Mir fällt in der Diskussionsrunde auf, dass überwiegend sterile Fakten herangezogen werden. Rein wissenschaftlich ist daran nichts auszusetzen. Ich nenne es einmal lapidar "Laborbedingungen".
Menschliche und besonders taktisch militärische Überlegungen kommen bisher leider zu kurz.
Bei der Interpretation / Hinterfragung von antiken Textquellen mit militärischen Inhalten ist dies aus meiner Sicht zu empfehlen.
Einfacher ist es natürlich sich Wort für Wort an die überlieferten Texte zu halten.
Vielleicht bin ich ja zu anspruchsvoll???
Das ist im Hinblick auf die Archäologie schlicht die falsche Reihenfolge.
1. Funde
2. Auswertung und Interpretation der Funde.
3. Abgleich mit etwaigen Fragmenten der schriftlichen Überlieferung.
4. Kritik der Literaturquellen.
5. Anstrengung eigener weitergehender Interpretationen auf Basis von Übereinstimmungen oder fehlenden Übereinstimmungen mit den Teilen der Literatur, die verlässlich erscheinen, oder weitergehende eigene Interpretation, streng am Befund orientiert, wenn nichts verlässlich schriftliches vorhanden ist.
Was menschliche und taktische Überlegungen angeht:
Wie genau sollte man hierüber etwas sagen können ohne die genauen Gegebenheiten vor Ort zu kennen, die Einschätzungen, Fehleinschätzungen der Befehlshaber etc.?
Um ein plakativen Beispiel aus der Neuzeit aufzugreifen:
Rein von den militärischen Gepflogenheiten her, machte Neys Kavallerieattacke bei Waterloo so überhaupt keinen Sinn, weil es gegen alle taktischen Gepflogenheiten der Zeit verstieß auf diese Weise intakte Infanterieverbände ohne Unterstützung durch eigene Infanterie und Artillerie kavalleristisch anzugreifen.
Ist auf Grund dieser Begebenheit nun daran zu zweifeln, dass die Schlacht von Waterloo stattgefunden hat, oder wenigstens der Kavallerieangriff?
Deinem Postulat nach sich an taktischen Überlegungen orientieren, ohne präzise Kenntnis von Ort und Geschehen zu haben, wäre ja genau dass die Schlussfolgerung, denn ein solches Manöver zum Angriff auf intakte Infanterieformationen findet sich in keinem militärischen Lehrbuch der Zeit.
Erst durch dem Umstand der Umverteilung der britischen Truppen, die da möglicherweise als Rückzug fehlinterpretiert würde, macht das Vorgehen Sinn.
Wie genau sollte man bei der dürftigen Quellenlage von vor 2.000 Jahren, ohne zu wissen, was konkret die Kommandieren den wussten oder annahmen und wie die detaillierten Bedingungen vor Ort waren, hier also en Detail ermitteln können, welches Vorgehen in welcher Situation sinnvoll gewesen wäre und was die Akteure möglicherweise verleitet haben könnte ein Vorgehen für sinnvoll zu halten, dessen Sinn sich in der Retrospektive nicht ohne weiteres erschließt?
Und wenn wir dabei sind, wie kommt man eigentlich auf den Trichter, die Interpretation von Grabungsergebnissen vor Ort als "Laborbedingungen" abzutun und dann ohne im Detail mit dem damaligen Kriegshandwerk vertraut zu sein, was praktische Erfahrungen angeht, Argumentationen ohne präzise Lagekenntnis orientiert an völlig anderen technischen Grundvorraussetzungen für sinnvoller zu halten.
Darf ich, da hier auf angebliche Erfahrungen Bezug genommen wird, fragen, in welcher militärischen Einrichtung Kaffeesatzlesen über die Absichten des Gegners ohne Kenntnis der Lage zu haben oder eine Vorstellung davon, welche Kenntnisse der Gegner besitzt und wie die lokalen Bedingungen, Versorgungslage, Truppenmoral etc. sind, für ein geeignetes Mittel hält um die Absichten eines Gegners zu erschließen oder seine Reaktionen zu ergründen?
Und darf ich fortgesetzt fragen, wozu man, wenn diese Methode zuverlässig funktioniert, noch sowas wie eine Feindaufklärung unterhält?