Falsche Überlieferung der Varusschlacht?

Dieses Thema im Forum "Das Römische Reich" wurde erstellt von Griffin, 7. September 2020.

  1. Griffin

    Griffin Mitglied

    Verstanden. Danke!
     
  2. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    Welches Haus aus dem Jahr 2020 hat denn noch ein Klo aus dem Jahr 1900? Es geht im übrigen auch nicht um weiterverabeitetes Holz zu Tischen, Stühlen oder meinetwegen Parkettböden, sondern konkret um Baumstämme, sonst könnten die Dendrochronolgen nicht auf das Jahr genau datieren.

    Die Dendrochonolgen sind inzwischen so fit, dass sie sagen können, wann ein Baum gefällt wurde. Wie sinnvoll sollte es denn sein, einen Baum im Jahr 5 n.Chr. zu fällen, den Stamm 10 Jahre lang irgendwo liegen zu lassen, damit dann im Jahr 15 oder 16 n.Chr. Germanicus, der zufällig vorbeikam, ihn zu einem Donnerbalken verarbeiten lassen kann?

    Außer dem archäologischen Hinweis gibt es ja auch noch den urkundlichen von Velleius Paterculus, der damit ungefähr übereinstimmt.

    Du überträgst deine "Ahnung" von militärischen Vorgehensweise des 20. oder 21 jahrhunderts auf römische Legionen. Wenn das keine Killerphrase ist, dann weiß ich es auch nicht.
     
  3. Divico

    Divico Aktives Mitglied

    In Berlin kannte ich einen, der hatte ein perfekt erhaltenes Jugendstil-Klo — Onyx an den Wänden und noch die originalen Kranich-Armaturen aus Messing. Ich bin selten neidisch, aber in dem Fall musste ich eine Ausnahme machen.
    Wenn ich mir einen Donnerbalken anfertigen würde, nähme ich auch lieber abgelagertes Holz. Allerdings würde ich dafür keinesfalls eine germanische Siedlung einebnen. Noch vor zwei Wochen konnte ich einen Nachbarn davor bewahren, eine Ladung mindestens 50 Jahre alter Bretter zu entsorgen — aus denen jetzt, gut geölt, für meine Katze ein wind- und wettergeschütztes Häuschen für die kalte Jahreszeit entstehen wird.

    Lange Rede, kurzer Sinn: Aus einem Balken kann man keine sichere Datierung zimmern.
     
    Zuletzt bearbeitet: 9. September 2020
  4. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    Wenn dieser Balken aber mit einer schriftlichen Erwähnung übereinstimmt, steht man auf festeren Boden als wenn man ins Blaue spekuliert.
     
    Pardela_cenicienta gefällt das.
  5. Divico

    Divico Aktives Mitglied

    Wenn Anreppen an den Quellen der Lippe läge, fiele es mir leichter Dir zuzustimmen.
     
  6. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    Die Frage ist auch, wie willst du Holz, das aus einem Lager stammt, das in einer Schlacht zerstört wurde, jahrelange "im Feindesland" so ablagern, dass es danach noch zum Latrinenbau zu gebrauchen wäre.
     
    Zuletzt bearbeitet: 9. September 2020
  7. Divico

    Divico Aktives Mitglied

    Das Holz müsste ja nicht unbedingt von einem älteren Lager kommen, sondern es könnte etwa auch aus den niedergelegten Dörfern der Einheimischen stammen — um nur eine Möglichkeit zu nennen.

    Es ist in diesen Dingen angeraten, in Wahrscheinlichkeitswolken zu denken, anstatt jedes kleine Indiz gleich auf die Goldwaage zu legen.
     
  8. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    Von Anreppen nach Bad Lippspringe sind es 20km. Das sollte dann aber locker innerhalb deiner Wahrscheinlichkeitswolke sein.
     
  9. Divico

    Divico Aktives Mitglied

    20 km sind immerhin ein ganzer römischer Tagesmarsch. Und nebenbei gesagt wäre ein vor Nordwestwinden geschütztes vorgeschobenes Hauptquartier bei Bad Lippspringe sicher für alle Beteiligten angenehmer gewesen als Anreppen — rein theoretisch jedenfalls.
     
  10. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    Und rein praktisch hat man keine Hinweise auf ein Hauptquartier in Lippspringe, dafür aber archäologische Belege für ein 23 Hektar großes Lager gerade mal einen Tagesmarsch von der Lippequelle entfernt in Anreppen. Ich glaube es regnet aus meiner Wahrscheinlichkeitswolke.
     
  11. Divico

    Divico Aktives Mitglied

    Wie hoch mag der Prozentsatz der Lager sein, die wir bislang kennen, von jenen die in rund 30 Jahren angelegt worden sind?

    Man darf nicht den alten Witz-Fehler machen, unter der Laterne nach dem verlorenen Schlüssel zu suchen, weil es dort heller ist. So erging es auch jahrzehntelang nach dem Zweiten Weltkrieg der Paläoanthropologie, die von wenigen britischstämmigen Forschern beherrscht wurde, die dort suchten, wo sie daheim waren — also praktisch nur in Kenia und Südafrika.
     
    Zuletzt bearbeitet: 9. September 2020
  12. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    Warum soll ich über unsichtbare Dinge spekulieren, wenn archäologische und schriftliche Quellen ein stimmiges Bild ergeben.
    Oder anders: Wenn ich meinen Schlüssel unter der Laterne finde, suche ich nicht noch zusätzlich in einem Gebüsch, in dem ich nie war.
     
  13. Divico

    Divico Aktives Mitglied

    Dass wir uns nicht falsch verstehen: natürlich ist Anreppen ein ganz heißer Kandidat für jenes Lager aus dem immensum bellum. — Nur darf man hier aufgrund des insgesamt dürftigen Befundes keine absolute Sicherheit annehmen.
     
  14. andreassolar

    andreassolar Aktives Mitglied

    Es sind Holzproben einer Latrine und einer Brunnenverschalung, es gibt unterstützende schriftliche Quellen, Bau und Lage von Anreppen usw.

    Kühlborn schreibt in Römerlager in Westfalen, Heft 4, Anreppen (2014), S. 32-34, u.a.:

    Damit lässt sich das Römerlager Anreppen historisch in die Zeit der Tiberiusfeldzüge 4–5 n. Chr. einordnen. Nach Velleius Paterculus (2,105) veranlasste Tiberius im Winter des Jahres 4 n. Chr. die Gründung eines Winterlagers mitten in Germanien. Diese erwähnte Lagergründung ist sehr wahrscheinlich mit dem Lager Anreppen in Verbindung zu bringen. Die großartige Ausführung des Prätoriums spricht für eine Nutzung durch Tiberius als Befehlshaber der in Germanien operierenden Verbände.[...] Aus archäologischer Sicht gibt es keine Argumente, die für ein Weiterbestehen des Lagers noch in der Statthalterschaft des Varus sprechen würden.

    Es ist immer schade, wenn 'Alternativen' ins Spiel gebracht werden, die wissenschaftlich bisher nicht belegt wurden.

    Sicher, und die Alternative dazu wäre, dass alle Behauptungen/Spekulationen, welche den (wenigen)Funden/Befunden usw. widersprechen, ebenso plausibel bzw. wissenschaftlich haltbar sind?

    Wie oft wurde denn bisher nachgewiesen, dass in Römerlagern/römischen Gebäuden usw. Bauholz wiederverwendet wurde, welches zuvor etwa in germanischen Siedlungen bereits verbaut gewesen war? War das ein bekanntes, übliches und überliefertes, feststellbares Vorgehen, war es wahrscheinlich?


     
    silesia und Ugh Valencia gefällt das.
  15. Divico

    Divico Aktives Mitglied

    Die Wahrscheinlichkeit ist freilich geringer, liegt aber nicht bei Null.
    Wie sollte das, sollte es denn vorgekommen sein, nachgewiesen werden, wenn man generell Fälldatum gleich Baudatum annimmt?
     
  16. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Wenn alle Proben dasselbe Datum angeben, kann man auf nichts anderes schließen. (Wir hatten neulich mal den Bohlenweg im Eschenloher Moos, da gibt es sehr viel Holz aus ein und demselben Zeitraum.)
    Wenn es Ausreißer gibt, muss man hingegen darauf schließen, dass älteres Holz verbaut wurde.

    Ich versuche gerade, mir folgende Szenarien vorzustellen:

    1. Die Römer fanden eine von den Germanen einheitlich und planmäßig im Jahr 5 n. Chr. erbaute Siedlung vor, zerlegten diese, transportierten das Holz an den von ihnen geplanten Lagerort und verwendeten dort ausschließlich diese Hölzer für den Lagerbau. (Dann hätten wir allerdings gewissermaßen auch wieder Fälldatum gleich Baudatum...)

    2. Die Römer zerlegten eine gewachsene germanische Siedlung, untersuchten aber das Holz dendrochronologisch und nutzten ausschließlich das von den Germanen 5 n. Chr. gefällte Holz für ihre Bauarbeiten.
     
  17. Griffin

    Griffin Mitglied

    Das übertragen von militärischen Kenntnissen des 20. und 21. Jahrhundert in die Zeit des 1. Jahrhundert nach Christi ist keine Killerphrase. Ich glaube der Begriff "Killerphrase" ist dir nicht so geläufig. Es gibt viele Parallelen zwischen der römischen Armee und Armeen der Neuzeit. Ich sage damit nicht, dass man militärische Taktiken der Neuzeit im Detail mit denen der Römer vergleichen kann. Aber die Grundsätze sind ähnlich zum Beispiel die Gliederung von Verbänden. Ich habe den Eindruck, dass Du in deinem Leben bisher noch keinen Militärdienst abgeleistet hast. Der Letzte Satz ist übrigens so etwas was man als "Killerphrase" bezeichnen würde. Entschuldigung!
     
  18. Griffin

    Griffin Mitglied

    Sehr richtig! Nicht mehr und nicht weniger. Die Analyse des vermeintlichen Holzes wurde auf das Jahr 5 n. Chr. datiert. Gut. Wissenschaftlich betrachtet kann dazu folgende Aussage getroffen werden:
    Die Latrine wurde aus Holz gebaut welches 5 n. Chr. gefällt wurde. Mehr nicht! Daraus zu folgern, dass das Lager auch 5 n. Chr. gebaut wurde ist reine Spekulation die hier ja so oft kritisiert wird.
    Das Bearbeiten von Holz, um es für irgendwelche baulichen Projekte zu benutzen, ist mit den damaligen Werkzeugen sehr zeitaufwendig und die Arbeit macht wirklich kein Spaß! Ich weiß wovon ich rede. Menschen sind von Natur aus faul. Das war vor 2000 Jahren so und ist heute genauso gültig. Wenn ich als römischer Pionier den Auftrag erhalte ein Holzlager zu bauen, benutze ich möglichst Materialen aus der näheren Umgebung einschließlich die brauchbaren eines zerstörten Lagers. Besonders dann wenn es um Gebäudeteile geht, die bautechnisch keiner besonderen Statik unterliegen (Eine Latrine).
     
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  19. Griffin

    Griffin Mitglied

    Das kann ich nicht belegen ich bin kein Archäologe. Man sollte dies aber aus rein praktischen und menschlich faulen Gründen in Erwägung ziehen.
     
  20. Griffin

    Griffin Mitglied

    Ich gehe einmal davon aus, dass die Römer keine Pressspahnplatten verwendeten. Der vorwiegende Baumbestand in Germanien dürfte aus Eichen und Buchen bestanden haben. Sehr harte Holzsorten, die in der Neuzeit auch beim Eisenbahnbau verwendet wurden bevor Betonschwellen sie ersetzten.
     

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