Die Rolle der Akademiker bei der NS- Machtübernahme

@Mittelalterlager Dass ein Jude um 1880/1890 acht mal eher Abitur machte als ein Katholik und viermal eher als ein Protestant ist eine statistisch belegbare Tatsache, unabhängig vom sozialen Stand. Dass Katholiken bildungsmäßig sehr rasch aufholten, aber diese Gruppe noch lange nicht einholten, dürfte ebenso klar sein. Die Gründe liegen darin, dass Juden bestimmte protestantische Gruppen über die Buchreligion viel früher mit Bildung vertraut waren und von vornherein eher in städtischen Milieus verwurzelt waren. Das war 1933 noch stark zu spüren, denn so viel Zeit war damals seit 1880/1890 ja auch nicht vergangen.
Das ist mir alles Bekannt und kein Punkt den Du hier erwähnen mußt. Vor allem, was hat das mit meinem Kommentar zu tun?
 
@Ernst22 Es geht um die Frage des Neides. Neid kann man nicht statistisch messen und die Neidenden tun uns selten den Gefallen, ihre Gefühle schriftlich niederzulegen. Dass hier Neid im Spiel war liegt doch auf der Hand. Die Frage ist doch eher, weshalb existierte dieser Neid? Die Antwort liegt darin, dass eine Gruppe der anderen logischerweise etwas voraus hatte. Der Neid führt dazu, dass jemand es "nötig" hat, dem anderen etwas zu missgönnen oder ihm über die politische Ebene zu schaden. Die Antwort liegt in sozialen Minderwertigkeitsgefühlen. Die kann man schlecht messen, klar.
 
Ich habe den Eindruck, Du spricht hier eher über junge Studenten und junge Akademiker als über das "Akademikertum" in seiner Gesamtheit.
Aber nach dem Threadtitel sollten wir uns auch bitte mit der ganzen Gruppe beschäftigen!
 
@Mittelalterlager Klar. Aber erst einmal muss man sich darüber im Klaren sein, dass Neid im Spiel war. Das ist nicht selbstverständlich. Es geht ja eigentlich auch nicht nur um Studenten und Akademiker, sondern um junge Menschen aus sozialen Schichten, die gegen etablierte bürgerliche Strukturen rebellierten. Eine soziale Aufholjagd in besonders negativer Weise.
 
Bei der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es zu diesem Thema (Wählerverhalten) auch einen interessant Artikel, allerdings eher allgemein, aber man kann da durchaus Rückschlüsse zeihen.

Nochmal zum Thema "Neid", verwechselst Du hier wirtschaftliche Angst mit Neid?
 
@Mittelalterlager Bildungsneid ist etwas anderes. Wenn wirtschaftliche Angst dazu kommt, ergibt das eine entsprechende Mixtur. Gründe, jüdische Bürger wegen eines höheren Bildungsniveaus zu beneiden, gab es, aber wirtschaftliche Angst? Glaube ich eher nicht. Es dürfte eine Kombination gewesen sein. Wirtschaftliche Angst, der Appell an Neidgefühle und die Erlösung von Stachel des Neides und der wirtschaftlichen Angst durch die "Partei". Ich bin kein Psychologe. Benachteiligungsgefühle werden schon im Spiel gewesen sein.
 
Du musst Dir klar darüber sein, dass wir es in der Weimarer Republik nicht mit einer demokratisierten Gesellschaft zu tun hatten. Gebildete Menschen aus guter Familie verbrennen keine Bücher.
Einerseits klingt das so, als habe die Zeit von 1918 bis 1933 (enthält die roaring twenties, Expressionismus, Kraus, Tucholski, Brüder Mann, Döblin) kaum was mit Demokratie am Hut, andererseits klingt es so, als seien Bücherverbrennungen (praktiziert von ungebildeten Menschen aus schlechten Familien, die es da massenhaft gegeben haben muss?!) typisch für die Weimarer Republik -- verstehe ich die Intention des zitierten Beitrags da richtig?

In Sachen Bücherverbrennungen dachte ich bislang, dass von 1918 bis zur Machtergreifung der Nazis eher nicht viel zu verzeichnen seie (siehe Bücherverbrennung – Wikipedia )
 
@Mittelalterlager Gebildete Menschen aus guter Familie verbrennen keine Bücher.
Hans Karl Leistritz, der in der Deutschen Studentenschaft für "Presse und Propaganda" zuständig war und die Bücherverbrennung maßgeblich mitorganisierte, entstammte einer Akademikerfamilie (sein Vater war Schulleiter) und erlangte 1935 den juristischen Doktorgrad. Das war also eigentlich schon ein gebildeter Mensch "aus guter Familie", wenn du damit die soziale Herkunft meinst.
 
Doch durchaus. Höhere Bildung beruht zu einem großen Teil auf Tradition. Es ist ja nicht damit getan, dass man eine Schule und eine Universität besucht und Zertifikate in die Hand gedrückt bekommt. Qualitätsreiche Bildung wird durch Eltern und das Milieu vermittelt, aus dem man kommt. Das ist ein ganz wesentlicher Grund, neidisch zu sein. Denn das lässt sich nicht nivellieren. Wer in Großbritannien gelebt hat, weiß, dass die Unter-, Mittelschicht und Oberschicht z.T. noch immer Kilometer trennen. Man schätzt einander nicht sehr und versucht erst gar nicht, die anderen teilhaben zu lassen, um die eigenen Werte und Vorstellungen nicht zu verwässern. Das war in Deutschland früher eher noch schlimmer. Nur weil jemand Pädagoge, Professor oder Beamter ist, bedeutet das nicht, dass man ihm seine Herkunft nicht anmerkt.
Das kann ich aus eigener Erfahrung, zumindest für die heutige Zeit so nicht bestätigen.

Natürlich gibt es irgendwo ein bürgerliches humanistisches Bildungsideal, aber das nutzt im praktischen universitären Kontext häufig eher wenig, bzw. es verschafft jetzt jedenfalls keinen uneinholbaren Vorsprung.

Die Gesellschaft der Weimarer Republik, die noch aus der Klassengesellschaft des Kaiserreichs hervorgegangen war, mag einen größeren Wert auf entsprechende Abgrenzungen gelegt haben, aber das für sich genommen dürfte kaum ein Grund dafür gewesen sein, rechtextrem zu werden.

@Mittelalterlager hatte es schon angesprochen, sozialer Neid und wirtschaftliche Not oder Angst vor wirtschaftlicher Not, sind zwei verschiedene Dinge.
Es lässt sich beobachten, dass der Zuspruch für die NSDAP vor allem mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Weltwirtschaftskrise ab 1929 kam, wäre diese Zustimmung vor allem aus sozialem Neid erwachsen, hätte sie kontinuierlich von Anfang an da sein müssen.

Viele Lehrer, gerade auf dem Land waren nicht weit vom Misthaufen entfernt.
Wie das Ansehen von Lehrern auf dem Land war, dürfte von den Personen, aber auch der Struktur des Landes abgehangen haben. In Gebieten, die von relativ kleinteiliger Landwirtschaft und vielen eigenständigen Klein- und Mittelbauern geprägt war, dürften Lehrer eher einen schweren Stand gehabt haben, weil die Zukunft eines Großteils des Nachwuchses der Bevölkerung durch den eigenen Hof, der an die nächste Generation weitergegeben würde, gesichert war. Da dürfte wenig Verständnis für die Notwendigkeit oder den Sinn besonderer Bildung da gewesen sein, gleichzeitig aber bei Kleinbetrieben Arbeitskräftemangel und der Wunsch, den Nachwuchs möglichst schnell in den Betrieb einzubinden, wobei Schule und Lehrer dann eher ein Hindernis gewesen sein dürften.

Im von der Großlandwirtschaft geprägten Osten mit seinem großen Agrarproletariat, dass seinen Kindern keine gesicherten Lebensgrundlagen hinterlassen konnte und wo Aufstieg in einigermaßen gesicherte Verhältnisse nur über Abwanderung oder Bildung möglich war, dürften Lehrer einen etwas anderen Stand gehabt haben.

Und dann kommts natürlich auch noch darauf an, wen man als Lehrer gerade bekommen hat. Stellen hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen, wo nichts los war, dürften sicherlich auch nicht unbedingt das Traumziel vieler junger Lehrkräfte gewesen sein, die werden in der Regel wahrscheinlich versucht haben woanders hin zu kommen und ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass man Wert darauf legte, die wirklich guten Absolventen in den großen Schulen in den Städten zu halten und den kleinen Dorfschulen eben eher die weniger talentierten Leute zu schicken.


Ludwig Thoma hat sich darüber sehr treffend lustig gemacht. Der Nationalsozialismus hat es dem kleinen Mann erlaubt, sich als "jemand" zu fühlen, "jemand zu sein". Das schloss Akademiker nicht aus. Figuren wie Hitler hätten im Bismarck-Obrigkeitsstaat keine Karriere gemacht, schon aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse. Denn hätte man ausgelacht, nicht aus ideologischen, sondern aus sozialen Gründen.
Ich denke da überziehst du, wenn du Akademiker zum "kleinen Mann" in diesem Sinne rechnest.

Der NS und im Besonderen Hitler glänzten ja durchaus in gewissem Maße durch Verachtung für vieles aus dem intellektuellen Bereich. Natürlich hätte Hitler im Bismarck'schen Obrigkeitsstaat keine Karriere gemacht.
Das aber wiederrum wirft für mich die Frage auf, warum er und seine Bewegung auf deren Agenda eigentlich eher eine Abwertung der intellektuellen Eliten stand auf Personen, die Kandidaten dafür waren mal zu diesen Eliten zu gehören, so besonders anziehend gewirkt haben sollte?
Das sehe ich nämlich nicht.

Es wie gesagt bekannt, dass die Universitäten in der Weimarer Zeit schnell ein ziemlich rechts-nationales Pflaster wurden, aber damit ist ja durchaus, insofern das rechtsextreme Spektrum in der Zeit etwas größer war, als die Nazi-Partei nicht unbedingt gesagt, dass daraus resultiert, dass die Studierenden in überproportionalem Sinne Hitler-Anhänger gewesen wären.

Und wie gesagt, wenn du mit studentischem/akademischem Standesdünken, Abgrenzung bedürfnissen und Sozialneid argumentierst, müsstest du eigentlich eine nähe dieser Studierenden weniger zur NSDAP, als mehr zur DVP/DNVP vorraussetzen, die das wesentlich mehr bedienten, als das "Volksgemeinschafts"-Konzept der Nazis.

Ich würde auch nicht so weit vom Thema abschweifen. Grundsätzlich wird man wohl sagen können, dass es viele Akademiker nötig hatten, sich den Nationalsozialisten anzuschließen. Das wäre gewiss anders gewesen, wenn es sich um Milieus gehandelt hätte, die wirklich sozial abgesichert, selbstbewusst und vollkommen arriviert gewesen wären. Das glaube ich nicht. Denn auch das muss man bedenken. Der vermögende Student ist nicht die Regel. Ich würde auch sehr große Unterschiede ziehen zwischen städtischen und ländlichen Regionen. Im Kaiserreich gab es unterentwickelte Gegenden, in denen der soziale Sprung, den du beschreibst, vielen wohl nur sehr mühsam gelang.
Wie gesagt, da müsste erstmal die besondere Nähe der Studenten zur NSDAP im Unterschied zu den anderen Rechtsparteien belegt werden, was ich für den Moment nicht so unbedingt sehe.

Ich denke auch, dass der Fokus auf die Studierenden am Ende der Weimarer Zeit das Pferd von hinten aufzäumt, weil die Universitäten ja nicht erst mit Hitler zum Hort des Nationalismus wurden, sondern das durchaus schon früher in der Weimarer Zeit einsetzte und die Gründe dafür sehe ich ganz wo anders:

1. Elitenkontinuität, dadurch, dass die Hochschullehrer, die aus dem Kaiserreich kamen vielfach im Amt blieben, also genau die Leute, die durch die Republik zum Teil an sozialem Status verloren hatten und vor allem natürlich auch tendenziell zu den Verlierern der Inflationszeit 1923 gehört haben dürften, wahrscheinlich schon deswegen unzufrieden waren. Und außerdem waren das natürlich zum Teil auch die Leute, die 4 Jahre lang versucht hatten, den Krieg intellektuell zu rechtfertigen, oder auf andere Weise direkt zu unterstützen.

2. Es ist von @Historyben schon angesprochen worden, dass nach dem Krieg zum Teil die ehemaligen Soldaten des Weltkrieges, die nach dem Notabitur zum Militär eingezogen wurden mit an die Universitäten kamen und gerade bei der "Frontkämpfer-Generation" dürfte natürlich die nationalistische Propaganda (in den umstrittenen Gebieten im Osten wurde die ja auch weit über Kriegsende wegen der Grenziehungsproblematik fortgesetzt) sehr sehr stark internalisiert gewesen sein.

Ich denke, dass die Universitäten ein so nationalistisches Pflaster wurden, hat auch viel damit zu tun, dass ehemalige Soldaten in die Universitäten kamen, anfingen, die Studentenverbindungen deutlich mit zu prägen, während anschließend eine neue Generation an Studierenden nachrückte, die mit der Kriegspropaganda aufgewachsen war und zu diesen Leuten aufblickte und gleichzeitig die alten kaiserlichen Professoren ihre Hand darüber hielten und das laufen ließen.

Da sehe ich eher den Grund als in einer besonderen Affinität zum Nationalsozialismus, Sozialneid oder drohendes wirtschaftliches Ungemach (wenngleich das am Ende geholfen haben mag).
 
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Wie das Ansehen von Lehrern auf dem Land war, dürfte von den Personen, aber auch der Struktur des Landes abgehangen haben. In Gebieten, die von relativ kleinteiliger Landwirtschaft und vielen eigenständigen Klein- und Mittelbauern geprägt war, dürften Lehrer eher einen schweren Stand gehabt haben, weil die Zukunft eines Großteils des Nachwuchses der Bevölkerung durch den eigenen Hof, der an die nächste Generation weitergegeben würde, gesichert war. Da dürfte wenig Verständnis für die Notwendigkeit oder den Sinn besonderer Bildung da gewesen sein, gleichzeitig aber bei Kleinbetrieben Arbeitskräftemangel und der Wunsch, den Nachwuchs möglichst schnell in den Betrieb einzubinden, wobei Schule und Lehrer dann eher ein Hindernis gewesen sein dürften.
Aus Südwestdeutschland kenne ich es so, dass Pfarrer, Lehrer und Arzt auf dem Land über besonders viel Autorität verfügt haben sollen. Das ist zwar eher anekdotisch belegt, aber es wurde von sehr vielen älteren Menschen so beschrieben.
 
Aus Südwestdeutschland kenne ich es so, dass Pfarrer, Lehrer und Arzt auf dem Land über besonders viel Autorität verfügt haben sollen. Das ist zwar eher anekdotisch belegt, aber es wurde von sehr vielen älteren Menschen so beschrieben.
Ich kenne annekdotisch auch solche Erzählungen.

Ich kenne allerdings auch andere Darstellungen, z.B. in Erich Maria Remarques "Der Weg zurück", was im Prinzip die Fortsetzung von "Im Westen nichts neues" ist, wo er beschreibtwie eben ehemalige Soldaten aus dem Krieg zurück kommen, und einer davon geht in der Handlung des Buches in den Lehrberuf und landet (wenn ich das richtig erinnere, ist schon ein wenig her) mit einem anderen ehemaligen Weltkriegssoldaten als Dorflehrer.
Da in dem Buch wird das so dargestellt, dass die Bevölkerung dort die jungen Lehrer erstmal überhaupt nicht ernst genommen hätte, und versucht hätten ihren Spaß mit denen zu treiben, bis diese wiederrum bei Gelegenheit die Bauern unter den Tisch soffen, und denen wiederrum irgendwann aufging, dass sie es da nicht nur mit irgendwelchen akademischen Quatschköpfen zu tun hatten, die man schickanieren konnte, sondern eben mit ehemaligen Soldaten, die sich das nicht gefallen ließen.

Ist jetzt alles nur grob memoriert und natürlich am Ende belletristische Darstellung bei Remarque, aber ich mir das, ähnlich wie es beschrieben worden ist, durchaus vorstellen, dass man Lehrer, insbesondere junge Lehrer, zumindest in bestimmten Gegenden, nicht unbedingt besonders ernst nahm oder achtete.
 
@Shinigami Die Abkehr vom (Traditions-)Bürgerlichen ist auch in Italien zu beobachten. Man denke nur an den Futurismus. Die Maschine, der Wille, das Automobil, Stahl, Beton, Gewalt und Modernität waren Themen der Dichtung. Faschismus war der Inbegriff des Modernen, der reinen Leistungsgesellschaft ohne Konventionen, Traditionen, Hürden und Rücksichten. Das hat auch in der Kunst bzw. in der Designtheorie seine Spuren hinterlassen. In Deutschland nicht viel anders, nur mit anderen Konnotationen. Gerade der Nationalsozialismus hat ein negatives demokratisches Versprechen in sich geborgen. Mit Körner, Fichte, der Pickelhaube und den alten Opas von 1914-18 hätte man keine Jugend der Welt begeistert. Die Attraktivität des Nationalsozialismus resultierte aus den Problem, die sich aus dem 1. Weltkrieg ergaben und dem Spannungsfeld aus gesellschaftlicher Rückständigkeit und ökonomischer Modernität.

Die Studenten, die 1933 an die Unis kamen, waren 1914-1918 kleine Kinder. "Versailles" spielte sicherlich eine sehr große Rolle, aber ich glaube, dass die Nazis einfach moderner waren, in ihrem Auftreten, in ihren Versprechungen, in ihrer Ausdrucksweise, in ihren bildlichen Botschaften. Keine Jugend der Welt gewinnt man dadurch, dass man die Probleme der Altvorderen zum Maßstab macht. Vor allem verstanden sich die Nazis auf die Benutzung der Medien, was bei den alten Gruppierungen überhaupt nicht der Fall war. Das kommt uns ja ein bisschen bekannt vor. Lehrer und Professoren leben selten in ihrer Zeit und verstehen kaum etwas von aktuellen Lebensbedürfnissen oder vom lifestyle. Verkrustete Strukturen, ideologischer Filz und mentale Mottenkisten sind kein Grund, sich zu einer Demokratie zu bekennen, die nicht als jung, progressiv und erfolgreich empfunden wurde. Fest steht, doch, dass die Weimarer Demokratie ein schweres Imageproblem hatte: 21 Kabinette in 14 Jahren, Bürgerkriegserscheinungen, Hyperinflation, Hunger, Bürgerkrieg, Klassenkampf, Straßenschlachten, Wohnungsmangel. Welche Jugend ruft da nicht nach einer dynamischen Hand? Da geht es nicht um Verstand, sondern um Lebensgefühl. Auf die Vermittlung dieses Lebensgefühls verstanden sich Leute wie Goebbels und Hitler. Eine rohe Jugend ohne Halt fand ihre Verführer.

Diese Gruppe war für die Nationalsozialisten extrem wichtig, da junge Leute damals in der Überzahl waren. Die NSDAP war eine junge Partei.

PS: Mit dem Begriff rechtsextrem kommst du nicht weiter. Nach heutigen Begriffen wären auch Teile des liberalen Lagers rechtsextrem gewesen. Nationalist war damals so ziemlich jeder außerhalb der äußersten Linken. Das sind Reprojektionen, die nicht funktionieren. Die Nazis verstanden einfach, wie Demokratie sozial funktioniert, ohne demokratisch zu handeln. Die anderen handelten demokratisch, ohne demokratisch in ihrem sozialen Leben zu agieren. Schlechte Manieren, Schirmmütze und SA-Uniform als Gegenstück zu Zylinder und Frack sind ein attraktives soziales Versprechen. Der Student XY, der nicht aus reichem und gebildetem Elternhaus kam, sah in den Nationalsozialisten ganz einfach eine progressivere Kraft.

Und wie gesagt, wenn du mit studentischem/akademischem Standesdünken, Abgrenzung bedürfnissen und Sozialneid argumentierst, müsstest du eigentlich eine nähe dieser Studierenden weniger zur NSDAP, als mehr zur DVP/DNVP vorraussetzen, die das wesentlich mehr bedienten, als das "Volksgemeinschafts"-Konzept der Nazis.

Das ist ja auch keine Widerlegung des Arguments, sondern eine Bestätigung. Die DNVP war für junge Menschen eher uninteressant, aus den genannten Gründen. "Rechtsextrem" waren beide Parteien, aber modern? Doch eindeutig nur die NSDAP. Im Nationalismus der Nazis lag ein gesellschaftliches Modernisierungsversprechen, eben Nationalsozialismus. Das Volksgemeinschaftskonzept hatte das alles vorgedacht. Es war keine Erfindung der Nazis. Im Grunde genommen wollten die Nazis ein neues 1914 nur erfolgreich. Mit Hilfe des militärischen und ökonomischen Erfolges des eigenen Volkes die Egalität und den sozialen Erfolg aller sichern. Das war das Ziel. Die Fortsetzung der Ideen von 1914 unter anderen Vorzeichen. Dass nicht jeder dem zustimmte, also auch Kaisertreue (="Rechtsradikale" nach heutigem Begriff) liegt auf der Hand.
 
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Die Abkehr vom (Traditions-)Bürgerlichen ist auch in Italien zu beobachten. Man denke nur an den Futurismus. Die Maschine, der Wille, das Automobil, Stahl, Beton, Gewalt und Modernität waren Themen der Dichtung. Faschismus war der Inbegriff des Modernen, der reinen Leistungsgesellschaft ohne Konventionen, Traditionen, Hürden und Rücksichten. Das hat auch in der Kunst bzw. in der Designtheorie seine Spuren hinterlassen. In Deutschland nicht viel anders, nur mit anderen Konnotationen.
Das erste futuristische Manifest (von Marinetti) ist von 1909. In Deutschland vor 1933 war Döblins "literarisch futuristischer", dezidiert antifaschistischer Roman Berlin Alexanderplatz (1929) ein Erfolg. Nach 1933 galten Expressionisten, Kubisten, Futuristen und andere Avantgarde (in Literatur, Malerei, Musik) überwiegend als entartet.
Da scheinen mir einige deutliche Unterschiede zwischen Italien und Deutschland bzgl Futurismus vorzuliegen.
 
@dekumatland Keineswegs. Döblin übernahm den Sekundenstil als Darstellungsform. Warum auch nicht? Der Futurismus war nicht ausschließlich eine faschistische Bewegung. Der Futurismus, als künstlerische und gesellschaftliche Bewegung, hatte keine einheitliche oder explizite Vorstellung von Demokratie. Seine Ablehnung von Tradition und sein Fokus auf Geschwindigkeit, Gewalt und den Kult des Fortschritts führten jedoch zu einer ambivalenten Beziehung zu demokratischen Idealen. Man kann gewiss Automobile, Tempo und gesellschaftliche Demokratisierung lieben ohne Faschist zu sein. Wie gesagt: Demokratie war kein Synonym für Fortschritt. Das war nach 1949 anders.
Die Prinzipien der Futuristen:
  1. Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit.
  2. Mut, Kühnheit und Ausdehnung werden die Wesenselemente unserer Dichtung sein.
  3. Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ekstase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag.
  4. Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosiven Armen gleichen ... ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.
  5. Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer eigenen Bahn dahinjagt.
  6. Der Dichter muss sich glühend, glanzvoll und freigebig verschwenden, um die leidenschaftliche Inbrunst der Urelemente zu vermehren.
  7. Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein. Die Dichtung muß aufgefasst werden als ein heftiger Angriff auf die unbekannten Kräfte, um sie zu zwingen, sich vor dem Menschen zu beugen.
  8. Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte! ... Warum sollten wir zurückblicken, wenn wir die geheimnisvollen Tore des Unmöglichen aufbrechen wollen? Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen.
  9. Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.
  10. Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören und gegen den Moralismus, den Feminismus und gegen jede Feigheit kämpfen, die auf Zweckmäßigkeit und Eigennutz beruht(...)
  11. Wir werden die großen Menschenmengen besingen, welche die Arbeit, das Vergnügen oder der Aufruhr erregt; besingen werden wir die vielfarbige, vielstimmige Flut der Revolution in den modernen Hauptstädten; besingen werden wir die nächtliche, vibrierende Glut der Arsenale und Werften, die von grellen elektrischen Monden erleuchtet werden; die gefräßigen Bahnhöfe, die rauchende Schlangen verzehren; die Fabriken, die mit ihren sich hochwindenden Rauchfäden an den Wolken hängen; die Brücken, die wie gigantische Athleten Flüsse überspannen, die in der Sonne wie Messer aufblitzen; die abenteuersuchenden Dampfer, die den Horizont wittern; die breitbrüstigen Lokomotiven, die auf den Schienen wie riesige, mit Rohren gezäumte Stahlrosse einherstampfen und den gleitenden Flug der Flugzeuge, deren Propeller wie eine Fahne im Winde knattert und Beifall zu klatschen scheint wie eine begeisterte Menge.
Von Italien aus schleudern wir unser Manifest voll mitreißender und zündender Heftigkeit in die Welt, mit dem wir heute den Futurismus gründen, denn wir wollen dieses Land vor dem Krebsgeschwür der Professoren, Archäologen, Fremdenführer und Antiquare befreien."


Da sind eine ganze Menge Dinge, die wir in der NS-Ideologie auch finden.
 
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@Shinigami Die Abkehr vom (Traditions-)Bürgerlichen ist auch in Italien zu beobachten. Man denke nur an den Futurismus. Die Maschine, der Wille, das Automobil, Stahl, Beton, Gewalt und Modernität waren Themen der Dichtung. Faschismus war der Inbegriff des Modernen, der reinen Leistungsgesellschaft ohne Konventionen, Traditionen, Hürden und Rücksichten. Das hat auch in der Kunst bzw. in der Designtheorie seine Spuren hinterlassen. In Deutschland nicht viel anders, nur mit anderen Konnotationen. Gerade der Nationalsozialismus hat ein negatives demokratisches Versprechen in sich geborgen. Mit Körner, Fichte, der Pickelhaube und den alten Opas von 1914-18 hätte man keine Jugend der Welt begeistert. Die Attraktivität des Nationalsozialismus resultierte aus den Problem, die sich aus dem 1. Weltkrieg ergaben und dem Spannungsfeld aus gesellschaftlicher Rückständigkeit und ökonomischer Modernität.

Die Studenten, die 1933 an die Unis kamen, waren 1914-1918 kleine Kinder. "Versailles" spielte sicherlich eine sehr große Rolle, aber ich glaube, dass die Nazis einfach moderner waren, in ihrem Auftreten, in ihren Versprechungen, in ihrer Ausdrucksweise, in ihren bildlichen Botschaften. Keine Jugend der Welt gewinnt man dadurch, dass man die Probleme der Altvorderen zum Maßstab macht. Vor allem verstanden sich die Nazis auf die Benutzung der Medien, was bei den alten Gruppierungen überhaupt nicht der Fall war. Das kommt uns ja ein bisschen bekannt vor. Lehrer und Professoren leben selten in ihrer Zeit und verstehen kaum etwas von aktuellen Lebensbedürfnissen oder vom lifestyle. Verkrustete Strukturen, ideologischer Filz und mentale Mottenkisten sind kein Grund, sich zu einer Demokratie zu bekennen, die nicht als jung, progressiv und erfolgreich empfunden wurde. Fest steht, doch, dass die Weimarer Demokratie ein schweres Imageproblem hatte: 21 Kabinette in 14 Jahren, Bürgerkriegserscheinungen, Hyperinflation, Hunger, Bürgerkrieg, Klassenkampf, Straßenschlachten, Wohnungsmangel. Welche Jugend ruft da nicht nach einer dynamischen Hand? Da geht es nicht um Verstand, sondern um Lebensgefühl. Auf die Vermittlung dieses Lebensgefühls verstanden sich Leute wie Goebbels und Hitler. Eine rohe Jugend ohne Halt fand ihre Verführer.

Diese Gruppe war für die Nationalsozialisten extrem wichtig, da junge Leute damals in der Überzahl waren. Die NSDAP war eine junge Partei.
Nur so als Anmerkung, bis zur großen Wirtschaftskrise hatte die NSDAP keine echte Bedeutung in der Parteienlandschaft.
Hier war der Zulauf auch der Jugend eher mäßig.
Erst in der großen Krise konnten hier erheblich Zugewinne verzeichnet werden, was allerdings in erster Linie wohl auf die Unfähigkeit der anderen "staatstragenden Parteien" zu Lösungsansätzen zurückzuführen ist. Gerade hier hat Brüning mit seiner Sparpolitik und der Fokusierung auf Streichung der Reparationsforderungen noch zusätzlich "Öl ins Feuer gegossen".
 
: 21 Kabinette in 14 Jahren, Bürgerkriegserscheinungen, Hyperinflation, Hunger, Bürgerkrieg, Klassenkampf, Straßenschlachten, Wohnungsmangel.
Auch hier mußt Du den Zeitraum von der Einführung der Rentenmark bis zur Weltwirtschaftskrise gesondert betrachten.
Trotz auch in diesem Zeitraum relativ hoher Arbeitslosigkeit war die Republik stabil. Auch vorher in der Hyperinflationszeit hat sich die WR erstaunlich
resistent gegen ihre inneren Feinde gezeigt. Also muß es genügend Bürger zu deren Unterstützung gegeben haben.
 
Die Studenten, die 1933 an die Unis kamen, waren 1914-1918 kleine Kinder.
Von denen redete ich auch nicht. Ich redete vor allem von den Studenten so von 1919 bis Mitte der 1920er Jahre., wenn wir mal davon ausgehen, dass diese die Universitäten nicht durchliefen ohne sie zu verändern, sondern dass sie dem universitären Leben ein Gepräge mitgaben, das über ihren Abgang hinaus weiterbestand, z.B. durch das Einschleifen bestimmter Verhaltensweisen in den Studentenverbindungen usw.
Versailles" spielte sicherlich eine sehr große Rolle, aber ich glaube, dass die Nazis einfach moderner waren, in ihrem Auftreten, in ihren Versprechungen, in ihrer Ausdrucksweise, in ihren bildlichen Botschaften. Keine Jugend der Welt gewinnt man dadurch, dass man die Probleme der Altvorderen zum Maßstab macht.
Da wäre nur wie gesagt das kleine Problem, dass mir irgendwie der Beleg dafür fehlt, dass die Studenten sich dezidiert an den Nazis ausgerichtet hätten.


Dezidierte Bemühungen sich in größerem Stil an Studenten zu wenden scheinen die Nazis erst ab Mitte der 1920er Jahre unternommen zu haben, der "Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund" wurde erst 1926 gegründet und richtig erfolgreich scheint er erst mit Einsätzen der Weltwirtschaftskrise geworden zu sein.

Womit wir wieder bei potentieller wirtschaftlicher Not, als Motiv wären.

Massiven Antisemitismus und rechtsgerichtete Einschläge gab es in vielen studentischen Verbindungen aber bereits vorher:

"Die Studentenverbindungen bekannten sich auch nach der Ausrufung der Republik weiterhin zu konservativen und nationalistischen Ideen und hatten einen starken Zulauf. Der Anteil der Korporierten an der gesamten Studentenschaft stieg von etwa 30 % (1919) auf fast 60 % (1929). Ein großer Teil der Mitglieder lehnte die neue Republik spätestens seit Beginn der 1920er Jahre ab. Parteipolitische Aktivitäten blieben jedoch Sache des Einzelnen. Gleichzeitig verschärfte sich die antisemitische Grundhaltung der meisten Studentenverbindungen. Die Mehrheit der Korporationsverbände untersagte seit 1919 in ihren Statuten ausdrücklich die Aufnahme von Juden.[32] 1921 beschlossen schlagende und nichtschlagende Studentenverbindungen das Erlanger Verbände- und Ehrenabkommen. Dieses bot erstmals eine Basis zur Beilegung von Streit zwischen diesen Gruppen. Die Kontakte zwischen Damenverbindungen und dem Teil der Studentenverbindungen, die lediglich Männer organisierten, blieben sehr gering.[33] "

Studentenverbindung – Wikipedia Unterkapitel "Weimarer Republik"


Da waren dierechtsgerichteten Tendenzen bereits da, bevor die NSDAP eine reichsweite Bedeutung hatte und bevor sie ab 1926 anfing sich für das Organisieren der Studenten im größeren Stil zu interessieren, was für mich bedeutet, dass ein guter Teil dieser Studenten eben schon bevor die Nazis auf den Plan traten stark mit den Vorstellungen der antidemokratischen Teile von DVP, DNVP und ggf. auch BVP (die hatte zeitweise auch mal rechte Schlagseite, wenn man etwa an die Zustände in Bayern 1923 oder die Unterstützung der BVP für die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 denkt) sympathisierte.

Hier scheint die Hitler-Partei weniger die Leitvorstellung gewesen zu sein, als viel mehr bereits in anderer Weise rechtsgerichtete Personen und Gruppen eingesammelt zu haben.
Auch da würde ich für die Zuwendung der Studierenden wieder 2 Gründe vermuten wollen:

1. Die zeitweilige Einbindung, der DNVP in das demokratische System von 1925-1930. Dadurch, dass die Partei zeitweise im demokratischen System mitarbeitete und selbst Minister in die Kabinette entsandte oder Regierungen zumindest unterstützte, konnte sie in dieser Zeit nicht mehr die rechtsgerichtete Fundamentalopposition gegen die Weimarer Republik organisieren, was bedeutete, dass zumindest in der Zeit von 1925 bis zum Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei 1930 rechtsextrem orientierte Gruppen parteipolitisch nicht unbedingt gebunden waren, was es der NSDAP leichter gemacht haben dürfte, diese anzuwerben, auch wenn sie vielleicht nicht unbedingt mit allen NS-Ideen sympathisierten.

2. Eben die beginnende Weltwirtschaftskrise, die Massenarbeitslosigkeit und potentielle Zukunftsangst.


Fest steht, doch, dass die Weimarer Demokratie ein schweres Imageproblem hatte: 21 Kabinette in 14 Jahren, Bürgerkriegserscheinungen, Hyperinflation, Hunger, Bürgerkrieg, Klassenkampf, Straßenschlachten, Wohnungsmangel. Welche Jugend ruft da nicht nach einer dynamischen Hand?
Ein Immageproblem hatte sie in jedem Fall, nur fing der Ruf nach einer vollständigen Veränderung an den Universitäten ja nicht mit den Nazis an, sondern war schon vor ihnen da.

PS: Mit dem Begriff rechtsextrem kommst du nicht weiter. Nach heutigen Begriffen wären auch Teile des liberalen Lagers rechtsextrem gewesen.
"Rechtsextrem" bedeutet politisch rechts in einem verfassungs- und systemfeindlichen Sinn.
Was das konkret inhaltlich hieß, unterscheidet sich natürlich ein wenig, zu heutigen Verhältnissen, weil sich ja auch die Weimarer Verfassung von der heutigen bundesdeutschen Verfassung unterscheidet, aber an und für sich sehe ich das Problem mit diesem Begriff nicht.

Die NSDAP war in diesem Sinne kontinuierlich Rechtsextrem, die DNVP war es in ihrer Anfangszeit und am Ende der Republik, als Hugenberg sie übernommen hatte, während sie in der 2. Hälfte der 1920er Jahre unter Graf Westarp keine Fundamentalopposition gegen das System machte.
Teile der DVP (vor Stresemann), die Gesamtpartei von 1918-1920 und der BVP (man denke hier an v. Kahrs Staatsstreich in Bayern und seine Putschphantasien, aus deren Umfeld sich dann der "Hitlerputsch" von 1923 herausbildete) waren ebenfalls in diesem Sinne rechtsextrem, auch wenn die rechtsextremen Teile dieser Parteien die Parteien selbst in der Regel nicht beherrschten, jedenfalls nicht nach den schwierigen ersten Jahren der Republik.

Insofern kann man den Begriff "rechtsextremes Spektrum" auch auf die politische Landschaft der Weimarer Republik anwenden, unter Berücksichtigung dessen, dass es sich ständig wandelte, weil parlamentarisch irrelevante völkische Gruppen im Grunde den einzig von Anfang bis Ende der WR konstanten Teil des rechtsextremen Spektrums ausmachten (Die DAP/NSDAP wurde ja nicht direkt zu Beginn der Republik gegründet, nach dem Hitlerputsch war sie zeitweise verboten und konnte nicht offen auftreten, die anderen angesprochenen Parteien verhielten sich zweitweise rechtsextrem, wobei sich das in DVP und BVP mit der Zeit legte und in der späten Weimarer Republik das eben neben der NSDAP vor allem die DNVP betraf.

Die anderen handelten demokratisch, ohne demokratisch in ihrem sozialen Leben zu agieren. Schlechte Manieren, Schirmmütze und SA-Uniform als Gegenstück zu Zylinder und Frack sind ein attraktives soziales Versprechen. Der Student XY, der nicht aus reichem und gebildetem Elternhaus kam, sah in den Nationalsozialisten ganz einfach eine progressivere Kraft.
Ich denke, da hängst du dich zu sehr an äußerlichkeiten auf.
Ich würde eher sagen, der Student der durch die Prägung der Studentenverbindungen schon seit dem Beginn der WR ins rechte politische Spektrum hineinsozialisiert und eingebunden war, war in dem Moment, wo die Westarp-DNVP die Republik unterstützte und ihre Regierungen mittrug, was das parteipolitische Spektrum angeht, heimatlos geworden und in Ermangelung rechtsextremer Konkurrenz für die Nazis relativ einfach einzusammeln.
Das ist ja auch keine Widerlegung des Arguments, sondern eine Bestätigung. Die DNVP war für junge Menschen eher uninteressant, aus den genannten Gründen. "Rechtsextrem" waren beide Parteien, aber modern? Doch eindeutig nur die NSDAP.
Rechtsextrem im Sinne von Fundamentalopposition gegen das System, war die DNVP nur zeitweise. Und in dem Moment, wo sie es gerade nicht war, hatten die Nazis ein Alleinstellungsmerkmal.
Die fehlende Modernität, der Rechtsextremen vor dem Auftreten der Nazis als relevante Bewegung hatte die Studierenden am Beginn der Weimarer Republik nicht daran gehindert sich trotzdem dieser Ideenwelt zu verschreiben.
Das Volksgemeinschaftskonzept hatte das alles vorgedacht.
Das Volksgemeinschaftskonzept widerspricht diametral deiner zuvor geäußerten Vorstellung, des Millieugebundenen Abgrenzungsbedüfnisses gegen unten, dass du Studierenden unterstellt hattest und das sicherlich sowohl innerhalb der Studierendenschaft, sehr viel stärker aber gegenüber den nichtstudierten Teilen der Bevölkerung ausgeprägt gewesen sein dürfte.

Wenn solches Standesbewusstsein vorhanden war, war die "Volksgemeinschaft", die den Wert eines Menschen nicht nach ihren intellektuellen Fähigkeiten oder der sozialen Herkunft und dem wohlsituierten Elternhaus, sondern einzig nach der wie auch immer im einzelnen definierten Zugehörigkeit zum "Deutschen Volk" bemaß doch logisch betrachtet eher unattraktiv.

Standesdünkel dürfte eher ein Hindernis dafür gewesen sein die Nazis gut zu finden und Grund sich eher an die konventionelleren Rechtsparteien zu halten.
 
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Ich denke, dass die Universitäten ein so nationalistisches Pflaster wurden, hat auch viel damit zu tun, dass ehemalige Soldaten in die Universitäten kamen, anfingen, die Studentenverbindungen deutlich mit zu prägen, während anschließend eine neue Generation an Studierenden nachrückte, die mit der Kriegspropaganda aufgewachsen war und zu diesen Leuten aufblickte und gleichzeitig die alten kaiserlichen Professoren ihre Hand darüber hielten und das laufen ließen.
Irgendwie war das so, aber es hätte doch auch anders sein können. Hitler fand den Krieg super, für Remarque war er die Hölle.
 
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