Hallo Biturigos,
wenn ich bei Tacitus lese (die Übersetzung Strodtbeck/Gottwein), kann ich Deine Argumentation nicht nachvollziehen. Hier die relevanten Zeilen:
Tacitus ann 1, 35,3
fuere etiam, qui legatam a divo Augusto pecuniam reposcerent ((Einige forderten auch den Geldbetrag, den der verewigte Augustus ihnen vermacht habe)
Tacitus ann 1, 36,3
legata, quae petiverant, exsolvi duplicarique. (die Vermächtnisse, die sie begehrten, sollen in doppelter Summe ausbezahlt werden.)
Tacitus ann 1, 37,1
largitio differebatur in hiberna cuiusque. non abscessere quintani unetvicesimanique, donec isdem in aestivis contracta ex viatico amicorum ipsiusque Caesaris pecunia persolveretur. (Die Ausbezahlung (des Vermächtnisses) wollte man für jeden einzelnen auf das Winterquartier verschieben; aber die fünfte und die einundzwanzigste Legion wichen nicht von der Stelle, bis das Geld, das Germanicus und seine Freunde aus ihrer Reisekasse zusammenlegten, noch im Sommerlager ausbezahlt war.)
Tacitus ann 1 37,2
primam ac vicesimam legiones Caecina legatus in civitatem Ubiorum reduxit, turpi agmine, cum fisci de imperatore rapti inter signa interque aquilas veherentur.
(Die erste und die zwanzigste Legion führte der Legat Caecina in die Stadt der Ubier zurück, ein Heereszug, schändlich anzusehen, wie die dem Imperator entrissenen Gelder mitten unter den Feldzeichen und Adlern mitgeführt wurden.)
Grad die letzte Formulierung deutet nicht an, dass die Legionen etwas "ihnen zustehendes", also rückständige Gelder. Sold, etc., von dannen führten...
Da schließe ich mich lieber doch der Aussage vom (erzwungenen) doppelten Augustuserbe an.
Ja klar, meine spekulative Annahme, die Ursache der Gegenstempelei betreffend, ist doch nur ins Blaue geschossen.
Jedoch verweise ich nochmals auf die ungeheuerliche Ausnahmesitustion (Lebensgefahr!) hin, in der sich Germanicus als Geisel der Legionen befand! In solch einer Situation kannst Du irgendwelche "Berechtigungen zum Gegenstempeln", die in der normalen römischen Welt eisern bestanden, wenn sie denn überhaupt bestanden, schlicht vergessen! Vier Legionen meuterten und massakrierten ihre Centurionen, weitere vier Legionen waren (noch!) unentschlossen - zusammen ein Drittel der gesamten römischen Heeresmacht! Hier bestand neben der persönlichen Gefahr für den Prinzen eine ebensolche für das gesamte Reich!
Hier musste schnell und effektiv gehandelt werden, irgendwelche Vorschriften spielten da absolut keine, nicht die kleinste Rolle.
Und man ersann eine Verdoppelung des Erbes des Augustus - Geld beruhigt ungemein. Aber dieses Geld musste greifbar sein, Zettel oder Listen waren absolut ungeeignet.
Sogar die Reisekassen der Freunde des Germanicus - das konnten doch der junge Varus und der möglicherweise ebenfalls anwesende Valerius Maximus durchaus sein, unabhängig, ob sie nun zum inneren Machtzirkel gehörten oder nicht, oder? - wurden bemüht. Tacitus schreibt nichts von Gegenstempelungen und dergleichen, was selbiges jedoch nicht ausschließt, er hat halt nur keine Infos drüber gehabt oder wollte nur von der Hilfsbereitschaft der Freunde berichten, wer weiß?
Schau, an anderer Stelle schreibt Tacitus ja auch explizit von einer Errichtung eines Tumulus für die Gefallenen der Varuslegionen, nichts von irgendwelchen Knochengruben, rein überhaupt nichts!
Trotzdem wird grade diese konkrete und unmissverständliche Aussage (ein Grabhügel) von den Kalkrieseleuten sogleich zu einer allgemeinen Bestattungsaktion umgedeutet, bei der "selbstverständlich" auch Knochengruben angelegt wurden, welches wiederum ein "starkes" Indiz (von Beweis zu schreiben traut sich dann doch keiner!) für die Varusschlacht (oder eines "bedeutenden Teils" derselben - stärker kann sich auch ein Aal nicht winden!) am Kalkrieser Berg sein soll! Erstaunliche Argumentation von wissenschaftlich ausgebildeten Leuten, nicht wahr?
Also kann doch mit gleichem gedanklichen "Recht" angenommen werden, dass zur Beschaffung des nötigen Geldwertes natürlich vorwiegend die minderwerten Münzen (Asse) genommen wurden um mittels Aufwertung durch Stempel die Geldsumme zu vervollständigen. Um solches anzunehmen und für möglich zu halten (In einer absoluten Ausnahmesituation!) benötige ich auch keinen Münzexperten oder dergleichen, weil es deren normale Arbeit nicht betrifft.
Vielleicht könnten jene die Frage beantworten, warum ein schwerreicher römischer Statthalter Geldgeschenke in Form von Kleingeld an seine Soldaten überreichen lässt? Wenn Du auf Arbeit einen guten Job machst und Dein Chef überreicht Dir mit gütigem Lächeln und warmen Worten einen Umschlag, der, als Du ihn öffnest, einen 5-€-Schein (oder auch zwei) enthält, wie werden wohl Deine Gedanken bezüglich dieses Chefs in dem Augenblick sein?
Aber eigentlich interessiert mich die ganze Münzdiskussion wirklich nur am Rande - weil sich damit über das Datum eines Ereignisses nur eine konkrete Aussage treffen lässt, nämlich wann diese frühestens verloren gegangen sein können, der Rest ist nicht beweisbar mit Münzen allein.
Ich bin nur immer wieder erschüttert, mit welcher Selbstsicherheit fast jeder zweifelsfrei den Stempel "VAR" als Varus deutet, natürlich abgesichert durch VAR-Gegenstempel in Syrien, wo Varus ebenfalls diente, was natürlich den ultimativen Beweis darstellt.
Rom ist groß und ein paar besondere Münzen sind also bis nach Syrien gekommen, na und? Was beweist das?
Beste Grüße
Ostfale