Balkankrieg 1912/13: Internationale Intervention

Wenn irgendjemand Dinge einfordert, die ihm auf Grund eines bestehenden, rechtsgültigen Vertrags möglicherweise zustehen könnten, hat das nichts mit einem "orientalischen Basar" zu tun.

Der springende Punkt ist der, das Italien gleichzeitig mit seinen Verbündeten Berlin und Wien auf der einen Seite und mit der Entente, also Paris und London, auf der andern Seite, in London verhandelte, um den Preis nach oben zu treiben. Ein anderen Sinn dürfte dies wohl kaum gehabt haben.

Italien wollte Kasse machen. Entweder für einen möglichen Kriegseintritt auf Seiten der Entente und hierfür fürstlich belohnt werden oder eben umfassende Kompensationen für die Neutralität von den eigenen Bündnispartnern im Dreibund. Die ambitionierten Ziele waren die "unerlösten" italienischsprachigen Gebiete Österreichs, Provinzen in Südtirol und an der Adria, außerdem mehr Einfluss auf dem Balkan namentlich Albanien.

In diesem Bieterwettbewerb, da gibt es m.E. nach auch semantisch nichts zu beschönigen, konnte Wien nur unterliegen.

Das Bittere an der Politik der italienischen Regierung war, das die italienische Bevölkerung in ihrer Mehrheit gar nicht für den Krieg gewesen war, am wenigsten die verarmte Bevölkerung auf dem Lande, die schon aufgrund des verbreiteten Analphabetismus gar nicht die Zeitungen lesen konnte.
 
Der springende Punkt ist der, das Italien gleichzeitig mit seinen Verbündeten Berlin und Wien auf der einen Seite und mit der Entente, also Paris und London, auf der andern Seite, in London verhandelte, um den Preis nach oben zu treiben. Ein anderen Sinn dürfte dies wohl kaum gehabt haben.

Italien wollte Kasse machen. Entweder für einen möglichen Kriegseintritt auf Seiten der Entente und hierfür fürstlich belohnt werden oder eben umfassende Kompensationen für die Neutralität von den eigenen Bündnispartnern im Dreibund. Die ambitionierten Ziele waren die "unerlösten" italienischsprachigen Gebiete Österreichs, Provinzen in Südtirol und an der Adria, außerdem mehr Einfluss auf dem Balkan namentlich Albanien.

In diesem Bieterwettbewerb, da gibt es m.E. nach auch semantisch nichts zu beschönigen, konnte Wien nur unterliegen.

Da unterschlägst du schlicht und ergreifend, dass man von italienischer Seite her erst mit der Entente verhandelte, als man von Seiten Wiens den italienischen Kompensationsansprüchen (vertragswidriger Weise) eine glatte Abfuhr erteilt hatte.
Wien hätte diesen "Bieterwettbewerb" von vorn herein unterbinden können, wenn es sich auf die italienischen Forderungen eingelassen hätte.
Ebenso hätte es die von italien beanspruchten französischen Gebiete im Siegesfall in Aussicht stellen können.


Das Bittere an der Politik der italienischen Regierung war, das die italienische Bevölkerung in ihrer Mehrheit gar nicht für den Krieg gewesen war, am wenigsten die verarmte Bevölkerung auf dem Lande, die schon aufgrund des verbreiteten Analphabetismus gar nicht die Zeitungen lesen konnte.

Da strickst du weiterhin fleißig an einem Narrativ von der öffentlichen Meinung in Italien, dass so nicht stimmt oder jedenfalls nicht belegbar ist, was im Übrigen auch im Widerspruch zu deiner Darstellung Italiens vor dem Krieg steht.

Ich habe dich das an anderer Stelle schonmal gefragt:

Wenn die breite Masse der Italiener gegen den Krieg gewesen wäre und der Krieg selbst ein reines Elitenprojekt der Regierung (wie passt das noch gleich mit dem angeblich so mächtigen Irredentismus zusammen?) warum stand dann ganz Italien zum mit der Entente vereinbarten Angriffstermin Gewehr bei Fuß?

Warum ließ sich die Bevölkerung von der Regierung für einen Krieg einspannen, den sie eigentlich nicht wollte?
Die Vorstellung von dem notwendigen Verteidigungskrieg, weil man drohte überfallen zu werden, die man den Deutschen, Franzosen und Russen auftischte kann es hier nicht gewesen sein, denn es waren ja alle, die potentiell hätten überfallen können gerade ganz anderswo gebunden.
Der Krieg war und das musste jedem klar sein keine Selbstverteidigung sondern ein lupenreines Eroberungsprojekt.
Warum zog eine unwillige Bevölkerung dabei mit?
Warum ging sie nicht in den Generalstreik und jagte die Salandras und Sonninos zum Teufel, wenn sie den Krieg absolut nicht wollte?
Die einzige plausible Erklärung ist, sie wollte ihn eben doch oder war wenigstens bereit das inkauf zu nehmen.
 
Da unterschlägst du schlicht und ergreifend, dass man von italienischer Seite her erst mit der Entente verhandelte, als man von Seiten Wiens den italienischen Kompensationsansprüchen (vertragswidriger Weise) eine glatte Abfuhr erteilt hatte.
Wien hätte diesen "Bieterwettbewerb" von vorn herein unterbinden können, wenn es sich auf die italienischen Forderungen eingelassen hätte.
Ebenso hätte es die von italien beanspruchten französischen Gebiete im Siegesfall in Aussicht stellen können.

Keineswegs. Ich sprach doch von gleichzeitig. Die italienische Forderung war etwas überspannt. Ganz ehrlich, was haben sich denn die Herrschaften in Rom vorgestellt? Das Wien eben Mal so, mitten im Krieg, eigenes Territorium herausrückt, damit Italien neutral bleibt? Ein wenig weltfremd und vor allem wenig realistisch diese Vorstellung.
 
Warum ging sie nicht in den Generalstreik und jagte die Salandras und Sonninos zum Teufel, wenn sie den Krieg absolut nicht wollte?
Die einzige plausible Erklärung ist, sie wollte ihn eben doch oder war wenigstens bereit das inkauf zu nehmen.

Warum sind dann die Bevölkerungen Englands, Frankreichs, Russlands, Deutschlands und Österreich-Ungarns nicht in den Generalstreik gegangen? Sie wurden überhaupt nicht gefragt. Sie taten das, was von der Regierung verordnet wurde.

Ich lese bei Hürter/Rusconi, "Der Kriegseintritt Italiens", etwas anderes als du ausführst. Hast du für deine Behauptungen eine Quelle?

Ich zitiere einmal:
"Die Mehrheit der damaligen Italiener waren Trient und Triest, zumindest keinen Krieg wert. Wie vielfach bezeugt wurde verstand die Landbevölkerung den Sinn des Krieges überhaupt nicht, sondern gehorchte nur. Für sie war der Krieg ein Unglück, das über sie wie eine Naturkatastrophe, wie eine Überschwemmung, ein Gewitter oder ein Erdbeben hereinbrach. [...]
Der Präfekt von Neapel schrieb an Salandra, in seiner Provinz lehnten 90% der Italiener den Krieg ab und hatten die Neutralitätserklärung von August 1914 als eine Erlösung von einem Alptraum angesehen. Und nicht nur die einfachen Leute, sondern auch die Italiener mit einem hochentwickelten politischen Bewusstsein lehnten Mehrheit den Krieg ab. Die Mehrheit des Parlaments wollte Anfang Mai 1915 und erklärte sich mit Giolottis geradezu überwältigend solidarisch."

So, jetzt zeige mit bitte deine Quelle für das von dir behauptete Gegenteil.
 
Warum sind dann die Bevölkerungen Englands, Frankreichs, Russlands, Deutschlands und Österreich-Ungarns nicht in den Generalstreik gegangen? Sie wurden überhaupt nicht gefragt. Sie taten das, was von der Regierung verordnet wurde.

Den Umstand hatte ich angesprochen.
Weil man ihnen diesen Krieg als Verteidigungskrieg verkaufen konnte.

In Österreich konnte man sich durch das Attentat angegriffen sehen, jedenfalls wird das der Meinung von Teilen der Bevölkerung entsprochen haben.
In Frankreich konnte man darauf verweisen, dass Deutschland Krieg erklärt hatte, In Großbritannien darauf, dass Deutschland Belgien überfallen hatte, dessen Unabhängikeit Großbritannien garantierte, somit der casus foederis gegeben sei.
In Deutschland konnte man die Einkreisungsobsessionen entsprechend ausschlachten und die Russische Mobilmachung zum (Schein)Beweis für feindseelige Absichten Russlands gegenüber Deutschland stilisieren und zwar so wirkmächtig, dass sogar die Sozialdemokraten das schluckten.

Die Bevölkerung aller dieser Länder ging mit der Vorstellung in den Weltkrieg die eigentlich Angegriffenen zu sein und sich lediglich zu verteidigen oder präventiv zu verteidigen um vermeindlich offensichtlich gewordenen feindlichen Neigungen und Ambitionen der Nachbarn zuvor zu kommen.

Das lässt sich in Italien so nicht feststellen.
Keiner der Nachbarn hatte noch irgendwelche Kräfte übrig, mit denen er Italien hätte überfallen können und die Abnutzung musste auch klar vor Augen führen, dass diese Länder in näherer Zukunft nicht in der Lage sein würden sich einen erneuten großen Krieg zu leisten.

"Die Mehrheit der damaligen Italiener waren Trient und Triest, zumindest keinen Krieg wert. Wie vielfach bezeugt wurde verstand die Landbevölkerung den Sinn des Krieges überhaupt nicht, sondern gehorchte nur. Für sie war der Krieg ein Unglück, das über sie wie eine Naturkatastrophe, wie eine Überschwemmung, ein Gewitter oder ein Erdbeben hereinbrach. [...]

Ja, das sind Einschätzungen bei Hürter/Ruconi.
Worauf genau die beruhen ist nicht näher belegt, wie ich das sehe?

Dann sollten wir uns vielleicht beide mal darum bemühen, wie sich zumindest die Meinung der Massenmedien bis ins Frühjahr 1915 hinein entwickelte.
Ist zwar kein letztendlicher Beleg für die Meinung der gesamten Bevölkerung, die ist nicht belegbar, weil man schlicht nicht jeden Monat die gesamte Bevölkerung gefragt hat, ob sie Krieg wolle oder nicht, aber doch ein Anhaltspunkt dafür welche Themen, Narrative, Forderungen, Interessen und Meinungen konsumiert und durch den Absatz bestimmter Zeitungen auch unterstützt wurden.
 
Wie wäre es, wenn du einmal eine Quelle präsentierst.

Quelle: Melograni, Storia, S.14; A. Rienzi, In the Shadow of the Sword. Italy Neutrality and Entrance in the Great War 1914-915, New York 1987, S.239-241
 
So, jetzt zeige mit bitte deine Quelle für das von dir behauptete Gegenteil.

Die habe ich genau so wenig, wie du für deine Einlassung.
Was du anführst sind Einschätzungen von Historikern und Einschätzungen eines damaligen Politikers aus einem relativ kleinen Teilgebiet Italiens, bei denen nicht transparent ist, wie sie zustande gekommen sind, und worauf sie sich stützen.
Ich habe verschiedentlich z.B. in einigen Mussolini-Biographien (Mussolini prägte ja die mediale Landschaft Italiens durchaus mit) abweichendes gelesen, aber darauf möchte ich mich hier gar nicht näher stützen, weil dass genau so wenig repräsentativ ist und einfach nur auf Eindrücken beruht, zumal wenn man die analphabetischen Teile der Bevölkerung berücksichtigt, die dadurch nicht oder nur indirekt und mit veränderten Inhalten erreicht wurden.

Für mich ist der Anfhänger nach wie vor:

Wenn die Italiener in großer Mehrheit gegen den Krieg waren, warum lehnten sie sich nicht dagegen auf?
Den Mythos vom Verteidigungskrieg um die Leute gefügig zu machen, konnte hier niemand auftischen, anders als in den Ländern, die sich seit August 1914 im Krieg befanden und Italien war jetzt auch keine totalitäte Diktatur, wo man solche Meinungen nicht in Großdemonstrationen, Streiks etc. hätte kundtun können ohne Gefahr schwerster Repression zu laufen.
Das war eine offene Gesellschaft, in der politische Meinungen ohne größere Probleme ausgetauscht und Bewegungen organisiert werden konnten.
Wenn die Gesellschaft so einhellig gegen den Krieg war, warum brachte sie keine wirkmächtige, breite Anti-Kriegs-Bewegung hervor, sondern folgte dem, was die Regierung vorgab?

Ergibt in sich wenig Sinn.
 
Die habe ich genau so wenig, wie du für deine Einlassung.

Doch, siehe #286

Wie du die Ausführungen der von mir genannten Historiker zur Seite wischt, das ist "schon beeindruckend."

Die Herren sind Wissenschaftlicher und werden sich ihre Erkenntnisse wohl nicht aus den Fingern gesaugt haben.

Also haben Hürter, Rusconi und die anderen Historiker mit ihren Aufsätzen also Müll zu Papier gebracht und nur du siehst die Dinge zutreffend?
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Herren sind Wissenschaftlicher und werden sich ihre Erkenntnisse wohl nicht aus den Fingern gesaugt haben.

"Die Herren sind Wissenschaftler und werden....." ist kein Argument.
Mich interessiert nicht, was die Herren deiner Meinung nach getan oder nicht getan haben werden, mich interessiert ob dort klar benennbare Studien vorliegen, die ein solches Meinungsbild der Italienischen Bevölkerung in der kontinuierlichen Entwicklung von August 1914 bis Mitte 1915 bestätigen.

Kannst du welche Vorlegen oder nur einzelne Einlassungen die dieses oder jenes Meinungsbild behaupten und darüber hinaus in Teilen nur Einschätzungen aus Teilen des Landes für einen bestimmten Punkt auf der Zeitachse sind.


Die Antwort ist, du kannst keine vorlegen, weil es keine gibt und keine geben kann, weil wie du schon richtig angeführt hast, Italien in dieser Zeit einen Alphabetisierungsgrad von 60-65% aufwies.
30-35% der Leute haben keine Eingaben schreiben können, keine Tagebücher hinterlassen können an Hand derer sich Einstellungen und Sinneswandel und deren Zeitpunkte nachollziehen ließen etc.

Wenn man hierbei berücksichtigt, dass der Alphabetisierung zunahm, und dementsprechend die noch nicht volljährigen und zur politischen Teilhabe berechtigten Italiener innerhalb dieser Gesellschaft einen deutlich höheren Alphabetisierungsgrad aufgewiesen haben dürften, als die älteren Teile der Bevölkerung, wird man konstatieren müssen, dass die Teile der Bevölkerung die die Möglichkeit zur politischen Teilhabe hatten, in Sachen Alphabetisierung und Produktion von schriftlichen Zeugnissen noch deutlich unter den 60-65% gelegen haben dürfte.

Das bedeutet, dass hier Rückwirkend über produzierte Ego-Dokumente, Eingaben, Proteste etc. in schriftlicher Form überhaupt keine Rückschlüsse zu ziehen sind, weil ein viel zu großer Teil der Bevölkerung auf Grund von Analphabetismus überhaupt nichts hinterlassenn konnte und auch von der restlichen Bevölkerung wird sich diese Mühe nur ein Bruchteil gemacht haben.

Damit lassen sich keine Mehrheitsmeinungen sauber rekonstruieren.
Und wie schwierig die Einschätzung ausschließlich mündlich geäußerter Zeugnisse ist, muss ich dir nicht erklären. Da kommt es sehr darauf an, in welchem Millieu sich eine Person bewegt und was innderhalb dieses Millies vorherrschende Meinung ist.
Mit politischen Veranstaltungen und Aufläufen größerer Menschenmengen sieht es ähnlich aus. Sehr schwierig einzuschätzen, wie viele das tatsächlich sind, im Besonderen, wenn man höchstens einzelne Bilder hat, die sehr stark die gegebene Realität verzerren können, oder eben nur subjektive Eindrücke.

Vor diesem Hintergrund wäre die Frage zu stellen, wie man denn gedenkt unter diesen Umständen Mehrheitsmeinungen festzustellen?

Ich bin der Meinung, mit letztendlicher Sicherheit kann man das nicht, näherungsweise nur über die Reaktion der Bevölkerung hinsichtlich bestimmter Ereignisse (solches könnten Mobilmachung und Kriegseintritt sein) so wie gegebenenfalls Pressespiegel und Auflagenzahlen bestimmter Zeitungen, je nachdem welche Meinungen diese im Einzelnen in dieser Frage vertraten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Na, das habe ich doch geschrieben. Man hat gehorcht.

Ja, dass ist deine persönliche Mutmaßung und eine die ich nicht für besonders plausibel halte.
Warum hätte man gehorchen und etwas tun sollen, dass man für grundfalsch hielt, wenn man sich auch dagegen auflehnen und sich sicher sein konnte damit mit der Mehrheit der Gesellschaft überein zu stimmten?
 
Ja, dass ist deine persönliche Mutmaßung und eine die ich nicht für besonders plausibel halte.
Warum hätte man gehorchen und etwas tun sollen, dass man für grundfalsch hielt, wenn man sich auch dagegen auflehnen und sich sicher sein konnte damit mit der Mehrheit der Gesellschaft überein zu stimmten?

Warum haben die Deutschen 1939 gehorcht? Man tat, was die Regierung verordnet. Das ist auch heute noch so. Gerade hier in Deutschland.
 
Wenn du Ausführungen, die sicher auf Erkenntnissen basieren, von Historikern nicht anerkennst, dann ist eine Diskussion sinnlos.

Du selber kannst nicht irgendeinen Beleg vorlegen, behaarst aber nach wie vor auf deiner Behauptung und die Belege, die ich vorlege, wischt du beiseite.
 
Ich nenne dir noch eine Quelle, wirst du wohl wahrscheinlich ebenfalls nicht akzeptieren. Livio Vanzetto urteilt in einem Aufsatz über die "contadini" (Anmerkung von mir. Bauern) des Veneto: "Die Bauern gingen und kämpften zwar ungerne, aber immerhin, sie gingen und kämpften."
Und eine andere weitere Quelle Curzio Malaparte schrieb später, das es unmöglich und sinnlos war den contadini den Sinn des Krieges erklären zu wollen. Sie waren den üblichen Argumenten der Offiziere, dass der Krieg um die "irredenten Gebiete" gehe oder um den Schutz der Heimat vor dem Militarisemus der Zentralmächte.
Die contadini waren eine unorganisierte Masse armer Teufel, die sich einer hochentwickelten militärischen Repressionsmaschine ausgesetzt sahen. Von ihnen zu diesem Zeitpunkt Widerstand zu erwarten, war unrealistisch.
Die Sozialisten hatten die Organisation, aber sie machten es wie alles Sozialisten Europas: Sie waren gegen den Krieg und trugen ihn trotzdem mit.
Der Krieg wurde auf den Rücken der einfachen Bevölkerung ausgetragen, was übrigens auch statistisch nachgewiesen worden ist. (Pierro del Negro, La mobilitazione di guerra e la societa italiana)

Giolitti hatte 1915 die Gretchenfrage gestellt, ob es sich lohne 500.000 Männer zu opfern, um ungefähr die gleiche Anzahl zu "befreien". Giolitti hatte das Parlament hinter sich und hätte Salandra stürzen und den Krieg verhindern können. Er tat es nicht, wie wir wissen, aber du erwartest Widerstand von den einfachen Menschen.

Die Entscheidung zum Krieg wurde in Rom von ganz wenigen Männern getroffen.

Vanzetto: Contadini e grande guerra, Bologna 1982, S. 72-103
 
Noch eine Quelle die Turgots Meinung stützt und hierzu weiteres ausführt:
William A. Renzi - , In the Shadow of the Sword. Italy’s Neutrality and En-
trance into the Great War 1914– 1915, New York 1987, S. 240
 
Warum haben die Deutschen 1939 gehorcht? Man tat, was die Regierung verordnet. Das ist auch heute noch so. Gerade hier in Deutschland.

Du möchtest jetzt aber bitte nicht die nationalozialistische Diktatur mit ihren sehr begrenzten Möglichkeiten Kritik zu äußern und politische Bewegungen zu organisieren, die sich gegen die Absichten der Regierungen richteten mit den Verhältnissen Italiens unter Giolitti und Slanadra vergleichen?


Wenn du Ausführungen, die sicher auf Erkenntnissen basieren,
...... sind sie wertlos.
Brauchbar sind sie, wenn sie nachweislich auf Erkenntnissen basieren und diese Erkenntnisse auch transparent sind.
Ich habe dir auseinandergesetzt, warum ich es für ziemlich unmöglich halte hier eine tatsächliche aussagekräftige Studie zu erstellen, was den Spiegel der Mehrheitsmeinung anbetrifft.

Du kannst den Umstand dass an die 40% der erwachsenen Italiener überhaupt nicht imstande waren uns schriftliche Zeugnisse zu hinterlassen, die man auswerten könnte doch nicht einfach ignorieren.

Das ist eine viel zu große Zahl an Unbekannten, um wirklich seriös Mehrheitsmeinungen herausstellen zu können.

Ich erinnere da einfach mal an die Diskussion um die deutsche Kriegsbegeisterung 1914, die ja doch zu sehr kontroversen Ergebnissen und Thesen geführt hat.
Was da heraus kam war alles andere als eindeutig, basiert wegen der nahezu vollständigen Alphabetisierung der Bevölkerung aber auf einer wesentlich besseren Quellenlage, bei der nicht 40% nahezu unbekannt sind.

Wenn du darüber eine vernünftige Diskussion wünschst, erkläre mir doch einfach mal, warum du der Meinung bist, dass sich trotz der wesentlich schlechteren Quellenlage hier deutlich verlässlichere Ergebnisse herausfiltern lassen als in Deutschland und erkläre mir bitte, wie du meinst, dass dem Umstand, dass von 40% der Bevölkerung nunmal keine Dokumente überliefert sind, die Meinungsäußerungen enthalten, abhilfe geschaffen werden könnte.

Ich würde das von dir methodisch einfach gerne mal erklärt bekommen.
Weitere Mutmaßungen dazu aufzutischen, gleich wer sie angestellt hat, hilft dahingehend nicht weiter.


ch nenne dir noch eine Quelle, wirst du wohl wahrscheinlich ebenfalls nicht akzeptieren. Livio Vanzetto urteilt in einem Aufsatz über die "contadini" (Anmerkung von mir. Bauern) des Veneto: "Die Bauern gingen und kämpften zwar ungerne, aber immerhin, sie gingen und kämpften."

Och, dass die Contadini des Veneto von diesem Krieg alles andere als begeistert waren, dass glaube ich sofort.
Wer will schon einen Krieg im eigenen Vorgarten und Haus und Hof in der potentiellen Reichweite feindlicher Artillier liegen sehen?
Und über die Aussicht demnächst von Verwandten, die vielleicht ein paar Dörfer weiter im Trentino oder am Isomnzo lebten demnächst durch Stacheldraht und Schützengräben getrennt zu sein, war wohl auch niemand schaft, genau so wenig, wie Familien mit österreichisch-italienischen Mischehen und gemeinsamen Kindern scharf darauf sein konnten, dass ihnen die Politik und der Krieg die Familie innerlich zerreist.

In dem Sinne glaube ich gerne, dass die "Contadini" des Veneto keinen Krieg, so zusagen "in vicino" haben wollten.
Nur das sind dann vor allem auch die Spezialprobleme einer Grenzregion, die in anderen Teilen Italiens eine weit geringere Rolle gespielt haben werden.

Die contadini waren eine unorganisierte Masse armer Teufel, die sich einer hochentwickelten militärischen Repressionsmaschine ausgesetzt sahen. Von ihnen zu diesem Zeitpunkt Widerstand zu erwarten, war unrealistisch.
Die Sozialisten hatten die Organisation, aber sie machten es wie alles Sozialisten Europas: Sie waren gegen den Krieg und trugen ihn trotzdem mit.

Das die Contadini nicht der logische Kristallisationspunkt einer Anti-Kriegs-Bewegung sein konnten ist richtig, aber das "rote Mailand" und die sozialistischen Verbindungen hätten das sehr wohl sein können und dem konnten sich die Bauern durchaus anschließen.
Und nein, die italienischen Sozialisten haben es nicht gemacht, wie alles Sozialisten Europas.

Die Sozialisten des übrigen Europas haben einen Krieg mitgetragen, den sie im Kern für einen notwendigen Verteidigungskrieg hielten, mit mal größerem, mal weniger größerem Recht und auch wenn sie ihre Rolle später bereuten.
Das lässt sich von Italie nicht sagen.
Die italienischen Sozialisten waren die einzigen Sozialisten Europas, die sich für einen dezidierten Angriffskrieg mit Eroberungszielen hergaben.


Giolitti hatte 1915 die Gretchenfrage gestellt, ob es sich lohne 500.000 Männer zu opfern, um ungefähr die gleiche Anzahl zu "befreien". Giolitti hatte das Parlament hinter sich und hätte Salandra stürzen und den Krieg verhindern können. Er tat es nicht, wie wir wissen, aber du erwartest Widerstand von den einfachen Menschen.

Konnte Giolitti das?
Ich bin nicht sattelfest, was die italienische Verfassung damals angeht, aber letztendlich war es eine konstitutionelle Monarchie mit vom König ernannten Ministerpräsidenten bis einschließlich Mussolini.
Welche Handhabe hatte Giolitti den König dazu zu zwingen Salandra abzuberufen?
Habe ich gerade nicht so unbedingt präsent.

Mach aber auch nichts. wenn der die Möglichkeit hatte, glaubte, dass er Krieg so verhindert werden musste und er das Parlament hinter sich wusste, wäre die Frage zu stellen, warum er den Schritt nicht tat?
Mag es möglicherweise daran gelegen haben, dass er bezweifelte Rückhalt für diesen Schritt in der Bevölkerung zu finden?

Oder möchtest du mir jetzt auch erzählen, dass Giolitti eben gehorchte, weil man das halt so macht, wenn jemand von einem etwas verlangt, dass man für unzumutbar hält?
 
Zuletzt bearbeitet:
Du kannst den Umstand dass an die 40% der erwachsenen Italiener überhaupt nicht imstande waren uns schriftliche Zeugnisse zu hinterlassen, die man auswerten könnte doch nicht einfach ignorieren.
@Shinigami ich verstehe dieses Argument aus zwei Gründen nicht:
1. Mir ist kein Krieg im frühen 20. Jh. bekannt, der sowohl mehrheitlich demokratisch beschlossen worden wäre UND der eine nahezu 100%ige Quellenlage bzgl der Zustimmung der Wahlberechtigten aufweisen könnte.
2. Mich beeindrucken geschätzte 40% einer Bevölkerung als Zahl nicht sonderlich, denn das kann großenteils der nicht wahlberechtigte Bevölkerungsanteil sein (um 1913/14 waren gewiss nicht 100% der Bevölkerung irgendeines Landes wahlberechtigt/mündig)
Ich kann mit den 40%, auf denen du bestehst, nichts anfangen (gut möglich, dass ich deine Argumentation nicht begreife) denn wie gesagt kenne ich für den fraglichen Zeitraum kein Land, das auf umfassende (also nahezu 100% der wahlberechtigten Bevölkerung) demografische Quellen zur "Kriegsbegeisterung" verweisen könnte (die heutige Umfragenmode gab es noch nicht)
 
Konnte Giolitti das?

Natürlich, er hatte ja die Mehrheit des Parlaments hinter sich. Das Problem war, das Giolitti eigentlich nicht in die Regierungsverantwortung mehr wollte.


Du möchtest jetzt aber bitte nicht die nationalozialistische Diktatur mit ihren sehr begrenzten Möglichkeiten Kritik zu äußern und politische Bewegungen zu organisieren, die sich gegen die Absichten der Regierungen richteten mit den Verhältnissen Italiens unter Giolitti und Slanadra vergleichen?

Natürlich war Italien keine totalitäre Diktatur.

Die Kriegsbegeisterung der deutschen Bevölkerung hielt sich 1939 in sehr überschaubaren Grenzen. Aber hattest du nicht weiter oben beispielsweise den Generalstreik ins Gespräch gebracht.
 
1. Mir ist kein Krieg im frühen 20. Jh. bekannt, der sowohl mehrheitlich demokratisch beschlossen worden wäre UND der eine nahezu 100%ige Quellenlage bzgl der Zustimmung der Wahlberechtigten aufweisen könnte.
Habe ich irgendwo anderes postuliert?

2. Mich beeindrucken geschätzte 40% einer Bevölkerung als Zahl nicht sonderlich, denn das kann großenteils der nicht wahlberechtigte Bevölkerungsanteil sein (um 1913/14 waren gewiss nicht 100% der Bevölkerung irgendeines Landes wahlberechtigt/mündig)

Dafür war die Bevölkerung allerdings in Durchschnitt deutlich jünger und gerade die jüngeren Jahrgänge genossen zunehmende Schulbildung, während der Analphabetismus zunehmend zu einem Phänomen geworden sein dürfte, dass die mittleren und älteren Semester betraf, die den Krieg aber eben zu tragen hatten.

Ich kann mit den 40%, auf denen du bestehst, nichts anfangen (gut möglich, dass ich deine Argumentation nicht begreife) denn wie gesagt kenne ich für den fraglichen Zeitraum kein Land, das auf umfassende (also nahezu 100% der wahlberechtigten Bevölkerung) demografische Quellen zur "Kriegsbegeisterung" verweisen könnte (die heutige Umfragenmode gab es noch nicht)

Es geht mir einfach darum, dass wir von etwa 40% der italienischen Bevölkerung aus der Zeit überhaupt keine schriftlichen Selbstzeugnisse haben, die zum Ausdruck bringen, wo die jeweilige Person stand.

Wie würde man denn vorgehen um Mehrheits-Tendenzen festzustellen?

Letztendlich würde man eine Stichproben von erhaltenen Tegebüchern oder vergleichbaren Dokumenten, verschiedener Bevölkerungsgruppen heranziehen und das auswerten.
Dabei würden sich, wenn die Menge genug ist, Tendenzen ergeben aus denen sich Mehrheitsmeinungen ableiten ließen.
Das Funktioniert sicherlich wenn man relativ kleine Analphabetenraten hat, die vielleicht mit 5 oder 10% ins Gewicht fallen, wenn das übrige Bild einigermaßen eindeutig ist.

Aber 40% Unbekannte in der gesamten Bevölkerung, die nichts hinterlassen haben, sind eine derartig große Masse, dass sie, je nach dem, welcher Seite man sie zurechnet das Ergebnis kippen.
Über diese Gruppe sind auf diesem Weg schlicht keine brauchbaren Informationen zu ermitteln.
Es lässt sich weder stichprobenartig belegen, dass sie für oder gegen den Krieg waren und wenn wir über 40% der Bevölkerung in dieser Hinsicht gar keine verlässlichen Aussagen treffen können, weil sie eben keine Selbstzeugnisse hinterlassen haben, gibt es keine wirkliche Basis seriös irgenwelche Mehrheiten festzustellen.


Warum reite ich darauf herum?

Ganz einfach deswegen, weil @Turgot beharrlich von einem Narrativ ausgeht, nachdem der Krieg Italiens gegen Österreich ein reines Elitenprojekt gewesen wäre, in das die Regierung Salandra das italienische Volk getrieben hätte.
Darauf wiederrum hat er sich festgelegt, weil er versucht die Vorbereitung eines möglichst ausgreifenden Eroberungskrieges in the long run durch die italienische Regierung zu konstruieren.

Da gibt es mitunter allerdings auch etwas andere Einschätzungen zu zu lesen.
Z.B. diese hier:

"Die Rettung auf die D'Annunzio sich bezog, sollte einige Tage später eintreten. Über Tage hatten die Interventionisten gegen die Regierung Salandra protestiert, die den Kriegseintritt - noch - nicht bekannt geben wollte. Der junge Brite Hugh Dalton, im 2. Weltkrieg Kriegsminister , hielt sich in jenem aufgewühlten Mai 1915 in Rom auf und wurde Zeuge dieses Hasses, der sich in den Straßen verbreitete. "Hunderttausende Menschen aller Klassen spazierten langsam durch die Straßen Roms und anderer italienischer Städte und intonierten in langsamem, stets sich wiederholenden Rythmus "Tod Giolitti, Tod Giolitti"".
So angespannt wie auf den Straßen war auch die Atmosphäre im Parlament"


-
Knipp, Kersten: Die Kommune der Faschisten, Gabriele D'Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 2018, S.136-137

Das einfach mal als Gegenpanorama.

Die "Hunderttausende" von denen Dalton da da sprach würde ich zwar mit Vorsicht genießen, aber Massendemonstrationen von Interventionisten denen die Kriegserklärung nicht schnell genug kommen konnte und die lautstark den Tod des Spiritus Rector der Neutralitätspolitik Giolitti einfoderten, erwecken einen etwas anderen Eindruck, als den von gutwilligen Pazifisten, die von der Regierung in einen Krieg gezwungen wurden, den sie nicht wollten.

Und in diesem Sinne möchte ich @Turgot einfach widersprechen.
Es ist richtig, dass Salandra und Sonnino den Krieg jedenfalls als Konsequenz inkauf namen, nachdem sie ihre Forderungen so hochgeschraubt hatten, das Wien darauf weitgehend gar nicht eingehen konnte, arbeiteten sie auch relativ zielgerichtet darauf hin (1915).
Das aber dies von Beginn an klar gewesen wäre und das die Regierung Salandra da konsequent gegen die eigene Bevölkerung gearbeitet hätte, das sehe ich so nicht.
Es war in der weiten Teilen der Bevölkerung mindestens ab Frühjahr 1915 durchaus massive Kriegsbegeisterung vorhanden und dass übte durchaus auch Druck auf die Regierung Salandra aus, diesen Kurs beizubehalten und tatsächlich in den Krieg zu ziehen.
So massiv war der Widerstand dagegen nicht, auch vor der Bekanntmachung der Kriegserklärung, als noch kein Kriegsrecht griff und Vertreter anderer Meinungen noch nicht mit Repression zu rechnen hatten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es war in der weiten Teilen der Bevölkerung mindestens ab Frühjahr 1915 durchaus massive Kriegsbegeisterung vorhanden und dass übte durchaus auch Druck auf die Regierung Salandra aus, diesen Kurs beizubehalten und tatsächlich in den Krieg zu ziehen.

Quelle?

Deine Ausführungen widersprechen Hürter/Rusconi deutlich. Hier noch einmal:

"Die Mehrheit der damaligen Italiener waren Trient und Triest, zumindest keinen Krieg wert. Wie vielfach bezeugt wurde verstand die Landbevölkerung den Sinn des Krieges überhaupt nicht, sondern gehorchte nur. Für sie war der Krieg ein Unglück, das über sie wie eine Naturkatastrophe, wie eine Überschwemmung, ein Gewitter oder ein Erdbeben hereinbrach. [...]
Der Präfekt von Neapel schrieb an Salandra, in seiner Provinz lehnten 90% der Italiener den Krieg ab und hatten die Neutralitätserklärung von August 1914 als eine Erlösung von einem Alptraum angesehen. Und nicht nur die einfachen Leute, sondern auch die Italiener mit einem hochentwickelten politischen Bewusstsein lehnten Mehrheit den Krieg ab. Die Mehrheit des Parlaments wollte Anfang Mai 1915 und erklärte sich mit Giolottis geradezu überwältigend solidarisch."
 
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