Eh´ ich das vergesse...
Hallo Biturigos,
Du hattest einige Seiten zuvor einige Zeilen an mich gerichtet:
"@Ostfale: aus deiner farbigen Erzählung entnehme ich, dass du Zeitzeuge des Geschehens warst. Würde mich freuen, sozusagen aus erster Hand zu erfahren, was wirklich damals geschehen ist. Dann müssen sich Althistoriker, Archäologen, Heimatforscher und andere Interessierte nicht mehr weiter bemühen und diskutieren!"
Nein, mein Lieber, Zeitzeuge war ich leider nicht. Ich bin zwar schon recht alt, aber biblisch kann ich mein Alter trotzdem nicht nennen.
Aber helfen kann ich Dir!
Lies einfach in Ruhe den Tacitus, Ann I, ab 31 bis 39.
Da reist der Germanicus ins Sommerlager der 1., 5., 20. und 21. Legion (nach Neuss?) und wird gleich von den Legionen begrüßt. Jedoch stellen sie sich nicht wie befohlen auf. tragen lediglich murrend ihre Fahnen nach vorn. Nach der beschwichtigenden Rede von Germanicus tragen sie ihre Forderungen (Veteranenentlassung, reichlichere Entlohnung, keine Mißhandlungen mehr) vor. Einige, so Tacitus, fordern das Erbe des Augustus und zeigten sich bereit, falls er das Imperium wolle. Daraufhin will Germanicus empört das Gelände verlassen, was die Legionäre nicht gestatten. Als Germanicus sich deshalb mit einem Schwert das Leben nehmen will, wollen das Umstehende verhindern, andere hatten nichts dagegen. Der Legionär Calusidius reicht ihm sogar sein Schwert, da es schärfer sei.
Es gelang den Freunden von Germanicus jedoch, selbigen in das Feldherrenzelt zu bringen und man überlegte das weitere Handeln. Ergebnis war der bekannte Brief mit den Versprechungen der zeitigen Dienstentlassung und dem Auszahlen des Augustuserbes in doppelter Höhe!
Das reichte erstmal zur Beruhigung, nur das Erbe sollte sofort ausbezahlt werden, verlangten die Legionen und zogen danach Richtung Köln und Vetera ab.
Germanicus reiste zur anderen Rheinarmee, wo er weniger Probleme hatte.
Zurück in Ara Ubiorum ging der Ärger weiter. Die Legionäre stürmten nachts sogar des Haus des Germanicus und drohten ihm mit dem Tod, so er die Fahne nicht herausgibt ("extractum cubili Caesarem tradere vexillum intento mortis metu subigunt.").
Soweit Tacitus...
Dio (57, 5 f.) berichtet noch, dass Germanicus seine Gattin und Sohn heimlich aus dem Lager entfernen will. Aber die Soldaten halten die Flüchtlinge an. Auf Bitten des Germanicus lassen sie die schwangere Agrippina wieder frei, während sie den kleinen Caligula bei sich zurückbehalten. In der Folgezeit beruhigen sie sich dann.
Ganz anders schildert Tacitus dann in Ann. I, 40 bis 44,6 nochmal das selbe Geschehen wie vorher, nur plötzlich stellt er Germanicus als strahlenden Helden dar, auf dessen Strafrede, und des jämmerlichen Anblicks seiner zu Fuß fliehenden Familie, die Legionäre umgehend bereuen und sich quasi vor ihm in den Staub werfen.
Nach Gerhard Kessler hat hier Tacitus eine andere Quelle (eine offizielle wohl, die die Schmach des Feldherrn gewaltig abmildert) verwendet und damit eine Doppelung fabriziert, bewußt oder unbewußt.
Wieviel von letzterer Schiderung zu halten ist, sieht man spätestens, als der erwachsene Caligula 23 Jahre später als Kaiser an den Rhein kommt.
Kessler schreibt: "In Suet. Cal. 48 will Caligula als Kaiser die rheinischen Legionen niederhauen lassen, quod et patrem suum Germanicum et se infantem tum obsedissent.
Obsessio ist hier wohl nichts als ein starker Ausdruck für die jämmerliche Lage des Germanicus, wie sie auch bei Tac. (I 39) und Dio deutlich ist."
Die Schmach dieser "Gefangenschaft" steckte also noch sehr tief in der Familie.
Das damalige Angebot, Germanicus zum Kaiser auszurufen, war wohl doch nur eine Randnotiz im Geschehen...
weiter schriebst Du:
"Und die haben tatsächlich auf ihren Germanicus-Feldzug ein Jahr nach dem Aufstand 14 AD die gesamte Legionskasse mit VARUS-Gegenstempeln mitgenommen (der Mann war schließlich tot, wer weiss ob das noch ein Zwölftel eines Aureus wert war ...), also diese wütenden, zornigen, bewaffneten Kampfprofis hatten ein Jahr später immer noch tausende Schuldscheine in der Kasse, und Caecina hat die verloren (die Germanen wussten also nicht, dass die viel wert waren, sonst hätten sie die ja verkleidet versuchen können einzutauschen), so ärgerlich, obwohl er doch gewonnen hat bei den pontes longi, und Arminius und sein Heer geflohen ist. Da blieb doch Zeit, die Kasse zu suchen, wenn die Germanen das Weite gesucht haben...
Komisch ist schon, dass dem Germanicus der Stift ging, obwohl nach Tacitus die Legionen in den germanischen Provinzen ihn mit Kusshand begrüßten und die Veteranen ihn zum Imperator erheben wollten - was geben die Quellen nicht alles her! Und obwohl sie in den Winterquartieren die Schenkung (Tacitus, du Schlawiner, wer erfindet denn sowas! Annales 1, 37) erhalten sollten, und doch schon aus der Reisekasse der Entourage des Germanicus erhalten hatten - da schleppen sie ein Jahr später immer noch ihre ZwölftelAureus-Schuldmünzen mit wie als gings zum Casino von Monte Carlo und nicht in germanische Wälder? Großartig unberechenbar diese Römer!"
Ja, finde ich spaßig, aber ich schrieb nicht von Varus-Gegenstempeln, schon gar nicht, dass die in der Legionskasse waren. Aber warum diese vermutlich als Wertmarken umgewidmeten Asse auch Monate später noch mitgeführt wurden, kann ich Dir schreiben. Sie hatten allesamt einen weit höheren Wert und waren damit - bis zum Rücktausch in den gestempelten Wert - kein eigentliches Zahlungsmittel mehr! Eine Art Pfandschein, mehr nicht.
"Frisches" Geld ließ sich möglicherweise nicht so schnell beschaffen, zumal der Prinzeps nach dem Ende der Meuterei seine Truppen quasi ständig mit Feldzügen beschäftigte (Herbst 14, Frühjahr 15, Sommer 15).
Außerdem bestehe ich ja nun nicht darauf, dass VAR nun unbedingt als UAR zu lesen ist. Wie Du selbst oben schriebst, hat die Entourage des Germanicus selbigen finanziell unter die Arme gegriffen. Vielleicht wurden die Münzen auch mit dem Namen der "Spender" versehen, also AUC für das normale Erbe des Augustus, IMP für die Verdoppelung durch Germanicus, C VAL für (Gaius?)Valerius Maximus - der sich vermittelt durch den Literaturmäzen Sextus Pompeius in der Nähe dessen literaturbegeisterten Freundes Germanicus aufhielt, vielleicht ist er sogar die detailtreue Quelle, die Tacitus und Dio vorlag? - und VAR kann tatsächlich das Zeichen vom Sohn des unglücklichen Feldherren sein, der sich (als Verwandter) ebenfalls bei Germanicus befand, können wir das wirklich ausschließen?
Jaja ich weiß, reine Vermutung, wissen können wir weder das, auch ist die Gegenstempelung als Geldgeschenk des Varus nicht mehr als eine mittelwahrscheinliche Vermutung - die nur schon 10.000-mal wiederholt wurde und daher als wahr vorausgesetzt wird, ist es nicht so?
Grüße
Ostfale
Edit: Sorry Biturigos, hatte Deinen letzten Post nicht gelesen!