Der Russlandfeldzug Napoleons

Im übrigen kann ich nicht erkennen, dass dieser Umstand zu einer negativen Beurteilung Bagrations seitens der Historiker geführt hätte.l

Richtig und deshalb: Sofern man eine Charakterisierung von Bagration vornehmen kann und sie basiert auf der obigen Literatur, kann man folgende differenzierte Beschreibung von Bagration vornehmen.

Insgesamt hatte Bagration eine seinem Rang entsprechende "steile" Karriere durchlaufen. Mit Suvorow, unter dem er diente, hatte er vermutlich einen zur damaligen Zeit brillantesten Militär als "Lehrmeister"

1. Charakter: stürmischer Draufgänger mit der Tendenz leicht unbeherrscht zu sein

2. Soziale Netzwerke: Optimal im russischen Hof integriert und integraler Bestandteil der russischen Fraktion. Das sicherte ihm einen gewissen Einfluss auf die Entscheidungen des Zaren. Eine extrem wichtige Kompetenz für einen Heerführer!

3. Strategische Kompetenz: Schwer einzuschätzen, da er nicht wie Wellington oder Napoleon derartige Entscheidungen treffen mußte. Sehr wahrscheinlich hatte er weder das strategische Verständnis eines überragenden Wellingtons oder ebenso begabten Napoleons.

4. Operative Kompetenz: Der Rückzug nach Smolensk und die Erhaltung der 2. Armee war eine operarive Meisterleistung. Er war seinen potentiellen Gegnern 2 bzw. 3 zu 1 unterlegen. Diese Leistung war die Voraussetzung für die Schlacht bei Borodino und den Erhalt des militärischen Potentials des Zarenreichs.

5. Taktische Kompetenz: Sicherlich neben dem operativen Auftreten eine Stärke von Bagration. Zu verfolgen in Austerlitz, seinem Wirken beim Rückzug nach Austerlitz bei der Arriere-Garde und in den einzelnen Schlachten bzw. Scharmützeln bis. Borodino.

6. Organisator: Interessierte sich für die Ausbildung seiner Soldaten und wirkte als "strenger, aufgeklärter und jovialer" Offizier. In seinen Einheiten war eine damals durchaus noch gängige Härte gegen den "gemeinen" Soldaten nicht gerne gesehen.

7. Führungsfähigkeit: Als Offizier verfügte er über ein hohes Charisma und war bei seinen Soldaten wohl sehr beliebt. So schreibt beispielsweise Chandler, dass die Nachricht der Verwundung von Bagration während der Schlacht bei Borodino zu einer Niedergeschlagenheit der russischen Soldaten in der Nähe führte und zu einer teilweisen Rückzugsbewegung.

Gesamturteil: Folgt man obiger Literatur, so kann man ihn als beliebten und geachteten "Haudegen" beschreiben, der stürmisch und impulsiv war. Seine Stärken lagen in seinen taktischen und operativen Kenntnissen. Seine Schwäche war vermutlich die Fähigkeit, strategisch zu denken und zu planen.
 
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Seine Stärken lagen in seinen (...) operativen Kenntnissen. Seine Schwäche war vermutlich die Fähigkeit, strategisch zu denken und zu planen.

thane, ich denke deine Zusammenfassung trifft es sehr gut.

Møglicherweise hatte er nicht einmal strategische Schwæchen, s. Feldzug gegen das Osman. Reich und gegen Schweden.
Strategisch gefordert wurde er ja sonst nicht, da er ja sonst immer unter einem Oberkommando stand.
BTW, sind operative Kenntnisse nicht ein Teil von Strategie?

Gruss, muheijo
 
sind operative Kenntnisse nicht ein Teil von Strategie?

Nein, nicht ganz und die Formulierung von Strategien auf der operativen Ebene ist auch ein relativ neuer Bereich (ca. 20er Jahre des letzten Jahrhundert) der theoretischen Literatur über den Krieg als Handwerk oder Objekt der Theorieformulierung. Mit sehr wichtigen Beiträgen durch russische Theoretiker, wie beispielsweise von Isserson.

http://books.google.de/books?id=C17uxAfGKdIC&printsec=frontcover&dq=architect+in+soviet+victory+in&source=bl&ots=zjJE6XnADU&sig=w_TzdFx0BPetjROlYBM1SNDlL8I&hl=de&sa=X&ei=HUpkUKWvDebV4QSh54G4BA&ved=0CDEQ6AEwAA#v=onepage&q=architect%20in%20soviet%20victory%20in&f=false

Was ich im wesentlichen damit meine ist beispielsweise die "Denkschrift", die Wellington im Vorfeld der Kriegsführung auf der spanischen Halbinsel formuliert hatte.

In dieser Schrift analysierte er die Rahmenbedingungen der Kriegsführung (kleiner Krieg, die Verbündeten etc.), die Potentiale der Gegner und seine eigenen Möglichkeiten. Sie bildet für mich die "Grand Strategie", der er als Kommandeur später folgte.

Auf dieser Grundlage baute er seine konkreten operativen Handlungen oder auch operative Strategie auf, die eher die Planungen für konkrete Feldzüge oder bestimmten Zeitabschnitte berücksichtigte.

The Peninsular War: A New History - Charles Esdaile - Google Books

(So aus der Erinnerung, weil es mich "beeindruckt" hatte wie systematisch Wellington gedacht und gehandelt hatte. Ich hoffe, ich habe es in diesem Buch gelesen:))
 
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3. Strategische Kompetenz: Schwer einzuschätzen, da er nicht wie Wellington oder Napoleon derartige Entscheidungen treffen mußte. Sehr wahrscheinlich hatte er weder das strategische Verständnis eines überragenden Wellingtons oder ebenso begabten Napoleons.
Was ich im wesentlichen damit meine ist beispielsweise die "Denkschrift", die Wellington im Vorfeld der Kriegsführung auf der spanischen Halbinsel formuliert hatte.

In dieser Schrift analysierte er die Rahmenbedingungen der Kriegsführung (kleiner Krieg, die Verbündeten etc.), die Potentiale der Gegner und seine eigenen Möglichkeiten. Sie bildet für mich die "Grand Strategie", der er als Kommandeur später folgte.

Auf dieser Grundlage baute er seine konkreten operativen Handlungen oder auch operative Strategie auf, die eher die Planungen für konkrete Feldzüge oder bestimmten Zeitabschnitte berücksichtigte.
Deine Einschätzung zu Bagration widerspiegelt alles, was ich bisher zu ihm gelesen habe, von daher volle Zustimmung.

Erstaunt war ich - ganz ehrlich gesagt - hingegen zu deinen Aussagen zu Wellington, aber das mag daran liegen, dass ich den Militär Wellington nicht einschätzen kann.

Du hast völlig recht, dass Wellington nicht nur Militär war, sondern darüber hinaus strategisch denken und handeln konnte, was ihn zum Staatsmann machte.
Auch wenn es OT ist, mag mir ein Beispiel von vor dem Wiener Kongress erlaubt sein:
"Am 14 August (1814) schlug Castlereagh vor, er wolle auf seiner Reise nach Wien in Paris zu einem Meinungsaustausch mit Talleyrand Station machen.
"Die Weltlage", antwortete Welligton auf diesen Vorschlag, "wird naturnotwendig England und Frankreich zu Schiedsrichtern über Europa machen, falls diese beiden Mächte sich einander verstehen lernen. Ein solches Verstehen könnte zur Erhaltung des Friedens beitragen."" [1]

Jetzt aber zurück zum Thema, wobei zu Bagration nun wohl alles gesagt ist, aber vllt. gibt es noch einen anderen Punkt zum Rußlandfeldzug, der erörtert werden sollte?

Grüße
excideuil

[1] Kissinger, Henry A.: Das Gleichgewicht der Großmächte Metternich, Castlereagh und die Neuordnung Europas 1812 – 1822, Manesse Verlag, Zürich, 1986, Seiten 288/9
 
Ich würde sagen, weder, noch.

Aha, mit Beitrag # 116 nach über einem halbem Jahr?

Richtig.
Tarlé legt überzeugend dar, was Schwindel ist und was glaubhaft ist. Tarlé liefert Beispiele, wann Baschalow vor allem mit seinen Antworten getrickst hat, die Aussagen N. zu den russ, Generalen stehen nicht in der Kritik. (vergl. Tarlé, 1812, Rütten & Loening, 1851)

Grüße
excideuil

Ich habe auch noch etwas anderes zu tun. Die Übersetzung von Ritten & Loening erschien nicht 1851, geht ja auch nicht, weil Tarlé sein Buch erst fast 100 Jahre später geschrieben hat, sondern 1951 und zwar in der DDR. Der Typ heißt übrigens nicht Baschalow sondern Balaschow. Hast du dich mal mit Tarlé befasst? Er wurde ins Gefängnis gesteckt, danach verbannt. Dann hat er endlich klein beigegeben und so geschrieben, wie es die kommunistische Elite von ihm erwartet hat. Seine Bücher strotzen vor Fehlern, selbst in der Übersetzung, die in der Schweiz erschienen ist. Dafür mache ich nicht einmal Tarlé verantwortlich, weil der gar nicht so dämlich gewesen sein kann. Da haben wahrscheinlich verschiedene Zensoren herumgewurschtelt, die keine Ahnung hatten. Das typische Beispiel ist doch die Verwundung Bagrations. Er verblutet auf dem Schlachtfeld bei Borodino, dann doch wieder nicht. Er wird am Schienbein getroffen, dann blutet er aus einer großen Wunde am Oberschenkel? Reines Kaspertheater, was da geschrieben wird. Lasst mich bitte mit Literatur aus der DDR zur Zeit Stalins zufrieden.

Warum haben die Kommunisten eigentlich 1932 das Grab Bagrations zerstört, wenn er ein so großer Held war? Schreibt übrigens Mikaberidze, mit dem ich mich gerade befasse. Ich habe einen sehr großen Fundus an Büchern, aber ich habe keine Lust, jedesmal für dieses Forum darin rumzublättern. Wozu auch? Ein vernünftige Diskussion ist hier nicht möglich, weil einige glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben.

Anka Muhlstein bezeichnet Bagration als Beinahe-Analphabet. Seine Briefe mit Liebeserklärungen (selbst geschrieben oder diktiert) an Jermolow könnte man heute mißverstehen. Während des ganzen Feldzuges 1812 hat Bagration Barclay de Tolly sabotiert. Er hat Barclay de Tolly vor der Schlacht von Smolensk im Stich gelassen. Im Gegensatz zu einigen russischen Quellen war Bagration an der Schlacht bei Smolensk überhaupt nicht beteiligt. Manche behaupten, er hätte die Nachhut geführt, dabei hat Barclay de Tolly den Risikofaktor Bagration bereits als Vorhut vor Beginn der Schlacht weggeschickt. Der ist dann bis nach Dorogobusch marschiert, von wo er wieder weinerliche Brief an Jermolow geschickt hat. An der Schlacht bei Walutina Gora war er nicht beteiligt. In Mohilew hat er sich trotz dreifacher Überlegenheit zurückgezogen, weil er befürchtete, dass ihm das ganze Korps von Davout gegenüberstand, was nicht der Fall war. Bei den Siegen, die ihm 1812 zugeschrieben wurden, war er überhaupt nicht dabei. Das waren Gefechte seiner Nachhut.
 
Zuletzt bearbeitet:
Pünklich zum 200. Jahrestag des Rußland-Feldzuges hat die russische Münze die Helden des Krieges mit 16 Gedenkmünzen zu 2 Rubel geehrt:

Münzenkatalog Russland

(ganz unten -rechts!)

Wenig erstaunlich sind Namen wie Alexander I., Kutusow, - natürlich - Bagration, Barcley de Tolly, Rajewski, Platow, Wittgenstein oder Ostermann-Tolstoi ...

Erstaunlich die Ehrung für Nadeschda Durowa, einen weiblichen Kavallerieoffizier.

Erstaunlich auch die Würdigung des Partisanenkrieges mit Dawydow oder mit der Wassilissa, die bei Lieven oder Zamoyski nicht einmal erwähnt wird.

Zu ihr schreibt Tarlé:
"Über die Vergewaltigung von Frauen, die dem Feind in die Hände gefallen waren, empörten sich die Bauern sehr. Sie behandelten die Feinde daraufhin besonders grausam. Die anfänglichen Gerüchte über Vergewaltigungen erwiesen sich als wahr. Nicht selten kam es vor, dass Frauen - ebenso wie es die Dorfälteste Wassilissa im Kreis Sytschewka, Gouvernement Smolensk, tat - Franzosen gefangen nahmen, sie mit Mistgabel und Sense niedermachten und versprengte Troßteile überfielen. Über die Beteiligung der Frauen am Volkskriege besitzen wir wir eine Reihe von Berichten, in denen Gestalten wie die Wassilissa oder die Spitzenklöpplerin Praskowja von Duchowstschina von Legenden umrankt, und Dichtung und Wahrheit schwer auseinander zu halten sind." (Tarlé, 1812, Berlin, 1951, Seite 380)

Offensichtig hat der Partisanen- und Volkskrieg in Rußland noch heute eine andere Bedeutung als akt. Werke, vor allem Zamoyski vermitteln.

Grüße
excideuil
 
Offensichtig hat der Partisanen- und Volkskrieg in Rußland noch heute eine andere Bedeutung als akt. Werke, vor allem Zamoyski vermitteln.

Dies findet auch in einer akt. russischen Briefmarkenedition ihren Niederschlag:

block 1812.jpg

Überschrift: 200 Jahre des Sieges Rußlands im Vaterländischen Krieg im Jahre 1812

links und rechts über dem russischen Doppeladler dann die symbolische Darstellung von Armee und Volk.

Grüße
excideuil
 
Wie ist das zu verstehen, exci? :grübel:

Sorry, da meine Antwort erst jetzt!

"Dawydow wurde von Puschkin als Held gefeiert und von Walter Scott bewundert, in dessen Arbeitszimmer auch ein Portrait von ihm hing, bevor er von Tolstoj in Krieg und Frieden in der Gestalt des Denisow verewigt wurde. Seine Erfolge wurden in umlaufenden Geschichten stark übertrieben, und viele der ihnen zugeschriebenen Heldentaten sind schlicht absurd. So versichert uns ein sowjetischer Historiker, dass eine russische Abteilung von 100 Mann ein von 2 Kavallerieschwadronen und 2 Infantriekompanien verteidigtes Dorf angegriffen habe. Die Russen hätten 124 Franzosen getötet und weitere 101 gefangengenommen, auf ihrer Seite habe es nur 2 Verwundete gegeben und zusätzlich 6 verletzte oder getötete Pferde. Man kann sich leicht ausrechnen, dass in der Zeit, die erforderlich ist, um 124 Männer umzubringen, eine beträchtliche Zahl von Russen umgekommen oder verletzt worden sein muss - es sei denn, die Franzosen hätten sich nach kurzem Schußwechsel ergeben und wären dann abgeschlachtet worden. Sergej Wolkonskij, der eine dieser Partisaneneinheiten befehligte, gab zu, dass die meisten der dieser heroischen Geschichten Märchen waren. Bei dieser Form von Kriegsführung kam es gerade darauf an, möglichst behutsam zu operieren und kein Risiko einzugehen. Dazu vermied man am besten ein Gefecht und überrumpelte die franz. Abt. im Schlaf. Auch war die Wirklichkeit nicht ganz so glorreich wie die Legende. Figner war ein kaltblütiger Mörder und Sergej Lanskoj, nach Aussage des russ. Generals Langeron, ein Vergewaltiger und Bandit.
An den Rändern der von den Franzosen besetzten Gebiete operierten auch mehrere "Guerillagruppen", wie man sie nennen könnte. Aber auch hier durchdringen sich Wahrheit und Legende, denn die Vorstellung einer patriotischen Bauernschaft gefiel Slawophilen und Kommunisten gleichermaßen. Die Existenz dieser Gruppen läßt sich quellenmäßig weder bestätigen noch widerlegen; an Quellen war ohnehin nie viel vorhanden. Man kann allenfalls wiedergeben, was russ. Historiker dazu geschrieben haben, und es mit der gebotenen Skepsis aufnehmen." [1]

Die Erfolge der Partisanen nur ein Märchen, nur Übertreibung? Ihre Führer i.d.R. Mörder und Verbrecher?
Natürlich mischten sich Wahrheit und Legende in einem Land, wo die Mehrheit weder lesen noch schreiben konnte. Und natürlich übertreibt die Legende. Aber sie konnte nur übertrieben/überliefert werden, wenn es auch eine Basis dazu gab.

Die Russen sehen dieses Thema wohl immer noch etwas anders.

Grüße
excideuil

[1] Zamoyski, Adam: 1812, Napoleons Feldzug in Russland, C.H. Beck, München, 2012 (2004), Seiten 373/4
 
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