Erfolgsgeheimnis der slawischen Sprachen?

Um eine Sache noch aufzugreifen und - obwohl Off Topic - geradezurücken...

"Ich gehe auf der Straße" oder "ich gehe auf die Straße".
Hamburger hat hier die russische Satzstruktur auf Deutsch wiederzugeben versucht.
Tekker hatte dabei auf eine diesbezüglich durchaus wichtige Sache hingewiesen.

Im Russischen verlangt "на" den Präpositiv (6. Fall), wenn die Aussage ortsbezogen ist - die zugehörige Frage im vorliegenden Fall "Wo gehst Du?"
Urvo hatte den Satz bereits dankenswerterweise korrekt wiedergegeben:
Ich gehe auf der Straße.
Я иду на улице.

ABER: "на" verlangt den Akkusativ (4. Fall), wenn die Aussage wegbezogen ist - die zugehörige Frage im vorliegenden Fall "Wohin gehst Du?"
Dann lautet der Satz:
Ich gehe auf die Straße.
Я иду на улицу.

Das ist für Nichtrussen eben auch nicht ganz so einfach, weil man wissen muß, wann "на" den Akkusativ und wann den Präpositiv verlangt, und zudem die entsprechenden Endungen gemäß grammatikalischer Geschlechter kennen muß...
 
Birgit Scholz schreibt in ihrem Buch Von der Chronistik zur modernen Geschichtswissenschaft. Die Warägerfrage in der russischen, deutschen und schwedischen Historiographie. Harrassowitz, Wiesbaden 2000, daß sich sowohl Skandinavier,als auch slawische Männer zu den Warägerbünden zusammenschlossen und die wenigen Skandinavier desshalb alsbald slawisiert wurden.

Wenn wir aber schon beim Russischem sind: Es gibt dort nur 3 Zeitformen und nicht 6 wie z.B. im Deutschen. Auch der starre Satzaufbau mit festen Plätzen des Subjekts und Objekts ist der russischen Sprache fremd, sodaß die Bedeutung des Satzes sich aus den Subjekt- und Objektendungen ergibt. Wo sich nun Subjekt und Objekt im Satz befinden, ist völlig egal.
 
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Ich kann für meine Person nur bestätigen, dass ich trotz intensiven Unterrichts (5.-12. Klasse) die russische Grammatik immer nur rudimentär anwenden konnte. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich auch dem Gebiet des Sprachenerlernens eine besonders schlimme Blindbiese war bzw. bin. Trotzdem hat es immer für eine 2 gereicht.
 
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Wenn wir aber schon beim Russischem sind: Es gibt dort nur 3 Zeitformen und nicht 6 wie z.B. im Deutschen. Auch der starre Satzaufbau mit festen Plätzen des Subjekts und Objekts ist der russischen Sprache fremd, sodaß die Bedeutung des Satzes sich aus den Subjekt- und Objektendungen ergibt. Wo sich nun Subjekt und Objekt im Satz befinden, ist völlig egal.

Dafür hat Russisch wiederum eine relativ große Anzahl an Flexionsendungen u. dgl.; wenn wir über Zeitformen reflektieren, sollte zudem nicht unerwähnt bleiben, daß es zwei Aspekte (unvollendet und vollendet) gibt (differenziert verschiedene Formen in Futur und Präteritum; lediglich im Präsens gibt es nur den unvollendeten Aspekt).
Außerdem - wenn wir den Vergleich mit Deutsch bemühen - haben wir im Russischen zudem andererseits auch 4 Partizipien anstatt 2.
 
Wenn wir aber schon beim Russischem sind: Es gibt dort nur 3 Zeitformen und nicht 6 wie z.B. im Deutschen. Auch der starre Satzaufbau mit festen Plätzen des Subjekts und Objekts ist der russischen Sprache fremd, so dass die Bedeutung des Satzes sich aus den Subjekt- und Objektendungen ergibt.

Es ist vermutlich methodisch falsch, nach dem Russischen zu gehen, da dies ja nur ein vorläufiges Ende einer weit über tausendjährigen Sprachentwicklung ist. Sinnvoller ist es, auch den synchronen Vergleich mit anderen slawischen Sprachen zu ziehen und sich insbesonderen historische Sprachformen des Slawischen anzuschauen. Die älteste belegte Form des Slawischen ist bekanntermaßen das Altkirchenslawische. Ich muss mich hier auf das verlassen, was Wikipedia schriebt, da ich keine Ahnung von den slawischen Sprachen habe:

Das altkirchenslawische Konjugationssystem, welches sich grob in fünf Klassen unterschiedlicher Verbalstammbildung gliedert, umfasst die Kategorien Person, Numerus, Modus, Genus und Tempus. Am Verb werden Person (erste, zweite, dritte) und Numerus (Singular, Dual, Plural) sowie Modus (Indikativ, Konjunktiv und Imperativ) markiert. Im Aktiv wird ebenfalls durch verschiedene Personalendungen noch das grammatische Geschlecht unterschieden. Das Tempussystem besteht aus dem Präsens, Futur I/II, Imperfekt, dem aus dem Griechischen bekannten Aorist, Perfekt und Plusquamperfekt, welche durch Bildung von Stammsuffixen ausgedrückt werden.
Gegenüber dem, was das Deutsche kennt, kennt das Altkirchenslawische je eine zusätzliche Numerus- (der Dual) und Tempusform (Aorist).
 
Auch ich verlasse mich einmal auf die Wikedia, welche schreibt, daß der Aorist aus dem indogermanischem stammt und die griechische Sprache speuiell die bulgarische, serbokroatische und türkische Sprache beeinflusste.
Geographisch sicher zu Recht, da die Länder unmittelbar an Griechenland anliegen bzw. geradeinmal durch die Ägäis getrennt sind, und somit ein reger Kulturaustausch stattfand.

Und damit kommt man sicher auch zum Knackpunkt und ich glaube immer noch, daß es einen Zusammenhang gibt, der analog der Grund ist, warum man beispielsweise heute in Brasilien portugiesisch und in den USA englisch spricht. Als die Slawen ihre Wohnsitze nach Westen vorschoben, assimilierten sie die dort lebende Bevölkerung und diese übernahm dann ganz profan die Sprache und wurde irgendwann selber zu Slawen.
 
@Hamburger: Als die Slawen ihre Wohnsitze nach Westen vorschoben, assimilierten sie die dort lebende Bevölkerung und diese übernahm dann ganz profan die Sprache und wurde irgendwann selber zu Slawen.
So muss man sich das in der Tat vorstellen. Es gab zwar nach der Völkerwanderung eine germanische bzw. griechisch-romanische Restbevölkerung in später von Slawen besiedelten Gebieten, aber keine staatliche Autorität oder starke Stammesverbände. Die waren vernichtet oder abgezogen. Man muss sich den Vorgang als ein mehr oder minder friedliches "Einsickern" vorstellen. In Mitteleuropa war damit dort Schluss, wo Sachsen, Franken, Thüringer etc. gefestigte Strukturen aufwiesen. Das war, grob gesehen, westlich der Elbe der Fall.
 
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Auch ich verlasse mich einmal auf die Wikedia, welche schreibt, daß der Aorist aus dem indogermanischem stammt und die griechische Sprache speziell die bulgarische, serbokroatische und türkische Sprache beeinflusste.
Geographisch sicher zu Recht, da die Länder unmittelbar an Griechenland anliegen bzw. geradeinmal durch die Ägäis getrennt sind, und somit ein reger Kulturaustausch stattfand.

Leider deutest Du den Befund falsch, da Du im Vergleich mit älteren Sprachstufen des Russischen und des Polnischen feststellen wirst, dass diese den Aorist ebenso kannten. Es handelt sich bei dem Aorist in den südslawischen Sprachen also um ein Überbleibsel, nicht um ein Adstrat aus dem Türkischen oder Altgriechischen.

Und damit kommt man sicher auch zum Knackpunkt und ich glaube immer noch, daß es einen Zusammenhang gibt, der analog der Grund ist, warum man beispielsweise heute in Brasilien portugiesisch und in den USA englisch spricht. Als die Slawen ihre Wohnsitze nach Westen vorschoben, assimilierten sie die dort lebende Bevölkerung und diese übernahm dann ganz profan die Sprache und wurde irgendwann selber zu Slawen.

Das steht ja völlig außer Frage. Schau mal: Maglor beschreibt einen Befund, nämlich den, dass von der Elbe im Westen bis nach Moskau im Osten (und letztlich bis Wladiwostok) und von Arch-Angelsk und Nowgorod im Norden, bis nach Asenowgrad im Süden das Slawische sich ausgebreitet hat. Er fragt, warum das so ist. Und Du kommst mit der Antwort, dass sich das Slawischen so weit ausgebreitet habe. Merkst Du, wo das Problem liegt? Deine Antworten gehen hinter den Stand der Frage zurück. Die Frage ist doch: Warum konnten die Slawen die Wohnbevölkerung assimilieren und wurden nicht umgekehrt ihrerseits assimiliert?
 
Das hin und her ist ja in diesem Zusammenhang sehr bemerkenswert einmal Verschiebung der Sprachgrenze über hunderte von km von Ost nach West, dann umgekehrt wieder zurück von West nach Ost.

Deshalb meine Vermutung die "bäuerliche slawische Kultur" (aus AiD) kannte die besseren Antworten auf die Fragen der Zeit, Völkerwanderungszeit, frühes Mittelalter,
und hat sich deshalb auch sprachlich durchgesetzt.

Umgekehrt die städtische handwerkliche deutsche Kultur auf die Fragen des späten Mittelalters, der beginnenden Neuzeit.

Wobei, in Böhmen+Mähren hat sich die Entwicklung aus eher religiösen Gründen in der beginnenden Neuzeit wiederum gedreht.
 
von der Elbe im Westen bis nach Moskau im Osten (und letztlich bis Wladiwostok) und von Arch-Angelsk und Nowgorod im Norden, bis nach Asenowgrad im Süden

Hier muß imho differenziert werden. Die Gründe der "ersten Verbreitungswelle" aus den Pripjetsümpfen in alle Richtungen dürften andere sein als die für die Ausbreitung von Moskau nach Wladiwostok. :winke:
 
@Repo Welche besondere Antwort auf die Probleme der Völkerwanderungszeit hatten denn die Slawen deiner meiner Meinung nach?
Es sieht ja mehr so aus, als suchten die Slawen gerade in der Frühzeit geradezu die Nähe von Samo, den skandinavischen Rurikiden, Awaren oder die Proto-Bulgaren.
Die vorslawische, also germanische Bevölkerung Ostelbiens hatte sehr wohl eine erfolgreiche Antwort, die nennt sich Allamannen. Die Frage ist, ob die dortige Bevölkerung nach Abwanderung eines semnonisch-juthungischen Traditionskern, nicht offener auf slawische Einwanderer reagierte.
Die Elbslawen hatten allerdings keine erfolgreiche Antwort auf die Probleme des Mittelalters. Da sie am Heidentume festhielten, kam es zum Wendenkreuzzug, der Anfang vom Niedergang der Wenden. Entscheidet ist hier, dass dieser Teil des Westslawen nie eine eigene "Hochsprache" entwickelte, da weder eine eigener Staat noch eine eigene Kirche gegeben waren. Die Sprache des Adels und Kirche war deutsch bzw Latein.
Anschaulich sind solche Zusammenhänge noch bei den Kaschuben. Während die prostetantischen Kaschuben im 19. ihre Sprache aufgaben, erhielten die katholischen Kaschuben in Westpreußen ihre Sprache.
 
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@Repo Welche besondere Antwort auf die Probleme der Völkerwanderungszeit hatten denn die Slawen deiner meiner Meinung nach?
Es sieht ja mehr so aus, als suchten die Slawen gerade in der Frühzeit geradezu die Nähe von Samo, den skandinavischen Rurikiden, Awaren oder die Proto-Bulgaren.
Die vorslawische, also germanische Bevölkerung Ostelbiens hatte sehr wohl eine erfolgreiche Antwort, die nennt sich Allamannen. Die Frage ist, ob die dortige Bevölkerung nach Abwanderung eines semnonisch-juthungischen Traditionskern, nicht offener auf slawische Einwanderer reagierte.
Die Elbslawen hatten allerdings keine erfolgreiche Antwort auf die Probleme des Mittelalters. Da sie am Heidentume festhielten, kam es zum Wendenkreuzzug, der Anfang vom Niedergang der Wenden. Entscheidet ist hier, dass dieser Teil des Westslawen nie eine eigene "Hochsprache" entwickelte, da weder eine eigener Staat noch eine eigene Kirche gegeben waren. Die Sprache des Adels und Kirche war deutsch bzw Latein.
Anschaulich sind solche Zusammenhänge noch bei den Kaschuben. Während die prostetantischen Kaschuben im 19. ihre Sprache aufgaben, erhielten die katholischen Kaschuben in Westpreußen ihre Sprache.


Der Wendenkreuzzug spielte wohl die Rolle nicht.

Die Übernahme von Sprache und Kultur geschah außerhalb der Ordensgebiete meines Wissens friedlich.
Der letzte Slawenfürst hat doch 1918 erst demissioniert.:cool:


Zur "überaus erfolgreichen slawischen Kultur" lese ich heute abend mal das AiD Heft nach.
 
@Repo Welche besondere Antwort auf die Probleme der Völkerwanderungszeit hatten denn die Slawen deiner meiner Meinung nach?
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AiD Sonderheft 2005 "Die Völkerwanderung"
Es ist die Rede vom "überaschend erfolgreichen, sozial wenig differenzierenden slawischen Kulturmodell" das die Verbreitungsgebiete der Germanen gehörig eingeengt hätte, weiter nichts.
Die "passenden Antworten auf die Probleme der Völkerwanderungszeit" demnach mein Erklärungsversuch.
 
Es sieht ja mehr so aus, als suchten die Slawen gerade in der Frühzeit geradezu die Nähe von Samo, den skandinavischen Rurikiden, Awaren oder die Proto-Bulgaren.

Das könnte vielleicht der Schlüssel sein, warum sich das Slawische durchsetzte!
Wir haben Slawen, die ins oströmische Reich einsickern, wir haben Slawen, die von Wolgabulgaren beherrscht werden, wir haben Slawen, die in Symbiose mit Skandinaviern leben oder von diesen beherrscht werden. Wir wissen über Aḥmad Ibn Faḍlān, dass Bulgaren und Skandinavier in Kontakt standen, wir wissen, dass Skandinavier mit Byzanz in Kontakt standen und dass die Bulgaren in Kontakt mit Byzanz standen. Möglicherweise konnte sich das Slawische daher zur Lingua franca zwischen diesen drei Mächten entwickeln und damit das ausreichende Prestige entwickeln, um sich schließlich gegenüber den anderen Sprachen durchzusetzen. Immerhin verdrängte es im Balkan zumindest teilweise die Literatur- und Verwaltungssprachen Griechisch und Latein.
 
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Das könnte vielleicht der Schlüssel sein, warum sich das Slawische durchsetzte!
Wir haben Slawen, die ins oströmische Reich einsickern, wir haben Slawen, die von Wolgabulgaren beherrscht werden, wir haben Slawen, die in Symbiose mit Skandinaviern leben oder von diesen beherrscht werden. Wir wissen über Aḥmad Ibn Faḍlān, dass Bulgaren und Skandinavier in Kontakt standen, wir wissen, dass Skandinavier mit Byzanz in Kontakt standen und dass die Bulgaren in Kontakt mit Byzanz standen. Möglicherweise konnte sich das Slawische daher zur Lingua franca zwischen diesen drei Mächten entwickeln und damit das ausreichende Prestige entwickeln, um sich schließlich gegenüber den anderen Sprachen durchzusetzen. Immerhin verdrängte es im Balkan zumindest teilweise die Literatur- und Verwaltungssprachen Griechisch und Latein.


sorry, aber das ist nun doch sehr akademisch.
Sprich weit hergeholt.

AiD spricht auch vom "erfolgreichen Kulturmodell" nicht vom Sprachmodell soll heißen die Kultur hat sich durchgesetzt. Nicht "nur" die Sprache.
 
sorry, aber das ist nun doch sehr akademisch.
Sprich weit hergeholt.

AiD spricht auch vom "erfolgreichen Kulturmodell" nicht vom Sprachmodell soll heißen die Kultur hat sich durchgesetzt. Nicht "nur" die Sprache.

Und worin bestand dieses "erfolgreiche Kulturmodell"? Die Slawen orientierten sich schließlich an der mittelmeerischen Kultur, sprich an Byzanz und an der orthodoxen Kirche. Slawische Schriftkultur? Wurde von Byzantinern zu Missionszwecken entwickelt. Herrschaft drückt sich in byzantinischen (Zar) und turksprachigen bzw. persischen (Khan) Begriffen aus. Das Berufswesen dürfte im mittelmeerisch geprägten Raum trotz des kulturellen Niedergangs noch weitaus spezialisieter gewesen sein, als das bei spätantiken/frühmittelalterlichen Germanen oder Slawen.
Ich bleibe zunächst dabei: Das Slawische als gemeinsame Volkssprache einer von drei untereinander in Kontakt stehenden Mächten beherrschten Bevölkerung konnte sich durchsetzen, weil es Vorteile als Diplomatensprache hatte. Es mag sein, dass diese These falsch ist, aber sie scheint mir plausibler als alle Erklärungen die ich bisher in diesem Thread lesen durfte. Wenn man nur sagen kann, dass die Slawen ein erfolgreicheres Kulturmodell hatten, aber nicht erklären kann, worin dieses lag, dann ist der Begriff des Kulturmodells nur eine Scheinlösung und schwammig.
 
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