Hexenjagden gab es nicht nur in der frühen Neuzeit …

Nur nebenbei: Vox in Rama identifizierte (schwarze) Katzen als personifizierte Teufel. Diese Dämonisierung führte langfristig dazu, dass Katzen verfolgt und getötet wurden. Die Verfolgung war angeblich so total, dass einige Wissenschaftler glauben, die verbliebenen Katzen hätten nicht mehr Mäuse und Ratten in Schach halten können. Das hätte u.a. zur Folge gehabt, dass sich Mitte des 14. Jahrhunderts die Pest so schnell ausbreiten konnte.
Hier gibt es eine englische Übersetzung der Vox in Rama.

Eine Übersetzung, die Du offensichtlich nicht gelesen hast, denn das, was Du behauptest, steht da nicht drin. Immer wieder das alte Muster...

Bevor Du Dich ein weiteres Mal in unhaltbare Thesen verrennst, mache ich Dich darauf aufmerksam, dass ich über den Papst-Katzen-Pest-Mythos schon vor einiger Zeit einen Smalltalk-Thread eröffnet habe:

Du hast da zwar mal reingeschaut, aber wohl den Inhalt nicht zur Kenntnis genommen oder die Ironie nicht bemerkt. Um es deutlich zu sagen: Dieser Mythos gehört zu den schwachsinnigsten Mittelaltermärchen...
 
Wie aus der Chronologie der Beiträge ersichtlich, erfolgte meine Erstverlinkung der karolingischen Quelle als Entgegnung auf einen Beitrag von @Scorpio, in dem er sagte, im “frühen und hohen Mittelalter wurde für Tötungsdelikte meist nur "Wergeld" gezahlt.” Also war mein Verweis auf eine Quelle aus diesem Zeitraum legitim. Daraus ergab sich dann eine Diskussion, in der ich an 2 Stellen mit der Interpretation zu weit ging.
...aber @Dion ... die Chronologie irgendwelcher Forenbeiträge rechtfertigt es nicht, Unsinn in einen frühmittelalterlichen Rechtstext hineinzulesen ;) ...und bitte: wenn du schon dankenswerterweise einräumst, an 2 Stellen zu weit gegangen zu sein, dann mach da doch gründlicher weiter!
Du hattest doziert:
Art 9: Sterben soll, wer einen Menschen dem Teufel opfert und nach heidnischer Sitte den Götzen als Opfer darbringt. - Das sind Handlungen, die auch Hexen vorgeworfen wurden.

Art 21: Wer Gelübde nach heidnischem Brauch an Quellen, Bäumen oder Hainen darbringt oder nach heidnischem Brauch opfert und ein Gemeinschaftsmahl zu Ehren der Götzen veranstaltet, zahlt als Edeling 60, als Friling 30, als Late 15 sol. Und wenn er das Geld nicht hat, soll er es im Dienste der Kirche abarbeiten. - Der Gemeinschaftsmahl zu Ehren des Teufels war das klassische Vorwurf Namens Hexensabbath.

Art 23: Die Wahrsager und Zauberer sollen den Kirchen und den Pfarrern ausgeliefert werden. - Einer der Hauptvorwürfe war, Hexen könnten mit Hilfe des Teufels zaubern, sprich durch die Luft fliegen, etc.
(das peinliche daran ist: du zitierst wörtlich die Übersetzung aus dem Wikipedia Artikel und demonstrierst, dass du sie nicht lesen/verstehen kannst... das muss man erstmal hinkriegen...) auf diesen Unsinn hattest du diese Widerlegung einkassiert:
Art 9 erwähnt keine Hexen und meint auch keine. Es existiert keine frühmittelalterliche Quelle, welche von Hexen behauptet, sie würden dem Teufel Menschenopfer darbieten. Stattdessen werden hier schauerliche heidnische Rituale unter Strafe gestellt (unklar muss bleiben, ob die sächsischen Heiden des 8.Jhs. wirklich Menschenopfer praktiziert hatten)

Art 21 stellt heidnisches Brauchtum unter Strafe, von Hexen ist da nicht die Rede. Man muss schon über eine kräftige Mixtur aus Leseschwäche und burlesker Fantasie verfügen, um da den frühneuzeitlichen Hexensabbat hineinzudeuteln...

Art 23 erwähnt keine Hexen (strigae), sondern Zauberer/Wahrsager (divinos et sortilegos) - weder von Hexen, noch von Hilfe des Teufels und durch die Luft fliegen ist da die Rede.

Einzig Art 6 erwähnt "Hexe" (striga), interessanterweise nicht als Anklage oder Tatbestand (!) stattdessen wird unter Todesstrafe gestellt, wenn quasi in heidnischem Wahn andere Leute als Hexe oder Menschenfresser beschuldigt und verbrannt oder gar gefressen werden
daran hat sich nichts geändert.
Wenn du nun versuchst, deine Erläuterungen teilweise zu retten, so mindert das den peinlichen Eindruck keinesfalls:
Das ist wahr. Aber später wurde den Hexen unterstellt, sie würden
aha - du siehst also ein, dass du zu Art 9 Quatsch verzapft hast, schön - - ist dir klar, dass das Blabla "aber später..." exakt NICHTS mit der Capitulatio de partibus Saxoniae zu tun hat?
Wie ich am Beispiel des Art 21 zeigen konnte, haben die späteren Hexenverfolger die Aussagen der frühmittelalterlichen Bestimmungen missachtet
Du hast mittels Art 21 lediglich gezeigt, dass du die Übersetzung inhaltlich nicht begriffen hast (s.o.)

Korrekt wäre, du würdest zu deinen kompletten Einlassungen zur Capitulatio "Pardon, da hab ich Mist verzapft" einräumen und Schwamm drüber.
 
Sorry, ich habe die Stelle von irgendwo übernommen - ich werde sie suchen.

Das brauchst Du nicht mehr, ich habe Dir die Arbeit schon vor zwei Tagen abgenommen:


Wenn Du Belege für Behauptungen suchen willst, da wäre einiges andere offen. Zum Beispiel würde mich das auch interessieren:

Abgesehen davon gab es kaum Zeugen, die zugunsten des Delinquenten aussagten, weil sie dann Gefahr liefen, selbst als Komplizen des Angeklagten angesehen zu werden.

Letzteres darfst du gerne belegen. Das ist nichts weiter als eine persönliche Mutmaßung von deiner Seite.
 
Ja, du hast das geschrieben als Antwort auf einem Beitrag von @Scorpio, in dem z.B. auch Geisteskranken als vor Gericht zugelassen genannt wurden.
Und darf ich Fragen, was daran anstößig sein sollte "Geisteskranke" (was immer auch damit im einzelnen Fall gemeint ist, vor Gericht anzuhören?
Zunächst mal darfst du dir Vorstellung, die man in der bis Teilweise ins letzte Jahrhundert hinein von dem Begriff "Geisteskrank" hat nicht mit modernen diagnostizierbaren Krankheitsbildern gleichsetzen.
In andere Zeiten galt als schonmal als "Geisteskrank" wer vielleicht sozial ein wenig auffällig war, nach heutigen Maßsstäben aber psychisch gesund gelten würde.

Und selbst wenn es heutigen Krankheitsbildern entsprochen hätte, ob Personen in der Lage sind eigenverantwortlich zu Handeln und grundsätzlich im Stande sind, Dinge wahrzunehmen und wiederzugeben, hängt auch ganz massiv von der Schwere der Beeinträchtigung ab.
Welchen plausiblen Grund gibt es also "Geisteskranke" per se und ohne näheree Differenzierung nicht annzuhören?

Aus meiner Sicht keinen. Wenn der Zeuge den Eindruck macht irgendwelches Zeug zusammenhalluziniert zu haben oder ähnliches und sich zeigt, das inhaltlich erhebliche Zweifel an der Aussage angebracht sind, kann die Aussage noch immer als unglaubhaft betrachtet und für das weitere Verfahren außer Acht gelassen werden.

Wir sprechen hier vom Hexenwahn, der weite Teile der Bevölkerung erfasst hatte. In einer solchen Stimmung gerät die Suche nach Beweisen ins Hintertreffen – wichtig war es allein, von den Angeklagten ein Geständnis zu bekommen. Gab es ein Geständnis nicht, musste man den Angeklagten freilassen, was auch manchmal geschah.
Nein jetzt wirfst du Dinge durcheinander.

Ein Mob, der frustriert ist und einfach irgendwen getötet sehen möchte interessiert sich nicht für das mühsame herausbekommen von Geständnissen. Wozu denn?
Ein Mob, aus dessen Sicht Schuldige für irgendwas ohnehin feststehen wird das einfach übergehen oder aber, wenn er meint sich rechtlich irgendwie absichern zu müssen, auch keine Probleme damit haben einfach irgendwelche Geständnisse zu fälschen.
Wer bereit ist für irgendeinen irrglauben oder irgendeinen Fanatismus Menschen totzuschlagen oder umbringen zu lassen, der wird auch vor der Lüge nicht zurückschrecken um das zu rechtfertigen.

Und wenn das der regelmäßige Gang der Dinge gewesen wäre und Wahrheitsfindung niemanden interessiert hatte, müssten die Raten zur Verurteilung zu Kapitalstrafen gegenüber der Zahl der greifbaren Fälle sich auf nahezu hundert Prozent belaufen.
Denn wenn sich für Beweise niemand interessiert hätte und einzig relevant gewsen wäre, dass Bevölkerung und Justiz gerade irgendeine Mordlust austoben wollten, wie hätte da jemals jemand seinen oder ihren Kopf aus der sprichwörtlichen Schlinge ziehen und einen Freispruch erwirken können?

Ich habe gestern in meiner Antwort auf @muck darauf hingewiesen, dass die Quote der Hinrichtungen sehr hoch sein müsste, weil sonst die 40.000 bis 60.000 Opfer der Hexenverfolgung nicht zu erklären seien.
Deiner Ansicht nach. Die halte ich aber für relativ unplausibel, wenn man bedenkt, dass Hexenprozesse mehr oder weniger in weiten Teilen Europas über einen Zeitraum von mehr oder minder zweieinhalb Jahrhunderten stattfanden.

Nehmen wir alleine mal das Heilige Römische Reich nördlich der Alpen. Wie viele Einwohner mag das in der FNZ gehabt haben?

Vielleicht 20-25 Millionen über den Daumen? Nehmen wir mal ein Vierteljahrhundert für eine Generation an, dann haben in der Hochzeit der Hexenverfolgungen so 8-10 Generationen gelebt (bleiben wir der Einfachheit halber mal bei 10), dann reden wir so über den Daumen, über 250 Millionen Menschen, die während der Zeit der Hexenverfolgung allein im Heiligen Römischen Reich lebten.
Nimm nochmal ähnliche Zahlen für Frankreich an, dann wäre man vielleicht bei 400 Millionen, allein im westlichen bis mittleren Kontinentaleuropa.

2, irgendwas Millionen Hexenprozesse klingt auf den ersten Blick nach einer riesigen Menge, rechnet man aber wie oben demonstriert die Gesamtbevölkerung der betroffenen Länder über den Gesamtzeitraum der Verfolgungen hoch, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass sich selbst bei dieser kolportierten Zahl an Prozessen die Anzahl der Prozesse in Relation zur Gesamtbevölkerung im Promillbereich bewegt hätte.

Sprich jeder X.000ste wurde mal angeklagt und von denen wiederrum wurde nur ein Bruchteil zu wirklich schweren Strafen verurteilt.
In meinen Augen durchaus denkbar.
 
Eine Übersetzung, die Du offensichtlich nicht gelesen hast
Ich habe doch geschrieben "Die Verfolgung war angeblich so total, dass einige Wissenschaftler glauben, die verbliebenen Katzen hätten nicht mehr Mäuse und Ratten in Schach halten können." Ich habe mich also davon distanziert - was willst du mehr?

Wenn Du Belege für Behauptungen suchen willst, da wäre einiges andere offen. Zum Beispiel würde mich das auch interessieren:
Abgesehen davon gab es kaum Zeugen, die zugunsten des Delinquenten aussagten, weil sie dann Gefahr liefen, selbst als Komplizen des Angeklagten angesehen zu werden.
Das ist leicht zu begründen: Wenn von 110.000 der wegen Hexerei Angeklagten 40-50 Prozent exekutiert wurden, dann hat wohl kaum jemand für sie die Partei ergriffen, schließlich gab es auch vernünftige Leute, die nicht an die Existenz von Hexen glaubten. Und wenn diese nicht als Zeugen zugunsten der Angeklagten auftraten, dann weil sie die Angst hatten, selbst angeklagt zu werden. Oder weißt du einen anderen trifftigen Grund?

Eine Nebenbemerkung und eine logische Schlussfolgerung von mir - ist das alles, was du zu bemängeln hast?

... aha - du siehst also ein, dass du zu Art 9 Quatsch verzapft hast, schön - - ist dir klar, dass das Blabla "aber später..." exakt NICHTS mit der Capitulatio de partibus Saxoniae zu tun hat?

Du hast mittels Art 21 lediglich gezeigt, dass du die Übersetzung inhaltlich nicht begriffen hast (s.o.)
Für Artikel 9 gilt das gleiche wie für Artikel 21: Die späteren Mächtigen der Kirche haben sich darüber hinweggesetzt. Hier wurde in einem fort gesagt, das alles könne nicht sein, denn die Kirche negierte die Existenz der Hexen von Anfang an. Ja, sage ich, aber davon blieb später kaum noch was übrig. Siehe z.B. Vox in Rama. Darum geht es hier.

Für dich, @dekumatland, gilt das gleiche wie für @Sepiola: Wenn du nichts anderes zu bemängeln hast, dann ist das sehr mager. Damit kann ich leben.

, dass sich selbst bei dieser kolportierten Zahl an Prozessen die Anzahl der Prozesse in Relation zur Gesamtbevölkerung im Promillbereich bewegt hätte.
Du bist auf dem falschen Dampfer, denn die kolportierte Anzahl der Prozesse, um die es geht, ist 110.000.

Um dir auf die Sprünge zu helfen, hier noch einmal der wesentliche Satz aus dem bereits verlinkten Artikel der Britannica:

The number of trials and executions varied widely according to time and place, but in fact no more than about 110,000 persons in all were tried for witchcraft, and no more than 40,000 to 60,000 executed.

Dazu habe ich dann geschrieben – Zitat: Das bedeutet, dass 40 bis 50 % der Verfahren mit der Todesstrafe endeten. Das finde selbst ich als übertrieben.

Nehme bitte dazu Stellung.
 
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Spanische Inquisition hatte das getan, nicht die im HRR oder in anderen Ländern nördlich der Alpen. Und ich sprach von dem spanischen Großinquisitor Nicolaus Eymerich, über den die englische Wikipedia folgendes schreibt – Zitat:

He quotes Pope Innocent V in saying that in order to receive aid from a demon, a person must enter into some form of pact with the demon. Eymerich then extrapolates on this postulate to demonstrate that any agreement with a demon is a heresy. Eymerich was among the first to condemn all forms of demonic conjuration as heresy.

Auch weltliche Gerichte bedienten sich des Hexenhammers, den ein Dominikaner, Heinrich Kramer, geschrieben und ein Papst für gut befunden hatte. Es spielt hier

Ich habe das Buch Inquisition in the Fourteenth Century: The Manuals of Bernard Gui and Nicholas Eymerich nicht gelesen – ich vertraue einfach auf die, die es rezensiert haben.

Die Spanische Inquisition hat keine Hexen verfolgt, aber bei Hexenprozessen hat sie sich regelmäßig Rat von der Römischen Inquisition geholt? Sie hat die Prozessakten und die Angeklagten über die Pyrenäen und die Alpen nach Rom geschickt? Wirklich?

Woraus, aus welchen Quellen entnimmst du das?

Der Großinquisitor von Eymerich hat 1370 mal einen Juden, der in Barcelona wegen Zauberei angeklagt war, zweimal gefoltert und hat damit das kirchliche Verbot umgangen. Von Hexenprozessen, die er geführt hat steht kein Wort, schon gar nicht, dass von Eymerich oder andere Inquisitoren regelmäßig wegen Hexenprozessen sich in Amtshilfe nach Rom gewandt haben.

Von Eymerich hat mal einen Papst zitiert und daraus liest du, dass die Spanische Inquisition bei Hexenprozessen Amtshilfe gesucht hat bei der Römischen Inquisition?
 
Ich habe doch geschrieben "Die Verfolgung war angeblich so total, dass einige Wissenschaftler glauben, die verbliebenen Katzen hätten nicht mehr Mäuse und Ratten in Schach halten können." Ich habe mich also davon distanziert - was willst du mehr?

Du hast nicht mehr in Erinnerung, was Du geschrieben hast?
Du hast folgenden populären Irrtum aus dem Netz gefischt und uns hier aufgetischt:
Vox in Rama identifizierte (schwarze) Katzen als personifizierte Teufel.
Vox in Rama identifiziert weder Frösche noch hagere Männer noch schwarze Katzen als personifizierte Teufel. Davon hast Du Dich nicht distanziert, aber Du hast natürlich jetzt Gelegenheit, das nachzuholen.


Das ist leicht zu begründen: Wenn von 110.000 der wegen Hexerei Angeklagten 40-50 Prozent exekutiert wurden, dann hat wohl kaum jemand für sie die Partei ergriffen, schließlich gab es auch vernünftige Leute, die nicht an die Existenz von Hexen glaubten. Und wenn diese nicht als Zeugen zugunsten der Angeklagten auftraten, dann weil sie die Angst hatten, selbst angeklagt zu werden.

Du hast also keinen Beleg für die Behauptung, dass Zeugen von einer Anklage bedroht waren, nur weil sie als Zeugen aussagten. Du hast Dir lediglich was ausgedacht, was Dir logisch vorkommt.
Vielen Dank für die Bestätigung dessen, was @Shinigami schrieb: Das ist nichts weiter als eine persönliche Mutmaßung von deiner Seite.
 
Sorry, ich habe die Stelle von irgendwo übernommen - ich werde sie suchen.
Danke.
Um sich intellektuell und räumlich von den Ketzern fernzuhalten, darf man sich weder intellektuell mit ihnen befassen noch ihnen räumlich nahekommen. Das Gegenteil davon ist geschehen.
Du suchst in den Krümeln. Es ging ihm darum, dass seine Schäfchen nicht mit Ketzern gemeinsame Sachen machen sollten.
Wir sind hier in einem Faden mit dem Titel “Hexenjagden gab es nicht nur in der frühen Neuzeit”, also ist es sogar ein Muss über diese frühe Zeit zu referieren. Diese Zeit war es auch, die die Grundlagen für die Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit schaffte: […]
Das geht wieder völlig am Einwand vorbei.

Das Problem besteht darin, dass Du bemüht bist, den Hexenwahn auf einen einzigen Punkt zurückzuführen: die Kirche.

Man antwortet Dir: Einen einzigen Punkt gibt es nicht.

Du erwiderst: Aber der Hexenhammer!

Man antwortet Dir: Der verschwand ein Jahrhundert lang in der Schublade, dafür muss es einen Grund geben …

Du erwiderst: Das ist Schönfärberei! Was ist mit der Inquisition? All die Todesurteile!

Man antwortet Dir: Die Inquisition war an den Hexenverfolgungen kaum beteiligt und verhängte sowieso nur wenige Todesurteile.

Du erwiderst: Das ist Schönfärberei! Was ist mit Lemgo, Würzburg, Nördlingen, all die Todesurteile …!

Man antwortet Dir: Das war nicht die Inquisition.

Und jetzt sind wir wieder beim Hexenhammer?
Und darf ich Fragen, was daran anstößig sein sollte "Geisteskranke" (was immer auch damit im einzelnen Fall gemeint ist, vor Gericht anzuhören?
Nun ja …

Keine Sorge, ich habe schon gesehen, worauf Du hinauswolltest und wie es zu dieser überflüssigen Nebendiskussion kam, trotzdem sei gesagt: Zwar stellt das Inquisitionsverfahren gegenüber der vorherigen Rechtspraxis tatsächlich einen gewissen Fortschritt dar.

Doch zielte die Erweiterung der Eidesfähigkeit auf vorher nicht als eidesfähig angesehene Personen (wie eben Geisteskranke und Kinder) nicht darauf ab, das Verfahren gerechter zu gestalten. In dieser Hinsicht hat @Dion schon Recht. Sie war vor allem Ausdruck der Auffassung, dass man es mit Delikten zu tun hatte, zu deren Bekämpfung (fast) jedes Mittel Recht war.

Allerdings taugt auch diese Beobachtung nur bedingt als Ansatzpunkt für Religions- oder Kirchenkritik. Dass anerkannte Rechtsgrundsätze eines "höheren Gutes" wegen verletzt werden, ist leider eine historische Konstante.
Ein Mob, der frustriert ist und einfach irgendwen getötet sehen möchte interessiert sich nicht für das mühsame herausbekommen von Geständnissen. Wozu denn? […] Und wenn das der regelmäßige Gang der Dinge gewesen wäre und Wahrheitsfindung niemanden interessiert hatte, müssten die Raten zur Verurteilung zu Kapitalstrafen gegenüber der Zahl der greifbaren Fälle sich auf nahezu hundert Prozent belaufen.
So ist es. Auch das gelegentliche Eingreifen der Inquisition und des Reichsgerichts zugunsten der Opfer von Hexenverfolgungen weist klar darauf hin, dass eben doch ein Interesse an der Wahrheitsfindung stand, zumindest auf Seiten der Institutionen.
Deiner Ansicht nach. Die halte ich aber für relativ unplausibel, wenn man bedenkt, dass Hexenprozesse mehr oder weniger in weiten Teilen Europas über einen Zeitraum von mehr oder minder zweieinhalb Jahrhunderten stattfanden.

Nehmen wir alleine mal das Heilige Römische Reich nördlich der Alpen. Wie viele Einwohner mag das in der FNZ gehabt haben? […]

Sprich jeder X.000ste wurde mal angeklagt und von denen wiederrum wurde nur ein Bruchteil zu wirklich schweren Strafen verurteilt.
In meinen Augen durchaus denkbar.
Hervorragende Darstellung.

Vielleicht hilft es dem Verständnis, sich zu vergegenwärtigen, dass Zauberei für die damaligen Menschen ein sehr reales Verbrechen war, auf einer Ebene mit Mord und anderen Kapitalverbrechen, und mit nicht minder handfesten Folgen.

Und wie sieht es denn heute in Deutschland aus, einem der sichersten Länder der Welt?

Voriges Jahr kamen auf je 1.000 Menschen in diesem Land 2,5 Gewaltverbrecher. Anhand dieser Zahlen kann man sich das scheinbare Spannungsverhältnis zwischen Bevölkerungsgröße und Inzidenz leicht erklären.
Das ist leicht zu begründen: Wenn von 110.000 der wegen Hexerei Angeklagten 40-50 Prozent exekutiert wurden, dann hat wohl kaum jemand für sie die Partei ergriffen, schließlich gab es auch vernünftige Leute, die nicht an die Existenz von Hexen glaubten. Und wenn diese nicht als Zeugen zugunsten der Angeklagten auftraten, dann weil sie die Angst hatten, selbst angeklagt zu werden. Oder weißt du einen anderen trifftigen Grund?
Ich weiß gerade nicht, woher die Zahlen 110.000 und 40-50% Verurteilungen stammen, aber nehmen wir kurzerhand an, dass sie zutreffen, so bietest Du eine mögliche Erklärung – aber eben nur eine. Es ist eine Hypothese, mehr nicht.

Um sie zu belegen, müsste man die Prozessakten und zeitgenössischen Berichte durchforsten und herausfinden: Meldeten sich Fürsprecher – und wenn ja, wie häufig kam das vor? Und falls sich keine meldeten, tauchten dann vielleicht im Nachhinein in irgendwelchen Chroniken oder Memoiren Stimmen von Leuten auf, die zugeben, dass sie gerne ausgesagt hätten, es jedoch aus Angst unterließen?

Es gibt viele Gründe, warum wir vergeblich nach Entlastungszeugen suchen könnten. Angst ist tatsächlich ein Grund, sogar ein guter, auch wenn Du übersehen hast, dass potentielle Entlastungszeugen nicht nur aus Furcht vor angeblicher Anklage hätten schweigen können, sondern auch aus einem Gruppenzwang heraus. In einer Dorfgemeinschaft, wo alle zusammenhalten müssen, um den nächsten Winter zu überstehen, willst Du garantiert nicht der einsame Held sein, der sich vor die bucklige Alte stellt, die vom ganzen Dorf für schuldig gehalten wird.

Ein zweiter Grund könnte sein: Es trat kaum jemand auf, weil kaum jemand von den verhängten Urteilen nicht überzeugt war.

Nach dem zeitgenössischen Vorstellungshorizont war Zauberei nichts, das nur in den Köpfen stattfand, nichts, dessen Existenz durch erzwungene Geständnisse herbeifabuliert werden musste. Noch einmal das Beispiel von vor ein paar Tagen: Die Müllerin kauft irgendeinem Quacksalber einen "Schadenszauber" ab, um sich an ihrer Feindin, der Weberin, zu rächen. Sie spielt Hokuspokus, und anderntags fällt die Weberin tot um, weil sie ausgerechnet jetzt einen Hirnschlag haben musste. Warum sollten die damaligen Menschen en masse irgendetwas anderes geglaubt haben, als dass die Müllerin die Weberin totgehext hat?

Vor allem müsste man aber herausfinden, wieso es in 40-50% der Fälle nicht zur Verhängung Todesstrafe kam. Die falsche Absolutheit Deiner Logik anwendend, könnte man behaupten: In jedem zweiten Verfahren hat sich doch ein Entlastungszeuge gemeldet, alles in Butter!

Zusammenfassend gesagt, ist deine Hypothese angreifbar und wahrscheinlich falsch.
Für Artikel 9 gilt das gleiche wie für Artikel 21: Die späteren Mächtigen der Kirche haben sich darüber hinweggesetzt.
@Dion, das ist doch unter Deiner Würde. Erst sollten die Artikel als Beweis dafür dienen, dass Hexenverfolgungen eine rechtliche Grundlage hatten, obwohl sie nichts mit Hexen zu tun haben. Jetzt meinst Du: Alles Wurscht, weil die Kirche sich sowieso über Gesetze hinweggesetzt hätte?

Das ist kein Argument.
Du bist auf dem falschen Dampfer, denn die kolportierte Anzahl der Prozesse, um die es geht, ist 110.000.
Nein. @Shinigamis Darstellung ist korrekt. Zur Veranschaulichung verweise ich nochmals auf die heutige Kriminalstatistik.

110.000 Prozesse wären angesichts des langen Zeitraums ziemlich wenig.
Um dir auf die Sprünge zu helfen, hier noch einmal der wesentliche Satz aus dem bereits verlinkten Artikel der Britannica:

The number of trials and executions varied widely according to time and place, but in fact no more than about 110,000 persons in all were tried for witchcraft, and no more than 40,000 to 60,000 executed.
Aha, also daher kommt die Zahl.

Schade, dass hier kein Quellenverzeichnis angelegt ist, denn eines irritiert mich: Zahlen zu den schätzungsweise vollstreckten Hinrichtungen findet man oft in der Literatur, aber eine derart konkrete Angabe zur Gesamtzahl der Verfahren begegnet mir hier zum ersten Mal.

Es wird sich wohl um bloße Hochrechnungen handeln? Immerhin geht es dem Text nach zu urteilen um die Hexenverfolgungen in ganz Europa und den europäischen Kolonien, und um einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten!

Und es ist nun mal so, dass nicht-adelige Menschen in Mittelalter und Früher Neuzeit, falls überhaupt, meist nur mit ihrem Tod in den zeitgenössischen Berichten auftauchen. Chroniken begnügen sich meinem Eindruck nach meist mit Feststellungen wie "am Martinstag wurden zu Kleinbruchhausendorf acht Hexen verbrannt", als dass sie regelmäßig in die Details gehen würden.

@Sepiola & @Scorpio, habt Ihr zufällig andere Quellen zur Hand, die die Zahl 110.000 bestätigen oder widerlegen? Behringer schweigt sich dazu aus, und für das Buch von Levack hatte ich nur einen 24h-Zugang. (Bis vor exakt 13 Minuten.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Du bist auf dem falschen Dampfer, denn die kolportierte Anzahl der Prozesse, um die es geht, ist 110.000.

Um dir auf die Sprünge zu helfen
Um dir auf die Sprünge zu helfen, bezog ich mich mit deen Zahle auf deine Einlassungen in #117
The number of trials and executions varied widely according to time and place, but in fact no more than about 110,000 persons in all were tried for witchcraft, and no more than 40,000 to 60,000 executed.
Und praktischer Weise steht keine Quellenangabe daran, woher diese Zahlen kommen. Sie sind also erstmal nur in den Raum gestellt.

Dazu habe ich dann geschrieben – Zitat: Das bedeutet, dass 40 bis 50 % der Verfahren mit der Todesstrafe endeten. Das finde selbst ich als übertrieben.
Das wundert mich, denn auf Basis deiner Vorstellungen zu diesem Thema müsstest du doch eigentlich davon ausgehen, dass so 95% - 100 % mit der Todesstrafe geendigt hätten.

Da stelle ich dir nochmal die Frage:

- Du gehst von einer allmächtigen Kirche als einem totalitären Regieme und Antreiber aus, dass wenn man deinen Vorstellungen so zur Maßgabe nimmt einen Repressionsapparat besaß, der engmaschiger war, als der des heutigen Nordkorea und das im ganzen lateinischen Europa.
- Du gehst davon aus, dass grunsätzlich keine Möglichkeit bestand sich zu verteidigen.
- Du gehst davon aus, dass grundsätzlich so lange gefoltert wurde, bis man ein Geständnis hatte.
- Du gehst davon aus, dass grundsätzlich bestellte Zeugen der Anklage herangezogen wurden, die sich erfundene Beweise aus den Fingern saugten, oder denen die Kirche gar Aussagen diktiert hätte, die als Ersatz für mangelnde Beweise eine Verurteilung rechtfertign konnten, um ein solches Todesurteil verhängen zu können.

[...]

Jetzt frage ich dich, wenn das (mal davon abgesehen, dass es natürlich reiner Quatsch ist) zutreffen würde, wie sollten dann 50-60% dem Todesurteil entgangen sein?
Die einzige Möglichkeit dem zu entkommen, hätte ja dann darin bestehen müssen, gewarnt zu werden und sich entweder selbst umzubringen, oder außerhalb der Reichweite der römischen Kirche zu fliehen, also das lateinische Europa zu verlassen.

Das das so nicht zusammen passt, merkst du hoffentlich selbst.
 
Nach dem zeitgenössischen Vorstellungshorizont war Zauberei nichts, das nur in den Köpfen stattfand, nichts, dessen Existenz durch erzwungene Geständnisse herbeifabuliert werden musste.

Das wird in dem Buch von Irsigler/Lassotta mit etlichen Beispielen belegt. Viele der Angeklagten waren felsenfest überzeugt, zaubern zu können.

"Die Existenz von Frauen (und Männern), die sich magischer Praktiken bedineten, ist ebenso unbestreitbar wie der Volksglaube an die Wirksamkeit ihres Tuns. Die Kölner Turmbücher aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts enthalten eine Anzahl von Verhörprotokollen, wonach die Untersuchungshäftlinge, ohne daß die Folter gegen sie angewandt wurde, zugaben, Wahrsagerei, Zauber und Magie selbst ausgeübt zu haben." (S. 150)
Eine Wahrsagerin bestätigte "nicht ohne Stolz" ihre Aussage, in ihrer Kunst "fix" zu sein, während andere Wahrsagerinnen "die Leute nur betrögen und ihnen ihr Geld abschwätzten". (S. 158)
 
Vorm Inquisitionsprozess (und faktisch auch währenddessen, wegen der Gleichzeitigfkeit des Ungleichzeitigen), gab es das Gottesurteil. Das Gottesurteil bestand im Prinzip in verschiedenen Proben, und je nachdem wie die Probe ausging, galt man eben als schuldig oder unschuldig.
Für den Adel wurde das Gottesurteil oft in Zweikämpfen ausgetragen, wobei es einen begrenzten Kampfplatz gab, der nicht verlassen werden durfte, bis das Urteil durch "göttlichen Schiedsspruch" gefällt war. Die Proben für Nichtadelige konnten anders ausfallen. Im SpätMA - deshalb sprach ich von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen - wurden solche Zweikämpfe auch oft von Bürgern ausgetragen und - dabei dann auch Stellvertreter eingesetzt, es gab Kämpfer, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten. Also wenn etwa ein reicher Patrizier sich einen Berufskämpfer leisten konnte, der arme Bürger aus der Vorstadt aber nicht, standen die Chancen ziemlich schlecht für den Vorstädter.
Gottesurteile endeten oft tödlich.



Um eine angemessene Beurteilung dessen zu finden, müssen wir uns eben von den Klischees lösen, die uns protestantische, anglikanische, marxistische und nationalsozialistische Autoren 400 Jahre lang eingeimpft haben und uns eben das Vorher und das Nachher ansehen.

Eine Möglichkeit sollte man vielleicht noch erwähnen, die neben dem Gottesurteil oder Ordal auch eine wichtige Rolle spielte: Eideshelfer und Leumundszeugen. Persönlichkeiten, am besten von Rang, die für den Beklagten oder die Beklagte drei Finger heben und sagen: XY, das ist ein ganz lieber, der tut nichts. Die Partei, die mehr und bedeutende Eideshelfer vorweisen kann, gewinnt.

Das Verfahren mittels Eideshelfer war nicht unbedingt besonders sozial gerecht, angesehene Zeitgenossen werden nicht verurteilt, und das muss man nicht gut finden, es mochte aber durchaus Vorteile für den sozialen Frieden in einer Stadt mit sich bringen.

Beim Inquisitionsprozess aber ging es darum, die Wahrheit herauszufinden. Zeugenaussagen spielen eine wichtige Rolle, Indizien und Beweise spielen eine Rolle. Vor allem ist der gesamte Prozess vollständig verschriftlicht. Alle Zeugenaussagen werden schriftlich festgehalten, alle Aussagen protokolliert, so dass man sie noch nach Jahren rekonstruieren kann.

Ganz sicher mochten Formen der Rechtsfindung wie Gottesurteil, Eideshelfer und Reinigungseid durchaus Vorteile für Angeklagte bieten, und sie mochten auch Maßregeln sein, die für den sozialen Frieden einer Gesellschaft Vorteile bot.

Im Hinblick darauf für rationalere Verfahren in der Rechtspflege durchzusetzen, bei denen nicht magisch-sakrale Vorstellungen oder die besseren sozialen Kontakte für die Verfahrensentscheidung, sondern Beweise, Indizien, Zeugenaussagen zur Wahrheitsfindung entscheidend waren, so muss man den Inquisitionsprozess in der Geschichte der Rechtspflege durchaus als einen Fortschritt bezeichnen.
 
@Sepiola & @Scorpio, habt Ihr zufällig andere Quellen zur Hand, die die Zahl 110.000 bestätigen oder widerlegen? Behringer schweigt sich dazu aus, und für das Buch von Levack hatte ich nur einen 24h-Zugang. (Bis vor exakt 13 Minuten.)

Levack schreibt:
"Diese sehr überschlägigen Zahlenangaben machen eine Summe von knapp unter 110.000 Verfahren in Europa aus."
Das Kapitel beginnt mit der Bemerkung: "Die Anzahl der Hexenprozesse und Hinrichtungen läßt sich nicht einmal annähernd genau ermitteln..."
Die Zahl der Hinrichtungen schätzt Levack auf etwa 60.0000.
 
Danke. Demnach hätte wohl annähernd jeder zweite dokumentierte Hexenprozess zu einer Hinrichtung geführt. Das ist in der Tat erst mal ein auffällig hoher Wert – nach heutigen Maßstäben. Es wäre interessant, wenigstens orientierungshalber Vergleichswerte aus "normalen" Strafprozessen zu erhalten. Ohne es beweisen zu können, würde ich freilich vermuten, dass der Unterschied gar nicht so groß ausfallen dürfte, wie man meinen könnte. Wer in jener Zeit vor einen Richter kam, war meist auf frischer Tat ertappt worden, oder der Fall schien jedenfalls so eindeutig, dass man es wagen konnte, Klage zu führen. Dabei denke ich nicht nur an die Kosten, sondern auch an die durchaus persönlichen Risiken, die man einging, wenn man jemanden einer Straftat gegen sich anklagen wollte und verlor. Stichwort: Urfehde.
 
Erste vorsichtige Schätzungen über die Gesamtopferzahlen der Hexenverfolgung gingen in der Hexenforschung der späten 1980er 1990er Jahre etwa von 100.000 Hinrichtungen in ganz Europa oder 100.000 weltweit aus.

Erste vorsichtige Schätzungen der Gesamtopferzahlen hat man in den 1980er Jahren angestellt.
Da hat die Forschung aber auch schon Zahlen und Schätzungen der älteren Hexenforschung ganz gewaltig nach unten korrigiert. Opferzahlen von mehreren Millionen oder von knapp einer Millionen Opfer finden sich noch in durchaus seriösen Publikationen der 1970er.

Diese Zahlen basieren darauf, dass man in der älteren Forschung nicht genügend differenzierte zwischen Prozessen und Exekutionen, dass Schätzungen hochgerechnet wurden und über mehrere Hundert Jahre von einer gleichen Prozessintensität ausgegangen wurde.

Die Zahl von 100.000 Prozessen die man als Schätzung in vielen Publikationen findet, hat die teils absurden Opferzahlen von 1 Millionen oder gar mehreren Millionen, die sich in populärwissenschaftlichen Werken der 1970er noch vielfach finden, auf 1/10 nach unten korrigiert.

Aber auch die Schätzung von 100.000 Opfern der Hexenverfolgung weltweit ist immer noch viel zu hoch, und etwas mehr als die Hälfte davon,
50-60.000 weltweit dürfte der Realität einigermaßen nahekommen.

Es waren nicht einige Millionen, nicht einige Hunderttausend, sondern einige Zehntausend Menschen, die dem Hexenwahn in 400 Jahren zum Opfer fielen. Es waren bestimmte Gebiete und bestimmte Jahre auf die sich Verfolgungen konzentrierten.


Für vorindustrielle Gesellschaften sind das aber trotzdem extrem hohe Zahlen. In Lemgo fielen in 2 Generationen mehr als 200 Menschen dem Hexenwahn zum Opfer das ist mehr als 5% der Bevölkerung der kleinen Stadt in Westfalen. In Bamberg waren in 2-3 Prozesswellen am Ende schließlich sogar 10% der Bevölkerung und praktisch der gesamte Stadtrat, hoch und niedrig dem Hexenwahn zum Opfer gefallen.

Einige Dutzend Hinrichtungen in einer Kleinstadt wie Wildungen das hatte riesige Auswirkungen auf das soziale Gefüge einer Stadt, auf das Zusammenleben ihrer Bürger.

Es wird aber auch deutlich, dass keineswegs alle Regionen Europas und keineswegs alle Regionen im Reich gleichermaßen betroffen waren, die großen Flächenstaaten waren weniger betroffen, die Freien Reichsstädte mit einigen Ausnahmen zeigten eine gesunde Skepsis gegen Hexenprozesse, waren stark am sozialen Frieden einer Stadt interessiert.
 
Im Schwabenspiegel gibt es ein Vorwort. Bernd Kannowski schreibt dazu in "Schwabenspiegel-Forschung im Donaugebiet" - Zitat:

Darin greift der Autor [des Schwabenspiegels] den göttlichen Auftrag aus dem Buch Genesis auf, der Mensch solle sich die Erde unterwerfen und über die Tiere herrschen. Aneignung und Beherrschung der Tierwelt durch den Menschen ist nichts anderes als die Erfüllung genau dieses Auftrags.

Weil ich auf das Buch Peter Dinzelbachers Das fremde Mittelalter. Gottesurteil und Tierprozess (Schriftenreihe des Mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber, Bd. XI). Zweite, wesentlich erweiterte Auflage. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, wbg, 2020, 384 Seiten. nicht zugreifen kann, hier eine Rezension des Buches in Journal on European History of Law, 2021 - mit einem Link kann ich leider nicht dienen - Zitat (Fettschreibung durch mich):

Dabei legt der Autor sein Werk methodisch umfassend breit an, indem er nicht nur verschiedene Disziplinen für die Untersuchung nutzbar macht, sondern auch indem er zum einen die ganze Bandbreite des mittelalterlichen Rechts (römisch-antikes Recht, germanisches Recht, kanonisches Recht, Stadtrechte, Sachsenspiegel usw.) heranzieht und daneben Urkunden, narrative Quellen und diskursive Texte, die die Rechtspraxis abbilden, sprechen lässt (S. 33), wobei der Autor die ganze Epoche des Mittelalters vom Früh- bis zum Spätmittelalter und das für ganz Europa abzubilden sucht.
[...]
Dabei unterscheidet Dinzelbacher bei den Tierprozessen zwei unterschiedliche Ausformungen: zum einen das weltliche Verfahren gegen ein Tier quasi als Straftäter (Tötung eines Menschen) mit dem Ergebnis seiner Hinrichtung und zum anderen die gegen Tiere (Insekten als Schädlinge) angestrengten geistlichen Tierprozesses, die mit der Exkommunikation der Schädlinge endeten. Die dabei zu beobachtende „Vermenschlichung“ des Tieres, dass wie ein vernunftbegabter Mensch angesprochen wird, wie ein Mensch in der Verantwortung gesehen wird und daher auch wie ein Mensch bestraft wird.
[...]
Allerdings beschäftigen Peter Dinzelbacher die folgenden, bereits in der ersten Auflage aufgeworfenen Fragen, noch weiter: Zum einen ist dies die Frage, warum in den Quellen der Antike und des Frühmittelalters Tiere nicht als Angeklagte in Strafprozessen nachweisbar sind, sondern vielmehr die Sachhaftung des Tierbesitzers die entscheidende Rolle spielt, während von den Quellen des 13. Jahrhunderts an, die Praxis der Tierprozesse belegbar wird. Zum anderen geht Peter Dinzelbacher eingehend der zweiten Frage nach, wie die geistige Elite des Mittelalters – namentlich Theologen und Juristen – daran glauben konnten, dass es möglich sei, eine Kommunikation zwischen Mensch und Tier zu etablieren, in der das Tier gleichsam wie ein Mensch religiöse, strafprozess- und strafrechtliche Sachverhalte und Erwägungen in einem offiziellen Prozess verstehen können würde. Diesbezüglich weist er hier ergänzend darauf hin, dass dies auch die Vorstellung/Erwartung voraussetzt, dass Tiere „vernünftigen“ Argumenten zugänglich seien und dass sie im Fall der Prozesse gegen Schadinsekten auch in der Lage seien, entsprechenden der von menschlichen Interessen diktierten Entscheidungen geistlicher Gerichte zu agieren.


Levack schreibt:
"Diese sehr überschlägigen Zahlenangaben machen eine Summe von knapp unter 110.000 Verfahren in Europa aus."
Das Kapitel beginnt mit der Bemerkung: "Die Anzahl der Hexenprozesse und Hinrichtungen läßt sich nicht einmal annähernd genau ermitteln..."
Die Zahl der Hinrichtungen schätzt Levack auf etwa 60.0000.
Damit dürfte klar sein, dass diejenigen hier, die z.B. für eine Tatsache hielten, “dass nur ein geringer Teil der Prozesse mit der Todesstrafe endete”, auf dem Holzweg waren.

Dass anerkannte Rechtsgrundsätze eines "höheren Gutes" wegen verletzt werden, ist leider eine historische Konstante.
Könnte es sein, dass dieses höhere Gut der sogenannte soziale Frieden ist? Oder konkret gefragt: Es müssen nur genügend Leute Bestrafung für vermeintliche Hexen fordern und schon wirft man die Rechtsgrundsätze über Bord?

Wir haben gesehen, dass die Kirche im frühen Mittelalter an die Existenz der Hexen nicht glaubte, dass sie aber später diese Meinung änderte und sich durch päpstlichen Bullen an die Spitze der Bewegung setzte, die Hexenverfolgung forderte. Die Gründe dafür dürften gewesen sein:

1. Die Verschlechterung des Klimas verursachte Ernteausfälle, die Hungersnöte zur Folge hatten. Dafür musste jemand verantwortlich sein: Entweder Gott, die Menschen selbst, weil sie nicht fromm genug waren – oder eben Hexen, die im Auftrag des Teufels agierten.

2. Der Aufstieg des Protestantismus hat u.a. Papstum bzw. die gesamte katholische Kirche in Frage gestellt und damit eine Verunsicherung in der Bevölkerung bewirkt, so dass die Kirche um ihre Vormachtstellung bzw. um ihren Rückhalt in der Bevölkerung fürchten musste.

Als ab Spätmittelalter die Kirche Tiere auf die Anklagebank setzte, sie ggf. exkommunizierte und/oder sie schriftlich zum Verlassen des Landes aufforderte, war das ein Zeichen der veränderten Verhältnisse. Die sog. Ketzer machten ihr zu schaffen, und als im 14. Jahrhundert der Schwarze Tod, also die Pest kam, konnte sie auch nichts dagegen tun.

Das ist eben der Nachteil des Anspruchs, für alles eine Erklärung zu haben bzw. im Auftrag Gottes für alles verantwortlich zu sein – man muss dann auch für negative Dinge geradestehen. Dazu war sie anscheinend nicht bereit oder konnte nicht sein, weil: Gott macht keine Fehler.

Also war Teufel, das personifizierte Böse, Schuld an allem. Er bemächtigte sich Menschen, die nicht fromm genug oder schlicht ein wenig anders waren als die jeweilige Mehrheit, und machte sie zu seinen Handlangern. Natürlich belohnte er sie auch: Mit Sex der verbotenen Arten. Klar, was einem verboten ist, wird zu Projektionsfläche in anderen.

Alles menschlich, allzu menschlich.
 
Damit dürfte klar sein, dass diejenigen hier, die z.B. für eine Tatsache hielten, “dass nur ein geringer Teil der Prozesse mit der Todesstrafe endete”, auf dem Holzweg waren.
Nein.
Also zunächst einmal, ich wundere mich, dass bei Hexenprozessen die Zahl der Verurteilungen so "niedrig" geschätzt wird. Aber wir reden von Schätzungen. Damit ist überhaupt nichts "klar".
Vielleicht klärt uns Sepiola ja noch darüber auf, auf welcher Basis diese Schätzungen von Levack gemacht wurden, damit wir einen Anhaltspunkt haben, wie fundiert diese sein können.
 
Meinst du die "niedrige" Schätzung als Verhältnis der Zahl der Verurteilungen zu der Zahl der Prozesse, oder absolut?
 
Im Verhältnis. Da Hexenprozesse im Prinzip - anders als der Inquisitionsprozess - keine rechtsstaatlichen Prozesse waren (ich weiß, dass es weh tut, Inquisitionsprozesse als rechtsstaatlich zu bezeichnen, aber letztlich sind sie der Beginn unserer rechtsstaatlichen Prozessordnung) wundern mich die Schätzungen schon, dass "nur" 3/5 verurteilt wurden. Dass die Existenz des Teufels und damit mittelbar der Hexerei für gegeben gehalten wurde, ist das eine, dass man aber Leute der Hexerei/des Teufelsbundes bezichtigte um womöglich an deren Besitz zu kommen etwas ganz anderes.
 
Wir haben gesehen, dass die Kirche im frühen Mittelalter an die Existenz der Hexen nicht glaubte, dass sie aber später diese Meinung änderte
Das ist viel zu verkürzt, ja simplifiziert.

Ich habe den Eindruck, dass du @Dion den Begriff Hexe(n) so verwendest, als habe er zu allen Zeiten dieselbe Bedeutung gehabt (nämlich das, was du darunter verstehst) - das war nicht der Fall! - und dass du sehr salopp mit der Formulierung (an) etwas glauben umgehst.

Wir haben aus dem mitteleuropäischen Frühmittelalter zu Hexen etc nur Quellen aus klerikaler Perspektive, Rechtstexte christlicher Herrschaft und 2-3 so genannte Zaubersprüche. Zum Frühmittelalter ist zu bedenken, dass Christianisierung, Mission, quasi Beseitigung der alten/heidnischen Götter und religiösen Ritualen noch voll im Gang war: das ist deutlich zu lesen in der von dir zitierten Capitulatio de partibus Saxoniae! Die karolingische Expansion hatte mit heidnischen Sachsen, Slawen, Awaren zu tun.

Übrigens lässt sich nicht vorschnell sagen, die frühmittelalterlichen Christen sowie die frühmittelalterliche Kirche/Mission hätte nicht an die Existenz der heidnischen Götter geglaubt - stattdessen erklärte sie diese als "falsche Götter", deutete sie um zu Dämonen, Unholden etc. und stellte heidnische Bräuche etc unter Strafe. In den sehr wenigen "heidnischen" frühmittelalterlichen Quellen taucht Hexe in heidnischem Kontext auf: die mihtigun wif des altengl. Zauberspruchs bewirken mit ihrem haegtessan geweorc ganz trivialen Hexenschuss :) ylfen gescot / haegtessan gescot. Die klerikale Perspektive und Deutung, überwiegend lateinisch verfasst, verwendete klassische Gelehrsamkeit in ihrer nun negativen Umdeutung der Begriffe aus heidnischer Religion: haegtesse, helrune etc wurde lateinisch umgedeutet in striga, parca, venefica, herbaria etc -- aber damit waren noch lange keine auf dem Besen reitenden Bibi Blocksberg Hexen gemeint!

Der frühmittelalterlichen Mission ging es (auch mit Gewalt) darum, dass der Täufling den alten Göttern und allen heidnischen Bräuchen & Praktiken abschwur - altsächsisches Taufgelöbnis (!) Und diesem Programm entsprechend sind die Bezüge auf heidnisches in der Capitulatio auch entsprechend drastisch (u.a. unterstellte heidnische Menschenfresserei etc) Dass die Kirche/Mission des 8.-10/11. Jhs. nicht an die Existenz dessen "glaubte", wovon sie ihre Schäfchen fernzuhalten bestrebt war, lässt sich den frühmittelalterlichen Quellen nicht entnehmen.

Pardon für diese Abschweifung.
 
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