 
Nur ein gewisser Prozentsatz machte einen Abschluss und ein noch kleinerer Teil studierte die edleren Fächer wie weltliches oder kirchliches Recht. Wer als Lehrer an einer Artistenfakultät unterrichtete und keine Pfründe hatte, musste von dem leben, was ihm die Studenten zahlten. Das reichte für den Lebensunterhalt, war aber in der Regel nicht berauschend. Deutlich besser hatten es die Inhaber von Studentenhäusern oder bepfründete Universitätslehrer. Über das gute Einkommen entschied die Pfründe. Der Vergleich hinkt, weil es im Mittelalter keine vergleichbaren Arbeitsmärkte und keine Arbeitslosigkeit im modernen Sinn gab.
Der Vergleich hinkt vor allem deswegen, weil mittelalterliche und frühneuzeitliche Universitäten keine organisierten staatlichen Einrichtungen im modernen Sinne waren, bzw, auch außerhalb der damaligen Universitäten es ja durchaus nicht unüblich war, wenig feste, monetäre Gehälter zu zahlen und Amtsträger über Pfründe oder mit dem Amt verbundene Lehen zu entlohnen und daran hängende Privilegien zu entlohnen.

Man kann aber nun wirklich nicht vom Feudalsystem des Mittelalters und der FNZ auf das Deutsche Kaiserreich um die Wende zum 20. Jahrhundert schließen.

Pauperes konnten Söhne wohlhabender Handwerker sein usw., daher ist das "arm" mit Vorsicht zu genießen.
Das ist sicherlich richtig, dieser Begriff war auslegbar.

Wir dürfen jedenfalls nicht davon ausgehen, dass jeder, der ein Lehrer war, automatisch aus einer besseren Schicht kam. Das war auch noch im alten Preußen so. Man wird in ihnen einen Teil der unteren Mittelschicht zu sehen haben, die damals weiter oben war.
Im Alten Preußen bis in die erste Hälfte des 19. jahrhunderts z.T. noch nicht mal das. Kossert erwähnt z.B. in seinem Buch "Masuren, Ostpreußens vergessener Süden", dass zumindest in den Döfern Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts in den abgelegenen Landkreisen zum Teil Leherer eingesetzt waren, die zu Teil kaum für die Tätigkeit, die sie da ausführen sollten qualifiziert waren, unter anderem, weil es wohl durchaus geübte Praxis war Lehrerstellen auch schonmal als Versorgungsposten für aus der Armee ausgeschiedene ehemalige Soldaten zu nutzen.

Natürlich gab es bis weit ins 19. Jahrhundert rein in den Städten auch diverse private Schulen, die sich rein über die Beiträge der Eltern der zu beschulenden Kinder finanzierten und es gab in dieser Zeit natürlich auch Personen, die für Kost und Logis + kleines Zubrot bei wohlhabenderen Familien den Hauslehrer für die kinder gaben, um sich am Ort selbst weiterzubilden.
Franz-Joseph Brüggemeier erwähnt in seinem Buch "Grubengold, das Zeitalter der Kohle" (ich meine im frühen 19. Jahrhundert) unter anderem einen Lehrer aus dem tecklenburger Land (ich meine Ibbenbüren) der als nebenverdienst zu seiner Lehrtätigkeit in kleinem Stil Kohle abbaute und verkaufte und dass gerade in den ländlichen Gemeinden zu einer Lehrstelle auch schonmal ein Quartier mit entsprechenden Garten gehörte, um wegen des nicht üppigen Gehalts dem Lehrer die Möglichkeit zu geben, einen Teil seiner Nahrungsmittel selbst zu erzeugen und ähnliche Dinge, ähnlich wie das bei kleinen dörflichen Pfarrstellen gehandhabt wurde, dass ist ja auch bekannt.

Aber da passiert im Laufe des 19. Jahrhunderts halt einiges. Bis auf die konfessionellen Schulen übernimmt der Staat bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts den Bildungssektor, fängt an ihn zu professionalisieren und aus Steuermitteln laufend zu bezuschussen, Personal wird verbeamtet, nach festen Besoldungsgruppen bezahlt usw.

Das ist natürlich deutlich von den vorherigen teils chaotischen Zuständen weg.

Wir kennen das ja auch von den so genannten Krautjunkern, die im Prinzip nichts anderes waren als eine gehoben-mittelständische Gruppe, die man keinesfalls durchgängig als reich bezeichnen sollte. Das mag gelegentlich so gewesen sein, der Regelfall war es nicht. Viele deutsche Geistesgrößen stammten nicht gerade aus wohlhabenden Verhältnissen. Das ist auch klar, da Jura, Theologie oder Geisteswissenschaften keine Tätigkeitsfelder sind, in denen man so viel Geld verdient wie z.B. als Unternehmer, als Regierungsbeamter, als Naturwissenschaftler, Erfinder oder Mediziner.
Du wirfst Zeiten und Dinge durcheinander.

Die als "Junker" bezeichneten ostelbischen Agrarier waren in den letzten 20-30 Jahren des Kaiserreichs nicht mehr die ökonomisch führende Schicht. Davor waren sie das, zumindest in Preußen durchaus.

Und was das weitere angeht, sowas, wie ein tatsächlich freies Unternehmertum, entsteht ja im Grunde erst mit der Einführung der Gewerbefreiheit, der Abschaffung der Zunftprivilegien, Monopolgeselslchaften, der diversen Zollgrenzen usw. Auch das ist im Prinzip etwas, was sich erst im 19. Jahrhundert vollzieht.
"Geisteswissenschaften" im modernen Sinne (Geschichts- und Sozialwissenschaften, Psychologie) entstehen auch erst in der Zeit tatsächlich erst als universitäre Disziplinen.

Natürlich gab es z.B. immer Historiographen, die von irgendwelchen Fürsten unterhalten wurden, um irgendwas über deren Regentschaft oder deren Familien zu Papier zu bringen, aber für so etwas wie Geschichte, gab es bis ins ausgehende 18. und beginnende 19. Jahrhundert, zumindest im deutschsprachigen Raum an den Universitäten gar keine Lehrstühle, so dass man das überhaupt hätte studieren und als Geisteswissenschaftlicher in Konkurrenz zu anderen Berufsfeldern hätte treten können.


Was es natürlich schon in der FNZ gab, dass war die Philosophie und Sprachen, aber der Begriff Philosophie

war dehnbar und darunter viel im zeitgenössischen Verständnis dann auch schonmal sowas wie "Naturphilosophie", was wir dann heute "Naturwissenschaften" nennen würde, damals aber nicht eindeutig von der Philosophie separiert war.


Der Begriff "Bildungsbürgertum" dürfte ziemlich treffend sein. Dieses Bildungsbürgertum war relativ offen, wenn man Leistung erbrachte, es war aber keineswegs dazu geeignet, großen Wohlstand zu erwirtschaften. Der soziale Einstieg in den Sektor Bildung ist einfacher als in den Bereich Wirtschaft. Für das eine benötigt man Geistesgaben für das andere Kapital und Verbindungen.
Für den Einstieg in den Sektor Bildung benötigte man damals auch Kapital um überhaupt die Ausbildung bezahlen zu können.

Und dann wäre natürlich die Frage, was man sich unter "großem Wohstand" so vorstellt. Natürlich lassen sich mit Bildung in den seltensten Fällen Reichtümer verdienen, und ein Geisteswissenschaftler wird niemals so hohe finanzielle Gewinne aus seiner Tätigkeit beziehen können, wie ein Großhändler, Stahlmagnat, Ölbaron etc. darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten.
Trotzdem waren jedenfalls überdurchschnittliche Gehälter und überdurchschnittlicher Wohlstand durchaus im Bereich des Möglichen und die meisten Menschen sind damit zufrieden.

Vielleicht sollte man eher sagen, dass es moderne Bildungsmilieus gab, zu denen ein Teil dieses Bildungsbürgertums nicht gehörten, Leute die schon arriviert waren, Nischen besetzten oder moderne Forschungsfelder erarbeiteten, also ingesamt geistig beweglicher und innovativer waren. Den Grund für Sozialneid wird man darin schon zu sehen haben. Das Klein- und Mittelbürgertum trennte Welten vom Großbürgertum. Es besteht ein Unterschied zwischen dem Sohn eines Polizeiaktuars und einer Bäckerin zu dem eines Bankiers und einer Fabrikantentochter, auch dann wenn beide denselben Beruf ausüben. Sprich: Antisemitismus unter Studenten gab es 1813, 1830, 1848 genauso wie 1933.
Jetzt entfernen wir uns auch zunehmend vom Thema des Fadens.

Natürlich gab es Antijudaismus und Antisemitismus unter Studenten auch schon am Anfang des 19. Jahrhunderts, die Frage wäre aber, war Antisemitismus jetzt unbedingt ein besonders starker faktor um Personen, in diesem Fall Studenten zur NSDAP zu ziehen?

Wenn du hier Standesunterschiede zwischen den Elternhäusern der Studierenden ansprichst, spekulierst du ja im Grunde in die Richtung, dass vor allem diejenigen mit einer sozial eher angesehenen und finanziell gut darstehenden Familie im Hintergrund es als erniedrigend empfunden haben würden, auf eine Stufe mit anderen aus weniger gut situiertem Elternhaus gestellt oder gar hinter diese zurückgesetzt zu werden.

Und ich gebe dir recht, dass mag frustrierend gewesen sein.

Aber war für solche Leute, die NSDAP, die mit dem Konzept der "Volksgemeinschaft", genau die althergebrachten Standesunterschiede, auf die sich dieses Klientel potentiell etwas einbildete und die ihm wahrscheinlich sehr wichtig waren, komplett zu nivellieren versprach tatsächlich eine besonders attraktive politische Richtung?
Ich würde meinen, dass wäre dann eher typische Wählerschaft der DNVP als standesbewusster Honoratiorenpartei gewesen, die da etwas anders ausgerichtet war und zudem den Antisemitismus zum Teil ebenfalls bediente.

Die aber spielte bei der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht unbedingt eine überragende Rolle.
 
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Warum nach WK I die Zahl der Studierenden anstieg, ist leicht zu erklären. Zum einen die Soldaten, die mit Notabitur in den Krieg gezogen waren und nun, nach der Rückkehr ein Studium begannen, zum anderen die Frauen, die in der Weimarer Republik leichter Zugang zu den Universitären Bildungseinrichtungen fanden als im Kaiserreich.
Hinzu kommt noch ein relativer Anstieg, durch die allmählich absinkenden Geburtenraten.
 
@Shinigami Aber war für solche Leute, die NSDAP, die mit dem Konzept der "Volksgemeinschaft", genau die althergebrachten Standesunterschiede, auf die sich dieses Klientel potentiell etwas einbildete und die ihm wahrscheinlich sehr wichtig waren, komplett zu nivellieren versprach tatsächlich eine besonders attraktive politische Richtung?

Doch durchaus. Höhere Bildung beruht zu einem großen Teil auf Tradition. Es ist ja nicht damit getan, dass man eine Schule und eine Universität besucht und Zertifikate in die Hand gedrückt bekommt. Qualitätsreiche Bildung wird durch Eltern und das Milieu vermittelt, aus dem man kommt. Das ist ein ganz wesentlicher Grund, neidisch zu sein. Denn das lässt sich nicht nivellieren. Wer in Großbritannien gelebt hat, weiß, dass die Unter-, Mittelschicht und Oberschicht z.T. noch immer Kilometer trennen. Man schätzt einander nicht sehr und versucht erst gar nicht, die anderen teilhaben zu lassen, um die eigenen Werte und Vorstellungen nicht zu verwässern. Das war in Deutschland früher eher noch schlimmer. Nur weil jemand Pädagoge, Professor oder Beamter ist, bedeutet das nicht, dass man ihm seine Herkunft nicht anmerkt. Viele Lehrer, gerade auf dem Land waren nicht weit vom Misthaufen entfernt. Ludwig Thoma hat sich darüber sehr treffend lustig gemacht. Der Nationalsozialismus hat es dem kleinen Mann erlaubt, sich als "jemand" zu fühlen, "jemand zu sein". Das schloss Akademiker nicht aus. Figuren wie Hitler hätten im Bismarck-Obrigkeitsstaat keine Karriere gemacht, schon aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse. Denn hätte man ausgelacht, nicht aus ideologischen, sondern aus sozialen Gründen.

Ich würde auch nicht so weit vom Thema abschweifen. Grundsätzlich wird man wohl sagen können, dass es viele Akademiker nötig hatten, sich den Nationalsozialisten anzuschließen. Das wäre gewiss anders gewesen, wenn es sich um Milieus gehandelt hätte, die wirklich sozial abgesichert, selbstbewusst und vollkommen arriviert gewesen wären. Das glaube ich nicht. Denn auch das muss man bedenken. Der vermögende Student ist nicht die Regel. Ich würde auch sehr große Unterschiede ziehen zwischen städtischen und ländlichen Regionen. Im Kaiserreich gab es unterentwickelte Gegenden, in denen der soziale Sprung, den du beschreibst, vielen wohl nur sehr mühsam gelang.

Es gab (und gibt?) den vorwärtsdrängenden Bildungsproleten. Diese Spezies kennzeichnete Bildungsneid, der Wunsch nach so genannter Bildungsgerechtigkeit und der Hand über Parteien, Vereine, Burschenschaften, Beziehungen etc. voranzukommen. Charakteristisch ist die Mixtur aus falsch verstandenem Gerechtigkeitsempfinden und Egoismus. Das lässt sich auch an einigen Biographien ablesen. Das schloss Intelligenz und intellektuellen Erfolg durchaus nicht aus. Dass eine Partei den Menschen machte und nicht die Zugehörigkeit zu einem Honoratiorentum, zu dem man nicht gehörte, dürfte die NSDAP sehr attraktiv gemacht haben. Man kann das als negative Demokratisierung des Sozialen ansehen. Die NSDAP war die erste Partei, die keine Honoratiorenpartei war, sondern eine Funktionärspartei. Anklänge gab es bereits in der SPD, aber die war damals eigentlich keine Volkspartei.
 
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Ich würde auch nicht so weit vom Thema abschweifen. Grundsätzlich wird man wohl sagen können, dass es viele Akademiker nötig hatten, sich den Nationalsozialisten anzuschließen.
Sorry, aber wie bitte ist diese Behauptung zu verstehen!!!!

Wieso hatten es viele Akademiker nötig!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!, sich der NSDAP anzuschließen?
 
@Mittelalterlager Na ja, das Phänomen SOZIALNEID lässt sich nun einmal nicht statistisch erfassen. Wie soll man das machen? Du musst Dir klar darüber sein, dass wir es in der Weimarer Republik nicht mit einer demokratisierten Gesellschaft zu tun hatten. Gebildete Menschen aus guter Familie verbrennen keine Bücher.
 
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Sorry, aber gerade in Bezug auf die NSDAP kann man das so nicht stehen lassen!! Die Akademiker innerhalb der WR waren eine sehr inhomogene Gruppe, vom "abgestiegenen Mittelstand, über das "Landjunkertum, schließlich bis hin zum jüdischen Arzt oder Anwalt.
Bei Deiner Aussage solltest Du bitte die "Akademiker" differenzierter betrachten, auch und vor allem mehr nach Alter und Herkunft gewichten.
Eine generelle Aussage wie Deine mit SOZIALNEID zu begründen ist zu kurz getreten.

Hier wäre es zuerst einmal sinnvoll das "Akademikertum" aufzusschlüsseln!
 
Du musst Dir klar darüber sein, dass wir es in der Weimarer Republik nicht mit einer demokratisierten Gesellschaft zu tun hatten. Gebildete Menschen aus guter Familie verbrennen keine Bücher.
Auch diese Aussage kann ich leider so pauschal nicht stehen lassen. Einige Teile der Gesellschaft lehnten die Republik aus naheliegenden Gründen ab. Viele arrangierten ich durchaus mit ihr.
 
@Mittelalterlager Dass ein Jude um 1880/1890 acht mal eher Abitur machte als ein Katholik und viermal eher als ein Protestant ist eine statistisch belegbare Tatsache, unabhängig vom sozialen Stand. Dass Katholiken bildungsmäßig sehr rasch aufholten, aber diese Gruppe noch lange nicht einholten, dürfte ebenso klar sein. Die Gründe liegen darin, dass Juden bestimmte protestantische Gruppen über die Buchreligion viel früher mit Bildung vertraut waren und von vornherein eher in städtischen Milieus verwurzelt waren. Das war 1933 noch stark zu spüren, denn so viel Zeit war damals seit 1880/1890 ja auch nicht vergangen.

Es dürfte doch klar sein, dass es eine bürgerliche Bildung abseits der Institutionen gab, in der man einen Teil einer sehr leistungsfähigen bürgerlichen Kultur zu sehen hat, zu der nicht jeder Zugang hatte, auch nicht jeder Akademiker. Bildung ist mehr als institutionell vermitteltes Wissen. Dieses "Mehr" bildete die Basis für Neid.
 
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