Falsche Überlieferung der Varusschlacht?

Teil 2:

Der Eindruck entsteht in mir, dass andere Ansichten gegenüber der Lehrmeinunge nicht akzeptiert oder gar belächelt werden. Meiner Meinung nach sitzen viele Mitglieder in diesem Forum auf einem zu "Hohen Ross" gefangen in teilweise fragwürdigen Überlieferungen antiker Texte, die nach meinem Kentnisstand noch nicht einmal im Original vorliegen.
Die eine Lehrmeinung gibt es nicht. Ohne die historiographischen Quellen und die archäologischen Zeugnisse haben wir NICHTS. Wir können damit arbeiten. Oder es sein lassen. Aber dann haben wir eben, siehe vorherigen Satz, NICHTS mehr. Dann brauchen wir auch nicht zu diskutieren, denn dann fehlt einfach eine gemeinsame Grundlage.

Das Problem ist, dass einige nicht bereit sind sich von den antiken Quellen auch nur ein kleines Stück zu lösen. Es werden nur Zitate daraus aufgeführt und der Umstand das keine archäologischen Beweise bestehen überzeugen mich nicht. Ohne einer Theorie oder auch "Spleen" wären viele archäologische Funde unentdeckt geblieben.
Thesenbildung geht NUR aufgrund von vorliegenden Fakten. Was du hier vorwirfst, dass man sich vom Quellentext nicht lösen könne, stimmt nicht. Die Lösung vom Quellentext darf aber nicht willkürlich geschehen, sondern muss begründet werden:
- eine Textstelle kann nicht stimmen, weil sie im Widerspruch zur erfahrbaren Wirklichkeit steht
- eine Textstelle steht im Widerspruch zu einer anderen Textstelle derselbe Quelle
- eine Textstelle steht im Widerspruch zu anderen Quellen
- der Autor hat klare Absichten einen Sachverhalt positiv oder negativ darzustellen

Nehmen wir Velleius Paterculus: Der stellt Verhaltensweisen bei Tiberius positiv dar, dieselben Verhaltensweisen bei Varus negativ.

Es ist ja schon bemerkenswert, dass du an der Lagerschlachttheorie festhältst, die auf Florus, der als unzuverlässig gilt, basiert. Florus hat eine Art Zusammenfassung der Werke des Livius geschrieben, ist aber unzuverlässig in der Wiedergabe. Gerade auf ihm baust du nun eine These auf, wo seine Darstellung doch allen anderen Darstellungen widerspricht. Es sei denn natürlich, man reduziert Tacitus auf einen Satz ignoriert den Kontext und dass es sich bei dem Satz um eine kontrastive Darstellung eines ersten (Tacitus wörtlich!) und eines letzten Lagers handelt, bzw. dass man sich erst einen Weg durch Wälder und über trügerische Sümpfe bahnen musste, um zum Schlachtfeld zu gelangen.

Spekulieren und neue Ideen sind ja auch ok, aber Wissenschaft funktioniert nun mal so, dass man irgendwann Belege vorlegen muss. Wenn an eine Theorie hat, muss man sich bemühen Belege dafür zu bekommen. Wenn nicht, bleibt es eine Theorie. Da hilft auch nicht die Hoffnung, dass vielleicht irgendwann, irgendjemand das belegt, was du vermutest.
Hypothesenbildung, wenn sie als Diskussionsgrundlage ernst genommen werden will, muss auf Basis einer Beobachtung erfolgen. Sie muss dann durch weitere Beobachtungen belegt werden. Wenn eine These als belegt gilt, also die Richtigkeit akzeptiert ist, erst dann kann man von einer Theorie sprechen. Eine Theorie ist so lange richtig, bis sie durch eine Wahrscheinlichere ersetzt wird. Es ist die Pficht einer jeden Wissenschaftlergeneration, die Theorien der Alten zu überprüfen und nach Möglichkeit durch bessere Theorien zu ersetzen.
 
Brauchen wir mehr historische Beispiel für ein neuzeitliches "Vermutlich"?
Nein, es gibt genügend dessen bin ich mir bewusst.
Letztendlich sind "Vermutlich-Handlungen" (Ein komisches Wortkonstrukt) wie die oben genannten Beispiele fast immer in die Hose gegangen. Die Motive für derartige Handlungen sind vielseitig (Falsche Lageeinschätzung (Wohl der häufigste Grund militärische vermeintlicher Katastrophen zu viel "Vermutlich" ),Überheblichkeit, Befehle übergeordneter Stellen, Unterschätzung des Gegners, erlangen von Ruhm, ...).
Sicherlich wird eines oder mehrere dieser Motive auch auf das / die Varusereignis(se) zutreffen.
 
Mir fällt in der Diskussionsrunde auf, dass überwiegend sterile Fakten herangezogen werden. Rein wissenschaftlich ist daran nichts auszusetzen. Ich nenne es einmal lapidar "Laborbedingungen".
Menschliche und besonders taktisch militärische Überlegungen kommen bisher leider zu kurz.
Bei der Interpretation / Hinterfragung von antiken Textquellen mit militärischen Inhalten ist dies aus meiner Sicht zu empfehlen.
Einfacher ist es natürlich sich Wort für Wort an die überlieferten Texte zu halten.
Vielleicht bin ich ja zu anspruchsvoll???
Wenn man die schriftlichen Quellen aus welchen Gründen (die durchaus ihre Berechtigung haben können) immer als unzuverlässig bzw. unglaubwürdig verwirft und auch Inschriften, archäologische Funde etc. nichts Eindeutiges hergeben, sollte man ehrlicherweise akzeptieren, etwas nicht zu wissen.
Die schriftlichen Quellen durch eigene Fantasie (wie dass die Römer den soeben erst halb unterworfenen Germanen das Bürgerrecht, auf das andere Untertanen in der Regel jahrhundertelang warten mussten, im großen Stil hinterhergeschmissen hätten, um ihre Legionen mit Germanen auffüllen zu können; und dass die Varusschlacht - von deren Stattfinden wir, da der Caelius-Grabstein nur allgemein von einem "Varus-Krieg" spricht, nur durch die verworfenen Quellen wissen - in Wahrheit eine Art Meuterei der germanischen Legionäre gewesen sei) zu ersetzen, ist keine Lösung.

Im Übrigen bin ich immer wieder erstaunt, wie leichthändig moderne Schreibtischstrategen aus einer ex-post-Perspektive (also im Wissen, wie sich etwas entwickelte und ausging, und außerdem gestützt auf relativ zuverlässiges heutiges Kartenmaterial) antike Kriege und Schlachten analysieren und entweder antiken Feldherrn Inkompetenz attestieren oder aber die Überlieferungen verwerfen, weil ein bestimmtes überliefertes Vorgehen sich (ex-post betrachtet!) als verfehlt darstellt.
Meine eigene militärische Expertise beschränkt sich zwar auf acht Monate Grundwehrdienst, aber dabei habe ich erfahren, wie schwer es ist, sich irgendwo im Gelände sogar mit einigermaßen brauchbarem Kartenmaterial und Funkgeräten zu bewegen und zu koordinieren. Um wie viel schwerer muss das für Feldherrn früherer Zeiten gewesen sein, die oft nur vage Vorstellungen der topographischen Gegebenheiten und der möglichen Positionen des Feindes (sowie seiner Stärke, Bewaffnung, Versorgung etc., von seinen Plänen ganz zu schweigen) haben konnten, weitgehend auf Aufklärer angewiesen waren und obendrein ihre Befehle mit unzuverlässigen Mitteln umständlich und meist zeitverzögert ihren Unterbefehlshabern, Truppen und Truppenteilen übermitteln mussten (sowie nur unzuverlässig und zeitverzögert Informationen über Lageentwicklungen außerhalb ihrer Sichtweite erhielten). Das ist etwas anderes als wenn man auf einer Karte Truppen hin- und herschiebt (oder gar in einem Computerspiel anklickt und ihnen Befehle erteilt). Eigentlich finde ich es erstaunlich, dass unter solchen Bedingungen überhaupt eine einigermaßen planmäßige Kriegsführung möglich war.
 
An El Quijote:
Das war sehr ausführlich! Vielen Dank.
Nach meiner Auswertung der gelesenen Beiträge habe ich einige meiner "Vermutungen" revidiert. Dies war auch mein Ziel.
Zusammenfassung:
Germanien östlich des Rheins (Bis zur Weser?) war bis 7 n. Chr. in Begriff römische Provinz zu werden (Cassius Dio 18,2).
Varus wurde 7 n. Chr Statthalter in Germanien. Die Romanisierung ging aus seiner Sicht zu langsam von statten (Cassius Dio 18,3). Er wollte dies beschleunigen und traf auf Widerstand der Germanen (Cassius Dio 18,4)
Bis zu diesem Punkt ist eine geplante Romanisierung Germaniens westlich des Rheins zu erkennen (Warum auch immer Ausdehnung des Imperiums Macht?) In Germanien war nichts materiell wertvolles zu holen)).
An wichtigen Punkten (1) (Kreuzungen von Handelwegen) wahren römisch Legionäre / Auxiliatruppen stationiert (Vermutlich in Kohortenstärke). Römische Legionäre / Auxiliatruppen (2) waren zudem mit Polizeiaufgaben beschäftigt.
(Diese Vorgehensweisen (1) und (2) wird auch in der Neuzeit praktiziert z.B. Afghanistan). Basis und Versorgungslager war vermutlich Anreppen.
Varus erfährt von einem Aufstand eines weit entfernten Germanenstammes (Cassius Dio 19,3). Der Marsch geht durch befriedetes Gebiet (Nach Westen?). Varus muss es eilig gehabt haben. Ich vermute die "Aufständischen waren die Marser. Bedrohungspotenzial für die westlich des Rheins gelegene Gebiete. Eile war angebracht. Der Zeitpunkt muss vor einer planmäßigen Verlegung von Teilen der 17. 18. und 19 Legion geschehen sein (Eine Verlegung der kompletten Varusstreitkräfte in sogenannte Winterlager halte ich immer noch für fragwürdig).
Zu Beginn des Aufstandes werden diese "Abgesetzten" Truppenteile vernichtet (Damit dürfte sich die in der vermutlichen 4 Tage Kämpfe die Truppenstärke schon vorab reduziert haben).
Teile der Auxiliatruppen schließen sich dem Aufstand an. Varus und die Großteile der drei Legionen werden vernichtend geschlagen. Angeblich in den Urwäldern Germanien vernab von den übliche Strecken. Wenn eine Teilromanisierung bereits vor Varus stattgefunden hat, dann ist davon auszugehen, dass zumindest die Infrastruktur in diesem Gebiet einigermaßen vorhanden war und das "Durchschlagen" durch die Wälder als Dramaturgie zu verstehen ist. Die vier Tage Schlacht ist dann aber zwischen Lippe und Rhein zu suchen. Dies würde auch die Distanz zum Römerlager Haltern (Aliso) deutlich verkürzen und währe damit realistischer.
Nach den Ereignissen 9 n. Chr. war die Romanisierung westlich des Rheins zunächst gescheitert. Ob Germanicus in den Feldzügen 15 n. Chr bis 16 n. Chr. wirklich noch die Absicht hatte die Gebiete westlich des Rheins zu einer dauerhaften Provinz zu machen halte ich für nicht wahrscheinlich. Es ging wohl eher darum den Prestigeverlust wieder wett zu machen.
 
Nebenbei:
Wer übrigens gerne PC-Spiele spielt und einen ansatzweise realitätsnahen Eindruck bekommen möchte, wie sich in der Antike Schlachten entwickelt haben müssen, dem empfehle ich die Spiele "Legion", "Chariots of War" und "Spartan" oder "Gates of Troy" aus dem Hause Slitherine (die allerdings, da in den frühen 00er Jahren erschienen, kaum noch aufzutreiben sein dürften). Wenn man in diesen Spielen eine Schlacht schlägt, sieht man zwar die Topographie des Schlachtfelds (was in der Realität nur bedingt der Fall war), aber oft nur Teile des Feindes. Die eigenen Truppen kann man zwar nach eigenem Ermessen aufstellen und ihnen Befehle vorgeben, aber sobald man den Angriffsbefehl gegeben hat, kann man kaum oder gar keine neuen Befehle mehr erteilen, sondern im Wesentlichen nur noch zusehen, wie sich die eigenen Truppen vorwärtsbewegen, ihre Befehle auszuführen versuchen, auf den Feind treffen (bzw. unvermutet den Feind finden) und dann nach eigenem (also eigentlich KI-)Gutdünken mehr oder weniger sinnvoll auf ihn reagieren. Das ist zwar spielerisch frustrierend, aber wesentlich realistischer als in den Spielen der "Total War"-Reihe, in denen man in den Schlachten jederzeit jedem Truppenteil exakte Befehle erteilen kann.
 
Bis zu diesem Punkt ist eine geplante Romanisierung Germaniens westlich des Rheins zu erkennen (Warum auch immer Ausdehnung des Imperiums Macht?) In Germanien war nichts materiell wertvolles zu holen)).
Es ging wohl um Vorfeldsicherung. So manche römische Eroberung diente der Ausschaltung von Bedrohungen für das bereits Erreichte. Dass z. B. die Römer ihre Grenze in Italien immer weiter nach Norden schoben und schließlich den Alpenraum bis zur Donau unterwarfen, hatte maßgeblich damit zu tun, dass es aus dem jeweils angrenzenden noch nicht unterworfenen Gebiet Einfälle in das bereits unterworfene Gebiet gab. Freilich, sobald man eine Bedrohung durch Eroberung neuen Gebiets ausgeschaltet hatte, befanden sich jenseits der neuen Grenze neue potentielle Gegner - solange bis man irgendwann ans Meer stieß.
Das bereits römische Gallien wurde von Germaneneinfällen heimgesucht, die durchaus bedrohlich waren (Niederlage des Marcus Lollius). Da der Rhein allein keinen hinreichenden Schutz bot, konnte die Bedrohung nur durch einen Vorstoß nach Germanien selbst beseitigt werden.
 
Varus und die Großteile der drei Legionen werden vernichtend geschlagen. Angeblich in den Urwäldern Germanien vernab von den übliche Strecken. Wenn eine Teilromanisierung bereits vor Varus stattgefunden hat, dann ist davon auszugehen, dass zumindest die Infrastruktur in diesem Gebiet einigermaßen vorhanden war und das "Durchschlagen" durch die Wälder als Dramaturgie zu verstehen ist.

Spekulieren ließe sich, dass gerade jene die fliehend überlebten “Durchschlage“-Berichte lieferten, weil sie möglicherweise querfeldein flüchten mussten. Spekulieren ließe sich gleichfalls, dass andere die als Gefangene überlebten, von einer mehrtägigen “Durchschlage“-Schlacht zu berichten hatten, weil sie es so empfunden hatten, es aus ganz individuell gelagerten Gründen so sehen wollten, oder es tatsächlich so war. Spekulieren ließe sich sicherlich auch noch etliches anderes. Dazu zählt sicher auch eine angenommene absichtlich gesetzte Dramaturgisierung durch Verwendung des “Durchschlagens“.
Ohne zumindest Andenken und Abwägen weiterer Möglichkeiten wie der Begriff “Durchschlagen“ Eingang in die Überlieferung gefunden haben könnte, liest sich das für mich allerdings als eine aus Zielfokussierung geborene Reduktion der Betrachtungweise, die andere Optionen außer Acht lässt.
Bei derartiger Vorgehensweise entsteht eine Geschichte.
 
Nein, es gibt genügend dessen bin ich mir bewusst.
Letztendlich sind "Vermutlich-Handlungen" (Ein komisches Wortkonstrukt) wie die oben genannten Beispiele fast immer in die Hose gegangen. Die Motive für derartige Handlungen sind vielseitig (Falsche Lageeinschätzung (Wohl der häufigste Grund militärische vermeintlicher Katastrophen zu viel "Vermutlich" ),Überheblichkeit, Befehle übergeordneter Stellen, Unterschätzung des Gegners, erlangen von Ruhm, ...).
Sicherlich wird eines oder mehrere dieser Motive auch auf das / die Varusereignis(se) zutreffen.
Ich würde nicht meinen, das solche Aktionen fast immer schief gelaufen sind, es gibt auch genug, die funktionierten. Nur wenn solche Aktionen schief gelaufen sind, liefen sie gleich richtig schief, weil dann ganze Großverbände bis Armeen in die Katastrophe liefen, was dann eben in der kollektiven Erinnerung hängen geblieben ist.

Der Punkt, der mir bei den gründen, die du aufzählst am Meisten fehlt, ist das ganz triviale Zeitproblem.
Als Varus mit den 3 Legionen aufbrach ging die Feldzugsaison des Jahres bereits allmählich zu Ende, wenn man bedenkt, dass es auch nocht Zeit benötigte in die Winterquartiere abzumarschieren.

Natürlich hätte man um der Vorsicht wegen ein kleineres Kommando auf den Weg schicken können. Wäre es diesem aber nicht möglich gewesen den hypothetischen Aufstand in den Griff zu bekommen und hätte es dementsprechend unverrichteter Dinge wider zurückkehren müssen, hätte dass das Zeitfenster für ein größeres Unternehmen in dem selben Jahr massiv verängt oder aber man hätte die Aktion auf das kommende Jahr verlegen müssen, dann aber womöglich ein Anwachsen des Aufstands und das Übergreifen auf andere Teile des rechtsrheinischen Germaniens risikert.

Daneben könnte man auch einfach die Logik anführen, dass eine kleinere Truppe, weit von der Hauptmacht abgeschnitten größere Gefahr lief angegriffen zu werden, als wenn man mit der Hauptmacht, deren Schires Ausmaßmöglicherweise den Gegner einschüchtert auftritt.
Zumal, wenn man bedenkt, das die vormodernen Möglichkeiten der Feindaufklärung, zumal in eim Teil des Barbarikums, dass so wenig erschlossen war, dass die Wälder in jedem Fall dazu taugten mit einer recht veritablen Macht dort drinn einfach zu verschwinden.
Will heißen, im Falle eines Aufstands oder einer Auseinandersetzugn mit den germanischen Stämmen an sich, musste damit gerechnet werden, diese möglicherweise abseits der gewöhnlichen Routen führen zu müssen. Ob es dann besser gewesen wäre dort kleinere Truppen hinein zu schicken, darf man sehr gerne hinterfragen.

Jedenfalls halte ich derlei Erklärungen für bedenkenswert, bevor man versucht das platt mit "Überlegenehtisdenke/römischer Hybris" zu erklären.
 
Irgendwie passt dieser ältere Beitrag von mir hier ganz gut:

Es ist immer wieder festzustellen, dass Forenmitglieder Probleme mit der historischen Arbeitsweise, bzw. dem Umgang mit Quellen/der Quellenkritik haben. Meist werden da zwei Extreme gefahren:
1.) Historiker glauben den Quellen alles.
2.) Historiker wandeln die Aussagen der Quellen in ihr glattes Gegenteil um.
Nichts davon ist natürlich richtig.

Ersteres war der mehrfach geäußerte Vorwurf von dir, @Griffin

Erst mal unterscheiden wir Quellen in Dokumentarische Quellen (Überrestquellen) und Monumentale Quellen (Traditionsquellen).
Der historische Laie hat i.d.R. die Traditionsquellen auf dem Schirm, wenn er an historische Quellen denkt.
Ob eine Quelle eine Traditons- oder Überrestquelle darstellt, kann gattungsbedingt sein, aber grundsätzlich hängt das auch von der Fragestellung ab bzw. manchmal sind Quellen, die eigentlich von der Gattung her eher in den Bereich der Überrestquelle fallen würden, tatsächlich Traditionsquellen.

Aber was bedeutet denn nun genau Überrestquelle oder Dokumentarische Quelle bzw. Traditionsquelle oder Monumentale Quelle?

Eine dokumentarische Quelle oder Überrestquelle ist eine Quelle, die unmittelbar zum Augenblick steht, so sie geschaffen wurde und nicht für ein Publikum gedacht ist. Ein Kaufvertrag etwa, den man in Keilschriftarchiven findet oder ein Tagesbefehl der Wehrmacht. Auch Zeitungen und Briefe zählt man zu den dokumentarischen oder Überrestquellen. Und Dokumente (= Urkunden), obwohl diese natürlich immer auch als Beleg für die Zukunft dienen sollten, dass der Inhaber ein Stück Land oder ein Privileg besaß.

Traditionsquellen sind Quellen, die mit einem historischen Bewusstsein geschaffen wurden, also für ein Publikum, sowohl das zeitgenössische als auch ein zukünftiges. Sie stehen in der Regel mittelbar zu einem historischen Ereignis. Ein Tacitus wird dabei zwar sicher nicht an die Nachfahren der Cherusker und Brukterer gedacht haben, die 2000 Jahre später seine Texte läsen, aber durchaus an römische Bürger zwei oder drei Generationen nach seinem Tod.

Wie bereits dargelegt, gehört die Quellengattung Brief zu den Überrestquellen. Aber sie hat immer Elemente der Traditionsquelle, schon weil ein Brief normalerweise an jemanden adressiert ist und die Darstellung eines Sachverhalts redaktionell bearbeitet (das gilt auch für die Urkunde).
Wenn wir uns nun Ciceros Briefe an Atticus ansehen, so müssen wir diese klar als Traditionsquellen bewerten, denn es waren keine privaten Briefe, die Cicero hier aus der Verbannung an den Verlegerfreund schrieb, sondern waren für die Veröffentlichung bestimmt. Der Adressat war eben nicht der namentlich genannte Atticus, sondern das politische Rom.

Für archäologische Quellen gilt dieselbe: Das Monumentum Ancyranum oder das Tropaeum Alpium sind Quellen die mittelbar zum Leben des Augustus oder zum Alpenfeldzug stehen, sie sind für die Nachwelt geschaffen, als Monumentalquellen oder Traditionsquellen. Das Lager Dangstetten hingegen, wo die 19. Legion 24 Jahre vor ihrem Untergang mit Varus stationiert war und wohl erstmals unter Varus' Befehl stand (Bleischeibe von Dangstetten) ist eine archäologische Überrestquelle oder dokumentarische Quelle: Sie steht unmittelbar zu den Ereignissen und ist nicht geschaffen für die Nachwelt.

Zur Quellenkritik:
Was ist Quellenkritik tatsächlich?
Wir unterscheiden die innere und die äußere Quellenkritik.

Die Äußere Q-Kritik befasst sich mit der Überlieferung und Gestalt der Quelle.
[...]
nehmen wir die Annalen des Tacitus. Die sind nur unvollständig erhalten, in zwei mittelalterlichen HSS, die sich leider nicht decken. Sprich wir haben nicht einmal - wie wir das bei anderen Quellen haben - verschiedene Textzeugen zur Verfügung sondern nur die jeweils eine Abschrift mit all ihren Fehlern. Also zwei Textabschnitte, die auf Pergament in karolingischer Minuskel überliefert sind und in verschiedenen Klöstern in Deutschland und Italien lagen und in der Renaissance entdeckt und einer breiteren Öffentlichkeit durch den Buchdruck zugänglich gemacht wurden.

Die Innere Q-Kritik fragt erst einmal danach, ob die Quelle geschaffen wurde, um die Mit- und Nachwelt von einer Sache zu unterrichten oder ob sie zufällig erhalten und nicht dazu geschaffen wurde.

Man unterscheidet zwischen Traditions- und Überrestquellen bzw. Monumenten und Dokumenten. Das Problem ist, dass zwischen Tradition/Monument und Überrest/Dokument nicht immer leicht zu unterscheiden ist. Ein Zeitungsartikel beispielsweise wird i.d.R. als Dokument/Überrest gefasst: Nichts ist so alt, wie die Zeitung vom Vortag.
Eine andere Unterscheidung ist die nach Primär- und Sekundärquellen. Die Primärquelle ist annähernd unmittelbar zum Ereignis, die Sekundärquelle eben nicht. Die Sekundärquelle ist daher i.d.R. als Monument zu fassen, der Umkehrschluss erlaubt sich aber nicht. Ein Monument kann auch eine Primärquelle sein.

So sind Memoiren von Politikern Sekundärquellen par excellence, da sie im Nachhinein versuchen, die Deutungshoheit über einen Sachverhalt zu behaupten oder wiederzuerlangen.

[...]

Die Quellen, mit denen Historiker bis ins 19. Jhdt. fast ausschließlich arbeiteten und die i.d.R. auch die sind, mit denen v.a. jüngere Studenten (und Schüler in der Schule sowieso) arbeiten, sind meist Historiographie, also Monumente oder Traditionsquellen. Erst im ausgehenden 19. Jhdt. begann man, die Archive für die historische Forschung zu entdecken und Überrestquellen in die historische Forschung ernsthaft einzubeziehen.

Eine Überrestquelle ist z.B. eine Urkunde, die unmittelbar Zeugnis von einem Rechtsakt gibt, oder ein Brief - wobei manche Briefe auch als Traditionsquellen zu fassen sind: So hat z.B. Cicero seine Briefe an Atticus mit dem Ziel geschrieben, dass dieser diese veröffentliche. Sie sollten nicht nur an den Empfänger sondern an die ganze stadtrömische Öffentlichkeit, bzw. den Teil davon, der für Cicero zählte, gehen.

Auch Tagebücher sind i.d.R. nicht für die Öffentlichkeit und somit Überrestquellen/Dokumente. Was Lieschen Müller am 30. April in ihr Tagebuch schreibt, wird sie nach dem 1. Mai nie wieder lesen. Goebbels Tagebücher dagegen waren für die Veröffentlichung bestimmt und der Propagandaminister redigierte die Texte immmer wieder, sie sind also nicht unmittelbar tagesaktuell, wie das bei Tagebüchern normalerweise der Fall ist sondern Ergebnis eines fortwährenden Schreibprozesses und kontinuierlicher Überarbeitung. Sie müssen als Monumente gefasst werden. Nur dort, wo wir dank der Überlieferung Einblick in den Schreibprozess haben, können wir die Goebbels-Tagebücher noch - bedingt, da er sich ja immer einer späteren Veröffentlichung gewahr war - als Überrestquellen fassen. Ganz anders dagegen Hitlers Tischgespräche; Gedankenfetzen, die ohne Hitlers Wissen im Auftrag Bormanns mitstenographiert wurden und von Bormann genutzt wurden, um Befehle herauszugeben bzw. Gegner innerhalb des Führungsapparates auszubooten.

Eine sehr reichhaltige Überrestquelle bot die Kairener Genizah: Juden entsorgten hier ihre Schriftstücke auf denen das Tetragramm JHWH stand, da sie diese nicht vernichten durften. Die Kairener Genizah erlaubte daher nach ihrem Auffinden eine Rekonstruktion jüdischer Verwandtschafts, Heirats- und Handelserbindungen im Mittelmeerraum des Mittelalters, vom 'Iraq bis nach Andalusien.

Text- und Bildquellen können lügen. Das gilt sowohl für Traditions- als auch für Überrestquellen. Ein Wechselbetrug in einem hanseatischen Dokument ist ein Überrest, auch eine Wucherrechnung ist ein Überrest.

Wir können das als Historiker nicht immer zweifelsfrei feststellen, ob eine Quelle "die Wahrheit" sagt. Wir können aber versuchen Quellen zu vergleichen, wenn wir in der glücklichen Lage sind, mehrere Quellen zu einem Sachverhalt zu besitzen, oder aber textimmanente Widersprüche zu detektieren.
Haben wir mehrere Quellen zu einem Sachverhalt, dann gilt zunächst einmal deren Abhängigkeit voneinander zu prüfen. Sueton etwa ist abhängig von Tacitus und Flavius Josephus. Wenn er etwas berichtet, was die beiden berichten, dann bestätigt er deren Version nicht, er gibt sie nur lediglich ebenfalls wieder, eben weil er sie von diesen abgeschrieben hat. Besonders interessant für Historiker sind daher Quellen die
- unabhängig voneinander geschaffen wurden
- im Konfliktfall die jeweilige Sicht beider Seiten auf die Dinge bieten.

Wir müssen uns fragen,
- was der Anlass gewesen ist, die Quelle zu schaffen (bei Traditionsquellen immer, bei Überrestquellen nur dann, wenn sie aus einem bestimmten Anlass geschaffen wurde).
- wer der Verfasser/Urheber war (ist ja nicht jede Quelle schriftlich verfasst)
- wer der Adressat war
- welches Ziel erreicht werden sollte

Also beispielsweise die Sportpalastrede:
Anlass war die sich abzeichnende Niederlage des Dt. Reiches, ihr Verfasser waren der Reichspropagandaminister und womöglich einige seiner Mitarbeiter, der Adressat eine ausgewählte Menge überzeugter und fanatischer Nazis, zu einem Großteil Personen, die mit dem Frontalltag wenig zu tun hatten. Das Ziel welches erreicht werden sollte, war, die Kriegsbereitschaft aufrecht zu erhalten und den Menschen am Volksempfänger oder in den Kinovorstellungen zu signalisieren, dass die Mehrheit nach wie vor von dem Krieg begeistert war etc. Die Fortführung des Kriegs gewissermaßen als Umsetzung des Volkswillens. Wir können hier also eine primäre und eine sekundäre Adressatenebene ausmachen.
 
Spekulieren ließe sich, dass gerade jene die fliehend überlebten “Durchschlage“-Berichte lieferten, weil sie möglicherweise querfeldein flüchten mussten. Spekulieren ließe sich gleichfalls, dass andere die als Gefangene überlebten, von einer mehrtägigen “Durchschlage“-Schlacht zu berichten hatten, weil sie es so empfunden hatten, es aus ganz individuell gelagerten Gründen so sehen wollten, oder es tatsächlich so war. Spekulieren ließe sich sicherlich auch noch etliches anderes. Dazu zählt sicher auch eine angenommene absichtlich gesetzte Dramaturgisierung durch Verwendung des “Durchschlagens“.
Ohne zumindest Andenken und Abwägen weiterer Möglichkeiten wie der Begriff “Durchschlagen“ Eingang in die Überlieferung gefunden haben könnte, liest sich das für mich allerdings als eine aus Zielfokussierung geborene Reduktion der Betrachtungweise, die andere Optionen außer Acht lässt.
Bei derartiger Vorgehensweise entsteht eine Geschichte.
Dann belassen wir es bei den archäologischen Fakten, beenden die Diskussion und warten auf neue Kenntnisse!
Ich mache zwischenzeitlich ein Studium in Geschichte und Archäologie und lerne die Werke Tacitus und Co auswendig. Wenn ich dazu noch Zeit und Lust habe.
Der Zweite Satz ist ein Scherz aber davon abgesehen, ich hätte es gerne gemacht!
 
Germanien östlich des Rheins (Bis zur Weser?) war bis 7 n. Chr. in Begriff römische Provinz zu werden (Cassius Dio 18,2).
Auch wenn Cassius Dio eine in Teilen problematische Quelle ist, können wir ihm das wohl abnehmen.

Varus wurde 7 n. Chr Statthalter in Germanien. Die Romanisierung ging aus seiner Sicht zu langsam von statten (Cassius Dio 18,3). Er wollte dies beschleunigen und traf auf Widerstand der Germanen (Cassius Dio 18,4)
Das gehört wahrscheinlich zur ex post-Tradition, die Varus das Scheitern der augusteisch-tiberischen Germanien-Politik in die Schuhe schob.

Bis zu diesem Punkt ist eine geplante Romanisierung Germaniens westlich des Rheins zu erkennen (Warum auch immer Ausdehnung des Imperiums Macht?) In Germanien war nichts materiell wertvolles zu holen)).
Das ist nicht ganz richtig, im Sauerland bauten römische Ritter mit Konzession Blei ab. Germanien war vielleicht für Rom unterentwickelt, hatte aber durchaus Ressourcen, die für Rom interessant waren: Sklaven, Felle, Blei, Bernstein...
Du musst auch nicht unbedingt eine Planung unterstellen. Bereits Caesar hatte Probleme mit den Sugambrern. Später gab es die clades Lolliana (die Niederlage des Lollius), gerade nach dieser versuchten die Römer offensichtlich im rechtsrheinischen Fuß zu fassen. Die Eroberung fand also weniger deshalb statt, weil dort etwas zu holen war, sondern vielmehr als eine Art Vorwärtsverteidigung der gallischen Provinzen. Zumindest anfänglich.

Varus erfährt von einem Aufstand eines weit entfernten Germanenstammes (Cassius Dio 19,3). Der Marsch geht durch befriedetes Gebiet (Nach Westen?). Varus muss es eilig gehabt haben. Ich vermute die "Aufständischen waren die Marser.
Cassius Dio ist der einzige, der diese Version der Geschichte erzählt, 200 Jahre nach der Schlacht. Wenn wir ihn mit Cassius Dio an der Weser verorten und annehmen, das Kalkriese ein Ort der Schlacht ist, dann wäre er tatsächlich nach Westen marschiert. Nur sehe ich außer bei Cassius Dio, der als Quelle problematisch ist, keinen Hinwies auf die Weser.

Warum ist Cassius Dio problematisch?
1.) Zunächst einmal bringt er 200 Jahre nach der Varusschlacht als erster Details zu dieser. Sogar das Wetter während der Schlacht erwähnt er. Schaut man sich das aber genau an, so besteht die ganze Darstellung aus nichts anderem, als einem plumpen Versuch, die römische Niederlage zu erklären:
2.) Während die Germanen mit den übermenschlichen Sinnen und dem federleichten Körpergewicht eines tolkien'schen Elben durch den Wald stürmen, ihnen Sturm und herabstürzende Baumkronen keinen Schaden zufügen, werden Römer aus Zucker von Regen behelligt, sie rutschen auf dem feuchten Boden vor sich hin und werden von umstürzenden Bäumen erschlagen.
Die Physik gilt bei ihm nur für die Römer, nicht für die Germanen.
Auch an anderer Stelle berichtet Cassius Dio physikalisch unmögliche Dinge, so soll Caesar mit einer Schriftrolle in der Hand über Bord gegangen sein und mit dieser schwimmend das Ufer erreicht haben, ohne dass sie nass geworden sei. (Hierzu gibt es aber eine Parallelüberlieferung, das ist kein Eigengut bei Cassius Dio.)
3.) Nicht in Bezug auf die Varusschlacht, aber da, wo wir eine Parallelüberlieferung haben, wissen wir, dass Cassius Dio mit seinen Quellen nicht immer ganz treu umgeht. So stellt er Caesar teilweise besser dar, als dieser sich selbst. Das muss man bei einem Selbstdarsteller wie Caesar erst einmal fertigbringen.

Bedrohungspotenzial für die westlich des Rheins gelegene Gebiete. Eile war angebracht. Der Zeitpunkt muss vor einer planmäßigen Verlegung von Teilen der 17. 18. und 19 Legion geschehen sein (Eine Verlegung der kompletten Varusstreitkräfte in sogenannte Winterlager halte ich immer noch für fragwürdig).
Lager, die nicht an den Flussystemen von Rhein und Donau lagen, waren im Winter praktisch nicht zu versorgen.

Teile der Auxiliartruppen schließen sich dem Aufstand an.
Wahrscheinlich waren die Auxiliartruppen sogar der Kern des Aufstandes.

das "Durchschlagen" durch die Wälder als Dramaturgie zu verstehen ist.
Teils.

Wenn eine Teilromanisierung bereits vor Varus stattgefunden hat, dann ist davon auszugehen, dass zumindest die Infrastruktur in diesem Gebiet einigermaßen vorhanden war
Wir wissen, dass es entlang der Lippe eine Straße gab. Ansonsten gab es Wege, die spätestens seit der Bronzezeit benutzt wurden.

Nach den Ereignissen 9 n. Chr. war die Romanisierung westlich des Rheins zunächst gescheitert.
Du meinst sicher östlich ;)

Ob Germanicus in den Feldzügen 15 n. Chr bis 16 n. Chr. wirklich noch die Absicht hatte die Gebiete westlich des Rheins zu einer dauerhaften Provinz zu machen halte ich für nicht wahrscheinlich. Es ging wohl eher darum den Prestigeverlust wieder wett zu machen.
Zumindest hat man versucht, das Aufmarschgebiet an der Lippe intakt zu halten. Eigentlich ist ziemlich sicher, dass die Römer sich auch weiterhin östlich des Rheins bewegten. Jäger, Holzfäller, Händler... Das Vorfeld des Rheins dürfte unter lockerer römischer Kontrolle geblieben sein.
 
Es ist ja schon bemerkenswert, dass du an der Lagerschlachttheorie festhältst, die auf Florus, der als unzuverlässig gilt, basiert. Florus hat eine Art Zusammenfassung der Werke des Livius geschrieben, ist aber unzuverlässig in der Wiedergabe.
Das stimmt natürlich grundsätzlich, allerdings endete Livius' Werk bereits mit Drusus' Begräbnis. Florus muss seine Darstellung der Varusschlacht also auf eine andere Quelle (oder Quellen) gestützt haben. (Das bedeutet natürlich auch, dass man die Lagerschlachtversion weder direkt noch indirekt auf den zeitnah schreibenden und mit dem Kaiserhaus in Verbindung stehenden Livius stützen kann.)
 
Das stimmt natürlich grundsätzlich, allerdings endete Livius' Werk bereits mit Drusus' Begräbnis. Florus muss seine Darstellung der Varusschlacht also auf eine andere Quelle (oder Quellen) gestützt haben. (Das bedeutet natürlich auch, dass man die Lagerschlachtversion weder direkt noch indirekt auf den zeitnah schreibenden und mit dem Kaiserhaus in Verbindung stehenden Livius stützen kann.)
Ja, das habe ich mir gespart, wollte es nicht komplizierter als notwendig machen.
 
Meiner Meinung nach ist das Einzelereignis "Varusschlacht"
die erfolgreichste politische Vertuschung der letzten 2000 Jahre.
Der kurze Krieg gegen die Germanen, in dessen Verlauf drei Legionen plus Hilfstruppen und (was wohl weit kritischer war) die Germania Magna, in deren Infrastruktur bereits jahrelange Arbeit und Millionenschwere Investitionen gesteckt wurden, verloren gingen.
Mehrere Kämpfe und Belagerungen, wahrscheinlich über die Herbst und Winterzeit sind anzunehmen.
Einen Krieg zu verlieren gegen vollkommen unterworfene Gegner, (von der Prinzipalen Familie persönlich unterworfen)
hätte die Vormachtstellung des Augustus mit Sicherheit extrem geschwächt und das war nicht hinnehmbar.
Also macht man ein Einzelereignis daraus.
Schmückt dieses mit widrigen Umständen, Wetter und Landschaft konnten selbst vom Priceps nicht mal eben unterworfen werden und über die hatten er und seine Familienmitglieder ja auch nicht vor der ganzen Welt öffentlich triumphiert.
Eventuelle Zeugen bekommen ein Italienverbot, das wenn die Zeugen erpressbar sind auch aufgehoben werden konnte (höhergestellte Persönlichkeiten).
Eine Schlacht kann schn einmal verloren gehen und es waren schon weit schlimmere Niederlagen in der römischen Geschichte vorgekommen.
 
Deine Meinung zeigt aber eine ziemliche Unkenntnis sowohl der Vorgeschichte der Varusschlacht als auch der Folgen. Schon Caesar hatte mit rechtsrheinischen Germanen Probleme (nicht nur mit Ariovists Sueben) und die Probleme setzten sich fort, waren wahrscheinlich sogar der Grund für die Überquerung des Rheins. Was hätte man vertuschen sollen? Das ergibt gar keinen Sinn. Zumal die Varusschlacht eine schmähliche Niederlage und weder die erste noch die letzte war.
Egal, ob man jetzt Kalkriese als Ort der Varusschlacht interpretiert oder als ein anderes Ereignis: Es ist einfach ein herausragender Fundort, der seinesgleichen sucht.
 
Ja es ist ein herausragender Fundort.
Aber ob Cäsar oder Marius mit irgendwelchen Germanen Schwierigkeiten hatten ist für Augustus irrelevant Er hat triumphiert und ein Triumph stand demjenigen zu der den Gegner vollkommen unterworfen und oder eine neue Region zum Reichsgebiet hinzugefügt hatte.
Die Herrschaft des Augustus wäre mit Sicherheit schwer beschädigt worden, wenn es sich so deutlich herausgestellt hätte, das sein Triumph nicht so ganz berechtigt war.

Wieso bin ich nicht so gut informiert?(kann ja sein bei einem Forschungsstand von 5 bis 10%, was die römische Präsenzin Deutschland angeht bin ich aber in illustrer Gesellschaft)
 
Weil es seit Caesar jede Menge Niederlagen gegen die Germanen oder zumindest Probleme mit mit der Einrichtung einer Provinz gab (clades Lolliana, immensum bellum) und dies auch über die Varusschlacht hinausreichte. In deiner Darstellung wirkt das so, als sei die clades Variana ein singuläres Ereiggnis, aber das ist sie eben nicht. Sie ist durch ihre Deutlichkeit nur außergewöhnlich.
Eher könnnte man glauben, die clades Lolliana oder der immensum bellum wären vertuschte Ereignisse, so wenig, wie wir über diese wissen. Wobei mein Verdacht ist, dass der immensum bellum gar nicht so "immens" war, sondern von Velleius aufgebauscht wurde, der sowohl die Leistungen seines Feldherren Tiberius als auch seiner selbst durch das Attribut vergrößern wollte.

Über den Nachgang der Varusschlacht wissen wir ziemlich sicher, dass noch im Jahr 9 Tiberius den Rhein überschritt, weitere Male in den Jahren 10 und 11.
Germanicus kam im Zuge von Augustus' Tod 14 an die Rheingrenze und überschritt sie noch im Herbst erstmals (caesischer Wald/Marser). Es ist anzunehmen, dass er zunächst gar nicht unbedingt auf Rache aus war, sondern auf Beruhigung der Meuterer und Beschäftigung der Soldaten (Feldzug 14) und erst 15-1 (Entsetzung des belagerten Segestes) oder sogar erst 15-2 (Verwüstung des Brukterergebietes und im Verlaufe des Feldzuges und mit Begehung des Varusschlachtfeldes) von der innenpolitischen Agenda auf die außenpolitische Agenda umschwenkte: Arminius zu besiegen. Daher dann auch der Marsch an die Weser (16-2, vorher - 16-1 - die ihm von den Germanen aufgezwungene Entsetzung des belagerten Aliso).
 
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