Wer sich klar macht, dass Dialekt und Sprache nicht wirklich abgegrenzt werden können, wird an der Sinnhaftigkeit einer punktuellen Abgrenzung sowieso nicht glauben.
Maglor hat da diesen schönen jiddischen Spruch in seiner Signatur, den Weinreich verbreitet hat: Eine Sprache ist ein Dialekt mit Armee und Flotte. Und das bringt es aus sprachwissenschaftlicher Perspektive auf den Punkt. Linguistisch gibt ist jede Sprache nichts weiter als ein Dialekt. Es sind - oft - politische Entscheidungen, auf nationaler Ebene einem bestimmten Dialekt den Vorzug zu geben, der dann zur
Dachsprache ausgebaut wird. Um wenigstens irgendwie unterscheiden zu können, was noch Dialekte und was schon eigene Sprachen sind, haben Sprachwissenschaftler wie Heinz Kloss das Instrumentarium von Abstand und Ausbau entwickelt. Wenn zwei Sprachen nicht mehr untereinander ohne weiteres verständlich sind, sind es Abstandsprachen. Eine Sprache, die auf überdialektaler Ebene zur (v.a. schriftlichen) Kommunikation verwendet wird, ist eine Ausbausprache. Oft sind das willkürliche Entscheidungen, was zur Ausbausprache wird, oft liegt das daran, dass eine Sprache ein bestimmtes Prestige hat (so wurde z.B. der Dialekt des Toledaner Hofes im 13. Jahrhundert nicht aufgrund einer politischen Entscheidung, sondern aufgrund des sozialen Prestiges zur kastilischen Hochsprache und hat sich in seiner heutigen Form zur Ausbausprache entwickelt, welche andere spanische* Varietäten überdacht, sprich, auf deren Kosten sich ausbreitet. Dagegen behaupten können sich vor allem das Galicische (weil das Portugiesische als Dachsprache ein vom galicischen abgeleiteter Dialekt ist), das Euskera als nichtverwandte Sprache und das Katalonische mit seinen Dialekten (Valencianisch und Balearisch, sowie, aussterben, Alguerisch (nicht zu verwechseln mit Algerisch)), Bable, Aragonesisch, Leoneisch und Extremeñisch sind dagegen als lebendige Sprachen dem Untergang geweiht. In Italien war das Optieren für den Florentiner Dialekt als offizielle Staatssprache Nr. 1 eine relativ politische Entscheidung, die allerdings auch darauf basierte, dass die Toskana im ausgehenden Mittelalter (Renaissance) der Ort für italienische Literaturproduktion schlechthin war, insofern war es auch hier wieder das soziale Prestige, welches dieser Dialekt genoss. Und auch in Dtld. war es im Prinzip die Lutherbibel, die darüber entschied, welche Varietät zur Nationalsprache ausgebaut wurde.
Die Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt ist also die eines mehr oder weniger bewussten Ausbaus einer Varietät. Und der Abstand: Protugiesen und Spanier können sich miteinander unterhalten, es ist aber schwierig. Spanier und Italiener oder Spanier und Franzosen verstehen sich so gut wie gar nicht untereinander. Auch Italiener und Rumänen (bei denen [k] oft zu [p] geworden ist (
quattuor >
cuatro,
quatre,
quattro, aber
patro;
aqua >
agua,
eau,
acqua, aber
apa/
apă) haben es untereinander schwer. (Immer vroausgesetzt, dass die Leute nur ihre Muttersprache kennen.) Die (vulgär)lateinische Koiné ist nach 476 eben auseinandergefallen.
Auch wir verstehen zwar (gelesen) vieles von dem, was Niederländer so von sich geben, manche Worte haben auch eine gewisse Logik (z.B.
geschiedenes für 'Geschichte'), aber eine Unterhaltung ist doch ein wenig schwer. Ich lästerte mal gegenüber einer Niederländerin in Jerez (auf Spanisch), dass "ihr Niederländer von der Autobahn herunterreitet" (Ausfahrt heißt auf Niederländisch Afrit > ('Abritt')), die Niederländerin konterte: Die Ausfahrt sei viel schlimmer, denn die
Outfaart sei die Fahrt mit dem Leichnam zum Friedhof. Für den, der nicht zufälligerweise noch Niederdeutsch spricht, für den ist der Abstand zum Niederländischen lexikalisch und phonetisch mittlerweile so groß, dass die Sprachen eben nicht mehr intelligibel sind.
*spanisch ist hier nicht linguistisch, sondern national gemeint.