Germanische Stämme, Volksstämme, Ethnien - aktueller Wissenssstand

Die Beck'sche Reihe Wissen soll schon Überblickswissen über das jeweilige Themengebiet darstellen, Einführungsliteratur sein. Das macht sie über Kritik nicht erhaben. Ich etwa kritisiere den Band Das Maurische Spanien von Bossong für eine wahrhaftige Petitesse. Auf den ersten Seiten erläutert Bossong die Etymologie von al-Andalus. Was er da als letzten Forschungsstand verkündet, ist aber bloß die Kurzfassung seiner anderweitig- in einer Festschrift für Theo Vennemann - publizierten baskoiden Hypothese, die deutliche Schwächen hat und daher nicht überzeugen kann. Das macht den Rest des Buches nicht schlecht und entwertet auch nicht Bossongs sonstige Arbeit als Linguist und Literaturwissenschaftler. Dass Bossong den Band Das Maurische Spanien geschrieben hat: geschenkt. Aber dass er seine Hypothese nicht als solche dargestellt hat, ärgert mich schon. Nichtsdestowenigertrotz sind die Bücher der Beck'schen Reihe keine Dissertationen, in denen der Forschungsstand notwendigerweise diskutiert werden muss. Von Fall zu Fall kann man das machen.
 
Ich möchte den Herren Herwig Wolfram auch gar nicht bashen, in Frage stellen oder sonst etwas. Das steht mir nicht zu.

Ich bin nur der Meinung und dafür kritisiere ich ihn, dass er sich nicht die entsprechende "Mühe" gegeben hat, näher und deutlicher auf die von ihn angerissenden Thematiken einzugehen.
Es soll nur einen Überblick in die Thematik liefern, schön und gut.

Kapitel Vergleiche, Stehsätze, Gemeinplätze - dieses Thema klassisches Germanenbild etc. ist meiner Meinung nach schon extrem ausgereizt. Warum wird es wieder und immer wieder aufs Neue gebracht?
Mich interessiert das mitnichten und hängt mir persönlich zum Hals raus. Was wissen wir jetzt bzw. im Erscheinungsjahr 1994 über die Germanen, um sich gar nicht erst in den mühsamen Schleifen immer wieder zu verlieren und verlieren.

Warum nicht eine Aufzählung von Fakten, meinetwegen mit Bullet Points.
Nach dem Muster, so wie ich es übrigens hier im Forum gelernt habe.

Die Germanen waren seßhafte Bauern und betrieben Subsistenzlandwirtschaft ...

Kapitel Die Ehre
Ideologiebefrachtete Reizwörter ... Es geht schon wieder los. Es interessiert mich nicht, was im Kaiserreich oder im 3. Reich unter "germanischen Ehrbegriff" verstanden wurde, sondern ich möchte wissen, wie Soziologen es HEUTE sehen, Herr Wolfram. Sorry.
Welchen Sinn machen Sätze wie auf Seite 23
Ehre und Heil waren Morive historischen Handelns, nicht diese selbst.
Was kann ich damit anfangen?
In der archaischen Welt waren sie wirksam, man soll sie dort, wo sie hingehören, als solche anerkennen aber in dieser Umgebung belassen.
Wie bitte?!?

Ja, vielleicht ist es Wolframs Ausdrucksweise, mit der ich nicht klarkomme oder ich nicht über die kognitiven Fähigkeiten besitze, diese in allgemeinverständliche Aussagen zu übersetzen.

Ja, ich kann mir gut vorstellen, was Ihr jetzt sagt.
Ich sollte mich mit leichtgängrigere Lektüre wie Micky Maus oder Fix & Foxy beschäftigen ... Kleiner Spaß.
 
Ich habe natürlich den dummen Verdacht und das hat sich ja auch durch Eure Aussagen mehr oder weniger erhärtet, dass man so unglaublich wenig an Fakten hat, dass es diese ganzen Fülltexte benötigt, um das Volumen der spärlichen Kernaussagen aufzublähen und daraus eine publizierbare Schrift zu machen.
Man weiß, welches Germanenbild im Kaiserreich etc. vorherrschte, also streckt man eine Abhandlung darüber ins Unermessliche, um die wenigen Fakten, die man aus der tatsächlichen Zeit vor 2.000 Jahren gewonnen hat nicht ganz so ärmlich aussehen zu lassen.
 
Kapitel Vergleiche, Stehsätze, Gemeinplätze - dieses Thema klassisches Germanenbild etc. ist meiner Meinung nach schon extrem ausgereizt. Warum wird es wieder und immer wieder aufs Neue gebracht?

Kapitel Die Ehre
Ideologiebefrachtete Reizwörter ... Es geht schon wieder los. Es interessiert mich nicht, was im Kaiserreich oder im 3. Reich unter "germanischen Ehrbegriff" verstanden wurde, sondern ich möchte wissen, wie Soziologen es HEUTE sehen, Herr Wolfram. Sorry.


Ich muss dazu sagen, dass ich Wolframs Einführungswerk nur zu gut 2/3 gelesen habe, der Rest waretet als Bettlektüre noch, insofern kann ich da nur zum Teil mitreden.
Die Verweise auf Probleme mit dem Germanenbild des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts erschienen mir persönlich auch etwas langatmig und ich würde es für eine bessere Lösung gehalten haben, dass einmal in einem entsprechenden Vorwort abzuhandeln, statt immer wieder auf diese Thematik zurück zu kommen.

Allerdings angesichts des Unsinns der mit der Thematik im letzten jahrhundert betrieben wurde und in der Populärliteratur etc. noch immer betrieben wird, sehe ich nicht, dass ein Verfasser eines Überblickwerks zum Thema darum herum kommt.

Warum nicht eine Aufzählung von Fakten, meinetwegen mit Bullet Points.
Nach dem Muster, so wie ich es übrigens hier im Forum gelernt habe.

Die Germanen waren seßhafte Bauern und betrieben Subsistenzlandwirtschaft ...

Naja, weil es sich so allgemein eben nicht sagen lässt.

Ich meine wir reden bei "den Germanen" letztendlich über Jahrhunderte und einen Raum, der von Skandinavien über die heute deutschsprachigen Gebiete bis zeitweise weit nach Osteuropa hinein reichte und dementsprechend sehr verschiedene Räume umfasste.

Subsistenzlandwirtschaft mag auf einen großen Teil der Germania Magna zutreffen, die Germanen, die in den römischen Provinzen saßen oder direkt an deren Grenze und mit Rom Handel trieben, dürften in Teilen andere Techniken verwendet und durchaus auf den römischen Markt orientiert gewesen sein, während in Skandinavien Subsistenzlandwirtschaft allein oft nicht hingereicht haben, dafür aber Fischerei und Jagd eine um so größere Rolle gespielt haben düften.

Auch was technologische Entwicklungen angeht, lief das durchaus nicht immer im Gleichklang, bis z.B. Eisenverarbeitung in größerem Stil in Skandinavien einsetzte, dauerte es durchaus deutlich länger als im Süden.

Das Problem ist halt, dass es sich um einen verdammt großen Themenkomplex handelt, der nicht in Schlagworten abzuhandeln ist, wenn man nicht Dinge postulieren möchte, die auf bestimmte Germanengruppen eben nicht zutrafen.
 
Ja, die BundeswehrUni HH hat das RGA sicherlich im Bestand. Ich habe es immer noch nicht geschafft, da mal vorbeizuschauen.

Hey Shinigami, besten Dank für Deine Einordnung.
Ja natürlich, Du hast recht. Die Geschichte der Germanen erstreckt sich über einen sehr langen Zeitraum und da war wohl auch nichts über die Jahrhunderte statisch.
 
@BerndHH ich hatte das verlinkt:
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Screenshot_20231024_051628_Chrome.jpg


...also nicht veraltet von 1919...
 
Die Ausführungen dazu fand auch ich problematisch, etwa wenn er als Arminius' Motiv die "Ehre" vermutet. Dazu gesellen sich spekulative Ansichten wie dass verschiedene Aktionen von Germanicus als "Neidingstaten" empfunden worden wären, die die antirömische Haltung verstärkten. Da werden Anschauungen, die erst für viel spätere Zeit belegt sind, rückprojiziert.
 
Ich habe das schon einmal vor langer Zeit im Forum gebracht: H. Wolfram (schon wieder derselbe!), Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter, Siedler, 1998, gibt's nur noch antiquarisch.
Da sind allerdings "nur noch" diejenigen Völker / Stämme / Ethnien (wie auch immer) abgehandelt, die als Nachfolgestaaten des RR gelten: vor allem Ost- und Westgoten (aber auch Markomannen), Alemannen, Franken, Burgunder, Sachsen, Langobarden. Gewiss, 5./6. Jahrhundert wird behandelt, aber es wird auch auf die Vorgeschichte eingegangen. Mit vielen Abbildungen und Karten. Wie ich finde, sehr klar geschrieben und den ganzen akademischen Kram, den ein Neuling gar nicht interessiert, weggelassen. Es kommt aber auch ein 1. Kap. über grundlegende Strukturen germanischer Völker / Stämme / Ethnien (wie auch immer).
Leider wird das Buch nicht mehr verlegt, aber ich vermute, so etwas oder so ungefähr etwas suchst du.
 
Ich habe das schon einmal vor langer Zeit im Forum gebracht: H. Wolfram (schon wieder derselbe!), Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter, Siedler, 1998, gibt's nur noch antiquarisch.
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Leider wird das Buch nicht mehr verlegt, aber ich vermute, so etwas oder so ungefähr etwas suchst du.
Es gibt eine neubearbeitete Ausgabe von 2018: Herwig Wolfram, Das Römerreich und seine Germanen.
 
Es gibt eine neubearbeitete Ausgabe von 2018: Herwig Wolfram, Das Römerreich und seine Germanen.

Die wird in dieser Rezension allerdings nicht unbedingt für Anfänger empfohlen:

"Sicher kann Wolfram mit seinem umfangreichen Wissen – wie sich nicht zuletzt daran ersehen lässt, dass er oft auf eigene Arbeiten zurückgreifen kann – aus dem Vollen schöpfen. Gänzlich Unkundige werden indes in der Fülle der Details und der verästelten Darstellung möglicherweise verloren gehen.
[...]
Es fällt schwer einzuschätzen, inwieweit das Buch ohne vorhandenes Vorwissen als Einführung gelten kann. Die Darstellung ist oft zu detailreich, die Entwicklungslinien werden zu selten offen angesprochen[...]"
 
@Eumolp genau dieses Buch hatte ich @BerndHH in mehreren Fäden empfohlen...
Deine Zusammenfassung ist prima!
Oh, das war mir nicht bekannt, dass das "Römerreich und seine Germanen" damit identisch ist. Es ist aber durchaus ein Qualitätskriterium, wenn das neu herausgegeben wurde.

@Sepiola:
Ich mache das oft so bei Büchern, die sich nicht ganz 100%ig erschließen: ich mutiere zum 2-Pass-Interpreter. Beim 2. Mal sind die Unbekannten dann oftmals bekannt, und man liest das Buch mit umso mehr Vergnügen. Mir jedenfalls hat das Buch sehr zugesagt, so etwa vor 20 Jahren gelesen, heute habe ich von der Materie etwas mehr Ahnung als damals, da wäre es an der Zeit, sogar den Pass Nr. 3 zu wagen.
 
Danke für Eure Literaturtipps!
Ich habe es immer noch nicht in die BW-Bib' geschafft. Da ich das moderne RGA nicht kenne, kann ich (noch) nicht mitreden.

Und dennoch bin ich der Meinung, dass DAS Standardwerk über die Germanen evtl. noch nicht geschrieben wurde.

Um tiefer in die Materie einzusteigen, müsste man vielleicht wissen, wie ist die Landschaft der Altertumswissenschaften aufgebaut? Welche Lehrstühle beschäftigen sich z.B. mit der Epoche der Augusteischen Germanenkriege und was sind die aktuellen Forschungsgebiete? Wer sind die aktuellen Dozenten, die sich aktuell damit beschäftigen?
Was wird in Deutschland gelehrt und was international?
Gibt es da überhaupt eine lokale|nationale|internationale Arbeitsteilung zwischen Forschung, Denkmalpflege, Ausgrabungen, etc.?
Wie ist das organisiert?
Stehen Einrichtungen wie Museum und Park Kalkriese für sich allein, lehren und forschen sie im Verbund mit Lehrstühlen an Universitäten?

Okay, viele dusselige Fragen aber an wen kann man sich wenden, wenn man detailliertere Fragen zu einem bestimmten Themenschwerpunkt hat?

Und genau das fehlt meiner Meinung nach: vielleicht eine Art Faktensammlung, gegliedert nach Epoche, was haben wir, wo stehen wir und an was wird derzeit intensiv geforscht?

PS: Dann würden sich auch sehr viele dusselig-naive Fragen erübrigen.
Okay, vielleicht ist es ja das moderne RGA.
 
Ja, ja, ich weiß schon, was jetzt schon wieder kommt. Lies erst einmal X und Y und dann sprechen wir uns wieder.
;)
 
Ja, ja, ich weiß schon, was jetzt schon wieder kommt. Lies erst einmal X und Y und dann sprechen wir uns wieder.
;)

Hast du also selbst gemerkt, dass dein vorheriger Beitrag teilweise Quatsch war, ja?

Und dennoch bin ich der Meinung, dass DAS Standardwerk über die Germanen evtl. noch nicht geschrieben wurde.
Was ist ein Standardwerk? Ein Standardwerk ist ein Werk der Forschungsliteratur, das immer wieder zitiert wird, um das man nicht drumherumkommt, wenn man sich wissenschaftlich mit einem Thema X beschäftigt.

Es ist unerheblich, ob dir dieses Werk gefällt. An Standardwerken kann man sich auch abarbeiten. Standardwerke sind aber in der Regel längere wissenschaftliche Texte, die über Jahrzehnte Wissensgrundlage für weitere Forschungen darstellen, ohne selber wesentlich vom Forschungsstand überholt zu werden

Um tiefer in die Materie einzusteigen, müsste man vielleicht wissen, wie ist die Landschaft der Altertumswissenschaften aufgebaut? Welche Lehrstühle beschäftigen sich z.B. mit der Epoche der Augusteischen Germanenkriege und was sind die aktuellen Forschungsgebiete? Wer sind die aktuellen Dozenten, die sich aktuell damit beschäftigen?
Was wird in Deutschland gelehrt und was international?
Gibt es da überhaupt eine lokale|nationale|internationale Arbeitsteilung zwischen Forschung, Denkmalpflege, Ausgrabungen, etc.?
Wie ist das organisiert?
Stehen Einrichtungen wie Museum und Park Kalkriese für sich allein, lehren und forschen sie im Verbund mit Lehrstühlen an Universitäten?

Okay, viele dusselige Fragen aber an wen kann man sich wenden, wenn man detailliertere Fragen zu einem bestimmten Themenschwerpunkt hat?

Und genau das fehlt meiner Meinung nach: vielleicht eine Art Faktensammlung, gegliedert nach Epoche, was haben wir, wo stehen wir und an was wird derzeit intensiv geforscht?

PS: Dann würden sich auch sehr viele dusselig-naive Fragen erübrigen.
Okay, vielleicht ist es ja das moderne RGA.
Entschuldige bitte, aber dass du dich in der Wissenschaftslandschaft nicht auskennst, ist nicht die Schuld der Wissenschaftslandschaft. Da hast du eine Holschuld, bevor du dich über vermeintliche Missstände beschwerst!
Ich werde vielleicht heute Abend noch zwei, drei Sätze schreiben, wenn mir nicht jemand anders zuvor kommt, die deine Fragen in Grundzügen beantworten, jetzt muss ich aber zur Arbeit.
 
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