In Anbetracht der langen Strecke, die die Oghusen zurück gelegt haben, halte ich es für unwahrscheinlich, dass die, die damals wirklich eingewandert sind, besonders mongolid waren. Selbst wenn, die wenigen mongoliden Merkmale dürften schon in den ersten Jahrhunderten durch Vermischungen verschwunden sein.
Über die ethnische Herkunft der Turkvölker wissen wir herzlich wenig.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es eine ziemlich große Bandbreite zwischen
europiden und
mongoliden Elementen gab, je nach dem, welche Gruppen, Populationen oder Stämme miteinander verschmolzen. Die aus dem Raum zwischen Aralsee und Altai nach Mittel- und Vorderasien einbrechenden türkischen Oghusen waren meines Erachtens eher europid, und was eventuell an mongolider Substanz vorhanden war, verlor sich durch die Verschmelzung mit Persern und Arabern sowie in Kleinasien mit der autochthonen kleinasiatischen Bevölkerung, die eindeutig europid war.
Es wird ja häufig selbst verständlich angenommen, dass die eingewanderten Türken besonders mongolid waren. Eine wissenschaftliche Grundlage hat diese Annahme aber nicht.
Gibt es da einen wissenschaftlichen Dissens, der mir verborgen geblieben ist?
Eine selbstverständliche Annahme, die Türken seien
mongolid gewesen, kann es natürlich nicht geben. Angesichts der jahrhundertelangen engen Nachbarschaft zu mongolischen Völkern ist allerdings nicht auszuschließen, dass manche Turkstämme stärkere mongolide Einschläge aufweisen. Das kann, glaube ich, jeder einräumen. Es ist ja auch nicht so, dass dies ein Makel wäre!
Es wird ja häufig angenommen, dass die früheren Bewohner der Mongolei mehrheitlich mongolid waren, weil die heutigen Bewohner des Landes mongolid sind. Ich hab hier ein paar Zitate, die zeigen, dass das aber nicht so einfach ist.
Da hast du ja wirklich aufschlussreiche Publikationen und Stellen gefunden, die überzeugend sind. Der von dir zitierte Golden sagt zu Recht:
»Die Ethnogenese der Türken liegt bis heute im Dunkeln, vieles ist unsicher und kann nur mit Vorsicht und unter Schwierigkeiten rekonstruiert werden. […] Ebenso unklar ist es, ob die erste Urheimat der Türken mit dem Altai, mit Südsibirien und der Trans-Baikal-Region oder mit dem transkaspischen Gebiet identifiziert werden soll ..."
Das sind Feststellungen, die wir weiter oben auch schon getroffen haben
, denn die Ethnogenese ider Türken ist in der Tat ins Dunkel gehüllt, wie das bei allen Prozessen der Fall ist, wo Völker entstehen. Und auch die Sache mit der "Urheimat" - von vielen Ethnologen und Historikern stets eiifrig gesucht - ist offen. Es muss reichen, einen Raum anzunehmen, der von Sibirien bis zur Mongolei geht, also Innerasien umfasst. Mehr kann man nicht sagen, ohne auf verwickelte und umstrittene Spekulationen zurückzugreifen.
Nach Golden soll das Gebiet der heutigen Mongolei von Iraniern bewohnt gewesen sein.
Das halte ich für eine sehr gewagte Hypothese, die sich kaum schlüssig beweisen lässt. Skythen, Alanen, Sarmaten, Yüeh-chi (echte Tocharer) und andere iranische Völker haben in historischer Zeit nie im Raum der heutigen Mongolei gesessen. Es gibt für eine solche Behauptung keine schlüssigen Beweise.
Denkbar ist allerdings, dass sich Reste iranischer Völker bei Ausbreitung der Türken mit ihnen vermischten. Es kann ja nicht sein, dass sich alle im 3./4. Jh. historisch noch fassbaren Sarmaten und Alanen nördlich vom Schwarzen und Kaspischen Meer in Luft aufgelöst haben, denn bereits im 5./6. Jh. sind alle iranischen Reitervölker verschwunden und wir finden in den zuvor von ihnen eingenommenen Räumen nur noch Turkvölker.
Ich könnte mir also denken (Hypothese!), dass uns unbekannte iranische Splittergruppen an der türkischen Ethnogenese beteiligt waren. Dass diese Iraner mongolid waren, davon kann man nicht ausgehen. Alle uns bekannten antiken Iraner - Perser, Alanen, Baktrier, Saken, Skythen usw. - waren eindeutig europid.
IBertold Spuler schreibt in „Handbuch der Orientalistik“, das nicht-türkische Völker an der Ethnogenese der frühen Türken in Zentralasien einen bedeutenden Anteil hatten:
Schönen Dank für den ausführliche Auszug von
Bertold Spuler. Er sagt das, was wie benfalls festgestellt haben. Die Ethnogenese der Türken war beeinflusst von Völkern, die im Gebiet ihrer Entstehung oder an seinen Rändern lebten. Es handelt sich um ältere Bevölkerungsgruppen, die von den Türken überschichtet und assimiliert wurden. Und das waren vermutlich (!) sowohl iranische Gruppen als auch altaische wie die Juan-Juan (Rouran) oder Hsiung-nu, wobei bis heute unklat bleibt, ob diese Völker nun europid oder mongolid aussahen oder sie eine Turksprache oder ein mongolisches Idiom sprachen. Die Forschungl geht aber seit geraumer Zeit davon aus, dass es sich bei Hsiung-nu, Hunnen oder Awaren um turkstämmige Völker handelte.
Die heutige Bevölkerung von Tuva (nordwestlich der Mongolei) ist mongolid. Die Tuwiner sind von allen Turkvölkern den Mongolen von Aussehen her am ähnlichsten. Aber zur Zeit der Hunnen war die Bevölkerung eher europid ...
Anthropologische Untersuchungen eines Gräberfeldes, das in die Alttürkenzeit datiert wird, zeigen, dass die Bevölkerung in dieser Region zur damaligen Zeit von der Rasse her uneinheitlich war ...
Wir werden heute nicht mehr zweifelsfrei ergründen können, welcheethnische Struktur die frühen Turkvölker im einzelnen hatten. Es scheint doch ganz offensichtlich so zu sein, wie das auch im Beutrag von Spuler anklingt: An der türkischen Ethnogenese waren verschiedene Gruppen beteiligt, sodass es zwischen mongoliden und europiden Typen eine große Vielfalt gab. Die um das Jahr 1000 unter Seldschuk nach Vorderasien eindringenden Oghusen scheinen jedenfalls in erster Linie europid gewesen zu sein.