Cassius Dio als Überlieferer älterer Quellen - seine Glaubwürdigkeit

Da von Cassius Dio selbst nur relativ wenige Fragmente über den 1. Punischen Krieg erhalten sind - und die großteils auch eher in Form von Exzerpten statt echten Zitaten - bin ich recht skeptisch, wenn man ihm solchen Quellenwert für den 1. Punischen Krieg beimessen will. Das meiste, was wir über Cassius Dios Darstellung "wissen", wissen wir in Wahrheit gar nicht durch Fragmente, sondern aus dem Geschichtswerk des Zonaras. Es ist zwar sicher richtig, dass Cassius Dio eine wesentliche Quelle für Zonaras war, aber trotzdem habe ich meine Vorbehalte, wenn Zonaras' Darstellung 1:1 auf Cassius Dio umgelegt wird, wie das gerne gemacht wird.

Skorpion müßte schon hinhauen. Mit Katapulten wurden nur Steine und ev. Brandgeschosse verschossen.
Das hängt natürlich vom "Katapult"-Begriff ab, also ob man darunter das versteht, was wir heute als "Katapult" bezeichnen oder die zeitgenössische Bedeutung von catapulta/katapeltes.
 
Da von Cassius Dio selbst nur relativ wenige Fragmente über den 1. Punischen Krieg erhalten sind - und die großteils auch eher in Form von Exzerpten statt echten Zitaten - bin ich recht skeptisch, ....
Fraglos berechtigter Einwand. Bleckmann erklärt seine Herangehensweise und geht auf diesen Kontext ein. Vielleicht lohnt ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis online (etwa über google boocks, Seite 5...) Letztlich nimmt Bleckmann andere Quellen um den bisherigen "Goldstandard" zu den Vorgängen "Polybios" einer Quellenkritik zu unterziehen. Dabei billigt er (häufig) den deutlich jüngeren Texten "um Cassius Dio" einiges Gewicht zu...

Indem er dies tut ermöglicht er sich ja erst Konflikte und Vorgänge innerhalb der römischen Nobilität bereits in diesem Zeitraum aufzuzeigen, die man gewöhnlich erst in späteren Zeiten der Römischen Republik erwartet...
Im Kontext mit Arminius sind die Überlieferungen viel zu dispart um auf ähnliche Weise vorzugehen.
 
Ich erlaube mir, eine alte Frage von mir wieder zu pushen:

Durchaus überzeugend argumentiert!

Leider liegen uns keine Anmerkungen* seitens Cassius Dio vor, woher er seine Kenntnisse hat. Hat die Forschung eigentlich eine Meinung, aus welchen Quellen CD geschöpft haben könnte?

*immerhin schrieb Cassius keine wissenschaftliche Abhandlung:scheinheilig:

Damit meine ich jetzt den Teilbereich zu Germanien/Varusschlacht.

Die Wetterunbillen, die den Römern zu schaffen gemacht haben, können CD's Sondergut (bzw. Erfindung) gewesen sein. Jedoch die Erwähnung des Flusses Elison, den er als einzige uns bekannte Quelle nennt, wird er aus einer uns nicht bekannten Quelle zu den Drususfeldzügen haben.
 
Ich hatte dir die Frage ja schon damals beantwortet. In Bezug auf ihre heutige Neuausrichtung muss man auf seine eigene Darstellung verweisen. Ihm zufolge sind politische Entscheidungen aus der Republik besser überliefert, weil sie öffentlich waren, wohingegen seit Beginn der Kaiserzeit gekungelt wurde, also die Überlieferung schlechter wird. Nichtsdestotrotz können wir dieser Aussage entnehmen, dass Cassius Dio sich u.a. der Unterlagen des Staatsarchivs bediente. Dass er Plinius verwendete, ist - wie bereits im Verlauf des Threads dargestellt - unwahrscheinlich.
 
Guten Tag. Ich bin der Meinung das Cssius Dio den Verlauf der Varusschlacht mit der Schlacht an den Pontes Longi verwechselt hat. Kein Wunder nach der langen Zeit. Ich vertraue eher dem Bericht des Velleius Paterculus.

Mf G
 
Es gibt drei von Arminius angewandte Schlachtkonzepte.

Zumeist wurden die Römer in ungünstiges Gelände gelockt, oder dort angegriffen, wenn sie aus anderen Gründen dort waren. Immer wieder Berge, Wälder und Sümpfe. Caecina ließ schanzen und nutzte den Schutz des Lagers aus, um den Rückzug durch ein Sumpf- oder Moorgebiet, wo er, vereinfacht gesagt, nicht angegriffen werden konnte, vorzubereiten. Varus agierte laut Dio nach dem Motto 'Augen zu und durch', statt Arminius zu zwingen, nach seinen Bedingungen zu kämpfen. Wieder vereinfacht gesagt. Der Unterschied liegt im agieren der Römischen Anführer. Daher sind Gelände und Vorgehen der Germanen ähnlich.

Bei Idistaviso und gegen Marbod versuchte Arminius rangierte Feldschlachten. Jedenfalls nach der gängigen Interpretation. Wie auch immer: Weder Pontes longi noch die Varusschlacht haben einen solchen Plan als Grundlage. Oder siehst Du da für die Varusschlacht einen Anhaltspunkt?

Beim Angrivarierwall versuchten die Germanen eine Befestigung auszunutzen. Das ist natürlich auch mit Überfällen kombinierbar. Aber in den Schriftquellen tritt es uns für Varus und Caecina nicht entgegen.

Wo Tacitus ungenau schreibt, übertreibt und sich bei der Formulierung an der Ästhetik orientiert und nicht an sachlichen Gesichtspunkten, schreibt Cassius Dio die Geschichte aus: er erfindet hinzu. Die Entwicklung der Geschichtsschreibung landete dann bei den Historia Augusta, die schon als Karikatur der schlechten Angewohnheiten der zeitgenössischen Geschichtsschreibung bezeichnet wurde. Nochmals vereinfacht gesagt.

Das ist dann auch bei der Interpretation zu berücksichtigen.

Ähnlich ist es mit den Quellen der Geschichtsschreiber. Sie schrieben ab (oder auch aus), fassten zusammen und gestalteten das Ganze künstlerisch. Kritik wurde nur angewandt, wo Widersprüche auffielen. Es wurde nicht danach gesucht, sondern hauptsächlich kritiklos übernommen. Da ein Teil geradezu als Propaganda veröffentlicht wurde, ist das problematisch. Auf der anderen Seite braucht man daher nicht über die Herkunft von Namen nachdenken. Die acta diurna wurden abgeschrieben, offizielle Veröffentlichungen waren in den öffentlichen Bibliotheken vorzuhalten. Der Jüdische Krieg des Josephus ist da sicher das prominenteste Beispiel. Und die Anlage eines Standlagers in Germanien war ein Erfolg, der sicher bekanntgegeben wurde. Ob Dio den Namen direkt aus einer solchen Quelle hat, oder durch Vermittlung wird nicht zu entscheiden sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Salve,
um noch mal zur Ausgangsfrage dieses Themas zurück zu kommen:
Ich habe gelesen, dass Cassius Dio (53, 19.3 und 54, 15,3) also vor den Schilderungen der Germanienfeldzüge schreibt: Man argwöhnt, dass sich alle Worte und Taten nur nach den Wünschen der jeweiligen Machthaber und ihrer Anhänger richten. Und so schwatzt man von vielen Dingen, die sich gar nicht zutrugen,...jedenfalls laufen fast sämtliche Geschehnisse in einer Version um, die sich nicht mit den Tatsachen deckt......Ich habe daher meinerseits die Absicht, in sämtlichen derartigen Fällen lediglich, was überliefert wird, niederzuschreiben, ohne mich damit zu beschäftigen, ob...die Überlieferung der Wahrheit entspricht oder nicht".
Leider kann ich das nicht überprüfen, ich habe mein Buch verliehen.
Wenn das aber so dort steht, beantwortet sich die Ausgangsfrage so:
Cassius Dio ist sehr glaubwürdig, er gibt sogar offenbare Mängel zu.
Die ihm vorliegenden Quellen, sind alles andere als zuverlässig.
Daraus folgt dann, dass seine Schilderungen mit Vorsicht zu geniessen sind, jedoch nicht wegen seinen Übertreibungen und Falschaussagen. Man könnte ihm höchstens vorwerfen, diese Stellen zu kennzeichnen.


Haben sich die Kalkriese-Leute diese Frage nicht auch gestellt? Zu welchem Ergebnis sind sie gekommen?
Es wäre also zunächst die Glaubwürdigkeit der Senatsberichte zu analysieren und zwar nach der Frage "Cui bono?":fs:
 
Ein altbekanntes Problem der antiken Geschichtsschreibung: die mangelnde Quellenkritik. Und in der Tat war das Problem bekannt. Und die weitgehend kritiklose Übernahme von anderen Geschichtsschreibers lässt sich an verschiedenen Stellen beobachten.

Ich würde nicht davon ausgehen, dass Dio nur Senatsprotokolle und Berichte an den Senat zur Verfügung standen. Wir wissen zudem nicht, wie diese ausgesehen haben.

Und was hat er ausgeschrieben? Das Wetter? Die Schilderung einer nur in groben Begriffen bekannten Landschaft?

Altbekannt ist auch die Tatsache, dass eine Schlacht nicht beschrieben werden kann. Ähnlich wie bei Reden sind da Besonderheiten zu beachten. Was geht auf die Ereignisse zurück? Was schien Cassius Dio dazuzugehören? Was sind Versatzstücke, die zu vielen Schlachten gehören konnten?

Gut dargestellt ist das Problem in Dieter Flach, Römische Geschichtsschreibung. Auch Delbrück schlägt sich damit herum. Er unterbricht die Schilderung sogar, um einige der Probleme anhand Treitschkes Schilderung der Schlacht bei Waterloo klar zu machen.

Die Methodik des Cassius Dio ist schwieriger zu beurteilen. Die Erwähnung der guten Absicht und der mangelhaften Quellen gehört zur Tradition der Senatorschen Geschichtsschreibung, an deren Ende er steht. Genauso handelt es sich bei ihm aber um ein Stück rhetorischer Geschichtsschreibung, woran auch die Darstellung der Varusschlacht krankt. Er hat aber auch Thukydides zur Kenntnis genommen, auch wenn die Konsequenzen beschränkt blieben.

Dann sah er die Aufgabe des Geschichtsschreibers auch darin, auf eine gute Staatsführung hinzuwirken. Darüber hinaus sind einige Befindlichkeiten bekannt. Er stand in einer gewissen Gegnerschaft zur Armee und musste auf Betreiben der Prätorianer sein Konsulat außerhalb Roms verbringen. Bei Darstellungen im militärischen Zusammenhang ist das im Hinterkopf zu behalten: Er wird die Schuld eher bei den Legionären als bei einem senatorischen Amtsträger suchen. Zudem stellte er sich dagegen den Senatoren militärische Verantwortung zu entziehen. Das Kaisertum beurteilte er positiv. Nur den Einfluss von Heer und Freigelassenen hätte er gern eingeschränkt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nur ein paar lose Gedanken:

Dio hat uns nunmal die wohl ausführlichste Darstellung der Varusschlacht hinterlassen. Und wenn er dann von Dingen, wie z.B. schlechtem Wetter o.ä. berichtet (im Gegensatz zu anderen), dann ist das wohl logisch. Er berichtet halt ausführlicher und detaillierter. Und das im Spätherbst das Wetter in Germanien vor über 2000 Jahren eher schlecht war ist nicht unwahrscheinlich.
Und das gleiche gilt auch wohl, wenn er berichtet, daß die Germanen mit den Gegebenheiten besser zurecht gekommen sind, als die Römer.

Wenn Bayern München mal verliert. dann liegt es am Rasen. Dumm nur, daß auch der Gegner auf dem gleichen Rasen spielen mußte, oder? Nicht ganz! In Ostwestfalen gibt es diesen grandiosen Fußballverein namens Arminia Bielefeld. Dieser Verein spielte in 2015 eine tolle Pokalsaison und schaltete diverse hochklassige Gegner (Mönchengladbach, Bremen) aus. Die beschwerten sich (zurecht) über den schlechten Rasen. Die konnten ihr technisch feines Spiel auf diesem Geläuf nicht richtig zur Geltung bringen. Aber die Arminia, bzw. deren phantastische Spieler waren dieses schlechte Geläuf gewohnt. Sie mußten alle zwei Wochen darauf spielen und tw. auch darauf trainieren. Die kannten wahrscheinlich jede Unebenheit. Und so hat man den technisch überlegenen Gegner einfach geschlagen.
Am Rande:
Der Rasen auf der Alm wurde inzwischen ausgewechselt und nun spielt man gegen den Abstieg.:autsch:

Also hätten die Römer seinerzeit einfach die germanischen Wälder abgeholzt, wäre dem Varus diese dumme Niederlage wohl nicht passiert. Aber man verzeihe mir diesen Ausflug in den Fußball. Ich wollte nur ausdrücken, daß der Dio recht logisch schreibt und nicht etwa unglaubwürdig erscheinen muß. Und er schreibt ja auch nicht nur über schlechtes Wetter und undurchdringliche Wälder und Schluchten. Er schreibt doch eher über tw. wechselnde Landschaften.

Zu den Überlieferungen, bzw. Quellen des Dio, habe ich eine interessante Stelle bei Wolters gefunden:

Insbesondere sind darunter die beiden monographischen Beschreibungen der Germanenkriege durch Aufidius Bassus und Plinius den Älteren zu erwarten, entstanden kurz vor bzw. kurz nach der Mitte des ersten Jahrhunderts. Der noch ohne jede Schmähung des Varus aufkommende Bericht des Dio spricht sogar dafür, daß ein zentraler Quellentext, den Dio nutzte, zeitlich noch vor dem Geschichtswerk des Velleius Paterculus entstand, längstens also zwei Jahrzehnte nach dem Ereigniss verfasst wurde.
(Wolters: Die Schlacht im Teutoburger Wald, C.H. Beck 2017)
 
Siehe Post#69. Germanische Wildnis und schlechtes Wetter sind dazu noch Topoi. Und September ist kein Spätherbst, sondern Spätsommer. An der Lippe der Monat mit dem niedrigsten Wasserstand.

Hast Du Dich mit den Techniken der Beschreibung militärischer Großereignisse auseinandergesetzt? Ich hatte oben Literatur genannt. Delbrück zumindest ist im Netz frei zugänglich. Dann solltest Du wissen, dass selbst ein 'zuverlässiger' Bericht fast immer große Mängel hat.

Es gehört zu Dios Methode, was er wusste, oder zu wissen meinte in einen Topf zu werfen. Darum müssen wir die Landschaftsschilderung als unzuverlässig betrachten. Zudem ist sie so allgemein, dass sie im ganzen Mittelgebirgsraum zutrifft.

Das Wetter ist ein ähnlich gelagertes Problem.

Interessant hingegen ist, dass er von Überfällen entlang des Marschweges spricht. Dies ist die wichtige Information, die uns Dio gibt. Auch die mangelhafte Reaktion der Römer mag auf ältere Quellen zurückgehen. Aber sie lässt Varus auch nicht gut aussehen. Die Schmähungen des Varus haben auch damit zu tun, dass seine Familie später in Ungnade fiel. Zu Dios Zeit hatte sich das überlebt. Ein Teil der Schmähungen kann ihm übertrieben geschienen haben. Die mangelhafte Quellenkritik heißt ja nicht, dass er nicht verbesserte, was ihm auffiel. Und Varus hatte schon erfolgreich einen Aufstand im Keim erstickt und Provinzen erfolgreich verwaltet.

Dass Problem liegt aber darin, wie er mit seinen Informationen umgegangen ist. Dazu hatte ich im genannten Post geschrieben. Und es ist im Forum schon mehrfach thematisiert worden. Ich habe schon öfter die Tacitus-Stelle erwähnt, an der Titus hin- und hergerissen zwischen Liebe und Pflichtgefühl entscheiden muss, ob er dem Vater die Botschaft von den Ereignissen in Italien bringt, oder zu seiner geliebten Berenike eilt. Da hat Tacitus ein Charakterbild geliefert, indem er die Ereignisse ausschmückte. An dieser Stelle ist das für jeden offensichtlich. Titus wird es ihm nicht verraten haben. Das mit dem ausschreiben ist ähnlich. Nur wird da ein Fakt mit etwas verbunden, dass dem Berichtenden als selbstverständlich erscheint. Die Landschaft in Germanien war bekannt. Und Dio wollte unterhalten. Also wäre es typisch für ihn, dass er das was berichtet war, mit der ihm bekannten Landschaft verband.

Natürlich hat er eine konsistente Erzählung gestaltet. Das macht es áuch bei anderen Autoren schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Drelbrück exerziert das mehrfach vor, um dann den Fehler zu begehen, sich auf andere Autoren zu verlassen, oder selbst die Geschichte auszuschreiben, was seine Schlachtrekonstruktionen so berüchtigt macht.

Nun kann man eine Schlacht nicht wirklich beschreiben. Entweder man bezieht sich auf einzelne Ereignisse, die dann oft eine zu große Gewichtung erhalten, oder es wird ein Überblick gegeben, oder es werden Eindrücke geschildert, die der Autor als typisch für eine Schlacht betrachtet. Analysiere das mal bei Dio. Du kannst den allgemeinen Verlauf von Landschaft und Regen weitgehend trennen. Und welche Einzelereignisse schildert er, wie interpretiert er sie? Lagerte man nach Zufall und ungesichert auf dem Weg, oder blieb den einzelnen Abteilungen nichts übrig, als ihre Umgebung zu sichern?

Es kann sein, dass die Landschaft stimmt, weil Germanien von Kalkriese an südwärts nun einmal fast überall aus den geschilderten Komponenten zusammensetzt. Und Regen ist hier auch im Hochsommer nicht ungewöhnlich. Da muss man nicht den Spätherbst (also Dezember) bemühen.

Und dabei kann er durchaus zuverlässige Quellen genutzt haben. Nur welche Information können diesen zugeordnet werden?

Um das zumindest teilweise zu beantworten, muss man sich zunächst an das halten, was man über das Werk von Cassius Dio weiß.

EDIT: Juchhu, es funktioniert wieder.
 
Siehe Post#69. Germanische Wildnis und schlechtes Wetter sind dazu noch Topoi. Und September ist kein Spätherbst, sondern Spätsommer. An der Lippe der Monat mit dem niedrigsten Wasserstand.

Hast Du Dich mit den Techniken der Beschreibung militärischer Großereignisse auseinandergesetzt? Ich hatte oben Literatur genannt. Delbrück zumindest ist im Netz frei zugänglich. Dann solltest Du wissen, dass selbst ein 'zuverlässiger' Bericht fast immer große Mängel hat.

Es gehört zu Dios Methode, was er wusste, oder zu wissen meinte in einen Topf zu werfen. Darum müssen wir die Landschaftsschilderung als unzuverlässig betrachten. Zudem ist sie so allgemein, dass sie im ganzen Mittelgebirgsraum zutrifft.

Das Wetter ist ein ähnlich gelagertes Problem.

Interessant hingegen ist, dass er von Überfällen entlang des Marschweges spricht. Dies ist die wichtige Information, die uns Dio gibt. Auch die mangelhafte Reaktion der Römer mag auf ältere Quellen zurückgehen. Aber sie lässt Varus auch nicht gut aussehen. Die Schmähungen des Varus haben auch damit zu tun, dass seine Familie später in Ungnade fiel. Zu Dios Zeit hatte sich das überlebt. Ein Teil der Schmähungen kann ihm übertrieben geschienen haben. Die mangelhafte Quellenkritik heißt ja nicht, dass er nicht verbesserte, was ihm auffiel. Und Varus hatte schon erfolgreich einen Aufstand im Keim erstickt und Provinzen erfolgreich verwaltet.

Dass Problem liegt aber darin, wie er mit seinen Informationen umgegangen ist. Dazu hatte ich im genannten Post geschrieben. Und es ist im Forum schon mehrfach thematisiert worden. Ich habe schon öfter die Tacitus-Stelle erwähnt, an der Titus hin- und hergerissen zwischen Liebe und Pflichtgefühl entscheiden muss, ob er dem Vater die Botschaft von den Ereignissen in Italien bringt, oder zu seiner geliebten Berenike eilt. Da hat Tacitus ein Charakterbild geliefert, indem er die Ereignisse ausschmückte. An dieser Stelle ist das für jeden offensichtlich. Titus wird es ihm nicht verraten haben. Das mit dem ausschreiben ist ähnlich. Nur wird da ein Fakt mit etwas verbunden, dass dem Berichtenden als selbstverständlich erscheint. Die Landschaft in Germanien war bekannt. Und Dio wollte unterhalten. Also wäre es typisch für ihn, dass er das was berichtet war, mit der ihm bekannten Landschaft verband.

Natürlich hat er eine konsistente Erzählung gestaltet. Das macht es áuch bei anderen Autoren schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen. Drelbrück exerziert das mehrfach vor, um dann den Fehler zu begehen, sich auf andere Autoren zu verlassen, oder selbst die Geschichte auszuschreiben, was seine Schlachtrekonstruktionen so berüchtigt macht.

Nun kann man eine Schlacht nicht wirklich beschreiben. Entweder man bezieht sich auf einzelne Ereignisse, die dann oft eine zu große Gewichtung erhalten, oder es wird ein Überblick gegeben, oder es werden Eindrücke geschildert, die der Autor als typisch für eine Schlacht betrachtet. Analysiere das mal bei Dio. Du kannst den allgemeinen Verlauf von Landschaft und Regen weitgehend trennen. Und welche Einzelereignisse schildert er, wie interpretiert er sie? Lagerte man nach Zufall und ungesichert auf dem Weg, oder blieb den einzelnen Abteilungen nichts übrig, als ihre Umgebung zu sichern?

Es kann sein, dass die Landschaft stimmt, weil Germanien von Kalkriese an südwärts nun einmal fast überall aus den geschilderten Komponenten zusammensetzt. Und Regen ist hier auch im Hochsommer nicht ungewöhnlich. Da muss man nicht den Spätherbst (also Dezember) bemühen.

Und dabei kann er durchaus zuverlässige Quellen genutzt haben. Nur welche Information können diesen zugeordnet werden?

Um das zumindest teilweise zu beantworten, muss man sich zunächst an das halten, was man über das Werk von Cassius Dio weiß.

EDIT: Juchhu, es funktioniert wieder.

Was willst Du eigentlich?

Erst:
Die Landschaft und Wetter sind viel zu allgemein geschildert.
Dann:
Es könnte sein, das die Landschaftsbeschreibung stimmt.

Was denn nun?

Ich will auch garnicht zu sehr auf Herbst oder Spätherbst herumreiten.
Was ist so ungewöhnlich daran, wenn zumindest tw. einheimische Germanen mit Topographie und Wetter besser zurechtgekommen sind als die Römer? Ob Herbst oder Spätherbst oder von mir aus auch Spätsommer. Schlechtes Wetter und schwierige Verhältnisse in Waldgebieten sind nicht auszuschliessen und zumindest für den Herbst eher wahrscheinlich!
Und natürlich schildert Dio die Landschaft eines Mittelgebirgsraumes. Und?
Was macht ihn deshalb unglaubwürdig? Und ich habe auch Delbrück gelesen. Aber auch er interpretiert nur. Wolters spricht in großen und ganzen für den Bericht des Dio. Und dem schliesse ich mich an.
 
Cassius Dio gibt selbst zu seiner historischen Glaubwürdigkeit folgenden Kommentar:„Alles, was seither [ seit Beginn des Kaisertums] geschah, kann nicht mehr in der gleichen Weise wie das Vorangegangene berichtet werden. Denn früher wurde alles, auch wenn es in noch so weiter zeitlicher Entfernung geschehen war, vor den Senat und vor das Volk gebracht. Daher konnten es alle erfahren, und viele schrieben es nieder […]. Von nun an aber begannen die meisten Ereignisse, im Verborgenen zu geschehen, ohne dass darüber noch offen gesprochen worden wäre. Und wenn doch einmal etwas an die Öffentlichkeit gelangte, so begegnete man ihm mit Misstrauen, da es nicht mehr nachprüfbar war. Was immer jetzt geredet wird, was immer geschieht, bei allem vermutet man, es sei nach den Wünschen der jeweiligen Herrscher oder ihrer Nebenherrscher geschehen. Und so wird zugleich über vieles, was überhaupt nicht passiert ist, ausgiebig geschwätzt, während man von vielen anderen wirklichen Ereignissen gar nichts mehr erfährt. Alles wird nun sozusagen anders, als es in Wahrheit gewesen ist, in Form von Gerüchten verbreitet. Und gerade die Größe des Imperiums und die Fülle der politischen Vorkommnisse darin machen eine genaue Wiedergabe der Geschichte unglaublich schwierig." (Cassius Dio 53,19).
 
Diese Stelle wurde in diesem Forum schon oft zitiert, um Cassius' Glaubwürdigkeit zu erschüttern - allerdings üblicherweise nur dann, wenn bestimmte von ihm präsentierte Fakten störten, während andere, gelegener kommende, sehr wohl zur Untermauerung der eigenen Argumentation herangezogen werden.
 
Die Stelle scheint mir auch eher auf die stadtrömische Politik denn auf die Feldzüge zu zielen. Ich wundert aber immer wieder, wie einige hier über die physischen Unmöglichkeiten bei Cassius hinwegsehen.
 
Was willst Du eigentlich?
Was denn nun?

Ich will auch garnicht zu sehr auf Herbst oder Spätherbst herumreiten.
Was ist so ungewöhnlich daran, wenn zumindest tw. einheimische Germanen mit Topographie und Wetter besser zurechtgekommen sind als die Römer? Ob Herbst oder Spätherbst oder von mir aus auch Spätsommer. Schlechtes Wetter und schwierige Verhältnisse in Waldgebieten sind nicht auszuschliessen und zumindest für den Herbst eher wahrscheinlich!
Und natürlich schildert Dio die Landschaft eines Mittelgebirgsraumes. Und?
Was macht ihn deshalb unglaubwürdig? Und ich habe auch Delbrück gelesen. Aber auch er interpretiert nur. Wolters spricht in großen und ganzen für den Bericht des Dio. Und dem schliesse ich mich an.

Es geht mir um die Argumentation und darum, dass eine Quelle wie Cassius Dio nicht schwarz oder weiß, gut oder schlecht ist, sondern in einzelnen Teilen unterschiedlich beurteilt werden muss, was ganz sicher auch Wolters nicht anders sieht. Vielleicht ist es verständlicher, wenn ich es ein wenig aufdrösele:

1
a
Zunächst die Quellenkritik an Cassius Dio. Dazu gehört die alte Erkenntnis, wie er arbeitete. Nach dieser ist die Schilderung von Geographie und Wetter problematisch, während die Schilderung des allgemeinen Ablaufs eher zuverlässig erscheint.

b
Dann die Feststellung Wolters, dass es gut sein kann, dass er gute Quellen benutzte. Das schließe ich ja gar nicht aus. Nur hat Dio diese Quellen nicht zitiert, sondern sie in sein Werk eingearbeitet. Dabei ging er mit seiner üblichen Arbeitsweise vor, die wie gesagt, bedingt, dass Geographie und Wetter problematische Fakten sind. Sprich: Wo gibt Dio seine Quellen wieder, wo schreibt er die Geschichte aus, wo fügt er allgemeine Elemente ein und wo ist der Bericht durch seine Dramatisierung verfälscht? Das können wir nicht unmittelbar entscheiden, weshalb wir davon ausgehen müssen, dass er damit verfuhr, wie mit seinen anderen Quellen. Daher wird 1a davon nicht berührt.

ergänzend: c
Die senatorische Geschichtsschreibung vertrat auch immer politische Positionen. Cassius Dio stand gegen den Einfluss des Militär, für militärische Kommandos von Senatoren. Also hatte er einen Grund, Varus nicht allzu negativ darzustellen.

d
Allerdings gilt der grobe Ablauf der Katastrophe als zuverlässig. Hier können tatsächlich die Inhalte guter Quellen auf uns gelangt sein.

e
Halten wir fest: Auf Wetter und Landschaft ist aus der Beschreibung Cassius Dio nicht wirklich zu schließen. Auch die Beurteilung des Varus ist nicht gänzlich unbedenklich, mag aber genauso gut aus guter Quelle stammen. Das würde dann auch bestätigen, dass das Gerüst, der allgemeine Ablauf zuverlässig überliefert ist.

2
Kommen wir zur Sachkritik, neudeutsch Faktencheck:

a
Cassius Dio beschreibt eine Landschaft, wie sie im Mittelgebirgsraum allgegenwärtig ist und auch an einigen Orten im Münsterland vorkommt. War die Schlacht in Kalkriese oder irgendwo weiter südlich, sah es in der Gegend der Schlacht wahrscheinlich so aus. Doch ist dies Aussehen Germaniens schon zu Dios Zeiten ein Topos. Angesichts der Art seiner Geschichtsschreibung musste er diese Landschaft zur Geltung kommen lassen. Fand die Schlacht dort statt, hat Cassius Dio aus Zufall das Richtige getroffen. Und schilderten seine Quellen diese Landschaft, wäre auch das Zufall.

b
Die von El Quijote immer wieder erwähnten Unmöglichkeiten, zeigen, dass Dio eben genau in diesen Bereichen Dinge hinzufügte oder nicht richtig verstanden hat. Daher erscheint unwahrscheinlich, dass seine Landschaftsbeschreibung auf gute Quellen zurückgeht.

c
Regenwetter ist in Mitteleuropa zu jeder Jahreszeit nicht ungewöhnlich. Aber es gehörte auch zum Germanientopos.

d
Da es auch für den geschilderten Ablauf der Schlacht eine Rolle spielt, dass die Witterung die Römer behinderte und wir ja gesehen haben, dass der Ablauf als der zuverlässige Teil der Schilderung Dios erscheint, würde ich nicht ausschließen, dass Dio das Regenwetter aus seinen Quellen übernommen hat.

e
Es scheint also, dass Cassius Dio bei der Beschreibung der Landschaft nur sein Bild Germaniens wiedergibt, dass jedoch aus Gründen des Zufalls -abzüglich der Unmöglichkeiten natürlich- sehr gut auch zutreffen könnte. Beim Regen ist es nur geringfügig anders. Und Unmögliches ist natürlich auszuschließen.

Cassius Dio macht nicht unglaubwürdig, dass er von schlechtem Wetter im Mittelgebirge berichtet. Diese Berichte bei Cassius Dio sind unglaubwürdig, weil es seiner Arbeitsweise entspricht, dass er hier ausschmückt, ausschreibt und übertreibt. Hinzu kommen dann noch die von El Quijote gemeinten physikalischen Unmöglichkeiten. Fliegende Bäume gibt es nicht. Aber sie machen auch nicht den ganzen Cassius Dio unglaubwürdig, sonst wäre er komplett zu streichen.

Cassius Dio ist kein Unbekannter, Teile seines Werkes können nicht isoliert betrachtet werden. Er mag hier gute Quellen gehabt haben, aber er hat sie behandelt, wie alle seine Quellen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was ist so ungewöhnlich daran, wenn zumindest tw. einheimische Germanen mit Topographie und Wetter besser zurechtgekommen sind als die Römer?

Zumindest sollte stutzig machen, dass laut Dio ein derartiger Sturm herrschte, dass Baumwipfel hinunterstürzten. Dieser Sturm hinderte aber nicht die Germanen, aus der Ferne von allen Seiten auf die Römer zu schießen und dabei anscheinend hohe Trefferquoten zu erzielen.
 
Die Stelle scheint mir auch eher auf die stadtrömische Politik denn auf die Feldzüge zu zielen.
So verstehe ich sie nicht. Es ist ja auch von der Größe des Reiches und den vielen Ereignissen in den auswärtigen Gebieten (gleich nach der zitierten Stelle), über die man keine zuverlässigen Informationen erhalte und von denen die meisten nicht einmal etwas erfahren würden, die Rede.
 
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